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Kampf der „neuen Türkei

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„Morgen besuche ich Sarajewo und reise abends ab", depeschierte der Thronfolger nach dem Manöverende in Bosnien dem Kaiser nach Ischl.

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„Morgen besuche ich Sarajewo und reise abends ab", depeschierte der Thronfolger nach dem Manöverende in Bosnien dem Kaiser nach Ischl.

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Es war ein geheimdienstliches Komplott, dessen Ausführung fanatisierte Jugendliche besorgten. Einige der sieben Attentäter (Mehmedbasic, Cubrilovic, Cabrinovic, Popovic, Ilic, Princip und Grabez) bekannten sich zum Anarchismus. Im Hintergrund zog, wie Friedrich Funder aufgrund der damals neuesten Aktenlage 1954 in der FURCHE überzeugend darlegte, der Oberst im serbischen General-stab, Dragutin Dimitrijevic, genannt „Apis", der Stier, die Fäden. Er, sowie der serbische Spion Rade Ma-lobabic, der Komidatschi-Führer Major Vojslav Tankosic und Ljubo-mir Vulovic, Abschnittskommandant an der serbischen Grenze, bereiteten das Attentat ideologisch und logistisch vor.

Für Dimitrijevic, der schon - so Funder - „nach Abschluß der Vorbereitungen des Balkankrieges eine ,Aktion im Norden und Westen' in den zu Österreich-Ungarn gehörigen Gebieten begann, weil er in Osterreich den Hauptfeind für die Unabhängigkeit des serbischen Staates und das Haupthindernis für die Durchführung der nationalen Vereinigung" sah, war Franz Ferdinand mit seinen Reformplänen zu einer für die Slawen in der Monarchie autonom-föderalen Verfassung ein gefährlicher Gegner. Gewährung der Autonomie, ein Staatenbund oder eine TripleMonarchie (Österreich-Ungarn-Slawen) unterliefen die großserbischen Ideen.

Dazu sollte es erst gar nicht kommen. Ein 1906 wegen Hochverrats nach Belgrad desertierter österreichischer Offizier, Major Milan Pribice-vic, arbeitete als Generalsekretär des Geheimbundes „Narodna Odbrana" (Nationale Verteidigung, seit 1911 Dachorganisation vieler Geheimvereinigungen) auf die Befreiung aller Südslawen von den verhaßten Habs-burgern hin. Nach der Annexion Bosnien-Herzegowinas durch Österreich 1908 flohen viele Jugendliche nach Serbien, wo sie sich mit antiösterreichischen Parolen vollsaugten. Aus Österreich war die „neue Türkei" geworden, von der man sich wie von der alten befreien müsse. Princip gab nach dem Attentat zu Protokoll: „Jedes Unglück, welches den Jugoslawen zugestossen ist, stammte von Österreich... Meine Gedanken waren, daß jeder, der eine Seele hat und für das leidende Volk empfindet, protestieren und was immer ausführen muß."

Princip hat es ausgeführt, und der Zufall, das Schicksal, das Zusammentreffen vieler notwendiger Umstände haben ihm dabei geholfen. Um 9 Uhr am Sonntag, 28. Juli 1914, dem Veitstag (Erinnerung der Serben an die Schlacht auf dem Amselfeld 1389, die die Serben gegen die Türken verloren), ging er mit einer Bombe, einer Pistole und Zyankali zum Appelkai in Sarajewo, wo er Freunde traf. Nedeljko Cabrinovic hatte, nachdem er eine Bombe erhalten hatte, in einer Konditorei noch drei Stück Kuchen verspeist. Zur selben Zeit wurde im Aufenthaltsort des Thronfolgerpaares, in Bad Ilidze, eine Messe für Franz Ferdinand und Sophie gelesen.

Der Erzherzog, der nach den Manövern aufgrund von Warnungen fast schon bereit schien, nicht nach Sarajewo zu fahren, wurde von Oberstleutnant Erik Edler von Meri-zzi, dem Adjutanten des Landeschefs von Bosnien-Herzegowina, des Feldzeugmeisters Oskar Potiorek, bestürmt, die loyale bosnische Bevölkerung und den Landeschef doch nicht vor den Kopf zu stoßen. Merizzi stand in einem merkwürdigen Verhältnis zu dem als narzißtisch beschriebenen Potiorek (der junge Historiker Rudolf Jerabek hat dies in „Potiorek - General im Schatten von Sarajevo", Styria 1991, faszinierend nachgezeichnet): Ein „Männerverhältnis ' als erste Wegweisung des Schicksals zum Untegang der alten Weltordnung. In Sarajewo waren nur spärlich Polizisten postiert, Potiorek vertraute darauf, daß schon nichts passieren würde. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Bathaus erfolgte das erste Attentat, bei dem Merizzi verletzt wurde. Der Adjutant wurde ins Garnisonsspital gebracht. Mit dem Thronfolgerpaar fuhr man rasch zum Rathaus weiter. Der erregte Erzherzog wurde von dem um dessen Wohlwollen bangenden Potiorek verhängnisvollerweise überredet, vor'seiner Abreise noch Merizzi im Spital zu besuchen. Und auf dieser Fahrt, bei der Potiorek in aller Aufregung vergessen hatte, die genaue Fahrtroute festzulegen, sodaß das Auto des Erzherzogs kurz anhalten und wenden mußte, fielen die tödlichen Schüsse: sie durchschlugen die Halsschlagader Franz Ferdinands und die Bauchaorta der Herzogin.

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