Vorurteil und Wirklichkeit

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Muslime und ihre Religion werden von vielen in Österreich als fremd erlebt. Doch was spricht dagegen, neugierig zu sein und neue Welten zu entdecken?

Islam in Österreich - das heißt Menschen aus der Türkei, aus Syrien, Ägypten oder Pakistan, Geschäfte mit orientalischen Gewürzen und Lammfleisch, Gebetsräume in unauffälligen Straßen, ein Minarett am Hubertusdamm, Frauen mit Kopftuch und langem Mantel, Kinder anderer Sprache in der Schulbank. Der Islam in Österreich ist lebendig präsent in Menschen, die ein gelingendes Leben suchen wie alle anderen. Was spricht dagegen, sich dafür mit ihnen zu verbünden?

Fremdes in Neues verwandeln

Muslime werden in der Regel zuerst gar nicht in Bezug auf ihre Religion wahrgenommen, sondern als Ausländer. Die andere Hautfarbe, die fremde Sprache, nicht immer, aber oft die unterschiedliche Kleidung, das Kopftuch - Signale dafür, sich befremdet oder bedroht zu fühlen. Die vorgeschützten Argumente, die der Angst eine Berechtigung geben wollen wie etwa: Die nehmen uns Arbeitsplätze und Lebensraum weg, bleiben vordergründig, sind nicht belegbar. Es ist die Optik, die stört, das fremde Erscheinungsbild in einer vertrauten Umgebung, das unsicher macht. Schon der Augenschein fordert zur Unterbrechung der eigenen Routine heraus und stellt Fragen: Wie die fremde Erscheinung deuten? Wie sich verhalten? Was reden? Daraus folgt die Abwehr als Wunsch nach einer Assimilation, die das Fremde unsichtbar macht, mindestens in eigene Räume verbannt, um nicht behelligt zu werden und sich einer neuen Erfahrung nicht stellen zu müssen.

Die andere Möglichkeit bestünde darin, die Neugier zu aktivieren, die uns als Kinder die Welt hat erschließen lassen - Schritt für Schritt zu immer größerem Gewinn. Wer mit muslimischen Menschen in Nachbarschaft lebt, kann dies als Chance nützen, die durch innere Abwehr verschütteten Fragen zu stellen, ohne die eigene Unsicherheit verleugnen zu müssen: Ich kenne mich nicht aus, erzähle mir von dir! Woher kommst du? Wie ist deine Heimat? Wie sehen eure Sitten und Bräuche aus? Dann aber kann es geschehen, dass die fremden Sitten, die anderen Werte schockieren, weil sie den eigenen widersprechen, einem selbst völlig gegen den Strich gehen. Und es ist nicht auszuschließen, dass es den muslimischen Nachbarn ebenso geht. Deshalb kann es bei der Naivität nachbarschaftlichen Umgangs nicht bleiben. Es braucht Mediatoren und Medien.

Mediatoren und Medien

Seit Mai 2000 besteht die "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen", eine der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich nahestehende "Plattform für mehr gegenseitiges Verständnis und Toleranz". Die dortigen Ansprechpartner stellen sich als Mediatoren zur Verfügung - in konkreten Konfliktfällen, aber auch um durch persönliche Gespräche und Informationen gegenseitiges Verständnis zu bewirken, damit es nicht zu Konflikten kommt: Die Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich, für beide Seiten, die nicht-muslimische und die muslimische.

Diese Mediatoren sind mit den österreichischen politischen und kulturellen Strukturen ebenso vertraut sind wie mit Fragen des Islams und seinen kulturellen Ausprägungen. Die "Initiative" veranstaltet auch Tage der offenen Tür in verschiedenen Moscheen und Gebetshäusern, um den bodenständigen Österreichern Einblick zu geben in ihre religiöse Lebensgestaltung. Ein erster solcher Tag fand im Mai 2000 in der Großen Moschee am Hubertusdamm statt. Das Ziel: "Gemeinsam ein von gegenseitigem Respekt getragenes Miteinander in Gang zu setzen", wie es in der Deklaration der "Initiative" heißt.

Das Bild des Islams zeigt sich in der Öffentlichkeit als vielfach verzerrt und wartet immer noch auf eine gründliche Korrektur. Dafür sind nicht zuletzt die Schulbücher verantwortlich, entscheidende Medien für die Bildungskultur eines Landes. "An seinen Lesebüchern erkennt man ein Volk", schreibt Robert Minder, "sie spiegeln und sie prägen", spiegeln den Wissensvorrat einer Gesellschaft und prägen ihn zugleich (Robert Minder, Soziologie der deutschen und französischen Lesebücher, in: H. Helmers (Hg.), Die Diskussion um die deutschen Lesebücher, 1953).

Für den Großteil der Bevölkerung stellen Schulbücher die erste und letzte Quelle der religiösen Bildung dar. Später tritt ihnen der Islam meist nur noch durch die öffentlichen Medien in Gestalt von Skandalen oder Meldungen von Terroranschlägen extremer Gruppen entgegen. Sachgerechte Schulbücher können viel dazu beitragen, mit den Vorurteilen auch die Angst abzubauen.

Islambilder

Unter dem Titel "Islam zwischen Selbst-bild und Klischee", erschien 1995 im Kontext eines internationalen Forschungsprojekts ein (von mir herausgegebenes) Buch, das die Darstellung des Islams in österreichischen Schulbüchern dokumentiert und kommentiert. Etwa 800 Schulbücher aller relevanten Fächer, einschließ-lich der Lehrerhandbücher, wurden gesichtet, die ein sehr unterschiedliches Bild vom Islam zeichnen. Auch wenn sich in den neueren Büchern eine positive Tendenz feststellen lässt, schreiben doch viele das vorurteilsbesetzte Bild des Islams fort.

Aus dem Ergebnis lässt sich unter anderem auch die Prägung des Islambildes durch die besondere Geschichte erkennen. Die zweimalige Belagerung Wiens, 1529 und 1683, wurde zwar zugunsten Österreichs entschieden, bildet aber ein geschichtliches Trauma, das bis heute im Bewusstsein der Bevölkerung, in lokalen Legenden, Liedern oder Namen von Speisen wie "Türkensterz" seine Spuren hinterlassen hat. So auch in den Schulbüchern, von denen sich manche der tendenziösen Methode bedienen, mit unkommentierten Quellentexten und Bildern zu arbeiten. So wird etwa die Identifikation mit dem katholischen Österreich gefördert, wenn man auf der einen Seite die Inschrift auf einer Mariensäule liest - ein Dank an die Himmelskönigin für die Abwehr der Türkengefahr - und auf zwei Medaillen die katholischen Herrscher beim Dankgebet sieht, auf der anderen Seite die christliche Sonne, die den muslimischen Halbmond vertreibt.

Es gibt aber auch andere Beispiele, die die Osmanenkriege aus einer vorurteilsabbauenden Perspektive sehen, wenn es in einem Schulbuch heißt: "Im 16., 17. und 18. Jahrhundert standen sich das Haus Habsburg' und die Osmanen feindlich gegenüber, weil beide Machtinteressen auf der Balkanhalbinsel und in Ungarn hatten. ... In beiden Kulturkreisen wurden Feindbilder' aufgebaut, die bis heute wirken. Dies lässt aber aus dem Feind' von gestern keinen Freund' von heute werden. Nicht Fremdenfeindlichkeit, sondern Toleranz, (einander) Verstehen und Beachtung der Men-schenwürde sind notwendig, will die Menschheit überleben."

Stereotype verstellen die sicht

Dass die Verbreitung des Islams mit Feuer und Schwert zum muslimischen Glaubensbekenntnis zähle, ist bis heute ein verbreitetes stereotypes Vorurteil, dem die Muslime selbst entgegentreten, weil es der Intention des Korans widerspricht. Und wenn sich terroristische Gruppen auf den "Heiligen Krieg" berufen, ernten sie auch aus der muslimischen Welt Widerspruch, denn: Dieser Krieg sei gegen sich selbst zu führen, gegen destruktive Leidenschaften und Hartherzigkeit, um ethisch verantwortlich zu handeln, wozu der Koran im Sinne der Zehn Gebote und der Bergpredigt auffordert. Christentum und Islam haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheint. Das nicht zu erkennen, verdeckt die wirklichen Unterschiede, mit denen sich auf gefestigter gemeinsamer Basis, die Kenntnis voneinander voraussetzt, respektvoll umgehen ließe.

Was sagt der Koran? Auf diese Frage, dem protestantischen Schriftprinzip vergleichbar, kommen die Muslime in Österreich immer mehr zurück, seit die nachfolgenden Generationen, die im Lande geboren werden, in der hiesigen Kultur aufwachsen und mit den Sitten und Bräuchen ihrer Herkunftstradition weitgehend brechen. Sie verstehen sich als Österreicher und Österreicherinnen, nicht mehr als Fremde aus der Türkei, aus Syrien, Ägypten oder Pakistan; aber sie wollen ihrer Religion treu bleiben. Wie jede Religion hat auch der Islam verschiedene Gesichter je nachdem, in welcher Kultur er zu Hause ist.

Nicht jeder Brauch lässt sich aus dem Koran begründen, und es gibt Traditionen, die dem Koran zuwiderlaufen. Das zu unterscheiden ist auch zum Anliegen der Muslime selbst geworden, ebenso der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, um aus der Mitte ihrer Schrift einem europäischen Islam den Weg zu bereiten.

Die Autorin ist Professorin für Praktische Theologie u. Religionspsychologie an der Evang.-Theol. Fakultät der Universität Wien und seit 15 Jahren im christlich-islamischen Dialog tätig.

Kontakte

* Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

1070 Wien, Bernardgasse 5,

Tel. 01/5263122

* Islamische Religionsgemeinde Linz

4020 Linz, Glimpfinger Straße 1,

Tel. 0732/343314

* Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen

Kontakte: * Sarah und Omar Al-Rawi, Tel. 01/802 39 97, E-Mail: omar.al-rawi@bauholding.at * Amina und Tarafa Baghajati, Tel. 01/259 54 49, E-Mail: baghajati@surfeu.at * Andrea Saleh, Tel. 01/796 56 52

Buchtipp

ISLAM ZWISCHEN SELBSTBILD UND KLISCHEES. Eine Religion im österreichischen Schulbuch. Hg. von Susanne Heine. Böhlau Verlag, Köln 1995. 311 Seiten, brosch., öS 496,-/e 36,05

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