In Europas muslimischem "Musterland"

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Wiener Imame-Konferenz: Zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren kamen europäische Muslime im "Musterland" Österreich zusammen.

Als ob es eines weiteren Nachweises für islamophobe Aktivitäten in Österreich bedurft hätte: Am Sonntagmorgen gab es einen - nach Polizeiangaben "nicht mit einem hohen Grad an Professionalität" begangenen - Brandanschlag auf den in Bau befindlichen islamischen Friedhof in Wien-Liesing. Erst am Abend zuvor war in Wien die Konferenz europäischer Imame zu Ende gegangen. Eines der großen Themen dort - natürlich: Die Diskriminierung der Muslime in europäischen Gesellschaften.

Werben um Integration

Im Juni 2003 waren europäische Imame und Seelsorgerinnen erstmals in Graz zusammengekommen. Damals war es unter anderem darum gegangen, den Islam als kompatibel mit Demokratie, Pluralismus und Rechtsstaat zu diskutieren - wobei auffällig war, dass sich die Schlusserklärung der damaligen Konferenz dezidiert gegen den Begriff "europäischer Islam" wehrte (weil es nur "einen" Islam gebe), sehr wohl aber vom "Islam in Europa" sprach, der auf die Bedürfnisse und Probleme der Muslime in Europa spezifische Lösungen suchen sollte. Gleichzeitig warb das Schlussdokument von Graz 2003 für verstärkte Integration von Europas Muslimen - die Wiener Konferenz vom letzten Wochenende wollte sich nicht zuletzt der Fortführung dieser Thematik widmen.

Über 130 Imame und Seelsorgerinnen aus 40 europäischen Ländern waren diesmal versammelt, Themen wie der "Karikaturenstreit" machten eine innermuslimische Positionierung diesmal besonders aktuell wie brisant. Die mehrseitige Schlusserklärung der Wiener Konferenz setzte aber bei einer ernüchternden Bilanz der Entwicklung seit 2003 an: "In verschiedenen europäischen Ländern sind soziale und wirtschaftliche Spannungen gleichzeitig in Zusammenhang mit einer oft aggressiv und emotional geführten ,Ausländerdebatte' zu bringen. Muslime werden pauschalierend benutzt, um ein Bild des ,Fremden' entstehen zu lassen, das in Zeiten der Unsicherheit Halt in einer negativen Abgrenzung bietet."

Daneben beklagen die Muslime auch, einem "starken Rechtfertigungsdruck" ausgesetzt zu sein, da "in der öffentlichen Wahrnehmung die Krisenberichterstattung Bilder von Aggression und Gewalt, oft an außereuropäischen Schauplätzen, in den Vordergrund" rücke.

Neben den Klagen über die ungenügende Akzeptanz durch Europas Mehrheitsgesellschaften bemühten sich die in Wien versammelten muslimischen Vordenker und Multiplikatoren aber ebenso um eine selbstkritische Reflexion wie um ein Zurschaustellen muslimischen Selbstbewusstseins.

Selbstkritik klingt etwa in der Schlusserklärung an, wo es darum geht, dass muslimische Gelehrte gerade bei Erscheinungsformen, die auf "überkommene Traditionen", die im Gegensatz zum Islam stünden, zurückzuführen seien, aktiver an Bewusstseinsänderungen innerhalb der muslimischen Community mitarbeiten sollten. Das Dokument, das auch die Ergebnisse von Arbeitsgruppen dokumentiert, plädiert da unter anderem für ein verstärktes Bemühen um den Erwerb der Landessprache.

Für selbstbestimmte Frauen

Auch in der Aussage, dass die Imame Europas "aus der Rolle der Respektsperson heraustreten" und "zur Vertrauensperson werden" sollten, deutet auf Defizite hin, an denen Muslime arbeiten wollen. Beim Thema Frauen werden "Zwangsehe", Genitalverstümmelung, "Ehrenmorde und familiäre Gewalt" als ohne Grundlage im Islam bezeichnet, ein längerer Passus polemisiert gegen Kopftuchverbote, enthält aber auch die Formulierung: "Das Selbstbestimmungsrecht der Frau soll außer Frage stehen - nach innen wie nach außen."

Carla Amina Baghajati von Österreichs islamischer Glaubensgemeinschaft erläuterte dazu beim abschließenden Pressegespräch, es müsse das Recht jeder muslimischen Frau sein, sich selbstbestimmt für oder gegen das Tragen des Kopftuches zu entscheiden.

Muslimisches Selbstbewusstsein galt es auch in den Diskussionen der Konferenz zu zeigen. Wilfried Murad Hofmann, langjähriger deutscher Botschafter und großer alter Mann des deutschen Islam, zeichnete in seinem Diskussionsbeitrag ein rosiges Bild von den Vorzügen, die der Islam auch europäischen Gesellschaften bringen könne.

Keine Alleinerzieherinnen

Die Fastenpraxis im Ramadan (keine Nahrungs-und Genussmittel zwischen Sonnenauf-und-untergang) mache immun gegen Drogen; die islamische Sicht der (Groß-)Familie vermeide viele Probleme säkularer Gesellschaften, nach den Worten Hofmanns gebe es bei gläubigen Muslimen das Problem von Kinderpornos nicht, und islamische Gesellschaften würden "alleinerziehende Mütter als Modell" nicht kennen. Hofmann ging so weit, das Gebet des Muslims für die Gesundheit zu deuten: sich mehrmals am Tag zu Gott zurückzuziehen, mache stressunabhängig.

Wer war da in Wien aber zusammengekommen? Neben der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich firmierte die "Europäische islamische Konferenz" als Veranstalter. Wie repräsentativ eine solche Zusammenkunft für Europas Muslime tatsächlich sein konnte, blieb eine offene Frage, die angesichts der muslimischen - auch ethnischen - Vielfalt kaum pauschal zu beantworten war. Bei der Pressekonferenz bemängelte ein türkischer Journalist die geringe Anwesenheit türkisch(stämmig)er Imame, eine schiitische Gruppe aus Österreich hatte schon im Vorfeld dagegen protestiert, nicht eingebunden zu sein. Gleichwohl nahm mit Ayatollah Ghaemmaghimi aus Hamburg ein prominenter Schiit teil und forderte in seinem Referat Muslime aller Rechtsschulen - auch der schiitischen - auf, untereinander zu kooperieren und mehr Dialog zu führen.

Österreich macht's möglich

Wie schon in Graz 2003, so war auch in Wien sichtbar, dass diese Art muslimischer Kooperation und Zusammenkunft in Europa noch Neuland darstellt. Die meisten Muslime Europas (Ausnahme Bosnien-Herzegowina und andere Balkanregionen) finden sich nach wie vor als Immigrationsgesellschaften wieder, in der sich auch der Zusammenhalt der Muslime erst langsam entwickelt. So gibt es etwa in Deutschland keine Dachorganisation, die der Staat als "seinen" Gesprächspartner akzeptiert.

Kein Zufall, dass diese "europäische" Imamekonferenz - nach Graz 2003 - zum zweiten Mal in Österreich stattfand, galt Österreich den Versammelten damals wie jetzt als Paradebeispiel gelungener Zusammenarbeit von Muslimen und dem Staat. Österreichs Islamgesetz, 1912 noch in der Monarchie erlassen, macht dies möglich.

Und so war man auf allen Seiten bemüht, dieses gute Verhältnis zu betonen: Anas Schakfeh, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, lobte dies ebenso wie die Vertreter internationaler islamischer Organisationen. Und Österreichs politische Repräsentanten, die zahlreich erschienen waren - Bundeskanzler Schüssel, Außenministerin Plassnik, Wiens Bürgermeister Häupl, dazu auch EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner - wurden gleichfalls nicht müde, ins gleiche Horn zu stoßen und für solch ein gutes Zusammenleben zu werben.

Khols Lob und klare Worte

Dieses positive Bekenntnis hielt aber die Politiker nicht davon ab, auf "Herausforderungen" im gegenseitigen Verhältnis hinzuweisen. Nationalratspräsident Andreas Khol nahm sich in seiner Rede zur Eröffnung der Konferenz neben viel Lob auch kein Blatt vor dem Mund: Er sprach die "nicht ausreichenden Deutschkenntnisse" vieler Muslime an und kritisierte ihm bekannte Lehrbehelfe für den islamischen Religionsunterricht, die "eindeutig" islamistische und "suprematistische" (den Islam über andere stellende) Inhalte transportierten.

Auch wenn der eine oder andere Konferenzteilnehmer nach dieser Kritik wenig amused blickte, nahm man sich ihrer sehr wohl an. Im Schlussdokument findet sich da die klare Option fürs Erlernen der Landessprache als Integrationsbeitrag der Muslime ebenso wie das Bekenntnis zur "Entwicklung geeigneter didaktischer Lehrmaterialien", die "im Einklang mit dem offiziellen approbierten Lehrplan" stehen (ein verklausuliertes Eingeständnis, dass islamistische Lehrmittel sehr wohl im Umlauf sind).

Im Bildungskapitel des Schlussdokuments wird dann der "Religionsunterricht im Islam im Rahmen des Regelunterrichts" als "wirksames Instrument der Integration" bezeichnet. Auch dieser Passus der Erklärung kann als Reaktion auf Khols Kritik verstanden werden: Der Nationalratspräsident hatte sich darüber besorgt gezeigt, dass sich in Österreich Muslime zunehmend vom Religionsunterricht abmelden und diesen in privaten Vereinen und Moscheen wahrnehmen, wo die Inhalte keiner öffentlichen Wahrnehmung unterliegen.

Dass - in Österreich wie in Europa - sowohl bei den Muslimen untereinander als auch zwischen den Gesellschaften und ihren Muslimen viel zu tun bleibt, darüber waren sich Teilnehmer und Beobachter einig. Aber auch darüber, dass der muslimische Versuch, die gemäßigten Kräfte des Islam in Europa zu stärken, nur zu begrüßen ist.

Wortlaut der Erklärung: www.derislam.at

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