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Die Russen auf dem Ring

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Die um Wien vorstürmenden Truppen der 2. und 3. ukrainischen Front werden von der 5. und 17. sowjetischen Luftarmee unterstützt, gegen die im östlichen Österreich noch etwa 120 deutsche Flugzeuge eingesetzt sind. Die Russen werfen außer ihren Schlachtfliegern manchmal mittlere Bomber ins Kampfgeschehen, doch beträgt deren Starke jeweils höchstens 50 bis 60 Maschinen. Immerhin, um den 10. April konnte man am wolkenlosen Wiener Nach-mittagshdmmel Staffel auf Staffel sowjetischer Apparate vorüberziehen sehen, die nach dem Einsatz zu ihren Basen in Ungarn heimflogen. Auch deutsche Messerschmidt-Maschinen brausten über einzelne Viertel Wiens hinweg und warfen Bomben ab. Um das Ende der ersten Aprilwoche geht es in Wien drunter und drüber. Die blutjungen SS-Soldaten aus dem Altreich kommen sich völlig isoliert vor, wenn sie mit der Bevölkerung zusammenarbeiten wollen. Das Beispiel von Breslau und Gdogau mit der laut Wehrmachtsbericht so vorbildlichen Gemeinschaft von kämpfender Truppe, Volkssturm und ziviler Verwaltung scheint hier vergeblich zu sein. Der Reichsstatthalter selbst hat inzwischen einen Vorwand zur Abreise gefunden, und ähnliche Gründe werden auch von seinen Mitarbeitern in Anspruch genommen. Illustrierte Wochenschriften befragen im Sommer 1967, also nach der Entlassung Scfiirachs aus dem Gefängnis Spandau, den Exreichslleiter selbst sowie Blaschke und andere Mitkämpfer darüber und stellen folgendes fest: Am 9. April ist Schwach angeblich im Bunker der Hofburg gewesen und hat bei einer Lagebesprechung den Widerstand bis zum Äußersten proklamiert ! Wenig Stunden nachher dürfte ihn der mißtrauische Hitler entmachtet und im Leutnantsrang zur Truppe abgestellt haben. Sepp Dietrich sol daraufhin den Reichsleiter wegen dessen Ortskenntnis als Verbindungsoffizier in den Armeestab aufgenommen haben.

Schiradi und Blaschke fliehen

Augenzeugen des Abschieds in der Hofburg, wo eine Widerstandsgruppe bereits die elektrischen Hilfsquellen gedrosselt hatte, geben jedoch ein etwas anderes Bild. Demnach hätten sich Schirach und seine Getreuen zunächst mit den vorhandenen Spirituosen berauscht. Der solcherart „enthemmte“ Gauleiter und Verteidi-gungsikommissar habe dann verkündet, daß jeder weitere Widerstand •innlos geworden sei, sich samt seinen Freunden in einen bereitstehenden Panzerwagen geschleppt und mit diesem und anderen Fahrzeugen in Eile den Donaukanal sowie den Strom selbst überschritten. Die Abziehenden dürften sich sogar geweigert haben, Verwundete in ihren Konvoi zu nehmen. Bürgermeister Hanns Blaschke ist höchstwahrscheinlich von dieser Wendung überrascht worden und daraufhin seinerseits aufgebrochen.

Er behauptet jedenfalls, daß er das Rathaus erst verließ, als die Russen bereits am Ring vorgingen. Der Wiener Bauernführer Mayrzett soll bei ähnlichem Aufbruch zu schnell gewesen und vor Schirach ins Ober-österreichische gekommen sein, wo ihn Gauleiter Eioruber deswegen erschießen ließ. Der Stellvertretende Gauleiter Scharitzer hingegen ist zu einer Wiener Volkssturmeinheit geeilt und dort von den Russen gefangengenommen worden. Die meisten Wiener Rathausbeamten waren aus ihren Büröräumdicbkeiten verschwunden Der oberste Kulturamtsfunktionär vergiftete sich mit seiner Frau in der nahen Luxuswohnung in der Reichsratstraße, der Intendant dea Opernhauses der Stadt Wien am Währinger Gürtel erhängte sich im Chorgestühl einer niederösterreichischen Kirche. Der Dichter Josef Weinheber sah vor den Fenstern seines Hauses in Kirchstetten bei Neuiengbach die zermürbte Wehrmacht und tausende Flüchtlinge vorüberziehen. Die Gesundheit Weinhebers war bereits seit Jahresanfang sehr geschwächt er litt unter De-pressionszuständen und chronischer Schlaflosigkeit die er durch Alkohol und erhöhten Konsum an Medikamenten zu bekämpfen suchte. An einem dieser Aprilabende wurde Weinheber nach Leerung von drei Flaschen und Einnahmen überdosierter Schlafmittel in nahezu bewußtlosem Zustand aufgefunden. Wiewohl sogleich zu Bett gebracht, hielt sein Körper den auf die geschilderte Art mitgenossenen Giftmengen während der nächsten Stunden nicht mehr stand. Heute weiß niemand genau, ob bei Weinheber effektiver Wille- zur Selbsttötung vorhanden war, oder ob er in lethargischem Zustand die Menge des Verträglichen überschritt.

Kanzler Renner amtiert

Gleich nach den Verhandlungen in Hochwolkersdorf ist Doktor Renner, der sich damals noch eher als letzter Nationalratspräsident von 1933 denn als provisorischer Staatsikanzler fühlte, in das kleine Schloß Eichbichl am Fuße des Rosaliengebirges transferiert worden, wo er den Verlauf der Schlacht um Wien miterleben konnte. Etliche Tage später öffneten die Russen die ehemalige Villa des jüdischen Margarinefabrikanten Blaimschein in Hietzing, holten aus den umliegenden Wohnungen Mobiliar in Haus und setzten Dr. Renner hinein. Mit ihm lebten und arbeiteten jetzt mehrere sowjetische Offiziere, die ihn mit Zigarren versorgten und Tag und Nacht auf ihn achtgaben. Der Kanzler aber freute sich über sein erstes Regle-rungsfahrzeug, einen altertümlichen Kraftwagen mit Bewaffneten auf den Trittbrettern, und war, was seine persönliche Freiheit betraf, zunächst sehr bescheiden.

Es muß der 10. April 1945, also ein Dienstag, gewesen sein, von dem die russischen Autoren P. Pavlenko und

Z. Hiren schreiben, daß der Kampf um Wien am Mittag genauso erbittert geführt wurde wie am Morgen. Auch gegen Abend dröhnten überall noch die Geschütze und Minenwerfer, denn die Deutschen hielten sich noch bei zwei intakten Kanalübergängen. Sie waren mit der Evakuierung nicht fertig geworden und mußten jetzt sogar zwei Lazarette ihrem Schicksal überlassen, wovon das eine mit mehr als 1400 verwundeten Offizieren und Mannschaften belegt war. Auch um die Hofburg wurde noch gerungen.

Die Stalingradkämpfer Kalmbet und Grozov führten ihre im Häuserknak-ken versierten Sturmbataiillone heran, während auf dem Schwarzenbergplatz der Kompaniekoch Tschet-verikov aus eigener Initiative Reisbrei an Kinder austeilte, die offenbar ihre Eltern verloren hatten. In seinem Tagesbefehl vom 13. April 1945 gab Stalin die Zerschlagung von elf deutschen Panzerdivisionen und die Gefangennahme von 130.000 Deutschen in der Schlacht bei Wien an, wobei seitens der Sowjets allerdings von den Kämpfen am Plattensee bis zur Eroberung des March-f eldes gerechnet wird.

Letzte Zuckungen

Die Russen verlieren im Stadtgebiet zahlreiche Kettenfahrzeuge, die neben Hausecken ausbrennen oder an Leitungsmasten stecken bleiben. Panzerfaust und Haftladung halten späte Ernte. Vom Donaukanal her versuchen die Deutschen einen Gegenangriff, der die Rotarmisten etliche Straßenzüge zurückwirft.

Aber die jenseits des Stromes heranroll enden Reserven von mindestens einer SS-Division können sich nicht mehr in die Schlacht einschalten, ja nicht einmal das linke Donauufer bewahren. Außerhalb des Gürtels wartet der gigantische Heerbann der 3. ukrainischen Front, bis die Sturmtruppen ihre Arbeit getan haben. Fast ganz Südasien ist vor dem ehemaligen Linienwall versammelt. Tausemde Klepper zerren an Panjewagen, alte Automobile, über und über mit Teppichen ausgelegt wechseln mit amerikanischen Jeeps und offenen Lkw voll Mais oder Verwundeten, die in die Wiener Spitäler gebracht werden sollen. Nur zögernd sinkt der Rauchvorhang über den letzten Szenen. An mehreren Stellen tragen die Soldaten der Wehrmacht noch schnell hoch-brisanten Explosivstoff in Rucksäk-ken unter Gewölbe oder Torbögen, um diese zu demolieren. Die großen Brückensprengungen sind schon wochenlang vorbereitet worden. Die sowjetische Donauflotte tuckert

stromauf heran, läßt ihre Bordwaffen spielen und wirft Stoßtrupps an Land. Die Deutschen versenken die eigenen Kähne, die sie nicht mehr nach Linz durchlb ringen können.

Da Inferno der Plünderungen

Plünderungen weiteten sich in den letzten Kampftagen unter dem Aspekt des zusammenbrechenden Rationieruwgssystems und der damit drohenden, totalen Hungersnot über ganz Wien aus. Zunächst gelangten Waren, die seit Jahren im Zuge des Kartensystems sehr selten aufgerufen wurden, zu begrenztem Verkauf, wobei lächerlich geringe Preise gefordert werden mußten. Stunden später waren keine Verkäufer mehr da, und die Interessenten nahmen sich ohne Entgelt, was sie wegtragen konnten. Wie glücklich waren die Besitzer von Handwagen oder ähnlichem fahrbarem Untersatz! Später wurde bekannt, daß ungeheure Vorräte an ärarischem Schuhwerk, Textilien, Monturen, Pelzen und Gerätschaften an mehreren Orten zur Sprengung vorbereitet würden, und alles eilte dorthin, um, von mitleidigen oder überanstrengten Wachmannschaften toleriert, ein Teil zu ergattern. Damit war es bis zum gewaltsamen öffnen verlassener Lokale nicht mehr weit und mancher, der bis dato Diebstahlsabsichten entrüstet von sich gewiesen hätte, zerrte nun fremde Hab und Gut heimwärts. Besonders Eingeweihte machten sich über unbeaufsichtigte Wertgegenstände aus öffentlicher oder privater Hand her. Mehrere Luxusvillen der Nachkriegszeit sollen derartigen Übergriffen ihr Entstehen zu verdanken haben. Weniger Erfolgreiche oder weniger Skrupellose verhungerten tatsächlich während der folgenden Wochen beziehungsweise fielen entkräftet der nächsten Infektion zum Opfer.

14 Tage im Donner

Der Vollständigkeit halber muß auch auf jene bedeutenden Zerstörungen an kulturellen Baulichkeiten Wiens

eingegangen werden, die im. April 1945 eingetreten sind, jedoch nicht mit Luftangriffen der Amerikaner in Zusammenhang gebracht werden können. Es handelt sich um Artillerieschäden, die manchmal zu Schadenfeuern führten, sowie um zahlreiche Brandstiftungen. Am Monatsanifang, als sich die großen Wiener Hotels rapide von ihren Südostgästen, Verwundeten, einquartierten Stäben usw. leerten und Blaschkes Wiener Verkehrsverein eigenlich wieder der so lange entbehrte Bettenraum zwecks Touristenvermittlung zugefallen wäre, wenn solcher noch jemand interessiert hätte, setzten die Deutschen alle verbliebenen Flakbatterien der Gaustadt im Erdkampf ein. Weiters vervollständigten einige Selbstfahrlafetten und Ausbildungsgeschütze die von der SS aus Ungarn zurückgebrachten Kanonen, doch ergab sich Infolge der Befehlsverwirrung, an der das letzte Wiener Offlzierskom-plott wesentlichen Anteil hatte, kein konzentrierter Einsatz. Die 3. ukrainische Front zog ihrerseits Feldartil-lerie und die gefürchteten „Stalin-orgeln“ nach. So entwickelte sich an verschiedenen Punkten der Stadt mehr oder weniger heftiges Feuer, das der Zivilbevölkerung sowie staatlichen und städtischen Objekten Schaden zufügte. Hiezu kamen Fehlschüsse der in der Stadt operierenden Panzerfahrzeuge sowie fallweise der panzerbrechenden Waffen. Ungefähr 14 Tage lang war der Wiener Raum pausenlos vom Grollen der Abschüsse und Einschläge erfüllt, während man drei bis vier Tage lang des Nachts jederzeit in Büchern lesen konnte, weil der von Flammen erhellte Himmel den Ausfall des elektrischen Lichtes wettmachte.

Die Siegfriedslinie am Donaukanal

Nach dem Zusammenbruch oder der Preisgabe der ringförmigen Stellungen südlich der Donau, setzten sich die Deutschen an den Stromübergän-gen fest das heißt sie verteidigten zunächst die Donaukanallinie. Ihre Batterien beziehungsweise Granatwerfer nahmen die Beschießung der Inneren Stadt auf, wo die Rote Armee den Sprung über besagten Kanal vorbereitete. Diese Situation hielt mehrere Tage an und führte zum Brand des Stephansdomes, der oftmals von Geschossen durchlöchert worden ist Das jahrhundertealte Holzgebälk des Kirchendaches war allerdings gegen Feuer imprägniert und wurde von diversen kleineren Löschtrupps gegen Funkenflug verteidigt. Nach mehreren geglückten Aktionen gewann die Glut trotz allem die Oberhand. Die Frage, ob deutsche Granaten direkt oder nur mittelbar an dieser Entzündung Schuld tragen, wird bis heute in zahlreichen Veröffentlichungen behandelt Jedenfalls haben österreichische Regierungsstellen später einen deutschen Batteriechef, der den einschlägigen Schießbefehl mißachtet hatte, öffentlich ausgezeichnet. Die zahlreichen Brandstiftungen im Stadtkern gehen auf abziehende Wehrmachteeinheiten, die ihre Materialien und Büros vernichten wollten, auf Plünderer verschiedener Nationalität sowie auf eine braune Wer-wolfgruppe zurück, deren Tätigkeit jedoch angesichts der drohenden Haltung der Wiener Einwohnerschaft bald versiegte. Die Eindämmung der Flammenhölle ist den zivilen Hausgemeinschaften, fallweiser Hilfe durch sowjetische Verbände, bei Sakralbauten der Geistlichkeit, den geheim in der Stadt verbliebenen Feuerwehrleuten und nicht zuletzt der strengen Wiener Bauordnung mit ihren Feuermauern zu danken. Dem Heinricbshof gegenüber der Opernruine wurde jedenfalls erst während der Kämpfe um Wien der Rest gegeben. Die Bombentreffer und Brände am 12. März 1945 hatten Teile des weitläufigen Komplexes unbewohnbar gemacht für 23. und 31. März meldet der Feuerwehrbericht lediglich Nachlöscharbeiten. Während des russischen Einmarsches brach abermals Feuer aus, das von dem uns schon bekannten Opernhüter Weigl gesichtet wurde. Die Insassen des Heinrichshofes hatten die Tore verbarrikadiert und weigerten sich, aus Angst vor plündernden Soldaten, zu öffnen. Zu spät erkannten sie die eigene Gefahr beziehungsweise die lauteren Absichten der Einlaß heischenden Besucher von gegenüber. Die Flammen hatten bereits ihre unüberwindliche Macht entfaltet

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