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Die Schuldigen und die Verantwortlichen

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Vll. Kriminalreferent kontra Untersuchungsrichter

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Vll. Kriminalreferent kontra Untersuchungsrichter

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Mit den Straßendemonstrationen nach dem Anschlag und dem Fortschreiten der Untersuchung beschäftigte sich die letzte Fortsetzung. Mühsam schleppt sich das Verhör: In Sarajewo dann traf Princip Čabrinovič, um nicht aufzufallen, nur auf der Straße, meist am Kai. Čabrinovič: „Princip erzählte mir einmal, daß er bei llii wohne. Am Abend vor dem Attentat traf ich ihn beim Schillereck gegen 9 Uhr; er zeigte mir dann die Stelle, wo ich die Bombe zu werfen hatte, und zwar gegenüber der österreichischungarischen Bank.”

Dann instruierte Princip den Čabrinovic, wo er selbst stehen werde und über die Tatsache, daß zwischen seinem Standplatz und dem Rathaus zwei andere Attentäter lauern würden und weiter unten wieder zwei, zusammen also sechs.

Čabrinovic: „Ich sollte aber trotzdem die erste Bombe werfen, worauf die anderen von oben und unten her anstürmen würden, um eine Panik hervorzurufen, damit wir womöglich entfliehen könnten...” „Am Abend gab mir Princip noch Zyankali…dann bestellte er mich für den nächsten Morgen in die Konditorei Vlajnic, wo ich meine Bombe in Empfang nehmen sollte.

Dort fand ich dann Grabei mit Danilo Ilič; nachdem ich drei Kuchen gegessen hatte, kam Princip zu uns ins rückwärtige Zimmer und übergab mir meine Bombe; in meiner Gegenwart gab er weder Grabei noch Ilič Waffen; als ich meine Bombe bekam, konnte Ilič das sehen; ob er es tatsächlich gesehen hat, weiß ich nicht.”

Die Stunden vor der Tat

Über die Herkunft der Waffen blfeb Čabrinovic bei seiner ersten Aussage; der Schreibe;-. Cigo hätte sie ihnen ausgefolgt. Zur Zeit des Balkankrieges (1912, 1913) wäre er Komitadschiführer gewesen, seit damals sei er im Besitz von Bomben, 80 Stück. Er dürfte sie damals von der Narodna Odbrana erhalten haben.

Und was geschah in den Stunden vor der Tat?

„Da ging ich auf und ab, und zwar vom Zirkusplatz (wo sich Čabrinovic noch schnell photographieren ließ) zum Rathaus. Unweit davor sah ich den Grabei, der ebenfalls auf und ab ging, allein. Am Kai begegnete ich zwei- bis dreimal dem Princip, der mit dem Sohn des Švara spazierenging.”

Im Protokoll wird tatsächlich das Wort „Spazierengehen” gebraucht.

Wie hätte das auch ausgesehen, wenn dort gestanden wäre: Princip ging mit dem Svera, dem Sohn des Staatsanwaltes, die Strecke ab?

Wo war Ilič?

„Er stand mir gegenüber, an der Stelle, wo ich die Bombe warf, mitten unter den Leuten.”

Warum er, Čabrinovic, sich nicht vergiftet habe?

„Nach der Tat nahm ich zwei oder drei Stückchen Zyankali in den Mund. Ich konnte sie jedoch nicht sofort hinunterschlucken. Als ich in die Miljacka sprang, trank ich Wasser, um das Zyankali zu schlucken, das mir zwischen den Zähnen stecken geblieben war.”

Von sich selbst und seinen Verhältnissen sprach der Schriftsetzer nicht ungern; er erzählte, am Abend vor der Tat habe er seiner Großmutter 20 Kronen geschenkt, seiner Schwester Jovanka fünf, dann habe er sich versteckt und bitterlich geweint, „die Schwestern taten mir leid”.

D®?® Mllttėf habe ft fbh seine Uhr -— ein Gėįchenk ries Vaters — übergeben, obwofll er an fiesem Abend auf seine Eltern „etwas böse” war. Nicht nur, daß der alte Čabrinovič die Absicht hatte, sein Haus zum Empfang des Thronfolgers zu beflaggen, nein, er wollte sogar zwei Fahnen hinaushängen, zur serbischen Trikolore die schwarzgelbe Fahne des Kaisers. Auf die Vorwürfe des Sohnes habe der Vater geantwortet, er lebe unter dem Kaiser Franz Joseph. Er ehre ihn, und wenn es ihm nicht passe, ja, dann könne er sich einen besseren Platz suchen.

Der alte Čabrinovič begann das ganze Haus-zu durchsuchen, aber er konnte die Fahne nicht finden. Der Zorn übermannte ihn. Schließlich beschimpfte er seine Frau. Das erst bewog den jungen Čabrinovič, das Versteck der Fahne zu verraten. Er hatte es sich überlegt; angesichts des geplanten Attentats, dachte er, sei es doch eigentlich besser, „wenn der Vater die kaiserliche Fahne aussteckt. Wenigstens werde man ihn nicht verdächtigen”.

Zu einer Fahnenaffäre, die die nationalen Leidenschaften aufputschte, war es schon vor dem Besuch des Thronfolgerpaares gekommen. Ausgelöst wurde sie durch einen Artikel der kroatischen Tageszeitung in Sarajewo. Sie schrieb empört: Ein „sehr hoher Herr” hätte, als er neben den österreichischen, den ungarischen, den kaiserlichen (schwarzgelben), den bosnischen auch noch die serbischen und kroatischen Fahnen erblickte, geschrien: „Herunter damit! Ich kenne weder Kroaten noch Serben; nur Bosnier, Österreicher und Ungarn.”

Die serbische Tageszeitung ging sogar noch einen Schritt weiter; sie nannte den „sehr hohen Herrn”: Oskar Potiorek.

Die Staatsanwaltschaft schritt ein und konfiszierte das Blatt.

Denn seit Einführung der serbisch-orthodoxen Autonomie im Jahre 1905 waren die Farben der serbischen Trikolore (die kroatische schon immer) nicht nur bei kirchlichen Fahnen, sondern auch als nationales Symbol erlaubt.

Und am 28. Juni sah man in Sarajewo neben allen anderen Fahnen auch serbische.

Sie hingen, wie dynastietreue Serben zu verstehen gaben, zu Ehren des hohen Gästepaares.

Aber die über die Grenze „ins Nachbarland schielenden Serben” waren anderer Meinung.

Sie weder behaupteten, ihre Fahnen hingen wegen des Vidovdan, zu Ehren des Milos Obilič, der nach der Schlacht am Amselfeld den Sultan Mux-ad erstochen hatte.

Geständnisse ohne Zwang

Der Gerichtssekretär Leon Pfeffer von der Sax-ajewoer Staatsanwaltschaft verzichtete bei allen Verhören auf Gegenüberstellungen.

Aus Prinzip, wie er ausführte.

Ausnahmen ließ er zu, doch nur auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigter! Princips Verlangen.

Sonst glaubte Pfeffer bei seinen Erhebungsarbeiten auf derartige Kriminalmethoden gänzlich verzichten zu können.

Als Begründung gab er an, daß ihm Zeugen „wenigstens für die hauptsächlichen Tatsachen” nicht zur Verfügung standen. Er war allein auf Geständnisse angewiesen. Deshalb habe er den Beschuldigten niemals widersprechende Aussagen vorgehalten. Nur durch „von selbst, ohne Zwang” abgegebene Geständnisse glaubte sich Pfeffer von der Wahrheit überzeugen zu können.

Schon damals habe er vorausgesehen, schrieb er später, daß seine Untersuchungsarbeit einmal zur Sprache kommen würde, daher hätte er sie „reiflich überlegt und im höchsten Maß objektiv” geführt.

Beim Studium der Prozeßsituation und des Aktenmaterials kann man sich aber des Eindrucks nicht erwehren, der arme Pfeffer habe sieh nicht durchsetzen können.

Das ist eine Vermutung.

Vielleicht aber hatte er gar nicht die Absicht, sich durchzusetzen.

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