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Sprengstoff-Symphonie

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Zwei Sprengkörper zerrissen hierauf die Bühne an der Fhilharmoni-kerstraße und warfen den eisernen Vorhang mitten in den Zuschauerraum. Zwei Phosphorkanister folgten und spritzten ihre Ladung von der Bühne in die nunmehr ungeschützte Weite des Hauses; die nächste Sprengbombe explodierte beim Kaisersaal.

Während unten in den Kellern etwa 1000 Ballettmädchen, Sänger, Regieleute, Musiker und Maskenbildner mit ihren Angehörigen um die Not-lampen sitzen, rennen oben ein paar Beherzt zwischen den 62 Hydranten des Hauses herum und setzen die Berieselungsanlage in Bewegung. Doch nach einem gurgelnden Geräusch kommt nichts mehr aus den Öffungen, denn die Amerikaner haben bereits mit weiteren Treffern das Rohrnetz der Inneren Stadt ausgeschaltet. Gaunersdorf er läuft zu den Löschteichen vor der Oper hinaus und entdeckt, daß der Luftdruck einschlagender Bomben den Wasservorrat dieser Großbehälter in alle Winde schleudert. Auf der Ringstraße prescht gleich darauf ein Zehn-Tonnen-Wasserwagen vorb<\ Gaunersdorfer hält ihn an und will ihn bei der Oper zum Einsatz bringen. Eine neue amerikanische Angriffswelle donnert mittlerweile im Tiefflug von der Paulanerkirche her

über das Operngelände und verursacht derartige Sturmböen, daß die letzten Fluten in den Löschteichen schwinden. Auch der schwere Tankwagen wird umgestürzt und weggeblasen. Gaunersdorfer verliert für einige Zeit jedes Wahrnehmungsvermögen, arbeitet sich aber irgendwie zum Eingang in das unterirdische Opennreich zurück.

Schlauchlinien bis zum Donaukanal

Als die Flammen die Gange des Hause erreichen, beginnt die Evakuierung des Luftschutzkellers vordringlich zu werden. In einzelnen Büroräumen des Souterrains herrschen schon 80 Grad Hitze. Ohne Panik taumeln die Menschenmassen nach oben und bemerken erst jetzt das Ausmaß der Katastrophe. Inzwischen sind ausländische Einheiten der Wiener Feuerschutzpolizei eingetroffen, doch die hungrigen Italiener und Ukrainer betteln um Brot, bevor sie Hand anlegen wollen. Weigl und Gaunersdorfer erhalten durch eine Schlauchliniie vom Wienfluß her Wasser, das dem Vordertrakt der Oper zugute kommt und dort tatsächlich einige Bauteile der Nachwelt bewahrt. Erst viel später werden auf Drängen des Reichsstatthalters zwei Schlauchlinien bis zum Donaukanal gelegt, doch hat diese Maßnahme keinen realen Einfluß auf das Ge-

schehen. Sie dient eher einem Propagandazweck, demzufolge die Hilflosigkeit ringsum sichtbar in Abrede gestellt werden soll. Zehn Jahre nach dem Opernbrand frischte der Musikschriftsteller und Kulturfunktionär der NS-Zeit, Alexander Witesehnik, in einem Artikel sein Gedächtnis auf. Demzufolge hatten die ehemaligen Mitglieder der Sitaatsoper im Vertrauen auf die Unverletzlichkeit des Hauses ihre Habseligkeiten hieher gebracht. In den tiefen Gewölben nistete eine Art „Opernfamilie“, während oben die Garderobenschränke von kostbaren Instrumenten, Kleidern usw. überquollen. Witesehnik bezeichnet den „schwarzen Montag“, also den 12. März 1945, als makellosen Frühlingstag. Zu diesem Zeitpunkt war im Opernhaus eine Sondervorstellung für die Wiener Jugend angesetzt, deren Kulissen bereits auf der Bühne standen und besonders gut brennbares Material abgaben. Witesehnik ist davon überzeugt, daß die herbeieilenden fremdländischen Löschmannschaften die Rettungsaktion sabotiert haben. Trotzdem sei erst im Laufe der folgenden Nacht

die Deckenkonstruktion eingestürzt und habe alles Wertvolle unter sich begraben. Fast gleichzeitig damit seien an vier Ausweichstellen 160.000 Kostümteile, die für 120 Opernausstattungen gereicht hätten, zugrunde gegangen. Die Hauptfront des Gebäudes am Ring aber sei durch den seinerzeit bautechnisch hervorragend geregelten Abzug der Bühnenesse und den damit hergestellten Druckausgleich erhalten geblieben.

Franz Salmhofer erzählt

Der spätere Operndirektor Franz Salmhofer erzählt (anscheinend Witesehnik), daß der erste Bombentreffer in der Oper beim Hotel Sacher erfolgt sei und der Bühnenboden sofort Feuer gefangen habe. Als mit den Löscharbeiten begonnen wurde, hätten weitere vier Bomben im Hause eingeschlagen und alle Rettungsversuche äußerst er-

schwort. Nach Salmhofer hätte man trotzdem vieles zu bewahren vermocht, wenn die alte Feuerwehrmannschaft, die das Gebäude bis in seine letzten Winkel kannte, noch im Hause gewesen wäre. Doch nur ein greiser Löschmeister von früher war am Platze belassen worden, und der mußte bald mit einer Rippenverletzung ins Spital geführt werden. Die übrigen Feuerwehrleute seien, nach Salmhofer, Neulinge gewesen, die auswärtigen Löschtrupps sollen samt ihren Offizieren nicht einmal die deutsche Sprache beherrscht haben. Laut Salmhofer war der prachtvolle Kaisersaal noch um 17 Uhr von den Flammen unberührt, und die in den Kellern der Oper Eingeschlossenen konnten allesamt ohne sonderlichen Zeitdruck in Sicherheit gebracht werden.

In der Gebäudeverwaltung der Wiener Staatsoper erinnerte sich Oberbaurat Dr. Waska noch 1967 daran, wie einer der Kommandanten jener amerikanischen Bombenformation, die das Viertel zunächst mit 30 großkalibrigen Explosivkörpern belegte, im Sommer 1945 auf Besuch kam. Der Betreffende begutachtete hier etwas betreten das Ergebnis seiner Aktion als US-Luftwaffenoffizier am 12. März 1945.

Dem Amerikaner wurde 1945 bei seinem Besuch in Wien davon allerdings nichts mitgeteilt, ihm selbst fiel als Entschuldigung seines eigenen Verhaltens lediglich die ursprüngliche Angriffsabsicht auf das Werk Moosbierbaum ein. Während des Raids wurde dann umdisponiert und Verkehrsanlagen im Wiener Stadtgebiet als Ausweichziel angeflogen. Das Operndach schien damals

einer Bahnhofshalle au gleichen und, abgesehen davon, hatte man Kenntnis von geheimnisvollen Rüstungsbetrieben in diesem Viertel genommen. .

Das Drama im Philipphof

Ein Sonderkorrespondent der Wiener „Presse“ meldete am 2. September 1950 aus Washington, daß die amerikanischen Flieger am 12. März 1945 mehrere 500-kg-Bomben über der Oper abgeworfen hätten. Mit diesen Sprengkörpern hätten sie in einem Aufwaschen noch die Albertina, den Philipphof und das Burgtheater getroffen. Ein zweiter Bombenteppich wäre auf den Franz-Josefs-Kai, die Häuser am Hohen Markt, die Sakristei von Sankt Stephan, das Erzbischöfliche Palais, die Salvatorkirche, die Börse, die Häuser hinter Maria am Gestade und das Schönborn-Palais niedergegangen. Der Korrespondent nannte diesen

Raid den schwersten von insgesamt acht Angriffen, die bis zum Herannahen der Roten Armee geplant waren. Wirklich zählte man in Wien am Abend des 12. März 1945 bis zu 150 große Bombentrichter und konnte daran zwei Ausklinkphasen feststellen. Allein 75 Trichter lagen in Opemnähe.

Der Washingtoner Berichterstatter bezeichnete einen Captain. Alfred, ohne dessen weiteren Namen mitzuteilen, als den verantwortlichen Einsatzleiter in Foggia. Besagter Alfred sei später Rechtsanwalt in Texas geworden. Am Morgen des 12. März 1945 habe er den Besatzungen einer Flying-Fortress-Gruppe das Werk in Moosbierbaum als Ziel angegeben, das jedoch dann von einer dichten Wolkendecke geschützt gewesen sei. Hierzu muß allerdings bemerkt werden, daß die Amerikaner infolge ihres hochentwickelten Bordradars durchaus in der Lage waren, ihre Ziele auch ohne Bodensicht zu erkennen. Jedenfalls, der Angriff auf das Opemviertel wird von diesem Korrespondenten im weiteren Verlauf seiner Ausführungen ganz so dargestellt, wie wir ihn bereits kennengelernt haben. Am nächsten Tag habe Captain Alfred, so schließt der Bericht, durch deutsche Zeitungen vom Wiener Opernbrand erfahren und die verantwortlichen Besatzungen mit Startverbot gemaßregelt.

Die Leiche ohne Kopf am Schreibtisch

Tatsächlich hausten die angeblichen Luftpiraten am 12. März 1945 in der Oper selbst weit weniger blutig als in deren unmittelbarer Umgebung. Schon im Eckblock Operngasse-Ring ereilte viele Wiener der Tod. Sie hatten sich im unterirdischen Speisesaal des ehemaligen Restaurants „Dreher“, der als Luftschutzkeller deklariert war, zusammengefunden und wurden dort von einer alle Stockwerke durchschlagenden Bombe erreicht. Noch viel schrecklicher ging es unter dem brennenden Philipphof zu, in dessen Luftschutzkellern wohl mehr als 200 Personen eingeschlossen waren. Ein führender Wiener Filmproduzent und ein im ganzen Reich berühmter Mime hatten sich ungeachtet aller Wärnungen bei Alarm wiederholt mit mehreren Balletteusen in eine Luxuswohnung dieses Hofes zurückgezogen und überlebten relativ wohlbehalten auch diese Attacke. Jenen aber, die in den Keller gestiegen waren, wurde durch Explosionen, herabstürzende Mauern, die Glut des Brandes und schließlich durch kopflose oder unzureichende Rettungsaktionen ein gräßliches Schicksal bereitet. Erst gegen Abend gelang es den Einsatzkräften, in einen Teil des Kellers vorzudringen. 27 Menschen, die im siedenden Löschwasser gekocht worden waren, wurden zunächst nach oben gebracht. An einer anderein Stelle, gleich unterhalb eines Selcherladens, glückte zur selben Zeit die Freilegung des Notausstieges, und dadurch konnten einige Personen noch lebend ins Freie getragen werden. Dann wurden die heimischen Kräfte abgelöst, und ungarische Honveds begannen weiterzügraben. Der Bergungserfolg war gering, allgemein breitete sich Erschöpfung und Gleichgültigkeit aus. Immer wieder flammten Glutnester hoch, die kargen Berichte der Feuerwehrzentrale sprechen von Nachlöscharbeiten bis gegen Ende März. Auch Pölzungen sind noch tagelang versucht worden, wohl weil man immer noch hoffte, in der Tiefe Verborgene zu finden. Dabei stieß man auf eine der bildhübschen Beamtinnen des Jockey-Clubs, die mit erhobenen Armen, aber ohne Kopf auf dem Tische saß. Sie war eine Schwester der Sekretärin des Bürgermeisters.

Ein Navigationsfehler des Pfadfinderflugzeuges?

Die Oper brannte den ganzen Nachmittag des 12. März und die darauffolgende Nacht. Erst im Laufe des Dienstag, des 13. März 1945, beruhigte sich das Feuer. Bald stellte sich heraus, daß nur das Hauptvestibül, die Zentraltreppenanlage, das Foyer im ersten Stock, die Loggia mit den Schwind-Fresken und der Teesalon vor der Festloge das Unglück einigermaßen überstanden hatten. Zwei Stockwerke tief unter dem Ringstraßenmiveau blieb auch das Kesselhaus mit seiner elektrischen Anlage relativ unversehrt.

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