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Eine gute Ware schlecht verkauft

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Eigentlich schade, daß wichtige Klarstellungen in einem römischen Dokument wieder einmal nicht allzu überzeugend begründet wurden. Dabei ginge es auch anders.

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Eigentlich schade, daß wichtige Klarstellungen in einem römischen Dokument wieder einmal nicht allzu überzeugend begründet wurden. Dabei ginge es auch anders.

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Vielfältige Kritik (FURCHE 11/ 1987) hat das Dokument der Glaubenskongregation (Seite 18) in den Medien geerntet, obwohl auch so manche Klarstellung begrüßt wurde. Um es gleich vorwegzunehmen: Ich teile die im Dokument vertretenen Aussagen vollinhaltlich.

Allerdings geht es mir bei dieser Instruktion in mancher Hinsicht ähnlich wie bei der- Enzyklika „Humanae Vitae“: Ja zum Inhalt, aber viele Probleme mit der Art, in der argumentiert wird. Wie viele werden sich überzeugen lassen, wenn fast ausschließlich vom göttlichen Gesetz, von Werten, Geboten, von der Natur der Sache geredet und auf Vernunftgründe Bezug genommen wird?

Keine Frage: In diese Richtung zu denken und zu argumentieren, hat auch seine Meriten. Aber wird da nicht einseitig nur auf den schöpferischen und ordnenden Gott hingewiesen, dessen Anordnungen und Grundsätze die Kirche heute ausdeutscht?

Wäre es nicht tröstlicher gewesen, kinderlosen Ehepaaren folgendes zu sagen? „Wenn Ihr trotz sehnlichsten Wunsches keine Kinder bekommt, dann, quält Euch nicht! Prüft, ob Euch Gott nicht berufen hat, die Fruchtbarkeit Eurer Ehe anders zu leben als mit eigenen Kindern.“ Gott hat mit jedem von uns einen Plan. Unsere Lebensumstände können wir auch als Wegweiser Gottes begreifen, als Hinweise auf jenen Weg, der uns besonders angemessen.

So zu sprechen hätte allerdings vorausgesetzt, daß die Instruktion viel deutlicher darauf hingewiesen hätte, daß Gott unseren Lebensweg begleitet, daß er nicht nur am Anfang war. Jesus hat uns doch zugesagt, er werde bei uns bleiben bis zum Ende der Welt, er werde mit dabei sein, wo immer zwei oder drei sich in seinem Namen versammeln. Warum wird gerade dieser Kern seiner Botschaft ausgeblendet? Nur zweimal wird aus dem Neuen Testament zitiert — und selbst diese Stellen haben keinen unmittelbaren Bezug zum Thema.

Das mag damit Zusammenhängen, daß die Sprache der Instruktion so gehalten ist, daß sie auch Menschen, die der Kirche fernstehen, verstehen sollten. Ob das gelingt, ist mehr als fragwürdig. Denn die Sprache ist spröde und theoretisch. Selbst als geübter Leser habe ich mir in manchen Passagen schwergetan, dem Gedankengang zu folgen.

Im Grunde genommen stehen die Hirten der Kirche vor einem Dilemma: Auf der einen Seite wollen sie in eine Welt hinein sprechen, die in prophetischer Sprache vor tödlichen Irrwegen gewarnt werden müßte. Ist es nicht wahnwitzig, wenn ein Volk einerseits Kinder zu Tausenden im Mutterleib tötet und andererseits enorme Anstrengungen unternimmt, Unfruchtbarkeit technisch zu überbrücken? Da müßten die Menschen wachgerüttelt werden, damit sie erkennen, daß Leben kein Spielzeug ist.

Andererseits gilt es, die Christen anzuleiten, ihnen die zeitlos gültige Wahrheit für die jeweilige Epoche verständlich zu verkünden. Wenn die Glaubenskongregation zu diesem brennenden Problem unserer Zeit Position be zieht, so ist das ein wichtiger Dienst.

Die Instruktion entscheidet sich aber nicht deutlich für einen der beiden Wege. Und so fallen — um der allgemeinen Verständlichkeit willen? — wichtige Bezugspunkte, die gegen das manipulative Vorgehen sprechen, unter den Tisch.

„Deswegen sage ich euch: Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, daß ihr zu essen habt... “, so steht es im sechsten Kapitel bei Matthäus. Liegt nicht der Schluß nahe, daß wir uns auch um Nachkommenschaft nicht ängstlich sorgen sollten? Seinen Jüngern trägt Jesus auf, zuerst das Reich Gottes zu suchen. Sie dürfen überzeugt sein, daß sie dann alles andere hinzubekommen — also auch die ihnen entsprechende Form ehelicher Fruchtbarkeit.

So etwas kann man zweifellos nicht jedermann plausibel machen, sondern nur jenen, die immer wieder „Dein Wille geschehe“ beten und sich auch etwas dabei denken.

Sicher, als Vater Von zwei Kindern anderen Kinderlosigkeit als Willen Gottes zu verkaufen, kann mir leicht als pharisäische Belehrung ausgelegt werden. Und dennoch:

Der Kern der Botschaft Jesu ist die Verkündigung des Reiches Gottes, das jetzt und hier anbricht, dort, wo Gottes Wille geschieht.

Es geht um die Abkehr vom neuzeitlichen Verständnis, der Mensch müsse alles selbst in die Hand nehmen. „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“, ist keine christliche Maxime, wohl aber der Auftrag Jesu „Liebet einander, wie ich euch geliebt habe“.

Das heißt: „Denkt zuerst an das Kind, das da entstehen soll: Wer wird jemals sagen können, welche nachteiligen Folgen eine künstliche Befruchtung hat? Die Umweltdiskussion sollte uns gelehrt haben, daß viele Nebenwirkungen erst nach Jahrzehnten erkannt werden.

Die Frohbotschaft lautet vielmehr:

Nimm an, was geschehen ist, ob du nun daran schuld bist oder nicht. Gott wendet deine Unvollkommenheit zum Heil, wenn wir seinen Willen geschehen lassen. Dazu sind weder riesige medizinische Apparaturen noch Versuchsembryonen oder lästige Praktiken zur Samenbereitstellung erforderlich.

Ist das nun Rückfall in passiven Fatalismus? Durchaus nicht. Wer Gottes Willen erfährt, wird meistens in Bewegung versetzt. Er wird aus seinem bisherigen Leben herausgerufen, aus seinen Plänen und Vorstellungen, um Neuland zu betreten. So erging es dem Abraham, dem Mose, dem Heiligen Franz von Assisi und Charles de Foucauld, um nur einige zu nennen.

Für kinderlose Ehepaare kann das Ausbruch aus ihrer bisherigen Verzagtheit, ihren gestreßten sexuellen Beziehungen, ihrer Fi- xiertheit auf eigene Nachkommen bedeuten. Es kann heißen, daß sie elternlose Kinder zu sich nehmen, sichern die vielen Jugendlichen kümmern, die bei ihren eigenen Eltern keinen Halt finden. Es kann Einsatz für die Gemeinschaft bedeuten in einem Maß, das Eltern überfordert.

Sicher, wer nur weltlichen Argumenten zugänglich ist, wird diese Rede nicht verstehen. Aber sind diese Menschen die Adressa ten einer solchen Instruktion? Sie ist ein typisches Beispiel für überwiegend philosophisches Argumentieren und Hantieren mit juristischen Begriffen, auch wenn es sich um religiös bezogene handelt Damit gerät man leicht in die intellektuelle Disputation.

Da müssen dann Werte abgewogen, Prioritäten gesetzt und allgemeine Grenzziehungen vorgenommen werden. Und vielen erscheint so manches als reine Spitzfindigkeit. Man muß jene verstehen, die sich darüber wundern, daß die Kirche, die bisher den Wert der Fruchtbarkeit um jeden Preis im Zusammenhang mit der Empfängnisregelung so hochgehalten hat, ihn jetzt relativiert.

Viele werden sich auch fragen, warum bei der In-vitro-Befruch- tung „Leben und Identität des Embryos der Macht der Medizi ner und Biologen“ nicht anvertraut werden darf, wohl aber bei operativen Eingriffen. Bei der überwiegend weltlich ausgerichteten Argumentation tut man sich da zweifellos schwer.

Und dabli geht es doch um die befreiende Botschaft: „Sorget Euch nicht ängstlich!“ Sie wäre auch an die Kranken zu richten, die sich auf die unabsehbaren Folgen mancher übertechnisierter Behandlungen einlassen. Wäre es nicht höchst an der Zeit, daß wir uns darauf besinnen, daß Jesus den Jüngern die Gabe der Heilung zugesagt hat? Einer Heilung, die mehr ist als Symptombeseitigung?

„Denn der Heilige Geist und wir haben beschlossen...“ so schrieben die Apostel nach dem ersten Konzil an die Gemeinden. Solche Worte würde ich mir wünschen, wenn die Hirten der Kirche in wichtigen Fragen Klarstellungen treffen. Damit jeder spüren kann, daß die Äußerung nicht nur von der Überlegung, sondern auch vom Gebet getragen ist.

Ein solches Dokument wäre wohl zum selben Ergebnis, der Ablehnung aller Manipulationen bei der Befruchtung gekommen, es hätte aber nicht nur den Intellekt und das Rechtsdenken, sondern primär das Herz der Menschen angesprochen. Es wäre eine frohe Botschaft geworden.

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