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Feldzeugmeisier Oskar Poiiorek

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Am 20. November 1853 — also vor 100 Jahren — wurde als Sohn eines Markscheiders in Bleiberg Oskar Potiorek geboren, dem ein ebenso glänzender wie tragischer Lebenslauf beschieden sein sollte. Er verließ 1871 die Technische Militärakademie, kam nach vorzüglich absolvierter Kriegsschule in den Generalstab und diente 43 Jahre im habsburgischen Heer: beim 2. Genieregiment, beim 7. und 17. Infanterieregiment, als Kommandant der 64. Brigade und des III. Korps, 24 Jahre in Generalstabsverwendungen aller Art, besonders 14 Jahre im Operationsbüro, dessen Chef er 1892 bis 1898 war. Potiorek wurde Feldzeugmeister, stellvertretender Chef des Generalstabes an der Seite Becks, und von Conrad 1906 zu dessen Nachfolger empfohlen, er wurde Landeschef von Bosnien und Herzegowina, Kommandierender General in Bosnien-Herzegowina-Dalmatien, Geheimer Rat, Regimentsinhaber, Ritter der Eisernen Krone 1. Klasse, Großkreuz des Leopold- und des Franz-Joseph-Ordens sowie Kommandeur des St.-Stefan-Ordens. Dieser General hatte somit die höchsten Würden erreicht, die einem Soldaten vor 1914 offenstanden. Seine Vorgesetzten charakterisierten ihn als „außergewöhnlich begabt“, von einer „an die schwierigste Aufgaben heranreichenden Befähigung“ und rühmten seine „Sicherheit in der Durchführung bei kurzer, prägnanter und sehr bestimmter Befehlsgebung“. Es war also mehr als begründet, daß der Feldzeugmeister auf den so exponierten Posten der Donaumonarchie gestellt wurde, auf dem er die Südostbastion des Reiches militärisch zu schirmen und das Okkupationsgebiet politisch zu verwalten hatte. In dieser machtvollen Stellung verließ ihn aber das Glück, als am 28. Juli 1914 der Mord in Sarajevo den ersten Weltkrieg auslöste. Nichts war billiger und vielleicht auch naheliegender, als wegen des gelungenen Attentates den Landeschef zu beschuldigen, und man tat dies bisweilen mit einem Eifer, den nur die augenblickliche tiefe Betroffenheit über das Attentat entschuldigen konnte. Heute, nach bald 40 Jahren, kann über Verantwortlichkeit und Schuld ruhiger geurteilt werden.

Schon bei den böhmischen Manövern 1913 wünschte der Erzherzog-Thronfolger an den nächsten in Bosnien stattfindenden Armeeübungen teilzunehmen, und die Entscheidung darüber fiel, wie Conrad berichtet, in einer Audienz beim Kaiser am 3. Jänner 1914. Major Ronge vom Evidenzbüro beantragte sofort für die Reise einen erhöhten defensiven Kundschafterdienst, den jedoch der Erzherzog ablehnte. Potiorek selbst „übernahm die volle Verantwortung für die Sicherheit“ (Bardolff) und leitete dieselben Maßnahmen ein, wie sie sich beim Kaiserbesuch 1910 erprobt hatten. Wenn auch so manche Warnungen laut wurden, ließ sich doch Erzherzog Franz Ferdinand nicht abhalten und es wäre auch seiner ganzen Denkungsart fremd gewesen, drohenden Gefahren auszuweichen oder großen Truppenübungen als Generalinspektor fernzubleiben, während sein regierender Oheim noch 79jährig den „Kaisermanövern“ beigewohnt hatte. Auch den Rat des Obersten Paul Höger, nach bisher wohl-gelüngenem Verlauf der Fahrt schon am 27. Juni abends heimzureisen, befolgte der Erzherzog nicht. Nach dem ersten Anschlag faßte er dann bekanntlich ganz spontan den edlen und sehr mutigen Entschluß, seinen verletzten Flügeladjutanten im Spital zu besuchen, und der bis heute nicht geklärte Irrtum des voranfahrenden Bürgermeisters wollte es, daß die Autos einen falschen Weg einschlugen, was unmittelbar zum zweiten und tödlichen Anschlag führte.

Als nach der Katastrophe auch der gemeinsame Finanzminister Dr. von B i 1 i n s k i als oberste Instanz für die Verwaltung von Bosnien mit Vorwürfen wegen zu geringer Anzahl von Polizisten nicht sparte, konnte der Landeschef seinem Minister den Hinweis nicht ersparen, er könne aus den Akten selbst ersehen, „welche Mühe und Zeit, es die Landesregierung bisher immer gekostet hat, die Bewilligung des Ministeriums zu den kleinsten bezüglichen Schritten zu erlangen“. Potiorek war selbstverständlich „verantwortlich“, er war aber doch nur äußerst bedingt „schuldig“, und mit Recht hatte er an Bilin-ski geschrieben, nur die völlige Räumung der Stadt hätte das von langer Hand vorbereitete Attentat vielleicht verhindern können. Wie zutreffend diese Bemerkung war, bewiesen später das Attentat auf König Alexander von Jugoslawien in Marburg 1936 oder jenes auf Hitler im Herzen seiner Oberbefehlshaberfestung 1944, oder aber der Wurf eines in Zeitung gewickelten Sprengkörpers auf die Zuschauer beim Einzug des Marschalls Tito in London am 16. März 1953. Auch der Bombenanschlag auf Präsident Peron am 15. April 1953 in Buenos Aires konnte nicht verhindert werden. General Potiorek war denn auch in seiner . Position unerschüttert geblieben und niemand an maßgebenden Stellen hatte den Gedanken, ihn etwa zum Sündenbock stempeln zu wollen.

Ihm blieb aber ein zweites bitteres Mißgeschick nicht erspart, als er am 7. August 1914 zum Oberkommandanten der Balkanstreitkräfte .ernannt wurde, an deren Spitze er gegen Serbien — den besten Gegner — und Montenegro mit der Mindestaufgabe: „Einbrüche in das Gebiet der Monarchie ab zu wehre n“, zu kämpfen hatte. Der FeldVrr stand vor einer ihm diktierten itrifcte'Stnisfi Läse, und der nun in Kraft tretende Operationsplan wich grundlegend von jenem ab, den Potiorek seinerzeit im Operationsbüro ausgearbeitet hatte und von dem die Besserwisser noch heute zehren. Auf jeden Fall mußten 1914 durch die Wahl der Öperationsrichtung in erster Linie Bosnien-Herzegowina-Dalmatien — auch bei Rückschlägen — geschützt bleiben, unwiderruflich durfte die 2. Armee nur vorübergehend in Serbien verbleiben, unerwartet drängten Ungarn und plötzlich auch die Außenpolitik zur Offensive und niemand vermochte zu sagen, wie es mit Rumänien, Bulgarien und der Türkei stand. Potiorek holte dennoch im August entschlossen zum ersten Schlag aus. Nach dessen Mißlingen und nach Abzug der 2. Armee verblieben ihm von Cattaro bis Orsova auf 900 Kilometer nur 140.000 Mann gegen 220.000 Serben und Montenegriner. Mehr als zwei Fünftel der „Balkanstreitkräfte“ waren nicht für die Kampffront bestimmt (Landsturm-, Territorial-, Etappen-, Ersatz- und Marschformationen ohne jede moderne Ausrüstung), vielfach gab es noch dunkle Uniformen, Trains aus dem Jahre 1863, alte Schwimmschulpontons bei Fluß-forcierungen, Geschütze ohne Rohrrücklauf, Bataillone mit Einzelladern und unverläßliche tschechische Verbände, die mehr als einmal schwerste Gefechtskrisen heraufbeschworen. Auch jetzt zögerte aber der Kommandant dieses zum Teil mangelhaften Aufgebotes nicht. Er gewann glänzend die zweite Schlacht (Abwehr der feindlichen Fin-brüche auf der Romanja planina und in Syrmien), er bezwang den Feind in der folgenden Schlacht um Drina und Sawe, er siegte in der vierten Schlacht, die um die Kolubara und um Belgrad tobte, und er stand

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Ueber die Heerführung Potioreks hat die Geschichte bereits ihr Urteil gefällt. Die Generalstabswerke Oesterreichs und Ungarns werden Potiorek in hohem Maße gerecht, alle namhaften Kritiker des k. u. k. Generalstabes (W. Adam, M. v. Pitreich, R. v. Pohl, M. Ronge, W. Slameczka) würdigen die Feldherrenleistungen des unglücklichen Generals. A. v. Wittich sagt:

„Mitte November hatte Feldzeugmeister Potiorek die ihm gestellte Aufgabe restlos erfüllt, daß er darüber hinaus mehr die .volle Niederringung des Gegners wollte, wird immer ein Ruhmesblatt in seiner Führung bleiben ... er war größer als mancher vom Erfolg getragene Führer des Weltkrieges.“

Der als schonungsloser Kritiker allgemein sehr gefürchtete General A. Krauß stellte

„den Feldzeugmeister trotz seinem Unglück als Führer turmhoch über manchen anderen siegreichen General, der nie von so starkem Willen wie Potiorek beseelt und noch weniger von wahrem Führertum erfüllt, doch ... es bis zum Generalobersten oder gar zum Feldmarschall bringen konnte“.

Alfred von Waldstätten erblickte in der Führung des Oberkommandanten der Balkanstreitkräfte „napoleonische Züge“. Conrads Urteil lautet:

„Feldzeugmeister Potioreks “'Entschluß zur ersten Offensive gegen Serbien entsprach vollkommen meinen Anschauungen... Eine vorurteilsfreie Geschichtsforschung wird erweisen, wie sehr die anfangs siegreiche österreichisch-ungarische Offensive die Kraft Serbiens gebrochen hatte, so daß es für lange Dauer zur Ohnmacht verurteilt und dadurch die Möglichkeit geboten war, die gegenüber Serbien befindlichen Truppen teils an die russische. Front zu ziehen, teils gegen den neuerstandenen Feind nach Westen zu wenden, sowie auch, daß bei Wiederaufnahme der Offensive gegen Serbien die vereinten deutschen, bulgarischen und österreichisch-ungarischen Truppen den Boden in einer Weise vorbereitet .fanden, die den Erfolg ganz wesentlich erleichterte.“.

Der einstige Gegner (Desmazes-Naumo-, witsch) schrieb den Mißerfolg nicht der Führung des Feldherrn, sondern in erster Linie dem Umstände zu, daß die k. u. k. Truppen nicht national einheitlich waren. Die unerwartetste Rehabilitierung erhielt aber General Potiorek durch das vom Parlament der Ersten Republik aufgestellte Sondergericht zur Aburteilung von Stabsoffizieren und Generalen. Potiorek hatte bereits am 21. Dezember 1914 General von Bolfras gegenüber erklärt:

„Die Verantwortung für alles Geschehene, mag es sich wie immer zugetragen haben, trifft ausschließlich mich und ich werde jede Konsequenz dieser mir zufallenden Verantwortung ruhig und mit soldatischer Ergebenheit auf mich nehmen.“

Seit diesem Tage hatte der General geschwiegen und erst als Angeklagter reehtfertigte er sich vor dem Sondertribunäl. Dieses stellte am 4. Juni 1921 fest, daß Potiorek weder die Grundregeln der Kriegskunst noch seine Dienstpflichten verletzt habe, daß hingegen „der serbische Gegner durch den Feldzug 1914 ins Herz getroffen und seine Offensivkraft endgültig gebrochen w a r“. Ein Nachwort dazu brachte die „Oesterreichische Wehrzeitung“ nach dem Tode des Feldzeugmeisters 1933:

„Die Nachwelt wird seiner Truppenführung als Gesamtleistung nicht minder Gerechtigkeit widerfahren lassen wie der überragenden einsamen Größe seiner inneren Persönlichkeit.“

Eine Schlacht verlieren bedeutet nicht in jedem Falle dasselbe, da stets ungezählte Momente mitentscheiden, die oft dem unmittelbaren Einfluß des Befehlshabers entzogen sind. Erzherzog Carl verlor mit 128.600 Mann die Schlacht bei Wagram gegen 181.700 Franzosen, nahm diesen jedoch mehr Gefangene und Trophäen ab, als die Oesterreicher selbst verloren; Napoleon unterlag bei Waterloo doppelter Uebermacht; Osman Pascha wurde bei Plewna von vierfacher Uebermacht niedergerungen. So verlor auch Potiorek einen wichtigen Waffengang gegen Uebermacht, er ging aber aus ihm mit gleich blankem Schild Hervor wie die in den ebengenannten Schlachten unterlegenen Feldherrn. Soweit er aber für tatsächliche Unzulänglichkeiten bei Erfüllung seiner ihm vom Schicksal übertragenen gewiß nicht leichten Aufgaben einzustehen hatte — er verbüßte es nach seiner Enthebung im Dezember 1914 fast zwei Jahrzehnte lang im Schatten jener unbarmherzigen Meinungsbildung, die der Ungunst der Zeiten immer verschwistert ist.

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