6981108-1986_11_03.jpg
Digital In Arbeit

Wohin führt der Islam?

Werbung
Werbung
Werbung

Seit der Ausrufung der Islamischen Republik im schiitischen Iran geriet die islamische Welt zunehmend in Wallung und verstärkte sich die Wirkung der Reformbewegung, die schon im 19. Jahrhundert in manchem islamischen Land, wie Ägypten oder Saudi-Arabien, eingesetzt hatte. Daraus scheint eine Erweckungs-bewegung des Islams entstanden zu sein.

Die Muslime brechen nun aus der internationalen Isolierung heraus, sie beanspruchen, in der Welt eine bestimmende Rolle zu spielen, im Bewußtsein, daß der Islam ihnen eine geistliche Heimat bietet, eine unverkennbare Identität verleiht und einen universalen Auftrag erteilt. Sie wollen jede Bevormundung abschütteln und stemmen sich gegen die religiöse und kulturelle Entfremdung.

Militante Parteien und aktive Volksbewegungen in der islamischen Welt betonen immer heftiger, daß der Islam die letzte und endgültige, von Gott selbst gewollte Gestalt der Religion sei und daher als die einzig wahre Religion zu gelten habe, die allein einen universalen Anspruch besitze und der Gott zum Sieg verhelfen wolle über alle sonstigen Religionen.

So hätten die Muslime die Pflicht, sich dafür einzusetzen, daß der Islam die Universalreligion wird, und zwar nicht nur im Anspruch, sondern in der geschichtlichen Wirklichkeit der Menschen und der Völker. Nach der Vorstellung dieser Gruppen soll der alte Grundsatz wieder Wirklichkeit werden: „Der Islam herrscht und wird nicht beherrscht.“ Dieses Ziel kann nur durch den Einsatz für die Ausdehnung des Herrschaftsbereiches des Islams erreicht werden.

Der Islam erhebt einen Totalitätsanspruch in bezug auf das

Ganze des konkreten Lebens der Menschen. Er bestimmt den gesetzlichen Rahmen, in den sich das Leben des einzelnen einfügt, und er erläßt die Ordnung, an der sich das Familienleben, die Gesellschaft, die Struktur des Staates und die internationalen Beziehungen zu orientieren haben.

Aus diesem Selbstverständnis heraus weisen engagierte Muslime jeden laizistischen Versuch, den Islam aus der Gesellschaft und dem Staat zu verdrängen, zurück.

Auch tun sich solche Gläubige mit den demokratischen Vorstellungen der pluralistischen Gesellschaft des Westens schwer. Denn der traditionelle Islam geht grundsätzlich von einer theokra-tischen Ordnung aus, von einer einheitlichen Gesellschaft, die unter dem Regiment der Religion und des religiösen Gesetzes steht, und er besteht darauf, das islamische Gesetz, die islamischen moralischen und sozialen Werte sowie die islamischen Vorschriften als den höchsten Maßstab für alle Bereiche des Lebens in der Glaubensgemeinschaft und in der Gesamtgesellschaft zur Anwendung zu bringen.

Traditionsgebundene Muslime, die solchen Vorstellungen undifferenziert anhängen, lehnen jede staatliche Ordnung ab, ob im nichtislamischen Ausland oder im islamischen Gebiet, die nicht das islamische Gesetz zur Grundlage hat. Sie plädieren immer unmißverständlicher für eine Isla-misierung des Staates, wo immer eine Mehrheit der Bevölkerung des jeweiligen Landes dies durchsetzen könnte. Diese Forderung wird ideologisch durch den Anspruch untermauert, der Islam biete im Weltmaßstab nunmehr eine Alternative zu den Modellen des atheistischen Ostens und des säkularisierten Westens.

Neben diesen Gruppen gibt es eine andere Richtung, die hoffnungslos in der Minderheit steht oder sich gar nicht mehr deutlich zu äußern wagt. Diese Richtung will dem Islam im Kontext der Verhältnisse in der Weltgemeinschaft einen zukunftsorientierten Weg eröffnen.

Bemerkenswert ist auch die Position derjenigen, die betonen, daß der Islam fähig sei, aus seinem Glauben und aus seiner Tradition heraus einer modernen Gestalt des Staates zuzustimmen, ja sie sogar mitzutragen. Denn erst, wenn der Islam es verstehe, sich nicht noch tiefer in die Isolation zu manövrieren und gegen alle anderen zu stellen, wenn er im wiedergewonnenen Selbstbewußtsein sich öffne und der Herausforderung der modernen Welt nicht durch die Flucht in die Vergangenheit, sondern mit einem eigenen positiven Beitrag begegnet, bleibe er sich selbst treu, könne er sich zu einer neuen weltpolitischen Kraft entwickeln und die von ihm beanspruchte Rolle im Konzert der Völker spielen.

Es ist für die Zukunft des Islams und für die Belange der Weltgemeinschaft nicht gleichgültig, welchen Kurs der Islam nehmen wird. Die heutige Renaissance des Islams drängt vielen Menschen die Frage auf, ob die Muslime ins geschlossene Rechtssystem des Mittelalters zurücksteuern oder ob der Islam in sich soviel Kraft und soviel Mut besitzt, die Herausforderung der modernen Zeit aufzunehmen und sich eine Gestalt zu geben, die es ihm ermöglicht und erleichtert, seine Rolle zum Wohl seiner Gläubigen zu erfüllen und auch seinen Beitrag zum Wohl der Menschen zu leisten.

Adel Khoury ist Professor für Islamkunde an der Universität Münster.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung