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Die Schuldigen und die Verantwortlichen

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Über die einander widersprechenden Untersuchungsmethoden von Kriminalreferent und Untersuchungsrichter berichteten wir in der letzten Fortsetzung dieser Serie.

Der Ausdruck „drangsalieren” wird im Verhandlungsprotokoll gebraucht. Was Grabež darunter verstand, schilderte er einige Monate später, am 28. Oktober 1914, gleich nach der Urteilsverkündung, in einem Brief an den Vater. Das Schreiben sei hier mit allem Vorbehalt wiedergegeben:

„Lieber Papa!

… Ich habe so viel Pein erlitten (nicht nur ich, sondern alle meine Kameraden) als Sterne von Osten bis Westen am Himmel stehen, so wie es Ovid in seinem Epos sagt. Jenen Abend, als sie mich mit Ruga gefesselt ins. Polizeigefängnis überstellten … man hat mich eine halbe Nacht befragt, der Regierungskommissär Gerde und der Baron Col- las… nachdem sie aber nichts erfuhren, überstellten sie mich in das Grüne Zimmer der ungarischen Spitzel. Die Quälereien waren entsetzlich. Sie haben uns den Brustkorb mit einer Maschine zusammengeschnürt, wodurch wir schreckliche Schmerzen erlitten. Das Niederhocken auf einem Faß ist noch ärger gewesen. Das Faß war mit Zement gefüllt und wir hätten am Rand knien sollen. Da es aber unmöglich war, das Gleichgewicht zu halten, mußten wir stürzen. Der

Staub würgte uns, und man schlug uns, aber nur so weit, daß wir nicht in Ohnmacht fielen. Von diesen Qualen würde man gerne in einen Traum hinüberschlummern…

…als größter Hund aber hat sich ein Muselmann erwiesen …Er sagte, ich hätte unsere Paljaner zum Aufstand aufgewiegelt…

… es freut mich, daß ich eine Person davor bewahren konnte. An dem Ort, wohin ich gestellt wurde, konnte ich das Attentat nicht ausführen, weil viele unserer Leute umgekommen wären, die in Ferdinands Nähe standen. Die Hauptsache aber ist, daß die Sache ausgeführt worden ist. Und daß jener umgekommen ist, der dem serbischen Volk viel Böses angetan hätte. Du wirst wahrscheinlich gehört haben, daß ich zu 20 Jahren verurteilt wurde; was ist das schon, da wir drei uns ja entschlossen haben, unser Leben dem Wohl Bosniens und Serbiens zu opfern…” Im Sicherheitsbüro des Regierungskommissärs Dr. Gerde arbeitete der Regierungskonzipist Wladimir Glück, ein Pole. Er gibt an, daß der Präsidialchef der Landesregierung, Baron Collas, persönlich Beschuldigte vernahm, und zwar zusammen mit dem Regierungskommissär Gerde. Glück gebraucht dafür das Wort „Gentlemanverhöre”.

Erst wenn die erfolglos blieben, und das war meistens der Fall, dann trat die Polizei in Aktion.

Höchst anerkennende Worte

Auf die ersten Resultate der gerichtlichen Voruntersuchung nimmt bereits am 2. Juli ein allerhöchstes Handschreiben an Kaiser Wilhelm II. Bezug:

„Das gegen meinen armen Neffen verübte Attentat ist die direkte Folge der von den russischen und serbischen Panslawisten betriebenen Agitation, deren einziges Ziel die Schwächung des Dreibundes und die Zertrümmerung meines Reiches ist.

Nach allen bisherigen Erhebungen hat es sich in Sarajewo nicht um die Bluttat eines einzelnen, sondern um ein wohlorganisiertes Komplott gehandelt, dessen Fäden nach Belgrad reichen, und wenn es auch vermutlich unmöglich sein wird, die Komplizität der serbischen Regierung nachzuweisen, so kann man wohl nicht im Zweifel darüber sein, daß ihre auf die Vereinigung aller Südslawen unter serbischer Flagge gerichtete Politik solche Verbrechen fördert und daß die Andauer dieses Zustandes eine dauernde Gefahr für mein Haus und meine Länder bildet.”

Das Schreiben des 84jährigen Monarchen (und die Beilage) ist den politischen Sorgen des Ballhausplatzes, im speziellen der zweideutigen Haltung Rumäniens, gewidmet. Es heißt darin ferner, das Bestreben der Regierung müsse in Hinkunft auf die Isolierung und Verkleinerung Serbiens gerichtet sein, und endet mit den Worten:

„Auch Du wirst nach dem jüngsten furchtbaren Geschehen in Bosnien die Überzeugung haben, daß an eine Versöhnung des Gegensatzes, welcher Serbien von uns trennt, nicht mehr zu denken ist und daß die erhaltende Friedenspolitik aller europäischen Mächte bedroht sein wird, solange dieser Herd von verbrecherischer Agitation in Belgrad ungestraft fortlebt.”

Am gleichen Tag — oder am Abend zuvor — hatte der Generallandeschef Oskar Potiorek von seinem zivilen Chef, dem gemeinsamen Finanzminister Bilinski (als kommandierender General unterstand Potiorek dem Kriegsministerium), eine telegraphische Botschaft erhalten. Sie mag ihn in trüben Stunden — in der Öffentlichkeit scharf kritisiert, erlebte er ihrer jetzt viele — ein wenig getröstet haben.

„Ich habe mich gestern bei Seiner Majestät zur Audienz gemeldet, um Allerhöchstdemselben über die neugeschaffene Lage in Bosnien-Herzegowina Bericht zu erstatten. Seine Majestät, Allerhöchßtwelche sich Gottlob sehr wohl befinden, haben meine Ausführungen allergnädigst zu genehmigen und auch bei dieser Gelegenheit über Euerer Exzellenz Person höchst anerkennende Worte auszusprechen geruht…

Euere Exzellenz befinden sich mitten in der schwersten Krise, welche Sie mit bewunderungswürdiger Ruhe und Überlegenheit zu bewältigen trachten.”

… alles zu gestehen

Der 2. Juli brachtą auch für den Untersuchungsrichter Pfeffer eine Überraschung: Gavrilo Princip erklärte sich bereit, alles zu gestehen, „alles ganz genau zu erzählen und die Schuldigen zu nennen, damit nicht Unschuldige leiden, denn wir Schuldigen waren ohnehin bereit, in den Tod zu gehen”.

Der Attentäter stellte jedoch seine Bedingungen.

Er verlangte nämlich, konfrontiert zu werden, und zwar mit dem Gymnasiasten Trifko Grabež und dem Journalisten Danilo Ilič (dem „Herrn”). Er wollte ihnen nur zwei bis drei Worte sagen, andernfalls, so drohte er, werde er nichts bekennen, „selbst dann nicht, wenn sie mich erschlagen”.

Pfeffer hielt es für richtig, auf den Vorschlag einzugehen; warum, begründete er in einem Vermerk:

„Nachdem es erfolglos ist, den Verdächtigen (!) zu veranlassen, daß er vor Erfüllung seines Verlangens aussage, und nachdem Grabež noch nicht in dieses Gefängnis abgegeben wurde, wird das Verhör bis zur Einlieferung des Grabež abgebrochen.”

Grabež war schon am 29. oder 30. festgenommen worden; er war geflohen, in Richtung Serbien.

Dann blieb er eine Zeitlang im Gewahrsam der Polizei!

Pfeffer behauptete sogar, er wäre von der Festnahme überhaupt nicht verständigt worden. Mit Absicht. Ferner hätte die Polizei…

Darüber allerdings später mehr …

Um elf Uhr hatte Princip seine Bedingung gestellt; um zwei Uhr war es dann soweit und Grabež herbeigeschafft. Die beiden wurden dann in einer Entfernung von acht Metern einander gegenübergestellt.

Princip zu Grabež: „Bekenne alles, wie wir die Bomben bekommen haben, wie wir gereist sind und in welcher Gesellschaft wir waren, damit gerechte Leute nicht zu Schaden kommen.”

Zu Ilič aagte Princip: „Nachdem das Gericht viel erfahren hat und damit wir Unschuldige retten, ist es notwendig, daß du alles sagst, wem du die Waffen verteilt hast und wo sich die Waffen befinden.”

Die Aufforderung an die Kumpane, alles zu bekennen, wie war sie zu verstehen? Alles, das bezog sich wohl allein auf das, was Princip den „zwei bis drei Worten” hinzufügte, bei dem einen „wie wir gereist sind”, bei dem andern „wem du die Waffen verteilt hast” …

Das läßt sich aus Princips eigenem Verhalten schließen.

Er dachte nicht daran, ein umfassendes Geständnis abzulegen.

Er sagte prinzipiell nur das aus, was die Situation erforderte.

Mußte er aber eine Position aufgeben, dann gab er freimütig alles zu, was mit ihr zusammenhing.

Die erste „Troika”, die Belgrader Troika — Princip, čabrinovič, Grabež — war aufgeflogen. Über sie konnte offen gesprochen werden.

Und über Ilič?

Was spielte er für eine Rolle?

Gab es eine zweite Troika?

Und war er ihr Führer?

Der Untersuchungsrichter hat Angst um sich und seine Familie

Die Arbeitsleistung des Untersuchungsrichters war enorm. 25 Beschuldigte, die er zum Großteil selbst einvernahm, geben zu schaffen. Doch die Spur nach Belgrad, die Spur in die Zentrale der „Schwarzen Hand”, die aufzuneh men und weiter zu verfolgen selbstverständlich gewesen wäre, das Um und Auf der Untersuchung, beachtete er kaum. Pfeffer hatte, wie er selbst sagt, Angst. Er fürchtete für sich und seine Familie. Das veran- laßte ihn, Frau und Tochter an einem anderen Ort unterzubringen und die Landesregierung um persönlichen Polizeischutz zu bitten. Durch Beistellung eines ständigen Begleiters in der Person des Detektivs Ludwig Läpple erfüllte man seinen Wunsch.

In den Nachkriegsjahren trat Pfeffer mit Veröffentlichungen hervor, in denen er gegen seine österreichischen Vorgesetzten Vorwürfe erhob, darunter sogar den, daß sie von ihm verlangt hätten, er solle Beweise für die Belgrader Mitschuld herbeischaffen.

Er aber wäre festgeblieben und hätte das nicht getan.

Hat er aber nicht gerade dadurch seine Amtspflicht verletzt?

Eine ungenützte Chance

In der vertraulichen Zirkularnote der serbischen Regierung vom 3. Juli an die Vertretungen im Ausland hieß es: „…allen Versionen, als ob die Bluttat von Sarajewo mit Belgrad in irgendeinem Zusammenhang stehe und von da aus inspiriert worden wäre, (ist) kategorisch entgegenzutreten. Es liegt nicht der Schatten eines Beweises dafür vor, daß irgendwelche politische Faktoren in Belgrad oder Serbien dabei die Hände im Spiel gehabt hätten.”

Der k. u. k. Untersuchungsrichter beim Kreisgericht Sarajewo macht sich die amtliche serbische Auffassung zu eigen. Und das, obwohl sich schon am 4. Juli der Schatten eines Beweises zu einer deutlichen Spur nach Belgrad verdichtet. Die Chance, in Kürze konkrete Beweise, auf die alle Welt mit höchster Spannung wartet, auf den Tisch legen zu können, wurde in keiner Weise genutzt.

„Vor dem Attentat in Sarajewo war ich beim Kreisgericht Untersuchungsrichter in Presseangelegenheiten. Ich denke, daß mir deshalb auch die Untersuchung über das Attentat übertragen worden ist. Ein Jahr nach dem Attentat wurde ich zum Staatsanwalt in Sarajewo ernannt. Gleich nach dem Umsturz (1918) bin ich über mein Ansuchen pensioniert worden. Heute bin ich nebst meiner Pension gut situiert und unabhängig… Dies bemerke ich aus dem Grund, damit man nicht denken möge, daß ich diese Erklärung abgebe, weil ich dazu überredet wurde oder um mich einzuschmeicheln. Vor allem muß ich hervorheben, daß ich als intelligenter Mensch mir vollkommen über die Bedeutung der Untersuchung anläßlich des Attentats von Sarajewo bewußt war. Es stellten sich im Laufe der Untersuchung Tatsachen heraus, die den damaligen maßgebenden Kreisen nicht erwünscht waren. Da ich im Laufe der Untersuchung über die hauptsächlichsten Tatsachen keine Zeugen zur Verfügung hatte, war ich auf die Geständnisse der Beschuldigten selbst angewiesen. Aus diesem Grund habe ich die Beschuldigten niemals konfrontiert und habe ihnen auch nicht die gegenwärtigen Aussagen vorgehalten, denn nur infolge der Geständnisse jedes einzelnen, die von selbst, ohne Zwang, abgegeben wurden, habe ich mich von der Wahrheit der Tatsachen überzeugen können.”

Trotz aller Beteuerungen ist man versucht, zu glauben, Pfeffer wäre es im Jahre 1926 — als er dies schrieb — nur darum zu tun gewesen, sich bei den neuen Herren, von denen er eine Pension bezog, liebkind zu machen und so zu tun, als habe er in der österreichischen Zeit, da sein Herz bereits für die andere Seite schlug, seine Amtspflicht nur widerwillig erfüllt. Ja, noch mehr, sein Entgegenkommen wäre so weit gegangen, daß er es vermieden habe, die Beschuldigten durch Vorhalten widersprechender Zeugenaussagen aus dem Konzept zu bringen.

Diese Vermutung wäre falsch. Eine Nachprüfung der bisher nicht zugänglichen Untersuchungsprotokolle ergibt einen sensationellen und erschreckenden Sachverhalt:

Pfeffers Schilderung aus dem Jahre 1926 ist nicht entstellt, auch nicht übertrieben; sie stimmt in allen Einzelheiten mit seiner Inquisitionspraxis des Jahres 1914 überein. Pedantisch hält er sich an seine Theorie und vermeidet daher alle Vorhaltungen und Konfrontationen. Ab und zu, höchst selten, ließ er eine Ausnahme zu, doch nur auf ausdrücklichen Wunsch des Beschuldigten Princip!

Das „schöne Geständnis”

In den ersten Tagen der Untersuchung unternahmen Oberstaatsanwalt Dr. Holländer, Baron Collas, Dr. Gerde und zwei ungarische Detektive Schritte, um ihn abzusetzen. Sie verklagten ihn in Wien und beantragten seinen Austausch. Doch das „schöne” Geständnis des Danilo Ilič bewirkte sein Bleiben auf dem Posten des Untersuchungsrichters:

Von Ilič hörte der Untersuchungsrichter zum ersten Male, ein „Reichsserbe”, ein im aktiven Dienst der königlichen Armee stehender Major, habe, die Mordabsicht gutheißend, den Eisenbahnbeamten Milan Ciga- novič beauftragt, die Attentäter mit Waffen zu versorgen. Er verriet auch seinen Namen: Vojin Tanko- siö. Das war ein bekannter Bandenführer, seit dem Balkankrieg Idol der serbischen Jugend — in Agra- mer Schülerzeitungen durch Gedichte-verherrlicht und auf, Ansichtskarten verewigt.

Ein aktiver, namentlich genannter Major der serbischen Armee, das war der Hinweis, der konkrete Anhaltspunkt; hier hatte der Hebel der Nachforschungen anzusetzen. Jetzt würde es, so stellt sich der Laie vor, dem armen Ilič schlecht ergehen; nun würde ihm wohl der Untersuchungsrichter “ Tag und Nacht keine Ruhe mehr lassen.

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