Friedenssuche unter Nationalisten

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Lokalaugenschein in der Hauptstadt der Herzegowina: Die Zeit für eine dauerhafte Brücke zwischen Kroaten und Moslems ist noch nicht reif.

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Lokalaugenschein in der Hauptstadt der Herzegowina: Die Zeit für eine dauerhafte Brücke zwischen Kroaten und Moslems ist noch nicht reif.

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Vor dem Hotel Ero, wo die Ombudsleute für die Menschenrechte in Bosnien-Herzegowina, die kürzlich in Wien von ihren Erfahrungen berichteten, eines ihrer acht Büros haben, steht ein Panzer der SFOR. Während wir uns bei einem spanischen Soldaten nach der Sicherheit gewisser Zonen und Straßen erkundigen, bietet uns ein älterer Herr in Anzug und Mantel seine Dienste an - auf Deutsch, Englisch, Französisch. Eine mitreisende Slawistin sagt ihm, sie spreche auch kroatisch - woraufhin er böse wird. Das Kroatische ist für ihn als Moslem "bosnisch". Gut, vier Jahre nach dem Ausbruch des kroatisch-moslemischen Krieges sei ihm dies zugestanden. Doch als er einen unserer Gruppe, der als Priester kenntlich ist, als "Führer" und dann als "Gauleiter" anredet, schwant uns Übles. Der "Universitätsprofessor" fragt uns aus, was die österreichische Besatzung 1878-1914 in Mostar zurückgelassen habe: Musik, drei Brücken über die Neretva - und das für ihn Wichtigste: ein Gebäude, ausgemalt von "einem großen Künstler". Wen er wohl meint? Adolf Hitler.

Als er zum Kern der Sache kommt und für seine "Stadtführung" 33 DM verlangt (weil Hitler '33 zur Macht kam), gehen wir endgültig alleine durch die Ruinen.

Waffenruhe Das ist ein wenig unheimlich, zwischen den von Schüssen durchsiebten Verkehrstafeln und gähnend leeren Fensterhöhlen. Verschlossene Gesichter beobachten uns.

Ein SFOR-Hauptmann aus Frankreich beurteilt die aktuelle Lage als "generell ruhig", es gebe lediglich lokale Auseinandersetzungen, etwa um die Häuser von Rückkehrern. Doch wenngleich die Präsenz der multinationalen Truppe die Waffenruhe halbwegs garantiert, kann sie nicht die Umsetzung des Dayton-Abkommens sichern, was die Rückkehr der Vertriebenen angeht. Wie die Ombudsleute berichteten, gibt es auf dem Gebiet der moslemisch-kroatischen Föderation keine funktionierende gemeinsame Verwaltung. Eine ethnisch gemischte Polizei aufzubauen, stößt auf Widerstände von seiten nationalistischer Kroaten, während die Moslems auf derartige Strukturen angewiesen sind und deshalb das internationale Engagement generell begrüßen.

Ohne eine faire Exekutive und ohne eine wirklich unabhängige Justiz ist jedoch an eine Regelung der drängenden Flüchtlingsfrage nicht zu denken, wie Ombudsmann Esad Muhibi'c erläutert. Er muß es wissen, denn in seine acht Büros kamen im letzten Jahr 14.000 Hilfesuchende - während zwei Millionen Bosnier im eigenen Land auf der Flucht sind. Rückkehrwillige, die ihr Menschenrecht einfordern und angesichts der administrativen Schikanen oder der Aggression vor Ort meist aufgeben, haben zwar Recht, aber bekommen es meist nicht.

1998, offiziell zum "Jahr der Heimkehr" erklärt, werden erst die bisherigen Kriegsgesetze abgelöst durch Gesetze, welche die konstitutionellen Vorgaben und den Anhang 7 des Dayton-Abkommens umsetzen. So sehr sich die Implementationskonferenzen in Portugal 1995 und Rom 1997 auf die eigentumsrechtliche Seite der Rückkehrerfrage konzentrierten - was hilft es, wenn die "Republika Srpska" gar keine Heimkehr zuläßt, wenn in den zwei Kantonen Mittelbosnien und Neretva noch keine Regierungen existieren?

Mostar ist der Brennpunkt dieser Problematik, mit der administrativen Teilung in West und Ost.

Die Vertreibungen sind offensichtlich: Das Westufer der Neretva bis zum "Bulevar" ist massiv zerstört. Entlang des Flusses verlief 1992 die Front gegen die serbisch dominierte Jugoslawische Volksarmee; seit Ende 1993 tobte hier der Krieg der Kroaten gegen die Moslems, einschließlich der Scharfschützen auf den Dächern, die lautlos - schallgedämpft - Menschen abknallten.

Wiederaufbau Wo früher beide Volksgruppen lebten, kann heute niemand mehr siedeln. Mit dem Wiederaufbau des Gebietes gehen die Franziskaner voran, die bei ihrem Provinzialat St. Peter und Paul eine neue, riesige Betonkirche bauen. Die Moslems am Ostufer sind schon weiter: Mehrere Moscheen sind schon restauriert, die gekappten Minarette wachsen wieder gen Himmel. Am schönsten glänzt die Moschee neben der berühmten alten Brücke: Zeichen der Präsenz und Vitalkraft der Moslems - und der Finanzkraft der Saudis. In derselben Straße finden wir ein iranisches Zentrum für Bosnienhilfe. Von einem Klostergebäude 100 Meter weiter stehen nur mehr die barocke Fassade und einige Wände. Vor dem Krieg bildete die christliche Anlage zusammen mit den Minaretten eine malerische Szene: Symbol einer traditionsreichen und ausnahmsweise gelungenen Integration. Bosnien erschien als außergewöhnliche multikulturelle Gesellschaft, wo nicht nur orthodoxe Serben und katholische Kroaten, sondern vor allem auch Moslems zusammenlebten.

Natürlich vermischten sie sich auch. Eine Studentin auf dem Heimweg von der Universität, welche im moslemischen Stadtteil in einem Militärgebäude untergebracht ist, erzählt uns von ihrer orthodoxen Mutter und ihrem moslemischen Vater. Die Familie wohnt beinahe als einzige noch im (kroatischen) Westen Mostars. Wir möchten wissen, wie man denn die Menschen unterscheiden könne. "Früher, vor dem Krieg spielte das keine Rolle - heute muß man es einfach wissen, wer Kroate, wer Moslem, ist!"

Abends, auf dem Weg nach Hause, hat sie schon Angst. Das ist leicht nachzuempfinden, auf dem Gang durch Ruinen, an deren Wänden nationalistische Parolen stehen, durch Müll, unter zerschossenen Straßenlaternen.

Getrennte Kulturen Das Wahrzeichen Mostars, die "alte Brücke" (Starimost), die seit 1566 die Neretva in einem atemberaubend schönen Bogen überspannte und zwei Weltkriege überlebte, wurde am 9. 11. 1993 von kroatischen Streitkräften zerstört. Ihnen war sie ein Symbol türkischen Einflusses - wie auch des Zusammenlebens, auf das sie mittlerweile verzichteten.

Sie gab nicht nur der Stadt ihren Namen, sondern war das Symbol ihres spezifischen Charakters: Verbindung der Kulturen. Von einer Holzterrasse aus kann man im eiskalten, smaragdgrünen Wasser des Flusses einen großen Brocken von ihr sehen. Er wiegt 300 Tonnen, erzählt der SFOR-Hauptmann, und konnte darum noch nicht geborgen werden. Die kleineren Teile liegen schon bereit für einen Wiederaufbau der Brücke. Wann könnte das geschehen? Er winkt ab: Seines Erachtens wird es noch lange dauern, bis Frieden ist. Inzwischen kreisen seine Hubschrauber knatternd über dem Talkessel.

Vom ehemaligen Flair der Stadt ist dennoch etwas, oder wieder etwas zu spüren: Um Starimost herum, an der provisorischen Stahlseilbrücke, haben die winzigen Geschäfte, die meistens Altwaren und Kupfer anbieten, geöffnet. Die Bauweise ist ebenso türkisch inspiriert wie der Cafe - der schmeckt exzellent. Mostar, einst auch eine wichtige Industriestadt, hat einen steilen Weg vor sich, bis es wieder anknüpfen kann an den alten Charme.

Am Berg über dem Ostufer, wo die Moslems neue Häuser den Hang hinauf bauen, ist die riesige Schrift zu lesen: "BiH Volimote", was heißt: "Bosnien-Herzegowina, wir lieben dich!" Daneben ist die alte Brücke zu erkennen, das vergangene Symbol der Verbindung der Völker. Wir verstehen dieses Zeichen als Ausdruck der Hoffnung auf eine Verständigung und Versöhnung, hier im Grenzraum dreier Kulturen.

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