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Gleich nach den Anschlägen des 11. September gab es wenige, die den Islam an sich anzugreifen wagten. Auch der interreligiöse Dialog zwischen Christen und Muslimen ist ins Gerede gekommen.

Seit dem 11. September 2001 ist das Interesse am "interreligiösen Dialog" zwischen Christen und Muslimen sowie die öffentliche Resonanz auf diesbezügliche Veranstaltungen jäh emporgeschnellt. Was das Nachrichtenmagazin Der Spiegel etwa im Dezember 2001 konstatiert hat, gilt noch immer. Und es steht auch noch immer als Provokation im Raum, was damals unter der Überschrift "Der verlogene Dialog" weiter ausgeführt wurde:

Gutmeinende Christenmenschen würden den Dialog als Allheilmittel anpreisen und eifrig nach dem Guten im Glauben der anderen, der Muslime suchen. Aus Angst, sich gegenüber der fremden Religion als intolerant zu zeigen oder des Fremdenhasses verdächtigt zu werden, fehle ihnen jedoch der Mut, die kritischen Punkte offen und konkret beim Namen zu nennen. Eilfertig würden sie versichern, der Islam habe mit Terrorismus nicht das Geringste zu tun - und gebetsmühlenartig schärfen sie die Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus ein. Sie würden christliche Missetaten vergangener Jahrhunderte geradezu lustvoll bekennen - und zugleich den Islam als eine im Grunde tolerante Religion preisen. Kurz: Durch die Naivität christlicher Gutmenschen sei der interreligiöse Dialog zu einer groß angelegten "multireligiösen Schummelei" verkommen.

Biedere Dialog-Christen?

Im Folgenden versuche ich aus der Perspektive der christlichen Theologin über Bedingungen einer authentischen Begegnung mit dem Islam zu reflektieren. Dabei begreife ich christliche Identität allerdings wesentlich aus ihrer dialektischen Beziehung zu ihrer älteren jüdischen Schwester. Mein Ausgangspunkt ist die soeben angesprochene Kritik an der Naivität christlicher Dialogbemühungen, die in der deutschen Öffentlichkeit gegenwärtig am pointiertesten von Bassam Tibi zum Ausdruck gebracht wird. Auch der genannte Spiegel-Artikel beruft sich auf ihn.

Seine Stimme ist schon deshalb besonders interessant, weil ihm als Muslim wohl kaum vorgeworfen werden kann, er würde ein "Feindbild Islam" beschwören. Die Naivitäten des christlichen Gegenübers deckt er vielmehr aus der muslimischen Innenperspektive auf. Seine in zahlreichen Buchveröffentlichungen vertretenen Argumente hat er im Mai 2002 in der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Titel "Selig sind die Belogenen" auf den Punkt gebracht.

Ich greife die These Bassam Tibis heraus, die mich bei der Lektüre seiner Texte zu meinen Überlegungen provoziert hat. Tibi stellt es mit aller wünschenswerten Deutlichkeit heraus: Bieder-korrekte Dialogchristen würden den Muslimen eine gemeinsame Basis unterstellen - von der sich diese jedoch höchstens aus taktischen Gründen nicht distanzieren. Die Christen bewegen sich auf dem Boden einer kulturell und religiös pluralistischen, demokratischen Gesellschaftsordnung - und verstehen unter Dialog den diskursiven Austausch gleichberechtigter Partner, der die reziproke Anerkennung der Standpunkte voraussetzt. Die Muslime dagegen - und zwar nicht bloß die Islamisten, sondern auch die Vertreter des orthodoxen Islam - seien noch längst nicht in dieser pluralistischen Moderne angelangt. Überzeugt von der göttlichen Absolutheit ihrer eigenen Anschauungen, ist das, was die Christen als Dialog bezeichnen, für sie konsequenterweise höchstens die Gelegenheit zur Missionierung der Ungläubigen.

Wahrheitsanspruch?!

Nicht um den Islam auszugrenzen, deckt Bassam Tibi dies auf, sondern im Gegenteil, um dem Euro-Islam den Weg zu bereiten. Er hält es für möglich, muslimische und europäische Identität miteinander zu vereinen, gibt jedoch klare Kriterien für einen Euro-Islam an. Tibi: "Eine erfolgversprechende Lösung kann nur darin bestehen, den Islam von seinem universalistischen Absolutheitsanspruch zu befreien und ihn an die pluralistische europäische Moderne anzupassen ... Religiöser Absolutismus und missionierende Einstellungen müssen zugunsten der Loyalität gegenüber der säkularen Zivilgesellschaft und pluralistischer Demokratie aufgegeben werden."

Was provoziert mich als Theologin an Bassam Tibis These? Zunächst frage ich mich, ob denn das Christentum, dort wo es noch authentisch ist, die Kriterien erfüllt, die Tibi für die Europa-Tauglichkeit des Islam aufstellt. Tibi scheint dies selbstverständlich vorauszusetzen. Es mag ja durchaus sein, dass das Christentum und seine theologische Reflexion sich weithin so anschmiegsam und modernitätsverträglich erwiesen haben, wie dies die Kriterien Tibis als wünschenswert erscheinen lassen.

Können aber die, die sich zu einer monotheistischen Religion bekennen, den Anspruch der einen und unbedingten Wahrheit getrost fahren lassen - und friedlich und sanft in einer pluralen, multikulturellen und multireligiösen Landschaft untertauchen? Ich bin geneigt, diese Frage mit einem entschiedenen Nein zu beantworten.

Damit möchte ich jedoch gewiss nicht die Differenz verwischen: Zwischen einerseits einer Religion, die sich, im Falle des Christentums, irreversibel dem Experiment der Aufklärung ausgeliefert hat - und andererseits einer Religion, die, im Falle des Islam, in ihrer Mehrheit noch vor der Entscheidung steht, ob sie sich überhaupt in Richtung pluralistischer Moderne aufmachen, oder ob sie in ihrer Abschottung verharren wird. Die Differenz darf nicht verwischt werden:

Zwischen einerseits einer Religion, die schmerzlich gelernt hat, sich vom Anspruch auf politische Macht zu lösen und sich in ein kritisches Verhältnis zur eigenen Gewaltgeschichte zu setzen - und andererseits einer Religion, in der die Mehrheit ihrer Gläubigen theokratische Verhältnisse durchaus für wünschenswert erachtet.

Ich bestreite auch nicht, dass auf dem Boden demokratischer Zivilisation nur eine Religion akzeptiert werden darf, die vollständig auf jede Gewalt zur Durchsetzung ihres Wahrheitsanspruchs verzichtet. Die Fähigkeit, konkurrierende Glaubensüberzeugungen und Wahrheitsbehauptungen respektvoll wahrzunehmen und sich argumentativ zu ihnen in Beziehung zu setzen, ist die Mindestanforderung, die eine demokratische Gesellschaft den Religionen abzuverlangen hat.

Was ich jedoch sehr wohl möchte, ist nochmals genauer zusehen, was das Verhältnis von monotheistischen Religionen zu den so genannten "Werten der demokratischen Zivilisation" betrifft.

Habermas ganz neu

Jürgen Habermas hat in seiner Friedenspreis-Rede 2001 dazu mit einer Analyse überrascht, die sich deutlich von früheren Ausführungen abhebt. Auch früher wusste Habermas, dass das moderne Europa wesentlich als säkulares Erbe der jüdisch-christlichen Tradition zu begreifen ist. Da auch die Überlieferungsleistung des Islam mitzubedenken ist, die das antike griechische Erbe dem Vergessen entrissen hat, sind alle drei monotheistischen Religionen tief ins europäische Fundament eingelassen.

Die Ideen von Freiheit und solidarischem Zusammenleben, autonomer Lebensführung und Emanzipation, Demokratie und Menschenrechten begreift Habermas als die Übersetzung des religiösen Erbes in universale, diskursiv vermittelbare Vernunftkategorien.

Religion ist nicht am Ende

Beim früheren Habermas konnte es scheinen, als wäre diese Übersetzungsarbeit früher oder später erledigt - als käme irgendwann der Punkt, an dem das "semantische Potenzial" der Religion ausgeschöpft wäre. Diese würde dann wie eine ausgebrannte Raketenstufe überflüssig geworden sein.

Beim Habermas der Friedenspreisrede klingt dies anders. Es mag sein, dass ihn der Schock des 11. September - der unvermutete Einbruch der Religion in ihrer gewalttätigen Form in die säkulare Gesellschaft - zur Wortschöpfung von der "post-säkularen Gesellschaft" trieb. Sie weist aber auch auf etwas hin, was beim früheren Habermas so nicht deutlich ist: Nicht nur den Glaubenden ist zugemutet, ihre religiösen Überzeugungen in säkulare Sprache zu übersetzen, wenn sie in demokratischer Öffentlichkeit gehört werden wollen. Sondern es gilt auch, dass sich die säkulare Gesellschaft nur dann nicht von wichtigen Quellen der Sinnstiftung abschneidet, wenn sie sich ein Gefühl für die Kraft religiöser Sprache bewahrt. Religion

wgionahrt. Religion wäre so nicht irgendwann überholt, "aufgehoben" - sondern die demokratische Ordnung wäre um der von ihr verteidigten Werte, wie der gleichen Würde aller Menschen, willen auf den bleibenden kritischen Widerstand der Religion verwiesen.

Religion - so meine These -, die nicht längst sich selbst relativierend aufgegeben hat, vermag der pluralen Demokratie nicht die Provokation des Absoluten zu ersparen. Es geht dabei nicht bloß um den Selbstbehauptungsreflex der (christlichen) Religion, sondern um Bestand oder Untergang dessen, worauf die demokratische Ordnung letztlich baut: auf Humanität und Menschenwürde. Die Provokation des Absoluten vermag die monotheistische Tradition der (post-)modernen Welt nur um den Preis zu ersparen, dass in der Konsequenz auch aus der Rede von Humanität jeder substanzielle Gehalt ausgetrieben wird.

Konsequenz für den Dialog

Was ist die Konsequenz für den interreligiösen Dialog: Bereuen es glaubende Christen, sich dem Experiment der Aufklärung ausgesetzt zu haben, weil sie daraus zumindest im europäischen Raum als gesellschaftliche Marginalie hervorgegangen sind? Möchten die moralisch erschöpften Christen Europas sich dem Islam anbiedern, um aus seiner Vitalität neue Lebensgeister zu beziehen? Oder möchten sie gerade das Gegenteil: sich fundamentalistisch sowohl gegen Ursurpation durch das Fremde, als auch gegen weitere säkulare Zersetzung zur Wehr setzen?

Wofür ich klar plädiere, ist die Ökumene der monotheistischen Religionen. Gewiss nicht im Sinn "interreligiöser Schmusestunden", die Bassam Tibi zu Recht für entbehrlich erachtet. Auch nicht im Sinne einer Ökumene des kleinsten gemeinsamen Nenners, der harmlos naiv eine Familienähnlichkeit voraussetzt - und alles, was das Unterscheidende des Eigenen wie das Befremdliche des Anderen ausmacht, verschämt unter den Tisch wischt. Wofür ich plädiere ist eine dialektische Ökumene, die sich gerade der Differenz, dem Andersein des anderen aussetzt - und das Eigene unverstellt und unverkürzt zumutet. Es geht darum, sich ein differenziertes theologisches und historisches Wissen über den jeweils anderen anzueignen und offensiv und produktiv um das zu streiten, was den Wesenskern des Monotheismus ausmacht.

Dreimal: Gott ist einzig

"Es gibt keinen Gott außer Allah, Muhammad ist der Gesandte Gottes", lautet das Glaubensbekenntnis der Muslime. "Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst neben mir keine anderen Götter haben", lautet des erste Gebot der Juden und Christen. Die göttliche Einheit und Einzigkeit ist allen drei Religionen gleichermaßen heilig.

Das Bekenntnis zur göttlichen Einheit und Einzigkeit trägt in sich schon den universalen Anspruch der monotheistischen Religionen. Gott ist entweder der Gott aller Menschen, oder er ist nicht Gott. Ein Gott, der nur für eine Teilwirklichkeit oder nur für eine partikuläre Menschengruppe zuständig wäre, kann im Sinne der monotheistischen Religionen höchstens als Götze entlarvt werden. Zu streiten bleibt freilich, wie ein solcher universaler Anspruch zu verwirklichen ist.

In der Heiligen Schrift der Juden und Christen wird das erste Gebot, "Du sollst keine anderen Götter neben mir haben", eingeleitet mit dem Satz "Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus." Das Bekenntnis zum Einzigen geht in eins mit der Befreiung von allen Mächten und Gewalten, die den Menschen beherrschen. Die innerste Aussage des biblischen Monotheismus lautet: Nichts soll über den Menschen versklavend dominieren. Er ist per se die Relativierung aller falschen Absolutheitsansprüche. Und dieses Kriterium der Befreiung darf im Dialog mit dem Islam nicht preisgegeben werden.

Damit komme ich nochmals zum Kernpunkt der Überlegungen zurück: zum Verhältnis von Monotheismus und Demokratie, um das es gerade in einem aufrichtigen Dialog mit dem Islam zu streiten gilt. Ausgehend von Nietzsche zieht sich durch die europäische Geistesgeschichte der letzten zwei Jahrhunderte die radikale Antithese, das große Lob des Polytheismus, von Richard Rorty wird es gegenwärtig fortgesetzt. Der Monotheismus vergewaltige die Menschen unter das Diktat der einen Norm und der einen nicht-perspektivischen Wahrheit. Nur wenn wir uns davon entschieden lossagten, könnten wir die Vision der Griechen wiedergewinnen, in der "der eine Gott nicht die Leugnung oder Lästerung des anderen Gottes" war. Und nur unter einem solchen Himmel würde sich der Raum eröffnen, in dem das Individuum frei atmen könne und in dem es "zur größtmöglichen Vielfalt frei gewählter Lebensweisen ermutigt" werde. Nur wenn wir uns entschieden von allen Ansprüchen auf Einzigkeit und Ausschließlichkeit verabschiedeten, sei eine tragfähige soziale Ordnung in einer pluralen Gesellschaft, wie auch eine Friedensordnung in einer multikulturellen Welt möglich.

Wider den Polytheismus

In Umkehrung derer, die glauben, das Lob des Polytheismus um der Demokratie anstimmen zu müssen, möchte ich aber formulieren: Das ist der Wesenskern der monotheistischen Religionen, der im Gespräch mit dem Islam geltend gemacht werden muss: Es ist gerade das Bekenntnis zum einen und einzigen Gott, dass den Himmel offen hält, unter dem sich der Mensch frei und aufrecht erheben kann - und unter dem es möglich wird, Pluralität und Verschiedenheit anzuerkennen und zu bejahen. Damit aber verbietet sich jede, auch jede religiös motivierte, autoritäre Herrschaft des Menschen über den Menschen. Glaubwürdig vertreten kann man eine solche Option tatsächlich nur im kritischen Wissen um die schreckliche Geschichte des Missbrauchs des Monotheismus zur Legitimation von Herrschaftsansprüchen - und zwar sowohl auf christlicher, wie auch auf muslimischer Seite.

Könnte aber damit der aufrichtige Dialog von Christen mit Muslimen nicht doch entscheidend mehr leisten, als ihm der Spiegel und Konsorten zuzutrauen scheinen - nämlich die verlogene multireligiöse Schummelei? Könnte nicht gerade der aufrechte Dialog unter den monotheistischen Religionen zur entscheidenden Vermittlungsleistung werden, die für die Muslime, ohne, dass diese sich selbst aufgeben und verraten müssten, die Brücke in ein demokratisches Europa schlägt?

Die Autorin ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Passau.

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