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Ein Bild der, wenn auch nicht ganz, perfekten Idylle

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Auf den Gebirgsweiden Bosniens und der Herzegowina erreichte das Fleisch der Hammel und der Lämmer besonderen Wohlgeschmack. An den Flüssen benützten die Bauern ein kleines Wasserrad, welches automatisch das Lamm drehte, während dieses am Spieß gebraten wurde. Moriz Hoernes, ein Autor des späten 19. Jahrhunderts, fand das Volksleben in Sarajevo „urwüchsiger, östlicher als das von Con-stantinopel”.

Die Tage des friedlichen Zusammenlebens von Menschen verschiedenen Glaubens waren von jener Stunde an gezählt, in der Österreichs Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand im Juni 1914 vom Kriegsschiff „Viribus Unitis” an Land ging. Die Nachkommen des Lokomotivführers Julius Brod, der Franz Ferdinands Sonderzug nach Sarajewo brachte, bewahren heute noch die weißen Lederhandschuhe auf, die der Eisenbahner an jenem Tag trug. Nachzulesen ist die Geschichte dieser Handschuhe, ebenso wie das Lob der bosnischen und herzegowinischen Lämmer, im Bildband „Bosnien-Herzegowina 1878 - 1918” von Valeria Heu-berger und Heinz Urning (Verlag Christian Brandstätter). Es handelt sich hier um ein Buch legitimer Nostalgie.

Die Nostalgie, das Bild versunkener Harmonie, bildet nämlich in diesem Fall den Hintergrund, von dem sich der blutige Wahnsinn, in dem diese Länder untergingen, um so erschütternder abhebt. Diesen Kontrast hervorzuheben ist auch dann legitim, wenn die Harmonie zwischen Völkern und Beligionen aber vielleicht doch nicht ganz so vollkommen war, wie sie von Nostalgi-kern sowie zeitgenössischen und späteren allzu unkritischen Bewunderern des Habsburgerreiches dargestellt wurde.

Der Band räumt, trotz seines Untertitels „Alte Ansichten vom gelungenen Zusammenleben”, mit übertrieben sonnigen Vorstellungen von diesem Zusammenleben auf, auch mit der Illusion, Habsburg hätte den Balkan-Muslimen ein Goldenes Zeitalter beschert. Tatsächlich waren 1878 die gefährlichsten Gegner der einmarschierenden Österreicher nicht die demoralisierten türkischen Truppen, sondern die aus der Bevölkerung stammenden „Insurgenten” und Teile der Zivilbevölkerung, auf die sie sich stützen konnten. Viele starben lieber, als sich den christlichen Truppen auszuliefern.

Gewiß verdankte Bosnien-Herzegowina Österreich einen mächtigen Aufschwung in den Jahren 1878 bis 1914. Der besondere optische Beiz des Bildbandes aus dem Brandstätter-Verlag ist das Nebeneinander vor allem baulicher Zeugnisse der Modernisierung und des Volkslebens, wie es in Monographien und auf den kolorierten Fotos der Ansichtskarten der damaligen Zeit erscheint.

Ebenso gewiß, wie sie durch die Modernisierung gewann, verlor die muslimische Bevölkerung, bis 1878 die überwiegende Mehrheit, durch die Vertreibung der Türken auch die Beschützer ihres Glaubens. Damit wurde ein Zeitzünder geschärft, dessen Explosion vorhersehbar war. Daß sie sich genau in dem Moment ereignete, in dem die bosnisch-her-zegowinischen Moslems erstmals einen Staat bekamen, in dem sie wieder die Mehrheit bildeten, zählt zu den blutigen Treppenwitzen der Weltgeschichte. Daß niemand vorher daran denken mochte, was geschehen konnte, ist - ähnlich wie der Sieg der Nazis - einer der Gründe dafür, daß es, das Unvorstellbare, Wirklichkeit wurde. Joachim Riedl bietet in einem Essay nicht nur eine weitere Schilderung heutigen Elends, sondern stellt es in den historischen Rahmen. Die Schlüsse muß jeder für sich selber ziehen. Neben seiner bibliophilen Qualität und der seiner Bebilderung besteht das besondere Verdienst dieses Buches darin, Schmerz angesichts dessen, was zerstört wurde, zu erzeugen.

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