
Islam und Frauen: Erwünschtes zum Gelebten machen
Der Koran brachte viel für die Stellung der Frau in der Gesellschaft des siebten Jahrhunderts. Doch die klassischen Interpretationen der Gelehrten werden der komplexen Lage von Frauen im Heute nicht mehr gerecht. Die theologische Deutungshoheit darf nicht männlich dominiert bleiben.
Der Koran brachte viel für die Stellung der Frau in der Gesellschaft des siebten Jahrhunderts. Doch die klassischen Interpretationen der Gelehrten werden der komplexen Lage von Frauen im Heute nicht mehr gerecht. Die theologische Deutungshoheit darf nicht männlich dominiert bleiben.
Es gibt unterschiedliche Perspektiven und Ebenen, von welchen aus man den internationalen Frauentag betrachten und erleben kann. Ich möchte das mit dem Blick auf die Spannungsfelder und Herausforderungen, die sich zwischen dem Frau sein und der Religion des Islams eröffnen, tun, aber auch das Augenmerk auf den Islam als Ressource für mich als Frau richten. Dabei ist mir wichtig, diese Analyse transparent als eine von vielen Frauen muslimischen Glaubens vorzunehmen, die den Anspruch für sich erheben, gläubig und praktizierend zu sein, und sich gleichzeitig für eine progressive islamisch-theologische Auseinandersetzung mit den Fragen zur Gleichstellung einsetzen. Dies wird nämlich nicht selten als unmöglich angesehen.
Beim Versuch, mich dem Thema sachlich anzunähern, empfinde ich es gegenwärtig sehr schwierig, bei den Leserinnen als eine weibliche authentische Stimme des Islams wahrgenommen zu werden, ohne dabei in den Vorwurf der Exklusivität zu geraten oder dass meine Ausführungen als apologetisch gelesen werden. Aus dieser Aporie herauszukommen, scheint schwieriger als gedacht. Dennoch ist das Anliegen, an den Wurzeln meiner religiösen Tradition anzuknüpfen und daraus Erkenntnisse für die Gegenwart zu ziehen, es wert, meine Gedanken aus Anlass des Internationalen Frauentages hier auszuführen.
Ein grundsätzliches Spannungsfeld
Fragen hinsichtlich der Gleichstellung der muslimischen Frau, die zur Genüge von außen an sie herangetragen werden, wenn es um die Auseinandersetzung mit den islamischen Quellen geht (primär mit dem Koran und der Sunna), sind zumeist jene, die sich mit der Erbschaft zwischen Mann und Frau, Eheschließung und Polygamie befassen oder aber damit, ob das Zeugnis eines Mannes doppelt so viel zählt wie jenes einer Frau, oder gar mit Bekleidungsvorschriften. Ich persönlich halte diese Fragen für sehr wichtig und möchte in der Linie des reformatorischen Wegs des Korans, den er als letzte göttliche Botschaft aufzeigt, bleiben und zeitgemäße Antworten auf diese Teilthemen bieten. Jedoch möchte ich an dieser Stelle eine allgemeinere Perspektive einnehmen und noch einen Schritt von den Einzelthemen zurückgehen und damit ein grundsätzliches Spannungsfeld ansprechen, das sich mir gerade als Frau auftut, wenn es um die Auseinandersetzung mit den islamischen Quellen hinsichtlich der Genderfragen geht.
Ich befinde mich im Diskurs vieler muslimischer Exegetinnen und Exegeten, wenn ich sage, dass ich koranische Textstellen und Hadithe nicht a priori als Problem wahrnehme, sondern erst den Auslegungskorpus dieser und die darin enthaltenen Lehrmeinungen kritisiere. Besonders durch den Koran sehe ich mich als Frau persönlich auf eine sehr behütete und besondere Art und Weise vom Schöpfer wahrgenommen, wenn er etwa „die Belehrung über die Frauen“ nicht einmal allein dem Propheten Muhammed überlässt, sondern diese quasi in eigene Regie übernimmt, in dem er sagt: „Sie fragen dich um Belehrung über die Frauen. Sag: ‚Allah belehrt euch über sie ...‘“(4:127)
Diese und ähnliche Stellen bieten mir eine tiefe Ressource für meine Spiritualität und zeigen mir auf, dass der Koran des siebten Jahrhunderts viel mehr für die Positionierung der Frau in der damaligen Gesellschaft gebracht hat als der danach entstandene Korpus an Auslegungen des Korans und der prophetischen Aussagen, die kaum weibliche Stimmen beinhalten und zumeist unter den koranischen Standards liegen.
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