Kampf der Feindbilder

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Der Trash-Film "The Innocence of Muslims“ führt weltweit zu Protesten. Islamexperte Peter Heine bewertet die Vorgänge.

Bis zu seiner Emeritierung 2009 lehrte Peter Heine an der Humboldt-Unversität zu Berlin. Der Buchautor zählt zu den bekanntesten Islamexperten im deutschen Sprachraum.

Die Furche: Was passiert derzeit in der islamischen Welt: Ein unsäglicher Film löst unsägliche Reaktionen aus. Warum beobachten wir diese Eskalation?

Peter Heine: Man muss das zunächst im Zusammenhang mit dem sehen, was wir als "arabischer Frühling“ bezeichnen. Viele Menschen im Nahen und Mittleren Osten haben festgestellt, dass sie auf Dinge, die sie erregen, auch mit öffentlichem Protest reagieren können. Im Gegensatz zu früher ist das nun nicht mehr orchestriert, wo die Regierungen öffentliche Bedienstete oder Mitarbeiter von Staatsfirmen auf die Straße geschickt haben. Allerdings: Wo diese autokratischen Regimes immer noch existieren, - etwa im Sudan - ist das weiter der Fall. Da wird so ein Vorgang erneut genutzt, um die Verärgerung der Bevölkerung über die lokale Politik abzuleiten und ein Ventil zu bieten.

Die Furche: Ein österreichischer Leitartikler titelte: "Blutiger Winter nach arabischem Frühling.“

Heine: Ich würde das nicht so formulieren. Natürlich hat es Tote gegeben. Die Erregung über den Tod von Diplomaten ist völlig verständlich, aber "blutige Verhältnisse“ haben wir nicht in den Ländern, wo sich die Proteste ereignet haben, wirklich blutige Verhältnisse herrschen zurzeit in Syrien.

Die Furche: Immer wieder wird erneut auch der Clash of Civilizations angesprochen: Jahrelang habe man versucht, diesen Kampf der Kulturen zu leugnen …

Heine: Ich war grundsätzlich kein Anhänger der These von Huntington. Aber auch wenn ich mich lange innerlich dagegen gewehrt habe, ist es so, dass Menschen offenbar nicht ohne ein Feindbild auskommen. Dieses Feindbild ist im Westen "der Islam“ und in den islamischen Ländern "der Westen“.

Die Furche: Auch wenn ein Kampf der Feindbilder tobt: Im Westen sind die Proteste nicht so gewalttätig wie in der islamischen Welt.

Heine: Im Westen gibt es andere Möglichkeiten, Aggressionen gegen den Islam zum Ausdruck zu bringen: Das Video spricht für sich.

Die Furche: Aber auch ein islamkritischer Mensch im Westen würde diesen "Film“ wohl kaum als Argument heranziehen, denn der ist in jeder Hinsicht viel zu schlecht.

Heine: Das mag sein. Aber man kommt nicht darum herum, dass bei entsprechenden Befragungen in Deutschland fast jeder Dritte islamophobe Äußerungen von sich gibt oder auf entsprechende Formulierungen bestätigend reagiert. Das ist einfach eine Tatsache, die man zur Kenntnis nehmen muss.

Die Furche: Es wird oft ins Treffen geführt, es gebe ja auch immer wieder Ereignisse, die die religiösen Gefühle von Christen verletzen könnten. Aber christliche Protestreaktionen sind nicht vergleichbar mit den Ausschreitungen in der islamischen Welt. Hat die Reaktion dann nicht doch etwas mit dem Islam zu tun?

Heine: Das glaube ich nicht. Nehmen Sie das Beispiel der Karikatur von Benedikt XVI. im deutschen Satire-Magazin Titanic. Natürlich hat man spontan gesagt: Das ist eine Beleidigung unseres religiösen Oberhaupts, da müssen wird dagegen vorgehen. Der Unterschied in der Reaktion besteht darin, das man dann überlegt hat, welche Reaktion das in der deutschen Öffentlichkeit hat. Da hat man gemeint, wahrscheinlich ist es vernünftiger, das Ganze auslaufen zu lassen. Man muss auf der muslimischen Seite zusätzlich sehen: Die Religiosität oder das religiöse Gefühl ist in islamischen Gesellschaften viel intensiver als bei uns. Das hat sich in der jüngeren Phase noch massiv verstärkt: Als ich Mitte der Sechzigerjahre in Bagdad studierte, war die Situation sehr viel entspannter. Man konnte von Muslimen Witze über den Propheten oder den Islam hören. Aber wenn sich heute Fremde über den Islam negativ äußern, dann wird das als ein Angriff nicht auf die Religion, wie auf die ganze kulturelle Identität verstanden.

Die Furche: Im Westen wird für Distanz zwischen Religion und Staat plädiert. Offensichtlich ist dem in der islamischen Welt nicht so. Wäre es nicht wichtig, hier an einer Veränderung zu arbeiten?

Heine: Freilich. Aber dazu brauchen wir zunächst einen funktionierenden Staat. Die Autorität von staatlichen Institutionen etwa in Ägypten oder Tunesien ist jedoch mit unseren Verhältnissen nicht vergleichbar. Die Idee, dass der Staat sich aus vielem herauszuhalten hat, ist ja gleichzeitig auch die tiefe Überzeugung, dass der Staat immer da, wo es dann wichtig wird, für die Bevölkerung das Beste tut. Diese Überzeugung fehlt in der gesamten islamischen Welt.

Die Furche: Was kann nun ein staunender oder erschreckter Zeitgenosse in Europa tun?

Heine: Als einzelner Zeitgenosse kann man sich eigentlich nur immer wieder klarmachen, dass die westliche Politik mit zweierlei Maß misst: Wir greifen in Libyen ein, tun das aber in Syrien nicht. Warum ist das so? Das liegt natürlich auch daran, dass es in Libyen Öl gibt und in Syrien nicht. Oder: Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien werden von der westlichen Politik nicht oder nur sehr vorsichtig kritisiert. Wann ist die Tatsache, dass die Aufstände von Schiiten in Bahrain mit saudischen Panzern niedergeschlagen wurden, zuletzt verbalisiert worden? Gerade dieses Verhalten des Westens wird von breiten Kreisen in der islamischen Welt sorgfältig beobachtet.

Die Furche: Auch ein Umsturz wie in Ägypten hat also wenig Veränderung gebracht?

Heine: In diesem Bereich geht es viel um - sagen wir es positiv - pragmatische Politik. Nach dem Ende des Mubarak-Regimes gab es eine unglaubliche Euphorie. Und die ist angesichts der wirtschaftlichen Realität in sich zusammengebrochen: Die wirtschaftlichen Probleme Ägyptens oder Tunesiens haben sich durch ein neues Regime nicht in Luft aufgelöst. Außerdem sind in den meisten Ländern der islamischen Welt 60 Prozent der Bevölkerung unter 25 Jahre alt. Die lassen sich dann - im Wortsinn - auch leicht bewegen. Ich habe da die Bilder aus Khartum im Kopf: Da sieht man, das sind alles junge Leute, viele davon mit Mobiltelefonen ausgerüstet. Die Kommunikationsmöglichkeiten sind also außerordentlich gut. Das führt sicherlich auch dazu, dass diese Protestbewegung eine solche Größe entwickelt hat.

Die Furche: Wo kann der Westen dann ansetzen?

Heine: Wir im Westen reagieren auf die Entwicklungen immer dann, wenn sie besonders dramatisch werden. Die islamische Welt beobachtet den Westen aber sehr viel genauer als umgekehrt. Dass gilt auf allen Ebenen. Ich erinnere mich an eine Begegnung mit hochrangigen iranischen Theologen, denen der protestantische Theologe Rudolf Bultmann oder der katholische Dogmatiker Karl Rahner durchaus geläufig waren. Ich habe mir dann die Frage gestellt: Würden wir an einer unserer Theologischen Fakultäten eine Befragung unter den Lehrstuhlinhabern anstellen, ob sie wichtige muslimische Theologen kennen, dann bin ich nicht sicher, ob wir darauf eine Antwort bekämen.

Das Gespräch führte Otto Friedrich

Peter Heine

Der 68-jährige Islamwissenschafter studierte in Münster und Bagdad. Er lehrte zuletzt an der Humboldt-Universität zu Berlin. Heine hat zahlreiche Bücher zum Islam verfasst, darunter das Islam-Lexikon (1991/2006), Der Islam (2007); nach 9/11 erschien als erstes deutschsprachiges Buch zum Thema sein "Terror in Allahs Namen“ (2001).

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