Der Islam Teil Europas?

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Damit sich der Islam in Europa eingliedert, muss neben der Frage nach den sozialen auch die Frage nach den theologischen Herausforderungen thematisiert werden.

Mit seiner Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland" sorgte der deutsche Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede zur 20-Jahr-Feier der deutschen Einheit für eine große Diskussion. Für die einen war diese Aussage ein Signal der Anerkennung des Islam als Teil Europas, für die anderen eine Provokation und Bestätigung der Ängste vor einer Islamisierung Europas.

In Europa leben heute ca. 17 Millionen Muslime, mehr als ein Drittel davon sind hier in Europa geboren und aufgewachsen. Für viele dieser Muslime ist Europa nicht mehr ihre zweite, sondern erste Heimat. Neben den sozialen Herausforderungen, die bewältigt werden müssen, um Muslime, die großteils Mitte des vorigen Jahrhunderts als Gastarbeiter nach Europa gekommen sind, in die europäischen Gesellschaften einzugliedern, stellt sich die Frage nach den theologischen Herausforderungen an den Islam, um Teil Europas zu werden. Wie muss sich der Islam verändern, um "europatauglich" zu werden?

Mehrfach wird die Forderung nach einem europäischen Islam gestellt, einem Islam, der nicht mit den europäischen Werten in Widerspruch steht. Die Vermischung gesellschaftspolitischer Tatsachen in vielen islamischen Ländern, wie fehlende Demokratien, fehlende Religionsfreiheit, Missachtung von Menschenrechten usw. mit den Ansprüchen des Islam selbst führt mehrfach zu Missverständnissen, die die Muslime in Europa in eine Rechtfertigungsecke gedrängt haben. Zudem fehlen in Europa institutionelle akademische Rahmenbedingungen, die den Muslimen eine sachliche Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie ermöglichen. Das Vorhandensein eines einzigen akademischen Lehrstuhls in Österreich für die Ausbildung von Religionslehrkräften für den islamischen Religionsunterricht etwa ist viel zu wenig, um sich mit der islamischen Theologie in all ihrer Vielfalt und mit den Fragen, die an den Islam herangetragen werden, reflexiv auseinanderzusetzen und einen aufgeklärten innerislamischen Diskurs zu etablieren.

Ein Islam für Europa?

Viele Muslime haben eine Scheu vor dem Begriff "Euro-Islam" bzw. "Europäischer Islam". Ihre Verunsicherung betrifft keineswegs eine theologische Debatte, sondern es handelt sich im Grunde um eine Identitätsverunsicherung; mehrfach ist zu hören: "Islam ist Islam, egal wo. Es gibt nicht einen arabischen, einen türkischen und einen europäischen Islam". Dies widerspricht jedoch der Wirklichkeit der islamischen Vielfalt. Fragt man heute z. B. in Indonesien, was man dort unter "Scharia" versteht, bekommt man andere Antworten, als in Saudi Arabien, oder in Nordafrika. Um die Diskussion um einen europäischen Islam sachlich zu führen, muss zwischen statischen Elementen im Islam, wie dem Monotheismus, dem Glauben an den Propheten Mohammed und den Koran, dem Gottesdienst auf der einen Seite und dynamischen Elementen, die vor allem die Gesellschaftsordnung betreffen, auf der anderen Seite unterscheiden. Auch Ersteres beinhaltet dynamische Elemente, die vom Kontext abhängig sind: ein Reisender bzw. ein Kranker ist z. B. im Ramadan von der Pflicht des Fastens befreit, er darf auch seine Gebete zu einem späteren Zeitpunkt beten. Auch sind sich die islamischen Dogmatik- und Rechtsschulen in vielen Fragen, die das Gottesbild und Gotteshandeln betreffen sowie in Fragen der Ausführung der Gottesdienste, nicht einig.

Zwei Herausforderungen

Ein Islam, der den Anspruch stellt, Teil Europas zu sein, steht heute vor zwei Herausforderungen: Zum einen geht es um die Frage nach der Anpassung der dynamischen Aspekte im Islam an das Leben der Musli-me in einer modernen pluralen Gesellschaft und zum anderen geht es um die Vermittlung eines Islambildes, das von europäischen Muslimen akzeptiert wird. Ich fange mit dem zweiten Aspekt an, da dieser in der Regel kaum thematisiert wird, obwohl er die islamische Theologie unmittelbar betrifft. Es geht um das Gottes- und Menschenbild, das meist von traditionellen islamischen Gelehrten und Imamen vermittelt wird. Sie vermitteln das Bild eines autoritären Gottes, der seine Befehle herabgesandt hat, um angebetet und verherrlicht zu werden. Die Menschen hätten diese Befehle unhinterfragt hinzunehmen und sie zu befolgen. Wer widerspricht, auf den warte das Höllenfeuer. Gerade junge Muslime, die hier in Europa aufgewachsen sind und das kritische Hinterfragen gewohnt sind, können mit diesem Gottesbild nicht viel anfangen und gehen daher mehr oder weniger auf Distanz zur Religion.

Im Koran beschreibt sich Gott als der absolut Barmherzige. Er ist zugleich vollkommen und allmächtig und braucht daher keinen Menschen, der ihn anbetet oder verherrlicht. Seine Barmherzigkeit lässt sich nicht relativieren. Alleine aus seiner Barmherzigkeit heraus erschuf er den Menschen. Und weil Gott barmherzig ist, will er das Beste für den Menschen, ist auf seiner Seite, freut sich, wenn der Mensch sich freut und ist traurig, wenn es dem Menschen nicht gut geht. So heißt es in einer Erzählung des Propheten Mohammed: "Am Jüngsten Tag wird Gott zu einem sagen: 'Ich war krank und du hast mich nicht besucht, ich war hungrig und du hast mir nichts zu essen gegeben, ich war durstig und du hast mir nichts zu trinken gegeben'. Daraufhin wird der Mann fragen: 'Aber du bist Gott, der Allmächtige, wie kann es sein, dass du krank, hungrig oder durstig warst?'. Da wird Gott zu ihm sagen: 'Am Tag so und so war ein Bekannter von dir krank und du hast ihn nicht besucht, wenn du ihn besucht hättest, hättest du mich dort gefunden, am Tag so und so war ein Bekannter von dir hungrig und du hast ihm nichts zu essen gegeben ?" Mit anderen Worten: Wir Menschen sind Gott nicht gleichgültig. Demnach sind religiöse Gebote keine Befehle, die der Mensch auszuführen hat, damit sich Gott in seiner Herrlichkeit bestätigt fühlt, sondern aufgezeigte mögliche Wege als Angebot an uns Menschen, damit es uns besser geht. Und Gott will, dass es dem Menschen gut geht, dass er im Dies- und Jenseits glücklich ist. Dieses Bild eines barmherzigen Gottes, der auf der Seite des Menschen ist, spricht muslimische Jugendliche viel mehr an als das Bild eines strafenden Gottes, mit einer langen Liste an Dingen, die den Menschen in die Hölle bringen. Entsprechend diesem Bild vom barmherzigen Gott ist der Mensch ein mündiges Wesen, das angehalten ist, auch religiöse Traditionen kritisch zu hinterfragen, statt ihnen nur blind zu folgen.

Ein Islam jenseits einer Gesetzesreligion

Gelehrte der islamischen Jurisprudenz waren bemüht, ein juristisches Schema zu entwerfen, das möglichst alle Lebensbereiche erfassen soll. Aus dem Islam wurde eine "Gesetzesreligion", aus dem Koran ein juristisches Buch. Dies geschah auf Kosten spiritueller und ethischer Aspekte im Islam. Der Islam kann ein Teil Europas sein, wenn Muslime nicht den Anspruch auf ein Parallelrecht stellen. Dies setzt eine historische Lesart der einzelnen juristischen Regelungen im Koran und in der prophetischen Tradition (Sunna), die die Gesellschaftsordnung betreffen, voraus. Demnach soll es heute nicht um die wortwörtliche Übertragung einzelner juristischer Regelungen, die aus dem historischen Kontext des 7. Jahrhunderts auf der arabischen Halbinsel gewachsen sind (z. B. im Strafrecht) gehen, sondern um das Streben nach der Verwirklichung allgemeiner koranischer Prinzipien, im Koran sind folgende Prinzipien zu finden: Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit, Unantastbarkeit der menschlichen Würde und die soziale Verantwortung. Diese decken sich mit demokratischen Grundsätzen, wie wir sie in den Gesellschaften Europas kennen.

Damit sich islamisch-theologische Diskurse etablieren können, die um ein offenes Islambild bemüht sind, müssen die notwenigen institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Geeignete Orte hierfür wären einheimische Hochschulen und Universitäten. Diese bieten nicht nur den akademischen Rahmen für eine sachliche Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen, sondern auch die Möglichkeit des interreligiösen/interdisziplinären Austausches. Die Entscheidung der deutschen Regierung, islamische theologische Zentren in Deutschland aufzubauen, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Auch in Österreich wäre solch ein Schritt ein Beitrag zur Einbindung des Islam als Teil Österreichs.

* Der Autor ist islam. Religionspädagoge an der Uni Münster

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