Der Hass wird weitervererbt

Werbung
Werbung
Werbung

Serbien hat bei den Präsidentenwahlen für Europa gestimmt. Kroatien ist EU-Beitrittswerber. In Vukovar aber, wo Serben und Kroaten zusammenleben, ist von gemeinsamer europäischer Gesinnung nichts zu spüren. In Vukovar herrscht noch das Erbe des Kriegs.

Vukovar, an einem Freitagabend. Menschenleere Straßen, ein paar wenige Laternen. Drei Polizisten stehen schwatzend in einem Hauseingang vor dem Marktplatz. Derzeit gibt es hier nichts zu bewachen, Vukovar liegt wie - nein, das Wort ausgestorben wäre zynisch in einer Stadt, die vor 16 Jahren ein Ort des Sterbens war und nahezu dem Erdboden gleichgemacht wurde - Vukovar liegt wie auf einem Ruhelager, Irrlichtern gleich leuchten ein paar Reklametafeln, Hinweise darauf, dass diese Stadt nun doch wieder versucht aufzustehen, langsam wieder zu neuem Leben erwacht, sich von einer grausamen Geschichte zu befreien sucht.

Wer um diese Zeit Menschen antreffen will, muss eine der "Cafe" genannten Kneipen aufsuchen, von denen es nur wenige gibt und die der Ortsunkundige nicht so leicht findet. Einheimische müssen aufpassen, dass sie die "richtige" finden. Denn in Vukovar herrscht Apartheid: Kroaten gehen in ihr Cafe, kein Serbe würde sich hierher wagen, Serben in ein anderes, und das ist für Kroaten tabu. Obwohl die offizielle Lesart in Vukovar davon spricht, dass die beiden Volksgruppen nun aufeinander zugehen und die Schrecken des Krieges zu überwinden trachten - viel ist davon im täglichen Leben nicht zu spüren.

"Logik des Wahnsinns"

Aber anders kann es wohl auch gar nicht sein in einer Stadt, in der zahllose Ruinen selbst den Gutwilligsten an jeder Straßenecke darauf stoßen, dass hier ein erbarmungsloser Krieg gewütet hat, ein Krieg, der eine der schönsten Städte des Balkans fast ausgelöscht hat. Vukovar war ein Opfer der "Logik des Wahnsinns" (so ein Buchtitel von Thomas Brey), als im Sommer 1991 die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien ausbrachen. Vukovar, an der Grenze zwischen Serbien und Kroatien an der Donau gelegen, war damit in höchster Gefahr, denn hier lebten auch Serben, was nach der Ideologie der Führung in Belgrad einen Anspruch auf dieses Gebiet bedeutete.

"Blut der Feinde saufen"

Im August begann der Bombenkrieg, der sich täglich steigerte, bis am 18. November 1991 die damals so genannte "Heldenstadt" in die Hände der Jugoslawischen Volksarmee und - was noch schlimmer war - in die Hände marodierender Freischärler fiel. Die zogen an diesem Tag mit einer schwarzen Totenkopf-Fahne durch die Ruinen und sangen, sie wollten das Blut ihrer Feinde saufen. Nach dem 18. November kam es in Vukovar zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fanden hier die ersten organisierten Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg statt. In Vukovar wurden Frauen und Mädchen vergewaltigt und es folgte eine systematische "ethnische Säuberung".

Bis 1995 herrschten die Serben in Vukovar, sie transportierten die Ziegel der zerschossenen Häuser als Baumaterial nach Serbien, aufgebaut, gar renoviert haben sie in dieser Zeit nichts. Ab 1995 wurde Vukovar von der UN verwaltet, seit 1997 ist es unter kroatischer Hoheit. Das ethnische Verhältnis hat sich nun wieder zugunsten der Kroaten verändert, sie stellen rund 55 Prozent der Bevölkerung.

Besonders empört ist man, dass auch heute noch, nachdem die Verbrechen von damals offenkundig sind und zwei der Täter sogar vom Kriegsverbrechertribunal in Den Haag verurteilt wurden, von serbischer Seite kein Schuldeingeständnis zu hören ist. "Naja, jeder hat halt seine Sicht der Dinge", weicht eine Serbin aus, mit der ich über die Vergangenheit rede und die ansonsten durchaus vernünftig argumentiert - zu serbischer Schuld aber mag auch sie sich nicht durchringen. So ist es kein Wunder, dass im "kroatischen" Cafe von einem Zusammenleben, von einer Versöhnung gar, keine Rede ist. Die Männer, die im Krieg damals blutjunge Soldaten waren und die nun mit leerem Blick die Zeit totschlagen, lässt die Vergangenheit nicht los. "Der Unterschied gegenüber anderen Kriegen ist", meint einer schließlich, nachdem die anderen überhaupt nicht sprechen wollen, "da standen Armeen fremder Länder gegeneinander, Menschen, die sich nicht kannten. Hier aber hat der Nachbar den Nachbarn getötet. Vergessen sie nicht, wir haben mindestens 30 Jahre zusammengelebt, zusammen gefeiert, untereinander geheiratet. Und dann kam dieser Nachbar und hat deinen Bruder getötet."

Herzen renovieren

Ein junger Bursch sitzt dabei, 25 Jahre alt, wie er mir sagt, zum Zeitpunkt des Krieges also neun Jahre - aber der Hass gehört hier offenbar zum Erbgut. Auch er ist voller Abneigung gegen Serben, aber eigentlich, so sagt er, will er von der Politik nichts wissen. Sein Lebensziel ist: Arbeit haben, eine Familie gründen und in Vukovar bleiben.

Erstaunlich genug, dass unter all diesen widrigen Umständen noch immer Leute da sind und auch bleiben wollen, trotz hoher Arbeitslosigkeit, schlechter Zukunftsperspektiven, täglicher Konflikte unter den Volksgruppen. Bürgermeisterin Zdenka Buljan ist um jeden froh, der bleibt, Stipendien sollen jungen Leuten das Leben hier attraktiv machen. Sie selbst, so sagt sie, war auch in jenem geschundenen Treck, der damals gerade noch mit dem Leben davonkam. Aber nicht mehr zurückzukommen, das wäre Verrat an den Opfern gewesen. "Der Wiederaufbau der Stadt, so schwierig er auch sein mag, ist eigentlich der leichtere Teil meiner Arbeit", meint die Bürgermeisterin, "viel schwieriger ist es, hier ein Zusammenleben im Geiste der Toleranz und der gegenseitigen Achtung zu organisieren."

Versöhnung - das höre ich überall, aber es ist nicht mehr als schöne Rhetorik. Die Abspaltung beginnt in der Schule: Die serbische Seite hat durchgesetzt, dass Serben und Kroaten in verschiedene Klassen gehen - die EU-Bestimmung zum Schutz von Minderheiten ausnützend. Bürgermeisterin Buljan meint verbittert, da wäre auch eine andere Regelung möglich gewesen, aber die Serben hätten auf die Trennung bestanden. Immerhin würden die Schüler im gleichen Gebäude unterrichtet, hätten vielfältige Kontakte, in den Pausen, beim Sport, in der Freizeit. Davon, dass hier ein Miteinander eingeübt wird, kann trotzdem keine Rede sein.

Wie tief die Verletzungen gehen, davon zeugen die Kirche der Heiligen Philip und Jakob sowie das Franziskanerkloster. Die Kirche, von außen notdürftig repariert, innen Wände ohne Putz, bröckelndes Mauerwerk, Ziegelsteine, die über die Barbarei jener Tage klagen. Diese Ruine soll im nächsten Jahr restauriert werden und ihren barocken Glanz zurückerhalten. Im Kloster zeigt mir ein Mönch die Bibliothek, besser gesagt das, was von ihr übrig geblieben ist. 60.000 Bände waren es einst, nun sind es noch 17.000, darunter wertvollste Inkunabeln aus dem 15. Jahrhundert. Einige der Bücher machen den Hass anschaulich, der hier getobt hat: durchschossen und mit einem Bajonett geschändet, die Zerstörungswut der Serben machte auch vor Kulturgut nicht Halt.

Fährschiff nach Serbien

Und so scheint es wie ein Wunder, wenn man in dieser Stadt auch Zeichen der Versöhnung findet. Seit Spätsommer gibt es eine Fährverbindung zwischen der serbischen Seite der Donau und der kroatischen, einen kleinen Grenzverkehr sozusagen - und damit ein Stück Hoffnung. Täglich pendeln zwischen 50 bis 60 Menschen zwischen Serbien und Kroatien, der Fährmann berichtet, es habe bisher noch keine Probleme gegeben. Und da gibt es ein Hotel, ein Gebäude aus Glas und Beton, das in jede westliche Großstadt passen würde. Das Hotel Löwe, gedacht als Tagungszentrum, soll der Stadt wieder Leben einhauchen. Der Besitzer Stipan Mijok hatte einst in Frankfurt gelebt, ist nun zurückgekehrt und hat in seinem Hotel auch serbische Angestellte. Denn man muss, sagt er, ob man will oder nicht, miteinander leben. "Ich schaue in die Zukunft", meint er, "es ist einfach, die Hand zu reichen, so lange man eine hat. Und ich habe eine. Nur wer keine Hand mehr hat, kann die Vergangenheit nicht vergessen."

Nie mehr Perle Slawoniens

Es fällt schwer, in dieser Stadt den Blick nicht zurück, sondern nach vorn zu richten. Eines der Wahrzeichen, der Wasserturm, der wie eine riesige Tulpe nach oben offen scheint, steht noch immer da wie eine Mahnung vor dem Kriege, zerfetzt und doch imposant. Um den Wasserturm herum stehen nun wieder Häuser, 1991 war hier nur eine Trümmerlandschaft. Wer ein Stück weiter in Richtung Stadtrand fährt, kommt nicht an den roten kleinen Schildchen vorbei, die darauf verweisen, dass hier noch immer Landminen eine tödliche Gefahr sind - fünf Jahre wird es noch dauern, so sagt man mir, bis alle Minen abgeräumt sind. Fünf Jahre, ach, das habe ich schon einmal gehört, im Jahre 2004: damals hieß es, in fünf Jahren sei Vukovar wieder aufgebaut. Nun sind schon vier Jahre vergangen, und die Stadt blutet noch immer aus vielen Wunden. Aber selbst wenn Vukovar eines Tages wieder aufgebaut sein wird: Die Barockstadt von einst, die "Perle Slawoniens" wird sie trotzdem nie mehr sein.

Der Autor war langjähriger ARD-Korrespondent.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung