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Vergangenheit als Hemmnis

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„Die Gespräche zwischen Juden und Christen werden stets gehemmte Versuche darstellen, denn zwischen beiden steht der Nachweis einer schuldhaften christlichen Geschichte gegenüber dem Judentum, der für das wahre Christentum der Pfahl im Fleisch ist“, betonte Pfarrer Johannes Dantine von der Evangelischen Kirche im Zug der christlichjüdischen Veranstaltungen in Wien, zu denen Rabbiner Jonathan Mago-net vom Leo-Bäeck-Institut in London gekommen war. Dieser meinte, es müsse für einen jungen Christen heute sehr schwer sein, wenn er das Christentum ernst nehme, zu sehen, was in der 2000jährigen Geschichte seiner Religion alles geschehen ist. Er müsse mit dieser Vergangenheit leben.

Auch wenn Juden und Christen durch das Alte Testament eine gemeinsame Grundlage besitzen, so sind sie doch durch eine Tradition, die durch Mißverständnisse und Verfolgung gekennzeichnet ist, getrennt. Die Juden haben kein Vertrauen mehr zu den Christen, auch nicht zu jenen neuen philosemitischen Theologen, die ihnen Unbehagen einflößen, meinte der Rabbiner.

Im heutigen Europa fehlen die schöpferischen, kulturtragenden jüdischen Gemeinden, wie jene in England, aus der Magonet kommt. Vor der Vernichtung haben die Juden all ihre Liebe, ihren Ehrgeiz und ihre schöpferischen Kräfte in die westeuropäische Kultur eingebracht. Dann kam der Holocaust, ein Drittel der gesamten jüdischen Bevölkerung wurde ausgerottet. Das jüdische Volk ist heute noch, bewußt oder unbewußt, darin befangen.

Wie lebt ein Jude heute seinen Glauben? Auch die Frage nach Gott werde heute sehr eindrucksvoll durch dieses Ereignis bestimmt, meinte Magonet. Wenn jene mit einem Psalm auf den Lippen in die Gaskammern gegangen sind - wie kann ich dann Gott in Frage stellen? Wohl gibt es bei den Juden Zweifel, Agnostizismus, aber keine tatsächliche Ablehnung, keinen wirklichen Atheismus. Im Judentum gibt es keine Glaubenskrise, sagte Magonet, aber es gibt eine Aktionskrise, einen Verlust der Nerven.

Die Schaffung des Staates Israel hat einen neuen Anfang gebracht. Nun werden alle Emotionen, wird aller Stolz in diesen Staat investiert. Israel lebt nicht von den USA, wie manche meinen, es lebt von den Juden der Diaspora, die sich mit ihm, wo sie auch leben, voll und ganz identifizieren. Aber die Schaffung dieses Staates hat auch ein theologisches Problem gebracht: Viele sagen, es sei der Beginn der Erlösung. Es wäre besser, nicht soviel davon zu sprechen, man muß der Zeit überlassen, was daraus wird.

Der heutige Jude lebt in einer Spannung zwischen Tradition und steter Veränderung der Welt Auch der glühende Glaube hegt immer ein ganz klein wenig Zweifel. Die Rabbiner wollen die Sünde nicht hinauswerfen. Sie ist da, um überwunden zu werden. Die Juden lehnen das Böse nicht ab, es ist da, um den Menschen zu Gott hin zu entwickeln, daß er ihm in freier Entscheidung diene.

Für die Juden war Papst Johannes XXIII. eine große Hoffnung, eine Revolution. Wenn nun daraus nicht eine neue Richtung erwächst, dann wäre es zu spät, und das würde auf die Kirche zurückfallen, meinte der Rabbiner. Doch bis heute ist es ein großes Zeichen der Hoffnung.

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