Zwei Gesichter des Islam Titel

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Bassam Tibi rät zum Dialog mit dem liberalen Islam als Mittel gegen den Fundamentalismus.

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Bassam Tibi rät zum Dialog mit dem liberalen Islam als Mittel gegen den Fundamentalismus.

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Entgegen vielen Vorurteilen war das deutsche Sprachgebiet stets eine nach außen offene Region. Nicht zuletzt dadurch, dass zumindest Teile des Balkans und Osteuropas auf die eine oder andere Weise eng mit ihm verbunden waren, kamen seit jeher Migranten aus dem Osten und Südosten, wobei die Wanderung oft auch in die andere Richtung stattfand. Als dynamische Elemente stellten sie stets eine Bereicherung dar.

Das neue Problem der letzten 30 Jahre entsteht durch die Einwanderung von Menschen islamischer Religion. Bassam Tibi behandelt in "Der Islam in Deutschland, Muslime in Deutschland" präzise die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben. Tatsächlich bereiten auch in Österreich Muslime als Zuwanderer mehr Kopfzerbrechen als die uns kulturell weit fremderen Chinesen.

Auch andere EU-Staaten haben einen hohen Anteil muslimischer Einwanderer. England ignorierte lange das Problem, denn ein protestantischer Leitsatz war immer schon die Freiheit der Religion. Was die Muslime in ihren Ghettos glaubten, war kein britisches Problem. Das veranlasste exaltierte islamistische Sprecher, Großbritannien zum muslimischen Brückenkopf für die Eroberung Europas zu erklären. Frankreich integrierte die kulturell und wirtschaftlich wohlhabenden und gebildeten muslimischen Nordafrikaner und schob die muslimischen Arbeiter in Schlafstädte ab. Bei wachsender Arbeitslosigkeit bildeten sich islamistische Gruppen, die spektakuläre Terroranschläge verübten. Seit Frankreich Verdächtige in aller Stille nach Algerien abschiebt, ist das Problem unter Kontrolle. Heute besteht es eher in kriminellen Organisationen der Schlafstädte.

Die Deutschen gelangten angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit noch nicht zu einem kohärenten Verständnis ihrer kulturellen Identität. Daher fällt es ihnen schwer, mit Fremden umzugehen, die nach einem anderen Wertesystem leben, meint Bassam Tibi, der muslimische Deutsche syrischer Abstammung, der in der Lage ist, die Sache von beiden Seiten zu sehen. "Überall dort, wo Muslime leben, beansprucht der Islam unbedingte Geltung für sich": Das resultierte, so Tibi, aus der Entwicklung, welche der Islam im Unterschied zum Katholizismus nahm. Vor rund tausend Jahren kamen die Ideen der griechisch-persischen Antike, die zur europäischen Renaissance führten, über muslimische Intellektuelle zu uns. Während hier die Renaissance und damit die religiöse Toleranz gegen die Inquisition die Oberhand gewann, siegte im Islam die Inquisition.

Integrationsverbot Ursprünglich erhoben beide Religionen den gleichen absoluten Anspruch auf exklusive Geltung. Selbst heute haben Teile der Katholischen Kirche noch Schwierigkeiten mit der Ökumene. Der Widersinn der deutschen Haltung zu Muslimen besteht darin, dass prinzipiell tolerante Deutsche und Österreicher nicht wissen, wie sie sich gegenüber der islamischen Intoleranz verhalten sollen.

Nach muslimischem Selbstverständnis ist jede Migration nicht bloß eine Wanderung von einem Ort zu einem anderen. Scheich Abd al-Aziz al-Siddiq habe eine "Fetwa", also ein religiös verbindliches Gutachten ausgestellt, in dem er zur Migration nach Europa aufruft, um den Islam durch diesen friedlichen Djihad zu verbreiten.

Dem Muslim sei es verboten, erklärt der Autor, sich auf Dauer einer nicht-islamischen Ordnung zu unterwerfen. Doch "Türken und andere Muslime in Deutschland sind auf Dauer hier ... sie müssen sich einer säkularen, also nichtislamischen Verfassung unterwerfen."

Tibi beklagt, dass es in Deutschland, im Gegensatz zu Frankreich, weder einen Reformislam gibt, noch auf deutscher Seite Verständnis für die Notwendigkeit einer Integration von Muslimen als vollberechtigte Bürger. Dadurch gelingt es Islamisten, "das Monopol auf die Vertretung der Interessen aller Muslime in Deutschland" zu erhalten. Das bedeute aber in der Praxis, dass die beiden Seiten sich von einander entfernen: "Die indifferente Toleranz der Deutschen wird dann in massive Fremdenfeindlichkeit umschlagen."

Knackpunkt ist der Versuch der Islamisten, die Möglichkeiten des Grundgesetzes auszunützen und sich als Kirche anerkennen zu lassen, mit allen Vorteilen, die eine solche Stellung mit sich bringt. Doch im Islam, stellt Tibi fest, hat es nie eine Kirche nach europäischem Muster, also mit zentralistischem Apparat, gegeben. Statt dessen finde man, über die Teilung in Schiiten und Sunniten hinaus, eine Vielzahl lokaler Varianten und Sekten. Doch es sind meist die gut organisierten Fundamentalisten, die sich bei Verhandlungen mit deutschen und österreichischen Instanzen in den Vordergrund drängen und so tun, als stellten sie eine Kirche im europäischen Sinn dar.

Das gibt ihnen die Möglichkeit, die Jugend zu beeinflussen und von der Integration abzuhalten. Islamisten sind radikal gegen jede Form von Integration in die westliche Gesellschaft. Sie sehen die Migration als friedliche Form des Djihad, des heiligen Auftrags zur Islamisierung. Nach Ansicht Tibis sollten die Schulen den Kindern islamischer Religion einen staatsbürgerlichen Unterricht über die fünf Grundlagen eines demokratischen Gemeinwesens geben: Pluralismus, Toleranz, Säkularität, demokratische Zivilgesellschaft und individuelle Menschenrechte. Dies stünde völlig im Einklang mit einem demokratischen, modernen Euro-Islam, der praktisch einen Neubeginn jenes aufgeschlossenen Islam darstellt, der vor einem Jahrtausend Europa befruchtete.

Religion ohne Zentrale Die weltpolitische Bedeutung des islamischen Fundamentalismus analysiert Bassam Tibi in "Fundamentalismus im Islam. Eine Gefahr für den Weltfrieden?" Wie wichtig dieses Buch ist, zeigen die Vorgänge der letzten Wochen. Einerseits wurden in absoluter Gegnerschaft der Islamisten zur Weltkultur die Buddhastatuen in Afghanistan gesprengt, andererseits kam es zur Aufdeckung einer weit verzweigten islamistischen Terrororganisation in Italien und Deutschland. Die Zentrale in Mailand benützte wirtschaftliche Tätigkeit als Deckung, um Rekruten illegal in die EU zu bringen, mit gefälschten europäischen Papieren zu versehen und zum Training als Terroristen weiter zu schicken: "Islamisten bauen ihre Logistik in Westeuropa auf".

Zwar ist Fundamentalismus ein aktuelles Problem in allen Religionen, doch sei offenbar, "dass sich unter den Fundamentalismen der Weltreligionen die Verbindung von politisierter Religion und Weltpolitik allein ... im Islam beobachten lässt". Die Hakimiyyat Allah, die islamistische Version des Gottesstaates, kenne keine Grenzen. In dieser Sicht ist islamisches Gebiet überall, wo Muslime leben, während Islam und Demokratie sich gegenseitig ausschließen. Der Autor betont, dass für die Islamisten Demokratie eine Anmaßung des Menschen gegenüber Gott sei. Daher denn auch die Problematik des Krieges zwischen den beiden Zivilisationen, der nicht als Krieg zwischen Staaten verstanden werden darf. Zum Verständnis verweist Tibi auf Salman Rushdie: Ein britischer Staatsbürger muslimischer Religion wird wegen eines Vergehens gegen eine fundamentalistische Rechtsnorm nicht einfach zum Tode verurteilt, sondern zur Ermordung freigegeben!

Islamistischer Fundamentalismus ist nicht gleich Islam. Tibi propagiert eine Doppelstrategie im Umgang mit dieser Gefahr: den Dialog mit dem liberalen Islam und "parallel dazu gegen die politischen Auswüchse des Fundamentalismus Aufklärungsarbeit". Letzteres gelte ebenso für die Einheimischen wie für die muslimischen Zuwanderer.

Der Islam und Deutschland - Muslime in Deutschland.

Von Bassam Tibi. Deutsche Verlagsanstalt, München 2000. 399 Seiten, geb., öS 364,-/e 26,45 Fundamentalismus im Islam. Eine Gefahr für den Weltfrieden?

Von Bassam Tibi, Primus Verlag, Darmstadt 2000. 223 Seiten, geb., öS 329,-/e 23,91

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