Der islamische Fundamentalismus, der im Iran herrscht und den sich Saddam Hussein in Bagdad zunutze macht, ist keine religiöse Bewegung, sondern eine politische Ideologie, die „durch den Rückgriff auf die Religion Millionen von verzweifelten Menschen in einer desparaten Situation mobilisieren" kann. Es ist daher völlig falsch, den Islam mit dem Fundamentalismus gleichzusetzen, wie dies in Europa häufig geschieht.
Das ist die Hauptaussage des aus Damaskus stammenden Islamforschers Bassam Tibi. In dankenswer-
ter Weise macht Tibi die wesentlichen Unterschiede im Denken der islamischen Fundamentalisten und des Westens deutlich. Die Kinder der Aufklärung definieren den Menschen als ein autonomes Subjekt, als Individuum, das ein Recht hat, nach persönlichem Glück zu streben und sich selbst zu verwirklichen. Im islamischen Verständnis ist der Mensch ein Geschöpf Gottes, das sich in ein von Gott gelenktes Kollektiv, der islamischen Umma, zu fügen habe. Eine universale, pluralistische Weltethik, die eine Einheit in der Vielfalt schafft, wird von den Fundamentalisten abgelehnt. Ihr Ziel ist die Wiederherstellung der Vorherrschaft des Islam in den islamischen Ländern und später die globale Ausdehnung ihrer Religion.
Aus diesem Grunde ist ein Dialog mit Fundamentalisten, wie er etwa von Hans Küng in seinem Buch „Weltethos" gefordert wird, nach Meinung des Autors nicht möglich.,Sie wollen autoritativ lehren, nicht aber über Weltanschauungen reden. Wohl aber gibt es Intellektuelle, die einen liberalen Islam vertreten. Zwar bemängeln auch diese die von den Fundamentalisten angeprangerte Weltordnung, haben jedoch mit der Ideologie einer islamischen Weltordnung nichts zu schaffen. Sie sind als Gesprächspartner des Westens unentbehrlich.
DIE FUNDAMENTALISTISCHE HERAUSFORDERUNG. Der Islam und die Weltpolitik. Von Bassam Tibi. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1993. 352 Seiten, öS 304,-.
