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Warten auf islamische Solidarität

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Es gibt kaum eine arabische oder pakistanische Zeitung, die nicht seit Monaten * taglich Berichte, Stellungnahmen und Appelle an die islamische Solidarität brächte, doch gibt es keinen wirksamen Mechanismus zur Durchsetzung panislamischer Interessen.

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Es gibt kaum eine arabische oder pakistanische Zeitung, die nicht seit Monaten * taglich Berichte, Stellungnahmen und Appelle an die islamische Solidarität brächte, doch gibt es keinen wirksamen Mechanismus zur Durchsetzung panislamischer Interessen.

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Zahlreiche internationale Organisationen mit hochtrabenden Namen wie Islamisches Sekretariat und Organisation Islamischer Staatskonferenzen (OIC), Moslemische Weltliga und ISESCO (Islamische Variante der UNESCO) sind alle mehr oder weniger Papiertiger geblieben. Sie sind samt und sonders Geschöpfe der Außenpolitik Saudi-Arabiens, Ende der sechziger Jahre ins Leben gerufen, um sowjetischem Einfluß Einhalt zu gebieten und libyschen Quertreibereien zuvorzukommen.

Bei der OIC ist Saudi-Arabien Zahlmeister, die restlichen 45 Staaten kommen hauptsächlich zum Kassieren. Das ganze erinnert ein wenig an die Geschichte von Ali Baba und den vierzig Räubern. Kein Wunder also, daß dieser Staatenverband außerstande ist, konkrete Probleme anzugehen. Über die routinemäßigen Palästina-Resolutionen ist man noch nicht hinausgekommen. Eine Zeitlang wurden auch regelmäßig Afghanistan-Resolutionen verabschiedet, aber sechs arabische Staaten und die PLO unterstützten die Sowjets in Afghanistan.

Im Libanon war es nicht so, daß moslemische Staaten libanesische Moslems und christliche Staaten libanesischen Christen unterstützt hätten. Vielmehr hatte fast jeder arabische Staat seine christlichen Verbündeten im Libanon, die er unterstützte, und manch europäischer Staat setzte auf die eine oder andere Moslem-Gruppe. Die maronitischen Christen waren in wenigstens vier Hauptgruppen gespalten, davon unterhielt eine Unterstützung aus Syrien, die andere aus dem Irak.

Waffen für serbischen Saddam

Sollte also Ägypten die bosnischen Moslems mit Waffen oder Freiwilligen beliefern, dann würde das mit Ägypten verfeindete Regime im Sudan wahrscheinlich Waffen an die Serben liefern. Die ideologische Rechtfertigung dafür würde sich schon finden lassen.

Haupthindernis für pan-islamische Effizienz ist seit geraumer Zeit das weltweite Ringen zwischen Iran und Saudi-Arabien um die Führung der Moslems. Dieser Konflikt ist sozusagen dreischichtig: erstens ist da die uralte Rivalität zwischen Arabern und Persern ('arab wa 'adjam), zweitens das Schisma -Sunniten/Schi'iten, drittens der ideologische Streit zwischen wesensverwandten Fundamentalisten der iranischen und der saudischen Richtung, analog zur damaligen Spaltung des kommunistischen Lagers in eine pro-sowjeti-sche und eine pro-chinesische Tendenz.

Libyen war in den achtziger Jahren sehr um die bosnischen Moslems bemüht, doch ist Qaddafi dank der gegen ihn verhängten Sanktionen gewissermaßen weg vom Fenster. Ideologisch steht Gaddafi heute dem Nationalkommunisten Milosevic näher als dem Moslem Izetbegovic. Vergessen wir nicht, daß die dauerhafteste der vielen Bindungen, die Libyen unter Gadaffi mit anderen Staaten eingegangen ist, die mit dem Äthiopien des

Nationalmarxisten Mengistu war, obwohl jener geradezu unter Islamophobie und einem abgrundtiefen Hass auf die Araber litt.

Da Saudi-Arabien und seine Vasallen auf Seiten der bosnischen Moslems stehen, sympathisieren Libyen, Irak, Iran und einige andere arabische und moslemische Staaten automatisch mit den Serben. Darüber können auch anderslautende Beteuerungen nicht hinwegtäuschen.

Die den Saudis nahestehende internationale Wochenzeitschrift Al-Watan Al-'Arabi berichtet, ein großer Teil der serbischen Waffen sei vom Irak geliefert. Das Islamistenblatt Al-Muslimun nennt Milosevic einen „serbischen Saddam" und reproduziert Ankündigungen König Fahds, daß man demnächst ernste Schritte unternehmen werde. Ein halbes Jahr nach Ausbruch des Krieges in Bosnien befinden sich die arabischen Glaubensbrüder noch immer in einer Vorstufe zur Prüfung der Lage.

Bosniaken - nicht Türken

Bemerkenswerterweise veröffentlicht Al-Muslimun zur gleichen Zeit seitenlange Reportagen über die arabischen Djihad-Freiwilligen in Afghanistan. Von einem vergleichbaren militärischen Engagement zugunsten der Bosniaken ist auch nicht andeutungsweise die Rede, nicht einmal als Drohgebärde.

Ist man, durch Erfahrungen klüger geworden? In Afghanistan kämpften Araber auf beiden Seiten, so wie es im Libanon auf beiden Seiten Moslems und Christen gab.

Bezüglich humanitärer Hilfsmaßnahmen waren früher die Kuweitis führend. Sie hatten die Mittel und den Willen, dank ihres hohen Bildungsniveaus und erweiterten Weltsicht. Der kuweitische Beistand für die Opfer der Sahel-Dürre sowie für die afghanischen Flüchtlinge in Pakistan war mustergültig. Das ist ihnen mit Undank gelohnt worden, als sich die Massen der Glaubensbrüder für Saddam begeisterten, als wäre der ein Fürsprecher der Entrechteten.

Den Türken geht das bosnische Drama verständlicherweise nahe; denn zahllose Tür-

ken sind bosnischer Herkunft, insbesondere unter der Elite der Westtürkei. Die Bosnier hatten stets einen unverhältnismäßig hohen Anteil an der osmanischen Intelligentsia, und in diesem Jahrhundert hat es mehrere Massenvertreibungen von Bosniaken in die Türkei gegeben. Was wir augenblicklich erleben, ist ja nicht neu, sondern nur eine Wiederholung serbischer Vertreibungskampagnen grausigen Stiles. Auch im Jahre 1948, unter Titos damaligem serbischen Innenminister Alexander Rankovic, wurden in Moscheen die Betenden hinterrücks durch Maschinengewehrfeuer niedergemäht - reihenweise.

Gerade deshalb sollte aber mit einigen Falschmeldungen und Vorurteilen aufgeräumt werden: Erstens, bei den Bosniaken handelt es sich nicht um Türken, sondern um ein slawisches Volk, das lange vor den Serben in Bosnien siedelte. Gewiß siedelten sich später auch einige Türken an oder gingen durch Mischheirat unter den Einheimischen auf.

Zweitens, die Bosniaken sind alles andere als Renegaten. Sie sind nicht, wie oft behauptet, Opportunisten, die zur Zeit der osmanischen Besetzung den Glauben der Herrscher annahmen. Ganz im Gegenteil, die große Mehrheit der bosnischen Moslems geht auf die christliche Sekte der Bogomilen (Gottesfreunde) zurück, die sich bereits im zehnten Jahrhundert mehr oder weniger geschlossen dem Islam anschloß, also lange vor dem Auftauchen der Türken. Die Kalifen von Cordoba hatten damals bereits eine bosnische Palastwache, und die Sagaliba (Slaven), wie man die Bosniaken nannte, spielten in Andalusien eine wichtige Rolle.

Die älteste Moschee Europas, deren Überreste kürzlich von serbischen Bulldozern nicht eingestampft, sondern entfernt wurden, stammte nicht aus der Türkenzeit, sondern aus dem Jahre 970.

Der wieder einmal aufgebrochene Konflikt ist älter als der Islam. Die Versuche von katholischen Kroaten und orthodoxen Serben, das Volk der Bosniaken zu zermalmen, gehen zumindest auf die Zeit der Christianisierung zurück, als Bosnien sich für die Häresie des Bischof Arianus entschied.

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