Gegenseitige Aufklärung

Werbung
Werbung
Werbung

Wie können die monotheistischen Weltreligionen miteinander ins Gespräch kommen? Vorüberlegungen zu einem "Trialog" zwischen Juden, Christen und Muslimen.

Es gibt ihn kaum, den trilateralen Dialog (Trialog) zwischen Juden, Christen und Muslimen. Zwar hat das Stichwort Dialog Konjunktur. Und keine Frage: Solange Menschen miteinander sprechen, bekriegen sie sich nicht. Deshalb gibt es zum Dialog keine sinnvolle Alternative. Viele Dialoge, zumal zwischen Christen und Muslimen, sind freilich unfruchtbare Scheindialoge, in denen zwar jede Aufforderung zu Toleranz vom Publikum dankbar beklatscht wird, jedes Rühren an Schwierigem, zu Klärendem, jedoch Missfallen und Abwehr auslöst. Scheindialoge helfen wenig zu einem verträglichen Zusammenleben inmitten der faktischen Konflikte, sie müssen durch offene, ehrliche und faire Dialoge ersetzt werden, in denen wir uns gegenseitig zumuten, neben dem Angenehmen und Schönen auch das Widerständige und Fremde zu benennen, und ernsthaft miteinander suchen, wo nötig auch miteinander streiten, dann aber mit gegenseitiger Achtung.

Um konkrete Menschen

Was für einen sinnvollen Dialog zu beachten ist:

1. Begegnung, Dialog erfolgt zwischen konkreten Menschen, die Religionen angehören; und es gibt in allen Religionen viele wunderbare Menschen. Die Religionen selbst sind keine homogenen Größen, sondern komplexe Mischgebilde mit innerer Pluralität: mehreren Dimensionen (Mythos/Lehre, Ritus, Ethos, Mystik), unterschiedlichen Richtungen, großem Spannungsbogen von ihrem Kern und dessen idealer Realisierung in über-zeugenden Vorbildern bis hin zu oft sehr ermäßigten oder gar pervertierten Ausformungen in Praxis und Lehre. Kein Vertreter einer Religion repräsentiert einfach seine Religion in Gänze, es wird in ihr immer Richtungen geben, die andere Akzente setzen und die ihm da und dort auch widersprechen würden.

Dennoch haben Religionen eine verbindende, "stereotypisierende" Auswirkung auf Lebensführung, Denken, Empfinden, ethisches Urteilen ihrer Anhänger; sie schaffen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und Identität. Bei Judentum, Christentum und Islam hat der Bezug auf den jeweiligen Schrift-Kanon die Aufgabe, die verbindende Loyalität nach innen zu stützen sowie Grenzen und Differenzen nach außen zu markieren. Diese Verbindung von Kanon und Identitätskonstitution bewirkt, dass jedes praktische und sprachliche Handeln, das sich von der kanonischen Basis entfernt, unter den Vorbehalt einer jederzeit möglichen Fundamentalkritik gerät. "Wo ein Kanon herrscht, kann nur der Sinn Geltung beanspruchen, der mit dem Text des Kanons zu vermitteln ist." (A. & J. Assmann) Deswegen ist die Diskussion über mögliche hermeneutische Zugänge zum Text der Heiligen Schriften so grundlegend.

2. Bedingungen für einen ehrlichen Dialog (nicht nur strategischen oder taktischen Dialog, durch den wir uns selbst Vorteile verschaffen wollen):

a) Ein ehrlicher Dialog ist unmöglich, wenn einer ihn mit dem Anspruch beginnt, er - und er allein - besitze die volle Wahrheit Gottes. Vielmehr muss jeder Dialogpartner sich nach der stets größeren Wahrheit Gottes ausstrecken und sich deshalb für die mögliche Wahrheit des andern offen halten, also dafür, dass auch seine Religion ein Ort echter Gottbegegnung und Rechtleitung sein könnte.

b) Andererseits ist dialogwürdig nur, wer seine eigene Religion ernst nimmt und deshalb dem anderen auch sagt, wo er etwas anders sieht und warum. Wer in der eigenen Religion verwurzelt ist, wird aus ihr, ihrem Zentrum und der damit eröffneten Glaubensperspektive heraus die ganze Wirklichkeit (auch die andere Religion) wahrnehmen. Das gleiche Recht muss er aber auch dem andern einräumen. Der Christ z.B. darf dem Muslim nicht verwehren oder verargen, dass dieser alles, auch das Christentum, vom Koran her sieht und einordnet, selbst wenn er ihm in vielem nicht folgen kann.

c) Christen dürfen nicht länger Juden, Muslime dürfen nicht länger Juden und Christen vorschreiben, wie ihre Religion zu verstehen sei; wer nicht bereit ist, die andere Religion als andere wahrzunehmen und ihre innere Logik zu sehen, wird nie fähig sein, ihr Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und in einen wirklichen Dialog einzutreten. Deshalb muss jeder seine eigene Religion selbst (von innen heraus) explizieren können. Danach müssen dann auch Rückfragen (von außen) an jede Religion zugelassen werden.

d) Ziel ist nicht Konversion oder Einheitsreligion oder Einigung auf kleinstem Nenner, sondern gegenseitige Aufklärung, Öffnung für einander, Verständigung zur Förderung von mehr Gerechtigkeit, Freiheit, friedlichem Zusammenleben für alle Menschen auf dieser Erde.

e) Ein Trialog zwischen Juden, Christen und Muslimen ist nicht wirklich möglich, ohne sich der belasteten gemeinsamen Geschichte zu stellen. Denn die drei monotheistischen Religionen haben die längste Zeit mehr oder weniger explizit gegen-statt miteinander gelebt. Nur einige Problempunkte seine genannt: christlicher Antijudaismus, ohne den auch die Schoa kaum möglich gewesen wäre; Kreuzzüge, islamische Eroberungen, Reconquista; demütigende Hegemonialpolitik des Westens, Re-Politisierung des Islam, Extremismus und hasserfüllte Aufrufe zum Kampf gegen den "ungläubigen" Westen; usw.

Notwendige Lernprozesse

3. Verhältnisbestimmungen:

Juden können Juden sein ohne Christen und Muslime. Aber

a) Christen können nicht Christen sein ohne die Juden: Jesus war Jude, und das Neue Testament verweist die Christen auf die Juden und ihre Bibel. Das zu lernen haben Christen lange gebraucht. Jahrhundertelang haben sie das Judentum nur gelten lassen als Vorbereitung auf Christus, die mit ihm, der endgültigen Offenbarung, überholt und ersetzt sei; dem fortbestehenden Judentum gaben sie kein Lebensrecht. Es hat Zigtausende, zuletzt Millionen Juden Entwürdigung, Tränen und den Tod gebracht, bis Christen zu akzeptieren begannen: Gottes Bund mit Israel ist ungekündigt, nicht alle Erwartung des so genannten Alten Testaments ist in Jesus erfüllt, das Alte Testament darf nicht nur auf Christus hin gelesen werden, es hat Eigenwert und eine doppelte Fortsetzung (Neues Testament und Talmud, Synagoge und Kirche). Das heutige Judentum ist nicht unsre überholte Vorgeschichte, sondern - was wir nur unter Scham, Reue und Bitte um Vergebung sagen dürfen - unsere Schwesterreligion und bleibende Weggefährtin. Juden kritisieren ja nicht Jesus als Weg der Christen zu Gott, wenn andere Wege zu Gott offen bleiben.

b) Ist für Muslime ein ähnlicher Lernprozess denkbar: Muslime nicht ohne Juden und Christen? Soweit ich sehe, herrscht im Islam bislang die folgende (koranische) Sichtweise vor: Die Offenbarungen Tora und Evangelium durch Mose und Jesus wurden von den Juden und Christen verfälscht (Suren 2,75; 3,71.78; 4,46; 5,13.41 u.ö.). Deshalb wurde Muhammad gesandt als "das Siegel der Propheten" (33,40; nach 2,129; 61,6; 7,157; 17,108 wurde er sogar von Abraham und Jesus vorhergesagt). Er hat die Offenbarungen ganz ohne sein Mitwirken empfangen, so dass der - später redigierte - Koran das "unverfälschte Wort Gottes" in Reinform ist, vollkommen, ohne Widerspruch (Suren 2,3; 4,83; 10,38; 17,89) und nicht hinterfragbar. Der Koran versteht den Islam deshalb als "die wahre, vollständige Religion", der Gott "zum Sieg verhilft über alles, was es an Religion gibt" (so o. ä. 3,19.110; 5,3.54-56; 9,33; 30,30; 48,28; 61,8f). Judentum und Christentum werden nur als Vorgeschichte (und Entstellung) des Koran wahrgenommen und sind mit ihm überholt, weshalb man ihr Buch, um Verführung zu meiden, auch nicht lesen sollte. Juden und Christen können nur als ungleichen Rechts geduldet werden.

Es kann hier nicht die neuere Koran-Forschung referiert werden, mit der Muslime sich erst noch auseinander setzen müssen. Es sei nur die Frage gestellt: Muss es für Muslime bei dieser Sicht des (verbal inspirierten) Koran und bei dem Vorwurf bleiben, Juden und Christen hätten die biblischen Texte verfälscht? Oder ist ein anderer hermeneutischer Umgang mit Korantexten möglich? Warum darf nicht nach menschlichen Entstehungsbedingungen des Koran zurückgefragt werden? Ist, was im Koran über Juden und Christen geschrieben steht, auch situativ bedingt oder alles prinzipiell gültig?

4. Das notwendige Zusammenwirken (statt Sich-Bekämpfen) der drei gott-bezogenen Religionen in dieser eng gewordenen, konfliktvollen Welt verlangt Vertiefung im eigenen Glauben, Bekehrung von bloß äußerlichen Regelungen zum inneren spirituellen Kern unserer Religionen. Ein Trialog hat nur dann Sinn, wenn er aus der Mitte der je eigenen religiösen Überzeugung heraus geführt wird.

Der Autor ist em. Prof. für Fundamentaltheologie in Frankfurt/M.

Buchtipp:

Den verborgenen Gott suchen Gottesglaube in einer von Naturwissenschaften und Religionskonflikten geprägten Welt Von Hans Kessler. Verlag Schöningh, Paderborn 2006. 332 S., kt. € 39,90

Vortrag & Symposium mit Hans Kessler:

* Ende des Absolutheitsanspruchs?

Der entschiedene Glaube an Jesus Christus und die Wertschätzung der anderen Religionen

Freitag, 9. November, 16.00 bis 18.30

Beitrag: € 9,-

* Trialog zwischen Juden, Christen und Muslimen

Mit Raphael Pifko (jüdische Sicht), Hans Kessler (christliche Sicht), Amir Zaidan (muslimische Sicht).

Samstag, 10. Nov., 9.00 bis 13.00

Beitrag: € 15,- (erm. € 12,-)

Ort: Theologische Kurse, 1010 Wien, Stephansplatz 3

Infos, Anmeldung: T 01/51552-3108, www.theologischekurse.at

Eine Veranstaltung der Theologischen Kurse in Kooperation mit der Furche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung