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Die Schuldigen und die Verantwortlichen

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Nun, welchen Eindruck machte Princip auf seine Umwelt? Ein serbischer Skribent zum Beispiel verglich ihn mit Hamlet nicht nur wegen seines langen, schwarzen Mantels, den er auch im bosnischen Sommer trug. In einem Kommentar zu den Aufzeichnungen eines Gefängnisarztes heißt es: Princip war mittleren, fast kleinen Wuchses, von ziemlich breiten, gebeugten Schultern, dunkler, brauner Hautfarbe, blauen, „sentimentalen“ Augen, die tief unter einer faltenreichen Stirn lagen. Ein Jesuit, der dem Ermordeten nahestand, gibt von Princip diese Schilderung: Ein kleiner, schwächlicher Jüngling, der Kopf auffallend lang, abfallende Stirne, die Augen tiefliegend und ruhig. Die charakteristische Nase ist in der Mitte ein wenig vertieft. Lippen dünn, die untere etwas aufgeworfen, sein Auftreten ruhig.

Der Untersuchungsrichter nannte den Beschuldigten bescheiden und fanatisch, in seinen Aussagen konsequent und logisch, in seiner Haltung geradezu stolz, denn auch im ersten Verhör scheint er trotz der schmerzenden Verletzungen keine Sekunde die Fassung verloren zu haben.

Aber alle, die ihn kannten, Richter, Schulkollegen, Mitverschworene, stimmten darin überein, er habe den Eindruck eines kleinen, schüchternen Seminaristen gemacht. Besonders aufgefallen wäre sein schwerfälliger Gang. Nun, Princip war armer Pächtersleute Kind, Kmetensohn, geboren und aufgewachsen in einer der trostlosesten Karstgegenden Bosniens. Sechs von seinen neun Geschwistern starben. Den Besuch der Schule ermöglichte dem strebsamen und gut lernenden Schüler ein älterer Bruder, der sich selbst mühsam durchbringen mußte.

Von den amtlichen Vernehmungs-protpkollen liegt eine. deutsche Ubersetzung vor. Der hier wiedergegebene Auszug ist gekürzt und gegliedert, hält sich jedoch streng an den Sinn. Princip antwortet, wie es im Protokoll heißt, „auf besondere Fragen“.

Alter? — (Eine Frage, die, wie man sehen wird, für Princips Schicksal von größter Bedeutung ist. Er beantwortet sie selbstverständlich zu seinen Gunsten.) Er sagt: „Neunzehn.“

„Religion?“ — „Serbisch-orthodox.“ (Also Serbe der Nationalität nach.)

„Wo geboren?“ — „In Oblaj bei Gravoso.“ (Der Ort liegt in Nordwest-Bosnien, nahe der dalmatinischen Landesgrenze. Princip ist auch dorthin zuständig, also Untertan des Kaisers von Österreich und nicht des Königs von Serbien.)

„Beruf?“ — „Absolvent der achten Klasse des Belgrader Gymnasiums.“ (Und damit gehörte Gavrilo Princip zu der Schar jener bosnischen Mittelschüler, die ihre Heimat verließen, um in der serbischen Hauptstadt ihre Studien abzuschließen. Was trieb sie nach Serbien? Die politische Gesinnung? Oder das viele Latein (der Geist Roms!) im österreichischen Lehrplan? Die kroatischen Professoren? Der eine hatte diesen, der andere jenen Grund. Jedenfalls war es oft so: Wer in Bosnien einen Professor geohrfeigt hatte, bekam von den Kollegen OvHtiorren und von einem serbisch-nationalen ! AbgeordWeten des bosnischen Landtages einen Abschiedskuß auf die Stirn, war in Belgrad angesehen, wurde unterstützt und konnte, wie das oft geschah, in einem Jahr zwei oder drei Klassen absolvieren.

„Du hast in Sarajewo ein Zimmer? Wo?“ — „Bei Stoje Ilic, Oprkanj-gasse Nr. 3.“ (Ilic? Ist nicht ein junger Mann dieses Namens der Polizei als verdächtig bekannt? Jedenfalls wird dort sofort eine Hausdurchsuchung anzuordnen sein.)

„Wann gingst Du nach Belgrad?“ — „Vor dreieinhalb Jahren. Ich verblieb dort vier bis fünf Monate...“

Im Vernehmungsprotokoll sind Princips Antworten zusammengefaßt, die gestellten Fragen fehlen. Hier ein Kurzauszug aus seinem Geständnis:

„Aus Belgrad kam ich nur deshalb vor einem Monat zurück, um das Attentat zu begehen ...“

„Die Waffen erhielt ich von einem serbischen Komitadschi (Freischärler) ...“

„Nein, zugeredet hat mir kein Mensch. Niemand wußte von meiner Absicht, ich stand mit niemandem im Einverständnis...“

„Ich bin in keinem Verein Mitglied, in der letzten Zeit wenigstens ...“

„Ich gehe wenig unter die Leute...“

„Wo ich hinkam, hielt man mich für einen Schwächling, für einen Menschen, der sich zugrunde gerichtet hat...“

„Ja, zugrunde gerichtet durch das Studium, durch das übermäßige Studium der Literatur ...“

„Ich selbst halte mich für keinen Schwächling. Ich simuliere manchmal und tue nur so, als ob ich ein schwacher Mensch wäre .. .“

„Heute früh, vor dem Attentat, ging ich mit zwei Gymnasiasten, und zwar mit einem gewissen Spiric und dem Svara. Ich schloß mich ihnen an, um nicht aufzufallen. Aber in meinem Gürtel trug ich bereits den mit sieben Patronen geladenen Revolver...“

„Ja, der Svara, das ist der Sohn des Staatsanwaltes...“ (Von den vier F imten der Staatsanwaltschaft Sarajewo wird Franz Svara an erster Stelle genannt. Ein Vernehmungsprotokoll seines Sohnes sucht man jedoch vergebens unter den Akten.)

, .„Mit 17 Jahren, also vor zwei Jahren, hatte ich mich zu meiner Tat entschlossen, seither nahm mich der Gedanke an Attentate gefangen ...“

„Damals wollte ich auf irgendeinen Repräsentanten der österreichischen Macht schießen ...“

„Im Thronfolger verkörpert sich die stärkste Macht, deren entsetzlicher Druck auf uns Jugoslawen lastet.“

Zögern vor den tödlichen Schüssen

„Gegen 9 Uhr stand ich am Appelkai, zwischen der Cumirija- und der Lateinerbrücke.“

„Ich stand, als Cabrinovic die Bombe warf, mit Spiric — Svara ging früher weg, weil er etwas zu besorgen hatte — bei der Lateinerbrücke ...“

„Die Autokolonne fuhr schon beim Weg ins Rathaus einmal an mir vorbei. In meiner Aufregung bemerkte ich aber den Thronfolger nicht...“

„Ich kannte sein Gesicht von Bildern, die in den letzten Tagen in Zeitungen erschienen.“

„Ich stellte mich beim Schiller auf.“ (An der sogenannten Schiller-Ecke, nicht nach Friedrich, sondern nach einem Moritz Schiller benannt: Lager von Tee, Rum, Cognac, Wein.)

„Ich hörte Hoch-Rufe, und schon näherte sich das erste Auto. Ich spähte nach dem Erzherzog im zweiten Auto, da saß er. Als ich die Dame neben ihm bemerkte, zögerte ich einen Augenblick. Ich war unschlüssig, ob ich schießen sollte oder nicht.“ (Im Protokoll: „Ich dachte einen Moment nach.“)

Uber die Tatsituation sagt Princip wörtlich: „Im selben Augenblick überkam mich ein sonderbares Gefühl und ich zielte vom Trottoir auf den Thronfolger, was mir um so leichter war, als das Auto bei der Biegung langsamer fuhr.“ (Es muß sogar einen Augenblick stehen geblieben sein.)

„Wohin ich in diesem Moment zielte, weiß ich nicht, aber ich weiß, daß ich auf den Thronfolger zielte ... Ich, glaube, daß ich zweimal schoß, vielleicht auch mehrere Male, ich war sehr aufgeregt. Ob ich die Opfer traf oder nicht, ich kann es nicht sagen, denn im selben Augenblick begannen die Leute auf mich einzuschlagen.“

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