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Im Dialog einander entgegen

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Die Konzilserklärung „Uber das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen (speziell zum Judentum)“ aus dem Jahr 1965 sowie die 1975 folgenden Richtlinien und Hinweise für die Durchführung der Konzilserklärung und die im Jahr 1985 veröffentlichten „Hinweise für eine richtige Darstellung von Juden und Judentum in der Predigt und in der Katechese der katholischen Kirche“ wurden von uns Juden mit großer Aufmerksamkeit gelesen und diskutiert.

Ich habe diese drei wichtigen vatikanischen Erklärungen wohl auch gelesen, aber kann schwer eine Exegese über Fort- oder Rückschritt von 1965 bis 1985 versuchen. So hat das International Jewish Committee on Interreli-gious Consultations die Erklärung aus dem Jahr 1985 zum Beispiel als Rückschritt interpretiert.

Mir scheint die einfache Tatsache, daß jeweils zehn Jahre zwisehen diesen Erklärungen verflossen sind, eine Bemerkung wert. Sie besagt für mich, daß das christlich-jüdische Gespräch ein kompliziertes, yielschichtiges ist, in dem behutsam vorgegangen werden soll und in das man nicht, wie es manchmal die Böswilligen tun, Hoffnungen setzen soll, die nicht erfüllbar sind. Die Kirche wird schon wissen, warum sie lange Zeiträume zwischen diesen wichtigen Erklärungen verstreichen ließ, in denen freilich auf anderen niederen Ebenen Begegnungen und Verhandlungen stattfanden.

Ein anderes Problem besteht wohl auch darin, welche jüdische Stelle mit derselben Autorität stellvertretend für alle Juden antworten kann, wie es der Vatikan für die Christen tut. Die Antwort hierauf ist ganz einfach. Keine!

Der Judaist Ferdinand Dexin-ger schrieb über das christlich-jüdische Gespräch, daß bei der Selbstdarstellung beider Seiten „keine, wenn auch noch so geistreiche These als opinio communis ausgegeben werden sollte, wenn sie faktisch nur eine Privatmeinung ist“. So soll auch meine Stellungnahme nur als meine persönliche Meinung verstanden werden, abgesegnet von niemand anderem.

Die Vorsicht, die auf der christlichen Seite im jüdisch-christlichen Dialog vorherrscht, fehlt leider oft bei den jüdischen Vertretern. Dies ist umso bedauerlicher, als dieser Dialog heute bei den grundlegendsten theologischen Grenzen beider Glaubensbekenntnisse angelangt ist.

Ein Beispiel: Wie jüdisch darf man Jesus darstellen, um nicht einerseits der Kirche vorwerfen zu müssen, warum sie sich im Laufe der Geschichte so vom Judentum entfernt hat, um aber auch den Juden nicht zum Vorwurf machen zu müssen, warum sie Jesus nicht angenommen haben. Obwohl heute gar nicht mehr betont werden muß, daß Jesus Jude war und auch die meisten Vorschriften des Judentums befolgt hat, so scheint mir dennoch nicht nur Nützliches in der „Rabbi Jesus“-Welle zu liegen.

Will man denn damit erreichen, wie mir ein eifriger jüdischer Freund erklärte, „daß die Christen uns nicht mehr hassen werden, wenn sie einsehen, daß wir Juden sind, die noch heute nach denselben Bräuchen und Gesetzen leben wie Jesus“? Dieser Schluß scheint mir sowohl vorschnell zu sein als auch viel zuwenig anspruchsvoll.

Die Christen sollen uns positiv gegenüberstehen, egal ob wir das Volk sind, aus dem Jesus stammt oder nicht. War es denn nicht gerade die Tatsache, daß Jesus aus unserem Volk stammt und wir ihn nicht angenommen haben, die uns vielen Verfolgungen ausgesetzt hat? So sind einige meiner Glaubensbrüder auf die Idee verfallen, aus Jesus einen Rabbi zu machen, um so eine entsprechende Gegenleistung für die bahnbrechende Erklärung aus „Nostra Aetate“ zu erbringen, daß „die Ereignisse seines (Jesu) Leidens weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied noch den heutigen Juden zur Last gelegt werden kann.“

Mit dieser Erklärung hat die Kirche selbst ihre eigene Theologie und ihre Handlungen gegenüber den Juden durch zwei Jahrtausende in Frage gestellt. Diese Wende kann nicht hoch genug bewertet werden. Doch wenn wir als Gegenleistung Jesus zwar nicht als Gottes Sohn oder Erlöser, aber immerhin als Mann mit prophetischem Geist oder als berühmten Rabbi anerkennen, so haben diese Aussagen Folgen, die sich ein Laie kaum vorstellen kann.

Es entsteht ein verwaschenes synkretistisches jüdisch-christliches Bild, das mir zum Beispiel häufig Gesuche um die Aufnahme in die jüdische Glaubensgemeinschaft gebracht hat mit der Begründung „weil ich an den Juden Jesus als Erlöser glaube“. Andrerseits sind aus diesem Hintergrund auch Briefe an mich zu verstehen, die mir den Glauben an Jesus nahelegen wollen, obwohl die Schreiber wußten, daß diese Briefe an einen Rabbiner gerichtet waren.

Wenn ich auch nur eine der theologischen Fragen, die im christlich-jüdischen Gespräch enthalten sind, behandelt habe, so gilt doch meiner Ansicht nach für alle theologischen Fragen, daß sie möglichst vorsichtig von beiden Seiten behandelt werden sollten. Zu den im Grunde trotz des Dialogs weiterbestehenden, bleibenden Unterschieden dieser Art zählen auch die Frage der Trinität, deren Verständnis uns Juden Schwierigkeiten macht, die Frage des christlichen Verständnisses des Alten Testaments ohne das Neue und auch die Frage der Mission uns Juden gegenüber.

Mir scheint die historische Aufarbeitung der Judenverfolgung eine sehr wichtige Aufgabe des Dialogs. Hier liegt die schwere Aufgabe auf seiten der Kirche. Wenn nun die Juden die Schuld am Tode Jesus nicht mehr zu tragen haben, so sind die religiösen Verfolgungen, die wir Juden unter diesem Vorwand zu erleiden hatten, noch schwerer zu erklären.

Um nichts leichter ist die Frage zu beantworten, wieviel Mitverantwortung dem christlichen Antisemitismus für die Entstehung und Entwicklung des späteren ungleich grausameren rassischen Antisemitismus angelastet werden kann. Die gesamte Kirche und Christenhheit auf die Seite der Opfer stellen zu wollen, weil Antisemitismus unchristlich ist, ist nicht korrekt, wenn es auch stimmt, daß auch Christen und die Kirche unter dem Nationalsozialismus gelitten haben.

So scheint mir auch in historischen Fragen der Aufgabenbereich noch sehr groß zu sein, gleichzeitig aber die Materie von großer Komplexität und nicht wenig Zündstoff enthaltend.

Kommen wir als drittes und zuletzt zu aktuellen politischen Fragen. Sicher wird eine Anerkennung des Staates Israel durch den Vatikan immer ein jüdischer Wunsch, eine jüdische Forderung bleiben. Gleichzeitig ist mir aus einem Artikel einer jüdischen Zeitschrift nach dem Besuch des Papstes in den USA ein Passus in Erinnerung, der fordert, wir Juden sollten aufhören, als Bittsteller in dieser Frage aufzutreten. Israel könne ganz gut ohne Anerkennung durch den Vatikan leben.

Die Resignation, die aus diesen Zeilen tönt, zeigt eigentlich generell, daß wir Juden von der Kirche vielleicht mehr erwarten, als wir selbst in diesem Dialog zu geben bereit sind. Aber berechtigt uns nicht die Vergangenheit dazu?

Vielleicht ist es zuviel verlangt, aber ich würde die Hoffnung, die wir auf unsere christlichen Partner setzen, im Gespräch, im Miteinanderleben und im Einander-entgegengehen, so formulieren:

Die Kirche möge bei allen ihren Schritten, die eine Wirkung auf die jüdisch-christlichen Beziehungen haben könnten, versuchen, sich zu überlegen, wie diese Handlung von jüdischer Seite verstanden werden könnte, oder sich mit einer jüdischen Stelle beraten. Damit könnte sie sich und uns Juden vielleicht problematische Kontroversen ersparen, wie die Diskussion um den Bau eines Karmeliterinnenklosters im Konzentrationslager Auschwitz oder in geringem Maß die Seligsprechung von Edith Stein, die auf jüdischer Seite eher auf Ablehnung gestoßen ist.

Zusammenfassend würde ich mir für das jüdisch-christliche Gespräch wünschen:

1.Mehr Qualität (Errungenschaften) als Quantität. Aber

2.die Offenheit, zuzugeben, daß es auf manchen — meist theologischen — Gebieten eine volle Annäherung der Standpunkte nicht geben kann.

3.Mehr Selbstkritik auf beiden Seiten.

4.Die Bereitschaft, sich selbst zu ändern, verbunden mit der Akzeptanz des anderen, wie er ist (mehr geben als nehmen).

5.Zu versuchen, sich selbst mit den Augen und aus dem Selbstverständnis des anderen heraus zu sehen.

Der Prophet Secharja (8,16) lehrt uns den Weg zur Erlösung: „Diese Dinge sollt ihr tun: Redet Wahrheit einer dem anderen, wahrhaft und zum Frieden sprechet Recht in Euren Toren!“

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