Mitten in der Gesellschaft

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Die Muslime im Land müssen gleichermaßen den Draht zueinander wie zur restlichen Bevölkerung finden. Herausforderungen liegen auf vielen Ebenen.

Beim Sterben kommen d’Leut z’samm: Solche Abwandlung bekannten Spruchs klingt auf den ersten Blick etwas makaber. Aber er beschreibt prägnant das Ergebnis eines wohl einzigartigen Dialog- und - ja auch! - Integrationsprozesses in Vorarlberg: Dort wurde am 2. Juni in Altach der Islamische Friedhof fürs ganze Ländle eröffnet.

Was auf den ersten Blick wie ein lokalpolitisches Ereignis aussieht, kann Vorbildcharakter fürs fragile Verhältnis von Muslimen und Mehrheitsgesellschaft haben. Vorarlberg hat mit zehn Prozent einen hohen Bevölkerungsanteil an Muslimen. Vor 50 Jahren kamen die ersten Gastarbeiter aus der Türkei. Aber erst nach der Jahrtausendwende begann ein Denk- und Gesprächsprozess, der dann zum Friedhofsprojekt führte.

Verbände an einen Tisch gebracht

Attila Dincer, Sprecher der "Initiativgruppe Islamischer Friedhof“ erzählt: Als 2002 sein Cousin plötzlich verstarb,erlebte er mit, wie die ganze Familie Hals über Kopf ein islamisches Begräbnis in der Türkei organisieren musste, weil es in Vorarlberg keine adäquate Begräbnisstätte gab. Dincer hat in Dornbirn das "INKA - Institut für interkulturelle Angelegenheiten“ aufgebaut, das sich u.a. um den innermuslimischen Dialog in Vorarlberg bemüht. Es gelang ihm, die neun großen muslimischen Vereinigungen in Vorarlberg - darunter auch die offizielle Islamische Glaubensgemeinschaft - zu diesem Projekt zusammenzubringen: In einem neunjährigen Diskussions- und Entwicklungsprozess nahm es Gestalt an.

Die Ordensfrau Elisabeth Dörler, die Islambeauftragte der katholischen Kirche Vorarlbergs, verfasste eine Studie und die Projektstelle "okay. zusammen leben“ für Zuwanderung und Integration begleitete den Prozess. Eva Grabherr, die Leiterin der Projektstelle, und Attila Dincer berichten übereinstimmend, wie wichtig es war, sich auf den jahrelangen Prozess einzulassen. Warum brauchen Muslime in Vorarlberg einen eigenen Friedhof, der nach ihren religiösen Bedürfnissen angelegt ist? "Weil wir hier leben.“ So die knappe Antwort von Attila Dincer.

Eva Grabherr erzählt von einer berührenden Beobachtung bei der Eröffnung des Friedhofs: Drei Muslimas, Großmutter mit Tochter und Enkelin ohne Kopftuch, seien in den Raum für die rituellen Totenwaschungen gekommen. Und die alte Frau habe, nachdem die "Inspektion“ zur Zufriedenheit verlaufen wäre, ausgerufen: "Ich bin so stolz auf unseren Staat!“ Um dieses "Wir“ und "Unser“ sei es im Projekt gegangen, so Grabherr.

Vor einigen Jahren war Vorarlberg ja auch dadurch in Diskussion, weil die Landespolitik durch eine Baurechtsänderung de facto ein Minarett-Verbot etablierte. Bei einem Friedhof sei es viel leichter gewesen, meint Grabherr, sowohl Muslime zusammenzubringen als auch die nichtmuslimische Bevölkerung einzubinden. Attila Dincer bestätigt das: Das massiv gestärkte Wir-Gefühl habe sowohl die "innere Integration“ unter den Muslimen des Landes entscheidend gestärkt als auch zwischen den Muslimen und den anderen Vorarlbergern.

Ein gemeinschaftlicher Prozess wie das islamische Friedhofsprojekt von Altach dürfte einer der meistversprechenden Ansätze sein, um aus angeblichen oder tatsächlichen Parallelgesellschaften so etwas wie ein Konzept zum Zusammenleben zu entwickeln, wie es auch der Wiener islamische Religionspädagoge Ednan Aslan fordert (Seite 21).

Anfang 2012 haben Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz und der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ), Fuat Sanaç, das "Dialogforum Islam“ ins Leben gerufen. Dort werden auf Expertenebene Fragen rund um die Muslime im Land diskutiert.

Einer dieser Experten ist der Wiener Religionsrechtler Richard Potz, der dieses Forum begrüßt. Der Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Universität Wien sieht aber auch die Notwendigkeit, das Islamgesetz aus 1912 zu novellieren. Denn, so Potz, seit der Einrichtung der IGGiÖ müssten für die Glaubensgemeinschaft institutionelle Grundlagen geschaffen werden. Bei der Anerkennung der IGGiÖ 1979 habe man sich da mit juridischen Krücken beholfen, die aber längst in eine rechtlich adäquate Form überzuführen wären.

Gleiche Standards für Muslime

Potz fordert, der Gesetzgeber sollte die Standards, die er gegenüber den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften setzt, auch für die Muslime definieren. Als Hauptproblem sieht er dabei die Mitgliedschaft, also die Definition, wer als Muslim anzusehen sei. Potz prophezeit hier ähnliche Probleme, wie sie beim eben novellierten Israelitengesetz auftraten, wo liberale Juden gegen eine staatliche Vereinnahmung unters Dach einer orthodoxen Kultusgemeinde Sturm laufen. Bei den Muslimen kommt, so der Religionsrechtler, noch das Verhältnis zwischen der IGGiÖ und den islamischen Verbänden und Vereinen dazu, die das muslimische Leben in Österreich repräsentieren. Diese Probleme lassen für eine Novelle zum Islamgesetz einiges an Konfliktstoff und juristischer wie politischer Diskussion erwarten.

Antagonistische Entwicklungen

Das Rechtsproblem stellt aber bloß eine der offenen Fragen für Österreichs Muslime dar. Der Politikwissenschafter Farid Hafez, Autor der jüngsten Biografie des langjährigen IGGiÖ-Präsidenten Anas Schakfeh (vgl. unten), konstatiert unter den Muslimen, die schon in zweiter oder dritter Generation im Land leben, eine Professionalisierung und Verwurzelung in der Gesellschaft. Nicht zuletzt zeige sich das durch die religiöse Organisation in Verbänden, die über informelle Kreise längst weit hinausgeht. Als antagonistisch zu dieser Entwicklung benennt Hafez die schlechte öffentliche Stimmung gegenüber den Muslimen, die nicht zuletzt vom Rechtspopulismus geschürt werde. Muslim sein habe hierzulande somit zwei konträre Aspekte. Zur Frage nach einem neuen Islamgesetz meint Hafez: Gegen das gegenwärtige Stimmungsbild könne man auch mit einer neuen gesetzlichen Verankerung wenig ausrichten.

Vielleicht ist die obige Erfolgsgeschichte aus Vorarlberg dann viel eher ein Modell, an der Stimmungs- und Problemlage - unter Muslimen wie unter Nichtmuslimen - zu arbeiten. Beide leben ja zweifelsohne mitten in der Gesellschaft dieses Landes.

Islamgesetz

Nach der Annexion Bosniens gab es in der Donaumonarchie muslimische Staatsbürger. Am 15. Juli 1912 wurde für sie das bis heute geltende Islamgesetz in Kraft gesetzt.

IGGiÖ

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich konstituierte sich 1979. 2009 beschloss sie ihre neue Verfassung, nach der 2011 gewählt wurde. (www.derislam.at)

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