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Glaube: eine Liebesbeziehung

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Wenn man auf den Glauben zu sprechen kommt, wird man heute kaum jemanden antreffen, der de-zidiert von sich behauptet, er sei vollkommen ungläubig. Von Transzendenz zu reden, ist längst nicht mehr passe. Selbst die Physiker stoßen an die Grenze ihrer Methoden und erkennen, daß der Materialismus im Grunde genommen überholt ist. „Irgendetwas muß es ja geben”, ist schließlich eine plausible Überlegung.

Man darf also heute wieder vom Glauben sprechen, ohne belächelt zu werden. Das war nicht immer so. Problematisch wird es allerdings dann, wenn die Rede auf den Glauben der Kirche kommt.

Viele verstehen darunter die Summe all dessen, was diese ihren Mitgliedern vorsetzt und ihnen zumutet, es für gegeben hinzunehmen. Viele tun sich da schwer, weil so manches an dieser Lehre wissenschaftlicher Erkenntnis entgegenzustehen scheint: die Wunder, die Jungfrauengeburt, die Auferstehung ... Nicht wenige Theologen sind bemüht, diese „Ärgernisse” aus dem Weg zu räumen, sie Sinnbildhaft zu deuten, um das”Glau-ben zu erleichtern...

Ein anderes Verständnis haben jene, für die das Wichtigste ist, sich an die Vorschriften der Kirche zu halten: am Sonntag in die Messe zu gehen, einmal jährlich zur Beichte, die Gebote zu beachten (nicht zu stehlen oder zu lügen), kurz ein korrektes Leben zu führen.

Schließlich gibt es jene, bei denen es einen Restbestand von Glaubensleben gibt, das stark davon geprägt ist, sich für äußerste Notsituationen abzusichern: Man läßt die Beziehungen zum „Verein” Kirche nicht ganz abreißen, bleibt insofern korrekt, als man seine Kirchensteuer weiterbezahlt, die Kinder taufen läßt, in Notsituationen eine Kerze in der Kirche anzündet... Man kann ja nicht wissen ... Und wenn alle Stricke reißen, so hilft es vielleicht, schadet jedenfalls nicht.

So setzen viele das Glauben mit dem Vermuten gleich. Weil man nichts Sicheres weiß, läßt man ein Glauben ist wieder in.

Aber um welchen Glauben geht es da meist? Im folgenden einige Klarstellungen zu einem vielfach mißverstandenen Begriff.

Türl für das Glauben offen. Was ich glaube, kann stimmen, kann aber auch falsch sein. Ich glaube, wo ich kein sicheres Wissen besitze.

Vielfach wird daher das Glauben als eine mindere Form des Wissens in -terpretiert. Was man weiß, darauf könne man sich verlassen, ist die Meinung. Gut, aber in welchen Bereichen besitze ich sicheres Wissen? Welche Merkmale hat solch sicheres Wissen? Sicher weiß ich beispielsweise, daß zwei und zwei vier ergibt, daß auf Österreichs Straßen die Rechtsfahrordnung gilt, daß mein Auto über vier Bremsen verfügt...

Bedeutsam wird dieses abstrakte Wissen eigentlich aber erst dann, wenn es im Leben des Menschen umgesetzt wird. Wenn ich mir in der Apotheke ein Medikament mischen lasse, vertraue ich darauf, daß der Magister zwei und zwei zu vier zusammenzählt. Wenn ich ins Auto steige, vertraue ich darauf, daß sich die anderen Autofahrer an die Rechtsfahrordnung halten, daß mein Mechaniker die Bremsen richtig eingestellt hat, daß die Ampel nicht in alle Richtungen grün zeigt ...

Im Grunde genommen, ist mein Leben eine fortgesetzte Kette von Vertrauenshandlungen: Im Lebensmittelgeschäft, daß die Ware nicht verdorben ist, beim Ausflug, daß mir der Einheimische den richtigen Weg weist, in der Straßenbahn, daß der Fahrer nicht betrunken ist...

Wir können im Grunde genommen nur im Vertrauen aufeinander leben. Wir müssen weitgehend auf Wissen im eigentlichen Sinn verzichten: Wollte ich vor jedem Fahrtantritt mein Auto auf totale Funktionstüchtigkeit testen, ich würde nie von zu Hause wegkommen - abgesehen davon, daß ich für diese Absicherung auf weiten Strecken nicht über das notwendige Wissen verfüge...

Wird daraus nicht erkennbar, daß es im Leben im Grunde genommen auf das Vertrauen ankommt? Daß letztlich alles davon abhängt?

Für den Glauben gilt dasselbe. Er ist kein Wissen, sondern ein Vertrauensakt. Schon das Wort drückt es aus. Das lateinische Wort für Glauben, „credere”, ist abgeleitet von den Worten „cor dare”: Das Herz geben. Wenn ich jemandem glaube, gebe ich ihm mein Herz. Und die althochdeutsche Wurzel des Wortes ist verwandt mit den Begriffen „lieb” und „vertraut”.

Beim Glauben geht es um eine Liebesbeziehung - um eine Liebesbeziehung zu Gott. Gott zu glauben, heißt, ihm das Herz zuzuwenden, sich mit dem Zentrum seines Wesens auf Gott auszurichten. Wer glaubt verankert seine Existenz in Gott.

Natürlich ist dieser Schritt ein Wagnis. Sein Leben aus der Hand zu geben und einem anderen anzuvertrauen - ist das nicht zu gewagt? Zweifellos wäre dies so, wenn uns Gott nicht durch eine Jahrtausende

”währende Geschichte entgegengekommen wäre und sich als vertrauenswürdig erwiesen hätte. Die Geschichte der Väter und die Geschichte Israels ist eine ununterbrochene Kette von Liebesbeweisen Gottes, von seiner Treue, von seinem Verzeihen. In unüberbietbarer und unübersehbarer Weise ist diese vom Erbarmen geprägte Zuwendung im Mensch gewordenen Gott Jesus Christus offenbar geworden.

Leider lesen wir heute vielfach die Berichte der Heiligen Schrift wie Märchen- oder Kinderbücher. Man erklärt uns, es handle sich dabei um Mythen und lehrhafte Geschichten. Damit aber geht man am Wesentlichen vorbei. Man erkennt nicht, daß Gott unsere Geschichte begleitet, in ihr wirkt, daß er unsere Nähe sucht, daß er unser Heil wirken, uns Zuflucht geben und Trost spenden will - und zwar heute und hier, so wie in der gesamten Geschichte des Volk Gottes.

Gott ist kein abstraktes Prinzip, kein Konstrukt des vorwissenschaftlichen Menschen, keiner, der die Schöpfung ins Dasein gerufen und sich dann zurückgezogen hat. Nein, er sucht des Menschen Nähe. Daher kommt es auf die Antwort des einzelnen an, auf dessen Bereitschaft, sich mit Gott einzulassen, einem Gott, den wir uns nicht ausrechnen müssen, sondern der sich kundgetan hat.

Das ist ein eminent persönliches Geschehen. Jedes Glaubensleben verläuft anders, weil es um die Begegnung von Personen, von einmaligen Geschöpfen Gottes mit ihrem Schöpfer geht. Aber eines haben alle diese Geschichten gemeinsam: Ab dem Moment, an dem sich der Mensch bewußt Gott zuwendet, eröffnet sich in seinem Leben eine neue Dimension. Es stimmt tatsächlich: ein neues Leben beginnt, spannend, erfüllend, herausfordernd. Ein neues Ijeben in Jesus Christus.

Ein wesentlicher Aspekt dieses Lebens ist die wachsende Erkenntnis, daß es gut ist, den Wegweisungen Christi und der vom Heiligen Geist geleiteten Kirche zu folgen. Es wächst das Verständnis dafür, daß die Gebote dem Menschen nicht etwa den Spaß am Leben verderben sollen. Viele entdecken dann, daß die vom Lehramt dargelegten Markierungen und Warnschilder nicht Ausfluß eines autoritären Begierungsstils, sondern vom Heiligen Geist gewirkte Lebenshilfe sind. Wer sie ausprobiert, entdeckt mit der Zeit ihre Wohltätigkeit.

Damit ist nicht jedes Hirtenwort mit Punkt und Beistrich zum Dogma erhoben, nicht jedes bischöfliche Handeln zur Nachahmung empfohlen und nicht jede Kritik zum Sakrileg geworden.

Und noch etwas: Wer sich auf ein Leben an der Hand Gottes einläßt, wird damit nicht zum Musterknaben moralischer Perfektion, der vom hohen Roß auf die „armen Sünder” rund um sich blickt. Vielmehr entdeckt er - je länger er mit Gott unterwegs ist, umso deutlicher - wie schwach er selbst ist. Und so wächst auch das Verständnis mit den Schwächen der anderen. Die Beziehungen zu den Mitmenschen verbessern sich, nicht nur weil der Christ über ein besseres „Lebensprogramm” verfügt, sondern weil er mit der Hilfe Gottes rechnet, der unser Leben liebevoll leiten will.

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