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Der Halbmond und die Grauen Wölfe

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Die Parteien haben längst erkannt, daß ohne Islam in der Türkei keine Wahlen zu gewinnen sind. Selbst der Sozialist Ecevit widmet sich dem Studium der islamischen Religion.

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Die Parteien haben längst erkannt, daß ohne Islam in der Türkei keine Wahlen zu gewinnen sind. Selbst der Sozialist Ecevit widmet sich dem Studium der islamischen Religion.

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Die vielerorts in der Welt zu beobachtende Re-Islamisierung ist ein Politikum ersten Ranges auch in der Türkei. Die in Saudi-Arabien beheimatete „Muslimische Weltliga“ beglückwünschte die Regierung des konservativen Turgut özal zu einer kürzlich eingebrachten Gesetzesvorlage, wonach Gotteslästerung sowie jede Verunglimpfung des Propheten Muhammad und des Islam überhaupt in Zukunft strafrechtlich verfolgt werden.

Die Enttäuschung der Türken über die Europäische Gemeinschaft und ihre Hinwendung zum islamischen Orient gewinnen zunehmend an Aktualität. Der jüngste Staatsbesuch des Präsidenten Kenan Evrens in Kairo ließ die Ägypter euphorisch von einer neuen Achse sprechen: Türkei-Ägypten. Aber auch zu Gadhafi sind die Beziehungen gut, er hat -im Gegensatz zu anderen arabischen Staaten - die Türkei in der Zypernfrage stets unterstützt. 80.000 Türken in Libyen fallen bei der dortigen Bevölkerung von drei Millionen mehr ins Gewicht als die Türken in der Bundesrepublik Deutschland. Für Iran ist die Türkei einer der wichtigsten Handelspartner.

Auf Grund des Zustroms von iranischen Flüchtlingen ist das Verhältnis der Türkei zur „Islamischen Republik“ zwar zwiespältig, viele türkische Islamisten begeistern sich aber dennoch für Chomeinis Version einer militanten Theokratie. Die an Nahrungsmitteln knappe arabische Halbinsel nimmt den Türken heute viel von ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen ab, die sie in Europa nicht loswerden können. Auch türkische Militärexperten sind in Arabien wieder gefragt. Istanbul ist eines der begehrtesten Ziele für ölreiche Touristen. So finden Türken und Araber nach einer jahrzehntelangen Phase der Bitterkeit und gegenseitigen Entfremdung wieder zueinander, zu beiderseitigem Vorteil. Dadurch sind selbst die türkischen Militärs zu einer recht pragmatischen Handhabung ihres Kemalismus übergegangen. Das Liebäugeln mit Arabien dürfte auch die Wahl Turgut Ozals zum zivilen Sachwalter der Militärs bestimmt haben. Der Ministerpräsident kommt nämlich aus den Reihen der Islamisten und wäre früher fast schon als Abgeordneter der „Nationalen Heilspartei“ ins Parlament eingezogen.

Aber auch der ehemalige sozial-demokratische Ministerprasident Biilent Ecevit widmet sich seit ge-raumer Zeit dem Islamstudium -und ein Kreis seiner Getreuen hat im f ernen Hamburg sogar die ,J.s-lamische Akademie“ griinden helf en, die sich als ein Forum des aufgeklarten Islam versteht und den Dialog mit den orthodoxen Moscheegemeinden sucht. Die auf deutsch erscheinende Zeitschrift „Forum“ verleiht dieser Beschaf-tigung mit islamischem Dichten und Denken Ausdruck. Ein tiirki-scher Verleger aus diesem Kreis der .gelauterten Linken' gibt hauptsachlich Biicher mit Islam-bezogenen Themen heraus.

Diese intellektuelle Auseinan-dersetzung mit dem religios-kulturellen Erbe des Islam ist von der sozialdemokratischen Elite durchaus ernst gemeint und entspringt dem Bedürfnis, den Kontakt zu den türkischen Massen nicht zu verlieren.

Gänzlich anders verhält es sich bei der extremen Rechten, die bereits viel früher den Islam für ihre Zwecke dienstbar gemacht hat. Die „Grauen Wölfe“ des faschistoiden Oberst Arpaslan Türkesch waren ursprünglich die wohl antiislamische Tendenz in der Türkei überhaupt. Wie schon ihr Name aussagt, knüpfen sie an das vorislamische Schamanentum der Turkvölker mit dem Kult um den Grauen Wolf an. Die neo-heidnischen Türkesch-Anhänger pflegten alles Islamische zu verachten; denn islamisch war für sie gleichbedeutend mit arabisch. Die Befreiung des Türkentums von der arabischen Überfremdung war ihnen oberstes Ziel. Es kann deshalb nicht anders denn als grober Volksbetrug angesehen werden, wenn die „Grauen Wölfe“ des Oberst Türkesch sich seit zwei

Jahrzehnten als die Speerspitze der islamischen Erneuerung ausgeben und ihre Parteibüros als Islamische Zentren deklarieren.

Die blutrünstige Symbolik der von den „Grauen Wölfen“ gegründeten „Idealistenvereine“ zeigt den Grauen Wolf nunmehr im Heiligenschein des türkischen Halbmonds. Hier hatte man nach langen Jahren der politischen Isolation erkannt, daß ohne den Islam in der Türkei keine Wahlen gewonnen werden können. So kam es gewissermaßen über Nacht zu einer radikalen Um-orientierung: türkischer Chauvinismus wird nunmehr mit islamistischem Fanatismus gewürzt. Das Gemisch kommt gut an, besonders dort, wo starke Frustration herrscht, zum Beispiel bei den von der Abschiebung bedrohten Fremdarbeitern in der Bundesrepublik Deutschland. Aus dieser ideologisch dunklen Ecke stammt auch der Papst-Attentäter Mehmet Ali Agca.

Wie andere muslimische Nationen auch, sind die Türken in etliche islamische Bewegungen, Sekten und Tendenzen gespalten, die alle ihren politischen Druck auszuüben trachten. Die wichtigste Spaltung ist die in Sunniten und Aleviten. Letztere sind in der Minderheit, außerdem überwiegend unter ethnischen Minoritäten wie den Kurden anzutreffen. Die die türkische Gesellschaft spaltende Kluft ist durch den Kemalismus allenfalls vertieft worden, sie besteht jedoch schon viel länger. Die synkretistische Sekte der Aleviten-Bektaschiten war früher sehr einflußreich. In einigen Teilen des Osmanischen Reichs dominierte sie sogar, wie zum Beispiel in Albanien. Selbst Enver Hoxha soll anfangs den Bektaschi angehört haben.

Sultan Abdul Hamit verhalf um die Jahrhundertwende dem formalistischen und weniger freiheitlichen Sunnitentum zum Siege. Die Jungtürken holten erst einmal das Alevitentum wieder aus der Versenkung, und ihre ke-malistischen Nachfolger begeisterten sich für die humanistischen Elemente in den Lehren solcher Sekten. Alles Häretische wurde als Ausdruck türkischen Aufbegehrens gegen die arabische Orthodoxie gefeiert. Sektierertum wurde zur Norm erhoben, die Orthodoxie als Häresie erklärt. Die alevitischen Intellektuellen behaupteten jedoch keinen eigenen islamischen Standpunkt, sondern gingen im Säkularismus der Kemalisten auf. Später wandten sie sich dem Marxismus zu, speziell dem Maoismus, und zwar stärker als andere Türken. Somit entstand die von der Propaganda geschürte Klischeevorstellung vom Aleviten als einem ketzerischen Kurden, einem Kommunisten, der sogar seine Frau mit anderen teilt. Dem ehemaligen Präsidenten Bülent Ecevit wirft man vor, er habe sich gegen Ende seiner Amtszeit nur noch mit Aleviten umgeben.

Auf der anderen Seite scheinen die Fundamentalisten um den in Deutschland ausgebildeten Ökonomen. Necmettin Erbakan modernistisch. Sie sind voll darauf aus, die technologischen Früchte der Zeit zu genießen und sich den wissenschaftlichen Fortschritt nutzbar zu machen. Ihr Konservatismus beziehungsweise ihr Rückblick auf ein goldenes Zeitalter des Frühislam tritt erst im sozialen Bereich zutage. Nach westlicher Ansicht sollte man meinen, die Frauen hätten am stärksten unter jenen patriarchalischen Gesellschaftsvorstellungen zu leiden.

Wie überall in der Welt können auch die türkischen Fundamentalisten auf eine nicht zu verachtende Strömung in der Frauenwelt zurückgreifen, die ihr Heil gerade in jenem rigiden Familienkodex sucht. So ist Emine Erbakan, die deutsche Schwägerin des Führers der „Nationalen Heilspartei“ Necmettin Erbakan, der Motor der Bewegung in der Bundesrepublik Deutschland. Die wortgewaltige Kölnerin ist unermüdlich von einer türkischen Gemeinde zur anderen unterwegs, erteilt Koranunterricht, organisiert Frauengruppen und vertritt den Islam in religiösen Streitgesprächen im Westdeutschen Rundfunk.

Bisher erschienen zum Themenbereich politischer Islam Beiträge in der FURCHE 11 (1986), 13 (1986) und 16 (1986).

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