Gott ist der wahre HUMANIST

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Eine islamische Antwort auf den Terror im Namen des Islam bedarf der kritischen Hinterfragung jeder exklusivistischen Koran-Auslegung.

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Eine islamische Antwort auf den Terror im Namen des Islam bedarf der kritischen Hinterfragung jeder exklusivistischen Koran-Auslegung.

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Die jüngsten Terroranschläge in Frankreich haben die Welt erschüttert. Seit dem 11. September war dies mit Abstand der schlimmste Terrorakt im Namen des Islams. Wer heute allerdings von Terror im Namen des Islams spricht und dar über diskutiert, der redet fast ausschließlich von Symptomen und nicht von den eigentlichen Ursachen dieses Terrors. Auch die Rede von "Ursachen" sollte nur unter Vorbehalt geschehen, denn wir können nicht einmal wirklich von Ursachen des Extremismus im Sinne von Ursache-Wirkung sprechen, sondern von Rahmenbedingungen, die die Rekrutierung in fundamentalistische Milieus begünstigen. Dazu gehören folgende drei Dimensionen: eine soziologische, eine politische und eine theologische, wobei hier etwas ausführlicher auf die dritte Dimension eingegangen werden soll.

Krieg ist keine Lösung

Davor sei aber folgendes zu den ersten beiden Dimensionen gesagt: Junge Menschen, die orientierungslos und auf der Suche nach Anerkennung und Halt in einer pluralen Gesellschaft sind, die sehr stark leistungsorientiert ist, sind anfällig für Radikalisierung. Auch die soziale Marginalisierung im Bildungssystem und am Arbeitsmarkt begünstigt die Hinwendung zu fundamentalistischen Milieus. Da helfen Maßnahmen im Bildungssystem, am Arbeitsmarkt, aber auch in der Städteplanung, um Segregation zu vermeiden. Nötig sind da mehr Räume der Anerkennung, Räume der Begegnung und Räume der Entfaltung von Talenten und Fähigkeiten junger Menschen jenseits von Leistungsdruck.

Die politische Dimension will unterstreichen, dass solange es ungelöste politische und kriegerische Spannungen im Nahen Osten gibt, es auch in Europa Terror geben wird. Gerade die jüngere Geschichte hat gezeigt, dass sich mit noch mehr Krieg die Probleme nicht aus der Welt schaffen lassen, sie werden nur noch komplexer. Das zeigt nicht zuletzt der Fall Afghanistan, wo die Taliban heute stärker sind als zuvor, aber auch der Fall Irak, wo das Land um Meilen destabiler geworden ist als zu Saddam Husseins Zeiten, was nicht heißt, dass Saddam kein Diktator war, auch Libyen ist heute gespaltener und vom Terror gefährdeter als vor ein paar Jahren.

Der IS ist nicht im luftleeren Raum entstanden, sondern ein Produkt jahrzehntelanger Korruption und fehlender Demokratien im Nahen Osten, aber auch ein Produkt einer menschenverachtenden Ideologie im Namen des Islams (des Wahhabismus). Der IS ist aber auch zugleich ein Produkt gescheiterter westlicher Politik im Nahen Osten, weil man die eigenen politischen wie wirtschaftlichen Interessen kurzsichtig betrachtet und die langfristigen Konsequenzen (Terror, Flüchtlinge, Destabilisierung) ausgeblendet hat. Der herbeigeführte Zerfall von staatlichen Strukturen bzw. staatlichen Institutionen in Ländern wie der Irak, Libyen oder Syrien verursachte ein Machtvakuum, das nun vom IS genutzt wird. Ein Umdenken in der Außenpolitik der USA und einiger europäischer Länder ist heute dringend geworden.

Der Islam benötigt dringend Reformen

Es darf nicht verwundern, dass gerade konservative Strömungen im Islam große Unterstützung von diktatorischen Regimen, wie dem von Mubarak oder Gaddafi, erhielten. Denn eine restriktive Theologie mit dem Bild eines diktatorischen Gottes, die eine Mentalität des bedingungslosen Gehorsams verbreitet, ist solchen Regimes mehr als willkommen. Daher werden Reformversuche in den islamischen Ländern gerade von den säkularen Disputen stark unterdrückt, denn die Reformer predigen Mündigkeit und Souveränität des Individuums. Sie verstehen ihre Religion im Sinne von Gerechtigkeit und Freiheit. Sie würdigen die Vernunft des Menschen. Und genau dieser freie Mensch, nach dem die Reformbewegungen streben, ist unerwünscht. Denn er lässt sich nicht leicht unterdrücken, fügt sich nicht ohne Wenn und Aber. Entsprechend stellt eine islamische Theologie, die nach dem Menschen selbst, nach seinen individuellen und kollektiven Interessen fragt, eine Bedrohung dar.

Der islamische Fundamentalismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er einerseits den Wortlaut des Korans und nicht den Sinn dahinter ins Hier und Heute übertragen will und andererseits auf einem Exklusivismus besteht, der nur in der eigenen Lesart des Islam die einzig richtige Deutung dieser Religion sieht. Ohne die koranischen Aussagen in ihrem historischen Kontext zu verorten, läuft man jedoch Gefahr, Positionen beliebig koranisch zu begründen. Man würde dann die jeweils passende Stelle aus dem Koran hierfür heranziehen und andere ausblenden. Problematisch beim religiösen Exklusivismus ist, dass dieser an sich schon eine Grundlage für Gewalt bietet, denn Exklusivismus bedeutet nichts anderes als die Ablehnung des "Anderen". Und wenn diese Ablehnung im Namen Gottes geschieht, dann nimmt sie absolute Züge an, und das wäre nicht mehr weit entfernt von dem, was man Religionskriege nennt. Die Geschichte der drei monotheistischen Religionen kennt das zur Genüge.

Ein Blick in die klassische islamische Theologie zeigt, dass viele der traditionellen muslimischen Gelehrten die Meinung vertraten, das Verhältnis zwischen Muslimen und Nichtmuslimen sei vom Krieg und nicht vom Frieden bestimmt. Und genau diese exklusivistische Haltung ist Grundlage für Gewalt und Krieg. Der Koran spricht jedoch eine andere Sprache, er ruft zu einer Haltung der Anerkennung von Religionsfreiheit auf (z.B. 2:256) und betont, dass Vielfalt, auch die konfessionelle, von Gott gewollt ist (5:48). Daher sollten exklusivistische Auslegungen durch Gelehrte in ihren historischen Kontexten gelesen werden. Solche Positionen, die dem Geist des Korans widersprechen, müssen heute dringend kritisch hinterfragt und wenn nötig, ohne Wenn und Aber verworfen werden.

Die Hölle ist kein Ort göttlicher Gewalt

Immer mehr muslimische Gelehrte, sogar saudische wie der zeitgenössische Gelehrte Hassan Farhan al-Maliki, stellen in Frage, ob die Hölle wirklich ein Ort ist, an dem sich Gott an allen rächt, die das falsche Etikett tragen. Geht es Gott wirklich um sich selbst? Problematisch am Glauben an ewige Höllenstrafen für alle Nichtmuslime, nur weil in ihrer Geburtsurkunde der Eintrag "Muslim" fehlt, ist, dass dieser Glaube eine Grundlage dafür liefert, religiös begründete Hierarchien unter den Menschen herzustellen. Menschen mit dem Etikett "Muslim" haben demnach einen höheren Wert als andere. Und die eigentliche Herausforderung lautet: Wenn Gott für sich das Recht in Anspruch nimmt, im Jenseits ewige Gewalt gegen Nichtmuslime auszuüben, nur weil sie Nichtmuslime sind, dann steckt darin eine gewisse Legitimation für Extremisten, Gewalt gegen Nichtmuslime auch in diesem Leben auszuüben. Warum soll etwas verwerflich sein, das Gott sich selbst erlaubt und in Ordnung findet?

Doch, wie gesagt, selbst einige konservative Gelehrte gehen hierzu auf Distanz. In einem Streitgespräch argumentiert al-Maliki, dass Gott doch gerecht ist. Insofern werde er Menschen nur für ihre vorsätzlichen Verfehlungen zur Rechenschaft ziehen, nicht aber jemanden, der nie von Gott gehört oder nur ein verzerrtes Bild von ihm hat. Deshalb lehne Gott es ab, dass so jemand in der Hölle verewigt werde, das wäre ungerecht. Al-Maliki macht in seiner Argumentation auf folgende Koran-Aussage aufmerksam: "Es geht nicht nach euren Wünschen, auch nicht nach denen der Leute der Schrift. (Entscheidend sind die Taten.) Wenn einer Böses tut, wird ihm (dereinst) dafür vergolten. Er findet (dann) für sich außer Gott weder Freund noch Helfer. Diejenigen aber, die handeln, wie es recht ist,(gleichviel ob) männlich oder weiblich, und dabei gläubig sind, werden (dereinst) in das Paradies eingehen, und ihnen wird (bei der Abrechnung) nicht ein Dattelkerngrübchen Unrecht getan."(Koran 4:123-124)

Meine These lautet nicht, dass der Glaube an Gott obsolet ist und es nur auf das Handeln ankommt. Ich meine vielmehr, dass der Glaube ohne entsprechendes aufrichtiges Handeln nicht viel nützt und dass ein aufrichtiges Handeln einen Glauben an Gott bezeugt. Muslime müssen aber Positionen innerhalb der islamischen Tradition dringend kritisch hinterfragen, die Gott als ungerecht hinstellen, indem sie behaupten, er ergreife Partei für Menschen, die möglicherweise ungerecht sind, aber das "richtige" Etikett tragen.

Für einen humanistischen Islam

Nach islamischem Verständnis ist Gott selbst die Wahrheit, denn "Wahrheit" ist im Koran ein Eigenname Gottes. Dadurch ist die Wahrheit absolut und für niemanden verfügbar. Gläubige können daher nicht über die Wahrheit verfügen, niemand kann über Gott verfügen, sie sind vielmehr nach der Wahrheit Suchende. Man kann sich der Wahrheit annähern, sie aber nie besitzen. Dass Gott die Wahrheit ist, soll gerade die Wahrheit vor Vereinnahmung durch den Menschen schützen und den Menschen zur Bescheidenheit aufrufen, ein Suchender zu bleiben, der die Wahrheit mit dem Wissen anstrebt, sich ihr annähern, sie aber nie besitzen zu können. Wahrheiten von oben aufzuzwingen, widerspricht dem Geist eines humanistischen Islams, der den Menschen zum freien Menschen macht, der sich von sich aus öffnet.

Der Glaube an einen Gott, dem es nicht um sich selbst geht, sondern um den Menschen, gibt dem Menschen seine Mündigkeit zurück; der Mensch muss seine Autonomie nicht von Gott erkämpfen, er kann sich vielmehr gemeinsam mit diesem Gott, der an ihn glaubt, von jeglicher Form der religiösen oder nichtreligiösen Bevormundung befreien. Der Islam, wie ich ihn verstehe und für den ich mich stark mache, beschreibt die Gott-Mensch-Beziehung als eine partnerschaftliche. Gott will den Menschen, er glaubt an ihn, an seine Würde, an seine Freiheit und an seine Vernunft, er will seine Glückseligkeit, er hat sich auf ihn eingelassen und sich für ihn entschieden, deshalb ist Gott ein Humanist.

Der Autor leitet das Zentrum f. Islam. Theologie der Uni Münster

Gott glaubt an den Menschen Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus Von M. Khorchide Herder 2015.272 S., geb., € 20,60

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