"Will offenen Islam Propagieren"

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IndonesIen

Pancasila

5 Prinzipien der Staatsideologie im Wappen: 1. All-Eine göttliche Herrschaft (Stern), 2. Internationalismus (Kette), 3. Nation (Baum), 4. Demokratie (Büffel), 5. Soziale Gerechtigkeit (Baumwolle, Reis).

Joko Widodo

Der 56-jährige "Jokodo" ist seit Oktober 2014 Präsident Indonesiens. Der als Vertreter einer Politik des Dialogs Bekannte konnte gleichwohl nicht die Verfolgung seines Parteifreundes Ahok verhindern.

Der Fall Ahok

Brisant ist der Fall des früheren christlichen Gouverneurs von Jakarta, dem Wahlkampfaussagen als Beleidigung des Koran ausgelegt wurden. Anfang Mai wurde Ahok wegen Blasphemie zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl der Staatsanwalt nur eine Bewährungsstrafe verlangt hatte.

Kulturelle Vielfalt

Der Islam hat sich speziell in Indonesien in die vorhandene lokale Kultur eingepflanzt (Bild links: Straßenfest mit Trachten aus der Hindu- Tradition in der Großstadt Yogyakarta auf der Insel Java).

Fatimah Husein

Die islamische Philosophin lehrt an der staatlichen islamischen Universität von SunanKalijaga in Yogyakarta.

Damit der Koran für uns aussagekräftig ist, müssen wir ihn in unserem Kontext verstehen - für uns, die eine lange Zeit später leben.

Um die Aussagen des Koran praktikabel zu machen, muss man sie kontextualisieren. In Indonesien hat sich der Islam durch das kulturelle System hindurch entwickelt, das bereits da war.

Ich sage zu meinen Studentinnen : Es ist gut, dass ihr studiert, denn dies trainiert euch in kritischem Denken. Dieses ist auch beim Verständnis des Koran sehr wichtig.

Zum sechsten Mal waren Ende Oktober Delegationen aus Österreich und Indonesien in Jakarta zum "Indonesia-Austria Interfaith and Intercultural Dialogue" versammelt. Indonesien ist mit mehr als 200 Millionen Muslimen (87 Prozent der Gesamtbevölkerung) das weltweit größte muslimische Land. Die Staatsideologie der "Pancasila" versucht, der Religion einen zentralen Stellenwert zu sichern und gleichzeitig das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen zu gewährleisten. Dem entgegen sind auch in Indonesien, dessen Islam lange Zeit als eigenständig und offen galt, konservative Entwicklungen unübersehbar - nicht zuletzt ist das Straßenbild mehr und mehr von kopftuchtragenden Frauen geprägt. Die islamische Theologin und Philosophin Fatimah Husein gehörte in Jakarta der indonesischen Delegation an. Ein FURCHE-Gespräch über den Islam in Indonesien.

Die Furche: In Europa heißt es oft, ein "europäischer" Islam müsse etabliert werden. Gibt es auch einen "indonesischen" Islam?

Fatimah husein: Schauen wir in die Grundtexte des Islam, den Koran und die Hadithe: Wir Muslime glauben, dass der Koran geschützt ist, dass er ein Text ist, seitdem er geoffenbart wurde. Dann gibt es die Hadithe, die Tradition des Propheten, die von verschiedenen Menschen niedergeschrieben wurde. Der Koran wurde vor 1400 Jahren geoffenbart, und er wurde als Antwort auf bestimmte Umstände geoffenbart. Der Ort dieser Offenbarung hatte bestimmte Traditionen, eine bestimmte Geschichte, ein bestimmtes Klima, es gab bestimmte politische und ökonomische Verhältnisse. Damit der Koran und die Hadithe aber für uns aussagekräftig sind, müssen wir sie in unserem eigenen Kontext verstehen -für uns, die eine lange Zeit später leben. Der pakistanische Theologe Fazlur Rahman (1919-88, Anm.), einer meiner bevorzugten muslimischen Denker, sagte einmal: Natürlich hat der Koran die spezifische rechtliche Sprache jener Zeit. Aber wir müssen diese für unsere Zeit aussagekräftig machen. Wir müssen verstehen, was Rahman als die "ideale Moral" bezeichnete. Diese ideale Moral kann aus dem Koran abgeleitet werden, indem man auf ihn als Ganzes und nicht auf einzelne Verse schaut.

Die Furche: Was meint diese "ideale Moral" konkret?

Fatimah husein: Zum Beispiel in der Frauenfrage: Was sagt der Koran als Ganzes über das Verhältnis von Männern und Frauen? Und dann müssen wir auf die Zeit schauen, in der diese Texte entstanden sind: So werden wir befähigt, daraus die wahre Botschaft abzuleiten. Die ideale Moral kann in die jeweilige Zeit übergeführt werden. Es geht also um eine überzeitliche Sicht und nicht um spezifische rechtliche Ausdrucksweisen für den Kontext, in dem diese Texte geoffenbart wurden. In diesem Sinn sind wir stolz, einen "indonesischen" Islam zu haben, der für unsere Verhältnisse aussagekräftig ist.

Die Furche: Dieser Islam unterscheidet sich also von dem in den arabischen Ländern.

husein: Nehmen Sie Saudi-Arabien -dort wurde der Koran geoffenbart, er ist in der Sprache von dort verfasst: Viele dort denken, sie hätten die Autorität, den Koran für alle zu interpretieren. Aber ich bin überzeugt, dass auch sie ihre eigene Tradition und eigene Kultur haben, ihr Klima und ihr politisches System, das die Art und Weise beeinflusst, wie sie den Islam verstehen. Das hat mit ihrer Geschichte wie mit ihrer intellektuellen Tradition zu tun. Sie versuchen, den Koran wörtlicher auszulegen und glauben, dass sie näher an dessen wahrem Inhalt sind. Aber das ist in unserem Verständnis eigentlich unmöglich, denn um die Aussagen des Koran praktikabel und anwendbar zu machen, muss man sie kontextualisieren. In Indonesien hat sich der Islam durch das kulturelle System hindurch entwickelt, das bereits da war. Da gibt es die Tradition lokaler Feste, und die Menschen, die den Islam nach Indonesien gebracht haben, haben diese Traditionen verwendet, um den Islam einzuführen. In diesem Sinn ist es unmöglich, den Islam von der Kultur zu trennen.

Die Furche: In Indonesien findet man überall Bilder und Darstellungen, die auf die Hindu-Mythologie und deren Götter verweisen -im ersten Augenblick meint man, eine synkretistische Religion vor sich zu haben.

husein: Es gibt natürlich Grenzen zwischen Glauben und Kultur. Wir respektieren die lokale Kultur und wollen ihren Reichtum zeigen. Das ist allgemein akzeptiert und gehört zu dem, was Indonesien ausmacht. Das heißt natürlich nicht, dass wir an die Lehren anderer Religionen glauben. Wir haben keine Probleme damit, ins Ramayana Ballett zu gehen, das eine Darstellung des Epos über den indischen Prinzen Rama ist. Wir unterscheiden das von dem, was unser Glaube ist. In einem Hadith heißt es: Du wirst nach deiner Intention gerichtet. Gott weiß, was das Beste ist. Warum sind wir dann so besorgt, dass das Synkretismus ist? Wenn wir an die Lehren des Islam glauben, dann müssen wir nicht zu besorgt sein.

Die Furche: Aber diese Ansicht wird nicht überall in der islamischen Welt so gesehen: In Afghanistan zerstörten Taliban-Kämpfer historische Buddha-Statuen, in Nordafrika machten IS-Kämpfer uralte Heiligen-Gräber dem Erdboden gleich, und in der syrischen Stadt Palmyra wurden Ausgrabungen demoliert. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann haben diese Zerstörer einen schwachen Glauben, weil sie meinen, dass Gott durch jahrtausendealte Statuen angegriffen wird.

husein: Ich würde nicht schwacher Glaube sagen, sondern es ist ein Glaube, der in seinem Verständnis der Lehren zu strikt ist. Im Koran heißt es: Wenn Gott wollte, könnte er uns alle zu einer Nation von Gläubigen machen, aber Gott hat uns alle zu "Völkern und Stämmen" gemacht, zu verschiedenen Gemeinschaften, dass wir einander kennenlernen und voneinander lernen. Warum sind wir so besorgt, dass unser Glaube vergiftet werden könnte? Es gibt Stellen im Koran, die gegen Christen oder gegen Juden harsch sind. Aber man muss wissen, aus welchem Anlass diese Verse geoffenbart wurden. Auch in Indonesien gibt es Muslime, die diese Aussagen wörtlich nehmen. Aber im Allgemeinen ist das nicht so. In der Stadt Semarang in Zentraljava stehen eine riesige Pagode, ein monumentaler konfuzianischer Schrein, ein großer Hindu-Tempel und eine der größten Moscheen in Indonesien an einem Ort nebeneinander -nicht als Museum, sondern als Orte des Gebets. Das ist Indonesien, auch wenn man zurzeit darüber besorgt sein kann, dass die Zahl derer, die den Islam exklusivistisch verstehen, zunimmt. Aber ich sehe es als meine Aufgabe als Universitätslehrerin an, einen offenen Islam zu propagieren.

Die Furche: Zur Frage Islam und Frauen: Wie ist diese im Licht Ihrer Überlegungen zur Kontextualisierung zu sehen?

Husein: Das Verhältnis von Männern und Frauen ist ein wichtiges Thema der Islam-Diskussion. Der Koran spricht darüber auf eine Weise, die verschieden interpretiert werden kann. Wenn wir auf den Ort und die Umstände schauen, in denen der Koran geoffenbart wurde, waren die Frauen in einer sehr, sehr niedrigen Position. Ein Mann konnte zu jener Zeit so viele Frauen heiraten, wie er wollte. Der Koran regelte das neu. Und er ging von vaterlosen Kindern aus: Weil man nicht sicher war, ob diese versorgt werden würden, kann ein Mann bis zu vier Frauen heiraten. Aber der Koran sagt gleichzeitig: Wenn du nicht alle Frauen gerecht behandeln kannst, dann heirate nur eine. Und - auch hier folge ich den Überlegungen des erwähnten Theologen Rahman -wenn man den Kontext der Offenbarungen in verschiedenen Versen berücksichtigt, so kann man auch lesen: Du kannst nicht zu allen deinen Frauen gleich gerecht sein, so sehr du dich auch darum mühst. Wenn man das so sieht, dann ist meine Religion sehr strikt, was die Ehe betrifft. Natürlich gibt es andere Gelehrte -auch Kollegen auf der Universität, die in einer sehr patriarchalen Gesellschaft aufgewachsen sind - die das anders sehen. Aber wir Frauen müssen das immer wieder aufs Tapet bringen.

Die Furche: Aber wie können Sie die patriarchalen Auslegungen überwinden?

Husein: Auf unserer Universität gibt es ein Zentrum für Frauenstudien, wir bieten Vorlesungen und Seminare zu Gender-Gerechtigkeit an. In der Vergangenheit sagten die Männer auf der Universität: Wir sind neutral, wir diskriminieren Frauen nicht. Aber unser Ausgangspunkt ist nicht der gleiche wie der der Männer. Während der Jahre, in denen wir Kinder gebären und aufziehen, können wir nicht das Gleiche tun wie unsere männlichen Kollegen. Daher haben wir gefordert, dass es auf der Universität Kinderbetreuung gibt. In den Familien ist es aber noch viel schwieriger. Wir treffen dort auf Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungen, unterschiedlicher Ausbildung und auch unterschiedlicher politischer Agenda.

Die Furche: Wie äußert sich das konkret?

Husein: Vor kurzem geisterte das Foto eines bekannten jungen muslimischen Predigers mit seinen drei Frauen durch die Social Media. Es gab von Frauen, aber auch einigen Männern Kritik an diesem Posting: Was willst du damit sagen? Dass es gut ist, drei Frauen zu haben? Aber an den Pesantren, den islamischen Internaten, wollen auch Frauen den Segen von den Ulama bekommen -und sind bereit die, Zweit-oder Drittfrau zu werden. Von daher ist es wichtig, Frauen gut auszubilden, es gibt eine Reihe von Frauen-NGOs, die genau das tun. Aber ich höre ja auch aus Österreich, dass Frauen längst noch nicht gleichberechtigt sind. Zweifellos müssen wir da unsere Hausaufgaben noch ordentlich machen.

Die Furche: In den europäischen Debatten wird mitunter argumentiert, die Gender- Diskussion sei ein westlicher Luxus.

Husein: Auf der Universität leitete ich ein Master-Studienprogramm gemeinsam mit neun Männern. Wir hatten eine Sitzung, und die Männer machten sehr sexistische Witze. Ich habe kein Wort gesagt, sondern meine Sachen zusammengepackt und bin gegangen. Bei der nächsten Sitzung war es genauso, und als ich wieder aufstand, fragte mich der Direktor: Warum gehst du? Solange ihr diese sexistischen Witze macht Das nächste Mal machten sie diese Witze immer noch, aber sie flüsterten miteinander Man sieht also, es ist schwer, aber man muss standhaft bleiben und klarmachen, dass du diese Witze nicht magst. Unglücklicherweise wissen auch manche Frauen nicht, wie sie auf derartige Witze und Diskussionen reagieren sollen.

Die Furche: Oft wird gesagt, dass Bildung mehr Frauen befähigt, richtig zu reagieren.

Husein: Sogar in meinem Institut für Philosophie, wo es immer wenige Studentinnen gab, studieren heute mehr Frauen. Und ich sage meinen Studentinnen: Das ist gut, denn dieses Studium trainiert euch in kritischem Denken. Kritisches Denken -auch beim Verständnis des Koran -ist sehr wichtig. Das wird auf lange Sicht ihr Verständnis der Familie und ihres Leben beeinflussen.

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