Islam auf europäisch

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Vor 37 Jahren kam Anas Schakfeh aus Syrien nach Wien. Seit zwei Jahren ist er Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Im furche-Gespräch erzählt er von den Schwierigkeiten und von seinen Bemühungen, den Islam auch als "österreichische Gemeinschaft" zu verankern.

die furche: Wie viele Muslime leben Ihren Schätzungen nach in Österreich?

Präsident Anas Schakfeh: Wenn wir manche Dunkelziffer einschließen, werden es wohl um die 350.000 sein.

die furche: Das bedeutet, die Muslime stellen die dritt- oder gar zweitgrößte Konfession in Österreich dar: Fühlen Sie sich in der Gesellschaft auch als die zweit-/drittgrößte Religion anerkannt?

Schakfeh: Nein. Wohl erfahren wir von den staatlichen Stellen eine faire Behandlung.Von der Gesellschaft als solcher sind wir aber noch lange nicht akzeptiert. Wir werden als eine außenstehende Gruppe angesehen, die mehr oder weniger ausländisch ist. Das sind wir aber schon lange nicht mehr.

die furche: Sie fühlen sich also als eine österreichische Gemeinschaft ...

Schakfeh: ... weil viele unserer Mitglieder inzwischen eingebürgert sind. Diese österreichischen Staatsbürger, aber auch die meisten anderen Muslime, haben sich auf eine Niederlassung in dieser Gesellschaft eingerichtet. Ihre Kinder und Kindeskinder sind inzwischen hier geboren und haben keine andere Heimat als Österreich. Wir sind jetzt bei der dritten, teilweise sogar bei der vierten Generation hier geborener Muslime. Diese Menschen sind österreichische Staatsbürger, und ihre religiöse Vertretung ist daher auch eine österreichische Gemeinschaft.

die furche: Ist ein österreichischer Muslim anders als etwa ein türkischer?

Schakfeh: Vom Glauben her nicht: Der Glaube ist einheitlich. Allerdings ist die Gestaltung des täglichen Lebens unterschiedlich. Ein österreichischer Muslim lebt nicht so wie ein arabischer, indischer oder afrikanischer. Sein Tagesablauf unterscheidet sich doch sehr.

die furche: Was ist Ihre größte Sorge in Bezug auf die Gesellschaft?

Schakfeh: Dass wir noch nicht voll anerkannt sind, hat mehrere Ursachen. Einerseits befinden wir uns selbst noch in der Aufbauphase unserer Infrastruktur als religiöse Gemeinschaft. Bis wir wirklich präsent werden, sodass uns die Gesellschaft zu verschiedenen Anlässen auch wahrnimmt, wird es noch dauern. Andererseits erleben wir, dass der Islam mit Vorurteilen belastet ist. Das liegt nicht in der Natur unserer Religion, sondern in der Geschichte: Es gab die traditionelle Auseinandersetzung Orient-Okzident schon vor dem Christentum und dem Islam, dann die Konflikte zwischen christlichen und islamischen Königreichen - Kreuzzüge, Türkenkriege, Kolonialzeit ...: Das alles findet seinen Niederschlag in der öffentlichen Meinung. Die Beziehungen zwischen dem Islam und Europa sind also historisch belastet. Die Gesellschaft ist ein komplexes Gebilde und reagiert auf Aufklärung nicht sofort. Alte, oft negative Informationen haben so immer noch ihre Wirkung. Das führt zu einer negativen Haltung zum Islam. Dazu kommen Ereignisse in der Welt von heute, die ebenfalls eine negative Wirkung auf uns zeigen: Man identifiziert uns immer wieder mit solchen Ereignissen, obwohl wir nicht nur nichts damit zu tun haben, sondern wir diese Ereignisse auch nicht beeinflussen können. Mehr als eine Milliarde Muslime leben weltweit, und es gibt da auch viele Dinge, die nicht geklärt sind, manchmal äußern sich diese mit Gewalt: Doch da ist nicht die Religion die Ursache sondern die realen Zustände - wirtschaftlicher oder sozialer Natur oder Auseinandersetzungen zwischen Besatzern und Besetzten. Wenn Muslime damit in Zusammenhang gebracht werden, werden sie auch in Österreich oft pauschal damit identifiziert: Das macht uns zu schaffen.

die furche: Ein konkretes Beispiel: Spielen aktuelle Ereignisse etwa in Afghanistan bei der öffentlichen Beurteilung des Islam hierzulande eine Rolle?

Schakfeh: Ja. Es gab immer wieder Hinweise auf die unmöglichen Dinge, die sich in Afghanistan ereignen. Als Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich haben wir uns von den Herrschenden in Afghanistan schon längst distanziert: Wir können uns mit diesen Menschen in keiner Weise identifizieren, und können viele Maßnahmen, die dort angewendet werden, nicht akzeptieren: wir finden keine islamische Begründung für diese Maßnahmen. Es gibt in Österreich aber Menschen, die Ereignisse wie in Afghanistan benutzen, um ihre Haltung dem Islam gegenüber zu untermauern. Diese Menschen nehmen von unserer Haltung dazu immer noch zu wenig Notiz.

die furche: Ihre Gemeinschaft besteht aus unterschiedlichen Strömungen - Sunniten, Schiiten ...: Lassen sich diese Richtungen in einer Gemeinschaft unter einen Hut bringen?

Schakfeh: Als Islamische Glaubensgemeinschaft vertreten wir die religiösen Interessen der Muslime. Die religiösen Interessen sind nicht so verschieden unter den islamischen Gruppen. So kann ich ruhigen Gewissens sagen: Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich vertritt auch die schiitische Richtung des Islams. Wichtig ist aber: Wir sind nur die religiöse Vertretung, wir vertreten nicht die politischen Richtungen des Islams. Wir nehmen die österreichische Verfassungsrealität, die auf die Trennung zwischen Religion und Staat hinausläuft, zur Kenntnis - und wir praktizieren sie auch selbst.

die furche: Sieht der Islam aber nicht vor, dass das Staatssystem islamisch ist?

Schakfeh: Diese Frage kann ich persönlich nicht für alle und für immer beantworten. Für uns Muslime in Österreich sage ich: Wir leben in diesem Land und erkennen seine Verfassung an. Wir akzeptieren die Ordnung zwischen Staat und Religion. Natürlich haben wir auch eine Meinung zu den gesellschaftlichen Fragen. Aber selbstverständlich beanspruchen wir nicht die Führung des Staates. Es kann auch nicht sein, dass wir als Glaubensgemeinschaft die Gründung einer politischen Partei anstreben. Allerdings: In anderen Ländern der Welt, gibt es andere Verfassungsrealitäten. Dort haben die Bürger des Landes zu entscheiden, was sie wollen, und wie sie den Staat, in dem sie leben, gestalten wollen. In Österreich ist die Sache entschieden. Das ist kein Widerspruch zu den islamischen Prinzipien. Der Staat garantiert uns ja auch die volle religiöse Freiheit. Wie ich mein persönliches religiöses Leben gestalte, da mischt sich der Staat nicht ein. Er hindert mich nicht daran, die islamischen Prinzipien in meinem Leben zu verwirklichen.

die furche: Das klingt in der Theorie plausibel. Doch lässt sich die Trennung zwischen Religion und Staat nicht bis ins Letzte durchhalten. Es gibt das religiöse Recht und das staatliche, die unterschiedlich sind. Ein Beispiel: Die Stellung der Frau ist in beiden dieser Systeme unterschiedlich. Kann es da nicht zu Spannungen kommen?

Schakfeh: Sehen Sie, in diesem Beispiel geht es schon um ein grundsätzliches Missverständnis. Viele, die den Islam nicht kennen, vermuten, dass er der Frau in der Gesellschaft eine minderwertige Stellung zuweist. Das ist überhaupt nicht richtig. Der Islam war wahrscheinlich die erste Religion, und die erste gesellschaftsstragende Idee, welche die Gleichwertigkeit von Mann und Frau festgeschrieben hat. Der Islam hindert niemanden daran - ob männlich oder weiblich - zu arbeiten, sich in der Gesellschaft zu entfalten, aber er schreibt bestimmte sittliche und ethische Haltungen vor. Das ist alles andere als eine Herabsetzung eines Geschlechtes. Muslimische Frauen finden in Österreich ihre Möglichkeiten, allerdings werden sie, weil sie ihre Religion praktizieren von manchen in Österreich schief angeschaut., manchmal werden sie deswegen daran gehindert, Karriere zu machen - etwa wenn eine Frau ein Kopftuch trägt. Es ist unsere Aufgabe als Glaubensgemeinschaft, hier aufzuklären und zu sagen: Ihr seid für die Menschenrechte, ihr seid für die Freiheit der Frau: Diese Frau hat für sich frei gewählt dass sie Kopftuch trägt. Warum bist du jetzt gegen ihre Freiheit?

die furche: Sollen sich Muslime nicht auch in politischen Parteien einmischen?

Schakfeh: Wenn Muslime Staatsbürger dieses Landes sind, dann müssen sie dies voll und ganz sein: Jeder Staatsbürger hat das Recht, sich politisch zu engagieren. Wenn er politisch begabt ist, dann soll er sich hier entfalten und bewähren. Wir unterstützen das, weil wir die Integration der Muslime in der Gesellschaft unterstützen. Wenn Muslime in den Parteien tätig sind, identifizieren sich andere Muslime logischerweise mit diesen Parteien.

die furche: Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2001 bemühten sich einige Parteien auch um muslimische Stimmen.

Schakfeh: Das sind gute Ansätze, die ganz neu beginnen; ich hoffe, dass dies weitergeht und politische Parteien sich mehr als bisher um muslimische Bürger kümmern.

die furche: Zur tagespolitischen Frage der Ausländerpolitik bitte ich doch um Stellungnahme: Es kommt jetzt ein neues Modell, das Zuwanderung weiter stark beschränkt, und auch beim der Zuzug von Familienmitgliedern gibt es keine Verbesserung. Das kann ja nicht im Sinne Ihrer Glaubensgemeinschaft sein!

Schakfeh: Es geht da um zwei Fragen: Zur ersten stelle ich klar: Wir sind keine Agentur für Einwanderung. Wir planen nicht, Österreich mit Muslimen zu überschwemmen und Menschen zu ermutigen nach Österreich zu kommen. Die zweite Frage betrifft Muslime, die hier leben, deren Familienangehörige aber noch woanders sind: Familienzusammenführung ist eine menschliche Sache. Unsere Religion legt ganz großen Wert auf Familie und Familienleben. Wahrscheinlich werden wir in einer nahen Zukunft die einzige gesellschaftliche Größe in diesem Land sein, die die traditionelle Familie noch verteidigt. Jede andere Form des menschlichen Zusammenlebens - Lebensgemeinschaften ... - außerhalb der traditionellen Familien ist im Islam nicht zugelassen. Familienzusammenführung ist daher für uns wichtig - nicht um die Anzahl der Muslime in Österreich zu erhöhen, sondern weil sie zu den Menschenrechten gehört.

die furche: Der Islam als letzte Bastion für die Familie? Heißt das, andere Religionen und Gruppen im Lande treten nicht mehr für die Familie ein?

Schakfeh: Die rasante Entwicklung zeigt, dass viele bis jetzt als unverzichtbar geltende Werte doch aufgegeben werden. Traditionelle gesellschaftliche Gruppen, welche die Familie hoch gehalten haben, sehen jetzt oft auch andere Formen des Zusammenlebens auch als rechtlich gleichwertig an. Diese Entwicklung ist für uns befremdend. Wir werden unsere Meinung nicht ändern, weil es hier um essenzielle Fragen der Religion geht. Die traditionelle Familie ist für uns dabei ein Grundwert.

die furche: Wie ist Ihr Verhältnis zur katholischen Kirche?

Schakfeh: Wir haben durchaus freundschaftliche Beziehungen. Allerdings sind diese nicht durch Protokolle oder gemeinsame Erklärungen gestaltet - es geht alles zwanglos und ohne Regelung vor sich. Man kann noch nicht von institutionalisierten Beziehungen zur katholischen Kirche sprechen.

die furche: Der Grazer Bischof Egon Kapellari meinte kürzlich, die Christen müssten zum Islam "befriedete Beziehungen" aufbauen, wobei der Islam eine innerlich starke christliche Gemeinschaft stärker respektiere als eine schwache. Das klingt ein bisschen, als ob die katholische Kirche Angst vor Ihnen hätte ...

Schakfeh (lacht): ... das braucht sie nicht! Bischof Kapellari hat Recht: Wir bevorzugen eine starke katholische Kirche. Wir glauben, eine starke katholische Kirche wird mit uns eine Verbündete sein in gesellschaftlichen Fragen wie zum Beispiel der Familie. Es gibt allerdings Fragen, wo wir anderer Meinung sind - auch das liegt in der Natur der Dinge. Dennoch haben wir enorme Gemeinsamkeiten.

die furche: Vor einigen Tagen gab es Meldungen, dass die Kairoer Al-Azar-Universität, die berühmteste Hochschule des sunnitischen Islam, eine Dependance in Österreich plant. Stimmt das?

Schakfeh: Ich glaube nicht. Wir hoffen allerdings auf eine islamisch-theologische Fakultät an einer österreichischen Universität . Solch eine Fakultät wird nützlich sein für unsere Gemeinschaft., aber auch für den Staat, ja für die EU: Bis jetzt werden Muslime theologisch im Ausland ausgebildet. Das ist nicht befriedigend. Die islamischen Gelehrten, die dann zu uns kommen, müssen erst die Sprache erlernen, und beherrschen diese dann nicht ausreichend; man kann in Österreich mit diesen Gelehrten nicht ausreichend kommunizieren; sie können uns österreichische Muslime in der Gesellschaft daher auch nicht befriedigend vertreten. Dazu kommt: Islamische Gelehrte, die in Österreich und Europa ausgebildet werden, werden die gesellschaftliche Realität in Europa besser verstehen: Religiosität ist ja nicht etwas Steriles und vollkommen unabhängig vom Umfeld. Gesellschaftsfragen in Afrika oder Asien sind eben andere als in Österreich und Europa.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

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