Mohammed - © Bild: iStock/duncan1890

Politisierter Islam

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Die Durchdringung von Religion und Politik in der muslimischen Welt beginnt bereits in der Frühphase des Islam. Teil I einer Analyse des FURCHE-Kolumnisten und Beraters der neuen Dokumentationsstelle Politischer Islam.

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Die Durchdringung von Religion und Politik in der muslimischen Welt beginnt bereits in der Frühphase des Islam. Teil I einer Analyse des FURCHE-Kolumnisten und Beraters der neuen Dokumentationsstelle Politischer Islam.

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Die Politisierung des Religiösen in der Frühphase des Islam führte dazu, dass sich in ihm Unterwerfungsstrukturen bildeten, die einen Rahmen schufen, innerhalb dessen religiöse Reflexionen stattfanden und bis heute stattfinden. Diese Durchmischung des Religiösen mit dem Politischen findet in der Gegenwart ihren Höhepunkt im politischen Islam, der die Formel geprägt hat: Al-Islam Din wa Dawla (Der Islam ist Religion und Staat).

Die Vorstellung, wonach der Islam keine Trennung zwischen Religion und Staat kennt, ist sowohl unter Muslimen als auch unter Nichtmuslimen stark verbreitet und wird inzwischen als eine Selbstverständlichkeit rezipiert. Dem widerspreche ich in meinem neuen Buch „Gottes falsche Anwälte. Der Verrat am Islam“ und dekonstruiere diese Vorstellung als Produkt einer frühzeitigen Geiselnahme und zugleich Instrumentalisierung des Islam durch vom Volk nicht legitimierte Herrscher, die sich politische Herrschaftstheorien und Praktiken aus dem Oströmischen Reich sowie aus Großpersien angeeignet und sie als islamische Vorstellung präsentiert haben.

Fremde Herrschaftstheorien

Da diese Instrumentalisierung des Islam schon wenige Jahre nach dem Tod Mohammeds einsetzte, waren die Konsequenzen für das damals erst entstehende Selbstverständnis des Islam und der islamischen Theologie gravierend. Denn mit einer Religion der Liebe und Barmherzigkeit, die Spiritualität und ethische Grundsätze sowie Grundsätze der Freiheit und Gleichheit predigt, lassen sich autoritäre Machtstrukturen deutlich schwieriger begründen als mit einer Religion der Unterwerfung, der Drohung, des Gesetzes, der Scharia.

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Die Muslime kamen im Zuge der islamischen Expansion frühzeitig mit den beiden Großreichen Großpersien und Byzanz in Berührung. Beide Reiche wurden im Zeitraum zwischen 633 und 640 zur Zeit des zweiten Kalifen Omar erobert. Durch die schnelle Ausweitung der islamischen Gebiete musste der Kalif Omar einen Verwaltungsapparat aufbauen, wozu ihm allerdings sowohl die Expertise als auch die notwendige Erfahrung fehlten. Er musste auf die Erfahrungen der Perser sowie der Byzantiner zurückgreifen, deren Verwaltungsapparat er sukzessive übernahm, was intensive Austauschprozesse förderte, die auch das politische Selbstverständnis der muslimischen Herrscher beeinflussten. In Byzanz und Großpersien wurde dem politischen Amt des Herrschers eine religiöse Autorität verliehen. Und genau dieses Verständnis eigneten sich die Muslime nun an.

Hier ein Beispiel: Von Ardaschir I. (gestorben 242), dem Gründer des persischen Sassanidenreichs, stammt einer der einflussreichsten persischen Texte zum Verhältnis von Religion und Politik, der zur Zeit der Abbasiden ins Arabische übersetzt und mehrfach rezipiert wurde. Dieser Text bildete die Grundlage des Herrschaftsverständnisses vieler abbasidischer Kalifen. Darin schreibt Ardaschir: „Wisse, dass die Religion und das Königreich zwei Brüder sind, von denen keiner ohne den anderen existieren kann. Die Religion stützt das Königreich, und das Königreich schützt die Religion. Was an Stütze fehlt, muss zugrunde gehen, und was keinen Beschützer hat, wird vergehen.“

Einen ähnlichen Satz finden wir im 20. Jahrhundert beim führenden Muslimbruder Sayyid Qutb (gestorben 1966), der zugleich der Erfinder der Formel Al-Islam Din wa Dawla und somit einer der wichtigsten Ideologen des politischen Islam war. Zur Legitimation seiner Vorstellung von der Verquickung zwischen Religion und Staat im Islam schreibt er nicht nur Mohammed, sondern allen Propheten eine politische Rolle als Herrscher im Namen Gottes zu.

Prophet, nicht Staatsoberhaupt

Verstand sich Mohammed neben seiner Rolle als Prophet auch als Staatsoberhaupt? Meine klare Antwort lautet: Nein! In meinem Buch führe ich viele Argumente für diese klare Verneinung an, ich will hier nur eines davon nennen. In der fünften Sure des Koran, die kurz vor dem Tod Mohammeds geoffenbart wurde, werden unter anderem Speisevorschriften beschrieben. Doch würde man nicht erwarten, dass der Koran auch ausführlich auf eine viel wichtigere Frage als die der Speisegebote eingeht, nämlich auf die Frage nach dem politischen Nachfolger Mohammeds als Oberhaupt der Gemeinde? Auch Mohammed hätte doch, als er am Ende seines Lebens mit dem Tod rechnete, daran interessiert gewesen sein müssen, die Frage seines politischen Nachfolgers zu thematisieren oder gar Details zu regeln, um mögliche Konflikte zu vermeiden. Er hätte bemüht gewesen sein müssen, diese Person in die Amtsgeschäfte einzuweihen – für ein Staatsoberhaupt eine Selbstverständlichkeit. Aber nichts davon geschah.

Wie konnte Mohammed, der sonst alles für seinen Auftrag opferte, sodass er sogar aus seiner Heimatstadt vertrieben wurde, die Regelung einer so zentralen Angelegenheit entgangen sein, dass wir weder im Koran noch in seinen uns überlieferten Aussagen irgendetwas Konkretes zu der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion und Staat und zu der Frage nach seinem politischen Nachfolger finden? Die einzig plausible Antwort auf diese irritierenden Fragen lautet, dass Mohammed sich selbst eben nicht als Staatsoberhaupt gesehen hat. Auch der Koran schreibt ihm diese Rolle nicht zu. Ganz offensichtlich verstand er sich als Prophet, der neben dem Monotheismus ethische Grundsätze zu verkünden hatte.

Als muslimischer Theologe geht es mir darum, religiöse Strukturen der Unterdrückung von Menschen im Islam zu untersuchen.

Daher lautet meine These hierzu, dass die Geschichte Mohammeds zu umayyadischer (661 – 750) und abbasidischer Regierungszeit (750 – 1250) umgeschrieben wurde, um aus dem Propheten Mohammed ein von Gott eingesetztes Staatsoberhaupt zu konstruieren und somit den damaligen Herrschern als Vorbild zur Legitimation ihrer weltlichen und zugleich religiösen Macht zu dienen. Denn auch sie begründeten und begründen bis heute ihren Anspruch auf Autorität im Namen des Heiligen.

Wenn sich ein autoritärer Herrscher als Vertreter Gottes auf Erden sieht, braucht er allerdings einen autoritären Gott, in dessen Namen er seine restriktive Politik durchsetzen kann. Und genau aus diesem Grund begann die Manipulation des Gottesbildes des Islam. Aus dem liebenden, barmherzigen Gott wurde ein autoritäres und restriktives Gottesbild im Dienste autoritärer Herrscher geschaffen, unterstützt durch einige Gelehrte. Aus dem Menschen als freies und selbstbestimmtes Subjekt wurde nun ein Objekt des Gehorsams. Daher spreche ich von „Unterwerfungsstrukturen“, die sich zuerst politisch etabliert haben, jedoch schnell zu einer Mentalität wurden. Und genau auf dem Höhepunkt der Entwicklung dieser Unterwerfungsstrukturen zur Zeit der Abbasiden (750 – 1250) erfolgt die systematische Niederschrift der wichtigsten theologischen Traktate des Islam.

Gottes falsche Anwälte - © Foto: Herder
© Foto: Herder
Buch

Gottes falsche Anwälte

Der Verrat am Islam
Von Mouhanad Khorchide
Herder 2020
256 S., geb., € 22,70

Man spricht von der Epoche der Niederschrift, in der auch die entscheidenden theoretischen Grundlagen zum Thema Herrschaft verfasst worden sind. Deren Autoren, meist persischer Herkunft, waren einer langen Tradition verpflichtet. Ihre Schriften und Übersetzungen ins Arabische sollten für die weiteren Entwicklungen entscheidend sein ‒ nicht nur, was die Praxis der Herrschaft angeht, sondern auch hinsichtlich ihrer theoretisch-theologischen Begründung: der Gleichsetzung des Herrschers mit einem Sprecher Gottes. Diese Entwicklungen sollen verdeutlichen, in welchen historischen Kontexten sich der Islam etablierte und welchen Einflüssen seine Lehre ausgesetzt war. Diese Einflüsse waren kein Produkt des Zufalls, sondern eine von den muslimischen Kalifen und Herrschern gewollte Adaption sassanidischer und byzantinischer Herrschaftsvorstellungen.

Weg zu mutiger Selbstreflexion

Als muslimischer Theologe geht es mir jedoch an erster Stelle darum, die religiösen Strukturen der Unterdrückung und Bevormundung von Menschen im Islam zu untersuchen, um im nächsten Schritt, im zweiten Teil des Buches, zu zeigen, wie sie heute überwunden werden können. Mein Ziel ist es, ein Verständnis vom Islam zu entwerfen, das die Befreiungspotenziale dieser Religion zur Entfaltung bringt. Damit will ich den Diskurs der Schuldzuweisungen und den daraus resultierenden Opferdiskurs unter vielen Muslimen überwinden, um den Weg zu einer mutigen und kritischen Selbstreflexion zu öffnen. Ich möchte mit einem analytischen Blick in die Vergangenheit schauen, um mit einem lösungsorientierten Blick die Zukunft zu betrachten, und Muslimen Wege aufzeigen, wie sie sich von, auch latenten, Unterdrückungsstrukturen befreien können. – In der übernächsten FURCHE-Ausgabe wird dieser Aspekt ausführlicher dargestellt werden.

Zum Teil II der Analyse geht es hier.

Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster. Er ist auch wissenschaftlicher Berater der neuen Dokumentationsstelle Politischer Islam.

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