6743294-1966_50_08.jpg
Digital In Arbeit

Die historische Gestalt Jesu

Werbung
Werbung
Werbung

FRAGE: Herr Kardinal, das

Forumgespräch im österreichischen Fernsehen Mittwoch spät abends über „Jesus als historische und religiöse Gestalt“ hat bei vielen Zusehern Verwirrung und Bestürzung ausgelöst. Haben Sie diese Sendung gesehen und was sagen Sie dazu?

ANTWORT: Ja, ich habe die Sendung gesehen, auch ich war bestürzt.

Daß diese Sendung bei vielen Zusehern Verwirrung und Ratlosigkeit hinterließ, liegt gewiß nicht beim Fernsehen, dem wir danken müssen, wann immer es religiöse Themen aufgreift. Verwirrung zu stiften, lag gewiß auch nicht in der Absicht der Diskussionsteilnehmer, an deren christlicher Überzeugung nicht zu zweifeln ist. Es lag auch nicht ausschließlich beim Thema, wohl aber, so meine ich, an der Art der Behandlung dieses Themas bei dieser Diskussion.

FRAGE: Hätte man Ihrer Meinung nach dieses Thema überhaupt nicht im Fernsehen behandeln sollen?

ANTWORT: Das möchte ich nicht sagen, aber man hätte es gewiß anders behandeln müssen. Die Verwirrung und Ratlosigkeit ist nicht nur zurückzuführen auf das, was gesagt wurde, sondern vor allem auf das, was nicht gesagt wurde. Es wurden Fragen, sehr viele Fragen aufgeworfen, aber es wurde kaum eine Antwort gegeben, auch dort nicht, wo sehr wohl eine Antwort möglich gewesen wäre. Wenn einer der Diskussionsteilnehmer zum Schluß gesagt hat, daß die Christen sich daran gewöhnen müßten, ihren Firmungsanzug auszuziehen, das heißt, aus ihrem Kinderglaubem, auis ihrem religiösen Schulwissen in den bewußten Glauben des mündigen Christen hineinzuwachsen, so ist das sicher richtig; aber viele der so angesprochenen Christen werden das Empfinden gehabt haben, daß ihnen durch diese Sendung wohl ihr Firmungsanzug ausigezogen wurde, daß man sie etwas abrupt ihrer religiösen Kleider beraubte, ihnen aber kein neues Kleid gab.

FRAGE: Meinen Sie damit, Herr Kardinal, daß das Fernsehpublikum mit dieser Sendung zu abrupt, zu unvorbereitet überfallen wurde?

ANTWORT: Ja, zu abrupt und zu unvorbereitet. Ich glaube, daß schon der Einstieg nicht ganz richtig war.

Im deutschen Protestantismus ist, wie man hört, zur Zeit eine heftige Diskussion über die historische und religiöse Gestalt Jesu im Gange; die Reportageserien im „Spiegel“ und einer Reihe von Illustrierten sind nur der Niederschlag dieser Diskussion auf einem anderen Niveau. Eine solche Diskussion gibt es in Österreich in diesem Ausmaße nicht, ich glaube auch nicht im österreichischen Protestantismus. Man kann hier die Verhältnisse in Deutschland und Österreich nicht gleichsetzen. Man hätte daher diese Ausgangsposition dem österreichischen Fernseher deutlich machen müssen. Vielleicht wäre es gut gewesen, auch einen Profanhistoriker zuzuziehen, um klarzulegen, daß die Wissenschaft heute von der historischen Existenz Jesu, von seinem Wirken und von seinem Kreuzestod überzeugt ist.

Vor wenigen Jahrzehnten noch hatten manche Historiker die Ansicht vertreten, daß Jesus überhaupt nur ein Mythos sei. Man hätte in dieser Sendung vielleicht kurz auch darauf hinweisen sollen, was man unter Bibelkritik versteht, wo sie ansetzt, welcher Methoden sie sich bedient, was sie als gesicherten Besitz ansieht und wo auch sie wissenschaftlich nicht weiterkann. Es ist ja nicht so, als ob es in der katholischen Kirche überhaupt erst jetzt eine Bibelwissenschaft und eine Bibelkritik gäbe. Durch die Bibelenzyklika Papst Pius’ XII. wurden die Theologen ausdrücklich darauf hingewiesen, alle modernen

Methoden der Textkritik auch auf die Heilige Schrift anzuwenden. Bibelkritik ist also für den Katholiken nichts Negatives. Man hätte wenigstens ganz kurz erklären müssen, wann die Evangelien entstanden sind; daß die Paulusbriefe das früheste schriftliche Zeugnis, früher als die Evangelien, darstellen. Stärker noch hätte darauf hingewiesen werden müssen, daß die Evangelisten niemals die Absicht hatten, einen bloß historischen Tatsachenbericht zu schreiben, sondern daß sie ihren Glauben verkünden wollten; daß man zu unterscheiden habe, zwischen dem, was sie sagen wollten und den Mitteln, mit denen sie es sagten. Wir selbst haben die Evangelien vielfach zu eng als historische Reportagen verstanden und uns zu sehr an Einzelheiten geklammert. Dazu haben auch jene populären Fachbücher beigetragen, die in bester Absicht beweisen wollten, daß die Bibel doch recht habe. Von einigen Diskussionsteilnehmern wurden gewisse Hinweise in dieser Richtung gegeben, aber, und das ist der zweite wesentliche Einwand, in einer Sprache, die der großen Masse, auch der katholischen Zuseher, fremd sein mußte, da sie eine wissenschaftliche Fachsprache darstellt. Dieser Sprache, in der sich die Theologen als Fachleute seit Jahren und Jahrzehnten unterhalten, konnten sie beim besten Willen nicht folgen.

FRAGE: Man hatte manchmal bei der Diskussion den Eindruck, als ob es zwei Ebenen des Glaubens gebe oder eine doppelte Fassung, eine für das einfache Volk und eine andere für die Gebildeten. Liegt darin nicht eine Gefahr?

ANTWORT: Es gibt nur eine Wahrheit und es gibt nur einen Glauben. Aber es liegt auf der Hand, daß jene Menschen, die sich Verstandes-, Wissens- und überlegungsmäßig stärker mit dem Glauben befaßt haben, bessere Voraussetzungen besitzen, um in das Glaubensverständnis tiefer eindringen zu können. Mit dem Glauben selbst hat es aber nichts zu tun; es gibt keinen doppelten Glauben.

FRAGE: Einen breiten Raum in der Diskussion nahm auch die Frage der Dogmen und ihre.r Entwicklung ein.

ANTWORT: Die Diskussion hat sich vielleicht zu viel vorgenommen. Wenn manche aus der Diskussion den Eindruck erhalten haben sollten, als ob der Kern des ganzen Dogmenproblems in der Frage der jeweiligen Interpretation der Dogmen besteht, so kann man nur sagen, so einfach ist die Sache ja doch nicht: Das Dogma ist der Versuch, den Sinn der Offenbarung herauszuarbeiten und zur Vermeidung eines falschen Verständnisses genau zu fixieren. Das Dogma stützt sich in seinen Beweisen auf das, was die Heilige Schrift sagen wollte. Das und nur das ist die göttliche Offenbarung und daher unbedingt wahr.

FRAGE: Man hört, daß viele Fernseher besonders verwirrt und unsicher der Diskussion um die Auferstehung Christi gegenüberstanden. Welchen Eindruck hatten Sie davon?

ANTWORT: Ja, die Diskussion um die Auferstehung ist vielleicht der unglücklichste Teil der Sendung gewesen. Denn hier geht es ja um die entscheidendste Frage des Christentums. Paulus hat gesagt: „Wenn Christus nicht auferstanden wäre, dann wäre mein Glaube nicht.“ Man sagt, die Auferstehung Christi sei historisch nicht nachzuweisen. Wieso? Sie ist historisch genauso nachzuweisen, wie zu allen Zeiten Tatsachen nachgewiesen wurden, nämlich durch Zeugen. Nicht einer, sehr viele der Jünger haben den auferstandenen Herrn gesehen. Es waren keine Schwärmer, keine Ekstatiker, das waren nüchterne Menschen. Sie haben über das, was sie gesehen haben, nicht nur durch ihr Wort, sondern auch durch ihr Leben Zeugnis gegeben. Sie haben Verfolgungen und Marter auf sich genommen, sie sind dafür in den Tod gegangen! Für eine bloße Vision? Es genügt auch nicht, bei der Verkündigung zu sagen, daß Jesus lebe. Paulus sagt klar und präzise, Jesus ist auf erstanden, nicht zum Leben dieser Welt, aber Er ist tatsächlich auferstanden (1. Kor. 15). Das heißt nicht nur, Jesus lebt noch immer, sondern das heißt, daß Er umgewandelt wurde. Was an Ihm verweslich war, ist unverweslich geworden.

FRAGE: Es ist in der Diskussion auch um die Frage gegangen, ob das Wunder nicht den Zugang zur Verkündigung der Botschaft verbaue.

ANTWORT: Vielleicht haben viele Zuseher bei diesem Teil der Diskussion ein Wort, einen Satz vermißt: Wenn ich glaube, daß Jesus der menschgewordene Sohn Gottes ist, dann muß ich wohl Gott zugestehen, Wunder wirken zu können. Wer an Jesus glaubt, im christlichen Sinne glaubt, glaubt nicht an einen hervorragenden, moralisch hochstehenden, weisen, gütigen Menschen: Wer an Jesus glaubt, glaubt an Gott.

FRAGE: Ist also ihrer Meinung nach diese Diskussion im Fernsehen verfehlt gewesen?

ANTWORT: Sie war, wie der Diskussionsleiter gesagt hatte, ein Experiment. Experimente können danebengehem. Aber man sollte Experimente deswegen nicht aufgeben. Dieses Forumsgespräch und auch die Diskussion nach diesem Gespräch hat eines bewiesen: Daß das Interesse an der Person Jesu als Mensch und als Gott heute ebenso lebendig ist wie seit 2000 Jahren. Denn in seiner Stellung zu Jesus entscheidet sich letztlich das Schicksal eines jeden Menschen. Daß das österreichische Fernsehen, wenn vielleicht auch in unzulänglicher Form, sich dieses Themas angenommen hat, ist dankbar anzuerkennen. Vielleicht könnten gerade die Erfahrungen mit diesem Experiment das österreichische Fernsehen veranlassen, in mehreren Sendungen sich mit den in dieser Diskussion aufgeworfenen Fragen, beleuchtet von allen Seiten, zu befassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung