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DER SONNTAG UND DIE VOLLSTÄNDIGKEIT DES MENSCHEN

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Das Problem des Sonntags hängt mit einem anderen Problem zusammen, das bis in die Wurzeln unseres Daseins reicht. Es entsteht aus der Tatsache, dafj der neuzeitliche Mensch die ungeheure wissenschaftliche und technische Leistung der letzten Jahrhunderte mit einem Verlust bezahlt hat, dessen Bedeutung uns immer schärfer zu Bewußtsein kommt: er ist zum Aktivisten geworden. Diesen Aktivismus hat man lange als Aufstieg zu höherem Lebenswert und ernsterer sittlicher Verantwortung angesehen. Einer wachsenden Zahl von Menschen aber wird klar, was an dieser Meinung falsch war. Gewiß ist Großes gewonnen, aber auch Wichtiges verloren worden —.alles das nämlich, was man die „kontemplativen” Werte nennen mag: die Kräfte der Stille und Sammlung; des tieferen, aus dem Seelengrund kommenden Wissens; des Gefühls für Weisungen und Warnungen aus einem Bereich, der weiter innen liegt als bloße Vernunft und Zweckmäßigkeit. Der moderne Mensch hat überall an Tiefgang verloren. Sein Leben wird immer dünner; sein Instinkt immer schwächer. So verliert er sich immer mehr an den Zusammenhang maschineller Apparaturen, der seine Welt erfüllt. Entsprechendes gilt gegenüber der Macht des Staates. Durch die ganze Welt geht eine totalitäre Tendenz, nicht bloß durch die kommunistische, sondern auch durch die freiheitliche; nur daß sie hier einen anderen Charakter annimmt — zu erinnern an den Behördenapparat, der in immer mehr Gebiete des Lebens eingreift; an die Presse, welche Gedanken, Urteile, Stellungnahmen der Bevölkerung bestimmt; an die Prägung des Lebensgefühls und des Geschmacks durch Kino und Radio; an die fortschreitende Veröffentlichung alles Lebens, welche den privaten Bereich zerstört. Gegen alles das wird der moderne Mensch immer schwächer, weil die in eigener Tiefe verwurzelte Standlkraff der Person, die Fähigkeit, Herr seiner selbst zu sein, der Zusammenhang mit den Halt gebenden absoluten Werten bei ihm beständig abnimmt.

Eine echte Pädagogik hat daher die wichtige Aufgabe, die verlorenen Werte zurückzuholen. Dafür ist es aber von größter Bedeutung, den Raum zu gewinnen, in welchem absichtslose, frei in sich ruhende Existenz möglich wird, und dazu gehört vor allem der Sonntag. Er ist nicht nur Abwesenheit von Arbeit und Möglichkeit von Erholung, sondern „Feier"; ein Zustand des Lebens, in welchem die Hoheit Gottes hervortritt und den Menschen frei macht. Verschwindet der Sonntag, dann bedeutet das einen weiteren und entscheidenden Schritt zur Veräußerlichung des Lebens. Der Verlust an menschlicher Substanz aber, die Schwächung echter, geschichtsschaffender Kraft, die daraus folgen, werden durch keine technischen oder wirtschaftlichen Vorteile aufgewogen. So mögen auch jene, für die der christliche Kern des Sonntags keine Gültigkeit mehr hat, diese Momente berücksichtigen und den Sonntag nicht nur aus technischen oder formal-paritätischen, sondern aus tieferen Gesichtspunkten her betrachten.

Wenn man aber behauptet, am gleitenden Ruhetag könne man sich doch auch religiös vertiefen, so gibt es darauf nur die Antwort, wer so spricht, kenne weder das Wesen des Sonntags noch das des Menschen. Glaubt er wirklich, man könne die seif über dreitausend Jahren wirkende Hoheit des Herrenfages durch einen Kalenderfermin ersetzen, der, auf Befehl modernster Nützlichkeiten, von einem Wochentag auf den anderen springt: Und die Seele.des Menschen werde diesem technisch-ökonomischen Fabrikat gehorchen und sich in ihm „religiös vertiefen"? Nur der Herr aller Tage kann Seinen Tag begründen und ihm jene Heiligkeit geben, welche die glaubensbereite Innerlichkeit empfindet, und von welcher auch jene zehren, die nicht an Ihn glauben — in einem Maße, das ihnen gar nicht zu Bewußtsein kommt.

Das mag eine andere Erwägung näherbringen. Man pflegt zu sagen, der moderne Mensch bedürfe keiner Religion. Was für den früheren die Religion war, seien für ihn die Arbeit", der kulturell-politische Fortschritt und die Natur.

Die Neuzeit hat etwas ganz Elementares vergessen: Alle Elemente des Daseins — Dinge, Handlungen, Beziehungen, Ordnungen — gewinnen ihren vollen Sinn erst dann, wenn sie über ihren unmittelbaren Sachgehalt hinaus die Dimension des Religiösen gewinnen. Es isf nicht so, daß der Mensch in sich,Jęrtįg,;.wgi ! yrjtd er, fjußerdem, wqpn, das .Bedürfnis empfindet, äücb poch in eine religiöse ßeri.qiiLin.g eintreten könnte, sondern. das Dasein wird erst im Religiösen vollständig. Die Mächtigkeit der alten Kulturen kommt daraus, daß sie diese Dimension haften. Und nicht nur, weil sie Tempel und Kultstäften besaßen, sondern weil ihr ganzes Leben dieses Element enthielt. Es wäre ein dünner Aesthetizismus, etwa die griechische Kunst zu schätzen und nicht zu sehen, daß das ganze griechische Dasein von religiöser Enerqie durchwirkt war. Das Sich-Vollenden eines Werkes, das Gipfeln einer Begegnung, das Gelingen einer Tat war etwas, das sich letztlich im Religiösen vollzog. Das gilt aber nicht nur für die griechische, sondern für alle Kulturen; gilt für das Mittelalter und gilt noch für die Neuzeit — bis zum Durchbruch des europäischen Positivismus und Marxismus. Dann wendet sich das Dasein endgültig ins Nur-Weltliche.

Das gleiche wäre von der Natur zu sagen. Das echte Verhältnis zu ihr besteht nicht darin, daß man fühlt, wie gut die Luft ist und wie schön die Landschaft — von der Barbarei zu schweigen, die sich an arbeitsfreien Tagen aus den Städten ergießt und den Wald zu einem Ablagerungsplatz für Abfälle und zu einem Ort für Radiospektakel macht. In ihm geht es um die lebendige, innere Beziehung des Menschen zu dem, was da draußen als Baum still wächst, sich als Berg in die Höhe hebt, als Fluß rein ist und strömt. Wenn überhaupt noch „Natur" sein soll — wie weit das möglich sei, steht dahin —, dann kann es nur aus einer menschlichen Tiefe heraus erwachsen, die ihrerseits selbst erst wieder geweckt und entwickelt werden muß.

Im Letzten läuft freilich das ganze Problem auf die Frage hinaus, wie der Einzelne bzw. die Gruppe oder Richtung, der er angehört, zur christlichen Lebensordnung stehe. Hört man schärfer, hinter die Begründungen, mit denen der Sonntag für überholt erklärt wird, so merkt man, daß das tiefste Motiv die Gleichgültigkeit, ja die Feindschaft gegen das Christentum ist. Hier müssen die Verteidiger des Sonntags die Illusionen wegtun — ebenso wie die Angreifenden ehrlich sein und ihre letzten Beweggründe nicht hinter vorletzten verschanzen sollten. Die Schwierigkeiten, welche der Wahrung des Sonntags entgegenstehen, können überwunden werden, .wenn man es ernstlich will. Unüberwindlich werden sie erst durch den geheimen Willen, sie sollen unüberwindlich sein, damit der Tag des Herrn als überholt, kirchlich reaktionär, dem Fortschritt feindlich erscheine.

Dann bleibf nur der Kampf. Die Christen tun gut, sich das ganz klarzumachen. Man wird sagen, sie seien rückständig; sie seien aus irgendeinem Grund Interessenten oder von solchen bezahlt; sie hätten keinen Sinn für den arbeitenden Menschen und so fort durch die Reihe der Motivverfälschungen, wie sie von je auftauchen. In Wahrheit geht es um etwas schlechthin Entscheidendes, und sie dürfen nicht weich werden. Sie kämpfen noch für die mif, gegen die sie kämpfen müssen, denn sie stehen für den Menschen. Endlich aber muß noch etwas anderes gesagt, richtiger, gefragt werden, und es soll in allem Freimut geschehen.

Hat die kirchliche Verkündigung und religiös-ethische Erziehung hier alles getan, was getan werden sollte? Genauer: ist die Aufgabe der Sonnfagsheiligung nicht zu einseitig unter den Gesichtspunkt des Gebotes und der Pflicht gestellt worden?

Selbstverständlich steht hinter dem Herrenfag das dritte der Gebote Gottes. Er hat — das wurde schon gesagt — nicht nur wichtigste Wirkung auszuüben, sondern auf ihm liegt der Charakter der Hoheit, und diese findet ihren Ausdruck im Gebot: „Gedenke, dbß du den Tag des Herrn heilig haltest." Das ist wahr und soll in keiner Weise angetastet werden. Waren aber Verkündigung und Unterweisung auch hinreichend bemüht, die Werte des Sonntags herauszuarbeiten und sie überzeugend darzustellen? Ist der Herrentag dem heutigen Menschen mit seinem Leben in Beziehung gesetzt worden, wie es wirklich ist, so, daß er sich verstanden fühlte und die Hilfe sah, die ihm daraus erwächst? Oder mußte er das Sonntaqsaebot als etwas empfinden, das aus einer vergangenen Welt kam und der seiniaen auferleqt wurde? Waren Unterweisuna und Praxis hinreichend bemüht, zu zeigen, wie man den Sonntag mit wertvollen und freudeschaffenden Momenten erfüllen könne? Oder wurde der Glaubende mif dem Gebot allein gelassen, so daß seine Fähigkeiten des Erfindens und Gestaltens versagen mußten und er den Tag im wesentlichen als etwas Negatives empfand?

Der Hörer versteht gewiß, daß es uns hier nicht um blohe Kritik geht. Wer selbst vor der Aufgabe gestanden hat, weiß, wie schwer es ist, eine Verbindung zwischen dem Feier- chorokter des Sonntags und den aeoebenen durchschnittlichen Verhältnissen zu schaffen. Die Fraaen sollten zu einer Selbstnrühing anreaen. ohne die der Knmnf um d»n Ronnfgq auf die Dauer vergeblich bleiben muß.

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