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Erste Hilfe für Bosnien

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Während in Sarajewo das Hauptquartier der UN-Blauhelme für Kroatien eingerichtet wird, gibt es wieder Kämpfe um die serbisch besiedelten Teile Bosnien-Herzegowinas. Ein Gastkommentar der außenpolitischen Sprecherin der Grünen:

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Während in Sarajewo das Hauptquartier der UN-Blauhelme für Kroatien eingerichtet wird, gibt es wieder Kämpfe um die serbisch besiedelten Teile Bosnien-Herzegowinas. Ein Gastkommentar der außenpolitischen Sprecherin der Grünen:

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Der Morgen des 2. März 1992 bedeutete für die Menschen in Sarajewo und auch für mich ein böses Erwachen: Auf der Straße sind Schüsse zu hören, die Stadt ist an allen neuralgischen Punkten verbarrikadiert und somit lahmgelegt. Rettungsautos werden nicht durchgelassen, die Molkerei von Sarajewo ist blockiert und die Milchauslieferung wird nicht einmal an die Krankenhäuser zugelassen. Tote und Verletzte sind zu beklagen.

Am 3. März ist der Spuk wieder vorbei. In zähen Verhandlungen ist ein Kompromiß zwischen der Republiksführung und den Serbenführern erzielt worden. - Vorläufig.

Waren das die Vorboten des zu erwartenden Bürgerkriegs in Bosnien/ Herzegowina? Oder wollten die Serben nur darauf aufmerksam machen, daß sie sich am Referendum bewußt nicht beteiligt haben, dieses als illegal bezeichnen und andere Pläne schmieden?

Das Präsidium und die Regierung waren um einen Kompromiß bemüht. Jede Lösungsmöglichkeit, die die Gewalt eskalieren ließe, wurde ausgeschlossen. Die angebotenen „guten Dienste" der Armee wurden bewußt nicht in Anspruch genommen. Einige Forderungen der Serben wurden erfüllt. Die wichtigste allerdings, alle Bemühungen um eine Unabhängigkeit und internationale Anerkennung Bosnien/Herzegowinas einzustellen, wurde ignoriert. Warum sind die Unabhängigkeit und die internationale Anerkennung für Bosnien/Herzegowina so bedeutend?

Die politische Führung Serbiens und Teile der kroatischen Regierung schielen nach Bosnien/Herzegowina. Die Territorial wünsche der Nachbarn sind von unterschiedlicher Intensität. Aber nichtsdestoweniger gefährlich. Wie will man eine Republik teilen, die in ihrer ethnischen Zusammensetzung einem bunten Mosaik aus drei Farbtönen verschiedenster Intensität gleicht, je nach dem Konzentrationsgrad der moslemischen, kroatischen und serbischen Bevölkerung? Wo blieben dabei die Moslems, die keinen Beschützer zum Nachbar haben? Sie sind verständlicherweise die treibende Kraft eines unabhängigen, ungeteilten multinationalen Bosnien/ Herzegowina. In den letzten Wochen haben sie auch viel Geduld und Bereitschaft zum Zusammenleben bewiesen. Vielleicht auch deshalb, weil sie keine andere Wahl haben.

Die Moslems, Serben und Kroaten leben seit Jahrhunderten gemeinsam in diesem geographischen Raum. Immer wieder hat es Kriege und Auseinandersetzungen gegeben, das hat die Menschen nicht auseinandergebracht. Sie wissen um die Andersartigkeit der anderen Völker und respektieren sie. Heute funktioniert dieses selbstverständliche Zusammenleben nur noch im Kleinen: Im Zuge der Wahlbeobachtung wurden wir von einem Moslem in eine kroatische Gemeinde begleitet. Wenn Gäste kommen, wird alles, was es im Hause gibt, aufgetischt. Die angebotenen Speisen entsprachen nicht den Vorschriften des Islam. Unser moslemischer Begleiter mußte nicht einmal dankend ablehnen, denn die Gastgeber boten ihm mit jener Selbstverständlichkeit, die das Kennen der anderen Kultur voraussetzt, Käse an. - Diese Form der Akzeptanz und des Miteinander-umgehen-Könnens hat sich über Jahrhunderte hindurch entwickelt. Es hat nur einiger weniger Jahre nationaler Hetzkampagne und Medienpropaganda bedurft, um die Atmosphäre zu vergiften. Die Reste der Tradition und die Fähigkeit des Zusammenlebens sind der Hoffnungsschimmer für eine friedliche Perspektive.

Jedenfalls sollten Österreich und Europa die gemäßigten Gruppen unterstützen und die Bereitschaft zum friedlichen Dialog honorieren. Die vernünftigen Töne darf man nicht ignorieren, weil sie durch Schüsse und Wehklagen übertönt werden.

Die internationale Anerkennung eines souveränen, unabhängigen, ungeteilten Bosnien/Herzegowina ist die einzige Art der Absage an die Stielaugen der Nachbarn und an Gewalt und Terror als Mittel zur Durchsetzung von politischen Forderungen. Eine massive Wirtschaftshilfe an eine Republik, die die Kriegskosten und Armee-Erhaltung mit der hohen Inflationsrate mitbezahlen muß, ist die Voraussetzung für einen langfristigen Friedensplan. Das Hauptquartier der UNO-Blauhelme für Kroatien in Sarajewo hat nicht nur Symbolcharakter, sondern kann zu einer Entspannung der Situation in Bosnien/Herzegowina beitragen. Ebenso kann die begleitende Hilfe unter der Schirmherrschaft der EG einen weiteren Dialog über die interne Aufteilung der Macht und die Formen des Zusammenlebens günstig beeinflussen.

Der Dialog aller drei Völker wird langwierig und mühsam sein, denn die Atmosphäre ist aufgeheizt und vergiftet. Vermutlich werden die Sirenen der Ersten Hilfe häufig zu hören sein. Das sollte die Konfliktpartner und uns nicht davon abhalten, immer wieder einen neuen Anlauf zur friedlichen Lösung zu unternehmen. Manche sagen, all diese Maßnahmen kämen zu spät. Es darf nicht zu spät sein, denn noch einen blutigen Krieg mit unzähligen Opfern und Zerstörungen im ehemaligen Jugoslawien kann und darf sich Europa nicht leisten.

Mag. Marijana Grandits ist Nationalratsabgeordnete der Grünen, außen- und entwicklungspolitische Sprecherin, Mitglied des Außenpolitischen Rates, Mitglied der österreichischen Fact Finding Mission 1991 im ehemaligen Jugoslawien und Wahlbeobachterin in Bosnien 1992 (27. 2.- 3. 3.)

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