6572143-1950_25_07.jpg
Digital In Arbeit

Feuer üker Hiroshima

Werbung
Werbung
Werbung

Es war der 6. August 1945, Hiroshima war seit Wochen in Autruhr. Das Militär war beauftragt, ganze Hauserreihen umzulegen. Man wollte sogenannte „Feuerlinien“ schaffen, die bei einem Fliegerangriff große Flärhenbiände verhindern und den Bewohnern der Stadt einen Fluch!weg aus dem entstehenden Feuer offen lassen sollten. Die verfügbaren Bewohner waren beauftragt worden, die Balken der niedergelegten Häuser und den brennbaren Schutt wegzuschaffen.

Neben den allgemeinen Vorbereitungen hatte jede Familie versucht, sich einen Unterschlupf gegen die Bomben zu schaffen. Das hatte große Schwierigkeiten, denn Hiroshima, die weite Inselstadt, hat an den meisten Stellen einen sehr hohen V/d=sersland. So hatten die meisten kaum mehr zustande gebracht, als sich ein ein Meter tiefes Loch zu graben, einige Raiken und Bretter darüber zu legen und diese mit etwas Erde zu bedecken. Daß das kein guter Schutz war, wußte jeder. Deshalb verließen abends Tausend? die Stadt mit einigen Habseligkeiten auf dem Rücken oder in einem Karren, und verbrachten die Nacht im Gebüsch der Berge oder in Bauernhöfen. Während des Tages erwartete man kaum einen Angriff. Das war die Situation als das Drama begann.

Es war gegen acht Uhr morgens. Ich stand vor dem Eingang unseres Hauses, das auf einem Hügel liegt, die das Tal von Hiroshima umgeben. Vereinzelte Wolkenreste über dem Tale und der Stadt schimmerten in der grellen Morgensonne. Es versprach ein heißer Tag zu werden. Um so mehr erfreute ich mich an der angenehmen Morgenfrische und an der herrlichen Aussicht über dia Gegend um die Stadt. Erst seit einigen Monaten wohnte ich hier, seitdem ich Tokio verlassen mußte. Ich unterhielt mich mit einigen japanischen Kindern aus der Nachbarschaft.

Kurz nachdem ein Fliegeralarm abgeblasen worden war, kam eine B 29 vom Norden her über unser Haus auf die Stadt zu. Ich konnte wegen der großen Höhe das Flugzeug nur mit Mühe sehen. Nichts geschab. Es verschwand nach Süden über dem Meer.

Da — gerade wollte ich mich wegwenden — stand plötzlich der ganze Himmel und das Tal in Flammen. Zahllose, unbeschreiblich grelle Strahlen ergossen sich blitzartig aus einem plötzlich aufflammenden, mächtigen Feuerball über das Tal. Weiß, rot, blutrot, dann ein schimmerndes Violett! Alles schien zu brennen in diesem Feuermeer. Wie ein Meer von Licht und Hitze flutete es um mich. Stand ich selbst in Flammen? Ich war ganz geblendet. War die Sonne aus ihrer Bahn geraten, um uns alle mit ihrer sengenden Hitze zu vernichten? Ich schnappte nach Luft und faßte mit beiden Händen an die Brust. Ich fürchtete zu ersticken. Kein Knall, kejjt Laut war zu hören gewesen. Ich hatte das Gefühl, daß eine Bombe in meiner unmittelbaren Nähe gefallen sei. Schnell mußte ich fliehen! Die Kinder schrien. Ich rannte instinktiv zum Eingang des Hauses. Die Kleinen waren hinter mir her. Mit einem Ruck war die sdiwere Schiebetür auf, und wir kauerten uns in den breiten Gang des Hauses. Alles war in wenigen Sekunden geschehen.

Da erbebte das ganze Haus. Ein furchtbarer Orkan fegte und wütete um uns herum. Ich fürchtete ein zweites Mal, meine Lunge würde erdrückt. Das ganze Haus schien zusammenzubrechen. Es war der Luftdruck der Exülosion, der uns nun erreichte. Türen und Fensterteile flogen um uns herum, Glassplitter sausten durch die Luft. Die Decke über uns brach durch und Bücher und Möbel stürzten mit einer Wolke von Staub über uns herab. Als ich mich nach einigen Sekunden erheben wollte, mußte ich mich erst aus der Verwüstung herausarbeiten. Gott sei Dank, ich war nicht verwundet worden. Um mich herum ein Bild schrecklicher Zerstörung! Die Kinder weinten laut und zeigten mir ihre blutenden Hände. Blut rann ihnen über das Gesicht. Ein Mitbruder war, ohne daß er es wußte wie, mit der Tür seines Zimmers in den Gang geschleudert worden; sein Gesicht und seine Hände bluteten. Wir erholten uns etwas von dem ersten Schreck und sahen uns um, was sich eigentlich ereignet hatte.

Je mehr ich schaute, um so mehr mußte ich staunen über dieses Meisterwerk der Zerstörung. Mit wehem Herzen um unser Haus und die schöne Kapelle. Von dem massiven Dach war die Vorderseite sehr beschädigt. In alle Wände hatte der Sturm große Löcher geschlagen. Kein Fenster war mehr vorhanden. Wir waren mehr als zwei Meilen von dem Zentrum der Explosion entfernt gewesen, wie wir später erfahren haben.

Sofort wurde ein Zimmer gesäubert und als Verbandsstelle eingerichtet. Schon kamen die Verwundeten aus der Nachbarschaft. Zuerst waren es leichte Wunden. Dann kamen immer schrecklichere Anzeichen des Geschehenen. Das Stöhnen und Weinen der Kinder hörte nicht mehr auf. Viele Mütter waren körperlich und seelisch so erschüttert, daß sie für Tage ihre Säuglinge nicht stillen konnten.

Gegen 10 Uhr erschienen zu unserer größten Freude die Schwestern aus Misasa, das eine Meile näher als unser Haus am Stadtzentrum lag. Einige von ihnen waren verwundet. Mehrere Male wurden wir überrascht von plötzlichem Regen. Auch donnerte es öfter. Dann aber war wieder klares Wetter. Es schien, als ob die Atmosphäre in Unordnung geraten wäre.

Ich versuchte von einigen Leuten, die aus der Stadt kamen, zu erfahren, was sich ereignet hatte. Nach ihrer Aussage zu schließen, war die ganze Stadt vernichtet worden. Etwas Schreckliches hatte sich ereignet. Mit Entsetzen dachte ich an meine Mitbrüder, die in der Pfarrkirche nahe am Stadtzentrum sicher schwer getroffen worden waren. Wir mußten so schnell als möglich ihnen helfen! Mit anbrechender Dämmerung betraten wir unser zwei die Stadt. Die anderen Mitbrüder blieben bei den Verwundeten in unserem Hause. Um Schwierigkeiten mit dem Militär zu vermeiden, nahm jeder seinen eigenen Weg. über den Treffpunkt hatten wir uns verabredet. Ich trug eine Tragbahre.

Das Bild, das sich mir in der Stadt bot, war schrecklich. Das war die Hölle auf Erden. Kleine Gruppen von Soldaten flohen aus der Stadt. Ihre Gesichter waren schwarz gebrannt. Kaum ein Weg war mehr gangbar. Die Hitze war entsetzlich. Ich zitterte am ganzen Leibe, und es war schwer, dem gefaßten Plan treu zu bleiben. Einzig die Hoffnung, meinen Freunden noch helfen zu können, gab mir Kraft. Im Zickzack ging es über rauchende Trümmer. An manchen Stellen mußte ich zurück, das Feuer war zu stark, überall lagen Leichen. Mit der Tragbahre beladen, oft in Gefahr, die Richtung zu verfehlen, nahm ich meinen Weg durch die brennende, mit tausenden Leichen und Sterbenden besäte Stadt, die ein beklemmender Geruch durchdrang. Endlich fand ich die gesuchten Mitbrüder am Ufer des Flusses liegend. Sie waren alle verwundet. Zum Glück traf auch mein Freund ein, der gleichzeitig mit mir zu der Rettungsexpedition aufgebrochen war. Unter den verwundeten Patres stand es am schlimmsten mit meinem Schulkameraden, dem Pater Schiffer. Hunderte von Glassplittern hatten sich in seinen Nacken und Rücken gebohrt, am Halse hatte er eine gefährliche Schnittwunde. Er war totenbleich und könnt kaum sprechen. Die gute Köchin Murata bemühte sich liebevoll um ihn. Diese gute Seele versuchte ihn aufzumuntern und zu trösten, obgleich sie selbst nicht gehen noch stehen konnte. Ihre beiden Knie waren zerschunden. Sie erzählte mir in ihrem schwer verständlichen Nagasakidialekt, sie sei, ohne zu wissen wie, in den Fluß gefallen. Mehrere Male war ein furchtbarer Tornado entstanden, anscheinend zufolge der enormen Hitze im Stadgebiet, so stark, daß er die Menschen umherschleuderte, so brausend, daß alle der festen Überzeugung waren, Tausende von B 29 kämen über die Stadt in ganz niedriger Höhe dahergedonnert. Dabei war immer wieder eine Panik entstanden und manche kamen dabei um. Ich war mit meinem Freunde rasch einig, was zu tun sei. Zuerst sollte der schwerverwundete Pater Schiffer aus der Stadt getragen werden. Zwei Patres, Kleinsorge und Cieslik, waren fest entschlossen, die Nacht über zu bleiben, um vor allem den vielen Sterbenden zu helfen. Pater Kleinsorge hat sich bei diesem bewunderungswürdigen Werk für die Seelen seine Gesundheit ruiniert. Durch sein Bleiben in dem atomverseuchten Gebiet zog er sich unter anderem eine Blutkrankheit zu. Alle zwei Monate ungefähr muß er die fehlenden weißen Blutkörperchen seines Körpers durch Bluttransfusion neu beschaffen. Es ist heute bekannt, daß die Zerstörung der weißen Blutkörperchen eine Folgeerscheinung der Bombe ist. ,

Wir legten Pater Schiffer auf die Bahre und setzten mit der freundlichen Hilfe eines Japaners, eines protestantischen Pastors, über den seichten Fluß. Man sagte mir, wir könnten so leichter aus dem großen Park gelangen. Vor allem hatten wir nach Möglichkeit größere Erschütterungen zu vermeiden, die neue Blutungen unseres Verwundeten verursachen konnten. Es stand schlimm um unsern Pater Schiffer. Er war auf alles gefaßt. Der Transport war nicht so leicht zu verwirklichen, wie ich es mir vorgestellt hatte. Wir zwei Träger waren müde und hungrig. Mit Mühe erstiegen wir die Böschung auf der anderen Seite des Flusses neben der Brücke, überquerten den Fluß ein zweites Mal und setzten ab; wir waren beide außer Atem. Der Gedanke an den weiten Weg nach Hause war erdrückend. Auf diese Weise konnten wir es nicht schaffen! Die dicken, klobigen Bambusstangen der Bahre ermüdeten bei der Last die Hände zu sehr. Wir hatten beide den Krampf in den Fingern. Unser Verwundeter bat um Wasser. Auf der Suche nach einem Brunnen entdeckte ich hinter einem Trümmerhaufen eine Pumpe; sie gab Wasser, es dampfte und roch abscheulich. Es war ungenießbar geworden. Ein japanischer Offizier wollte mir, als er wahrnahm, daß ich ein Deutscher sei, seine Feldflasche reichen, sie war aber schon leer, da trat ein Soldat hervor und bot seine volle Feldflasche an. Auf dem eiligen Rückwege zu unserem Verwundeten stolperte ich im Dunkel über einen Draht, und den benützte ich dann, um Tragschlingen für die Tragbahre herzustellen, allerdings schmerzten sie sehr an den Schultern. Fast außer Atem erreichten wir durch Trümmer und Feuer die nächste Brücke und zuvor — ich traute meinen Augen nicht — fand ich am Rand des zerstörten Flußgeländers einen Berg gedämpfter, noch warmer Reisballen, die irgendein unbekannter Helfer hiehergelegt hatte. Heißhungrig, unendlich dankbar für die unerwartete Hilfe für uns zwei erschöpfte Menschen, verschlangen wir einige der Reiskugeln.

Zu unserer größten Überraschung kamen uns jenseits der Brücke unsere Mitbrüder entgegen, die über unser Ausbleiben sehr besorgt geworden waren und nun mit uns den letzten Teil des Verwundetentransports übernahmen. An der Brücke stießen wir auf eine junge Frau, die in anderen Umständen war und schrecklich litt. Wir betteten alle, so gut es ging, an einer geschützten Stelle, nahe der Brücke und hüllten sie notdürftig in zwei Decken, die ich in der Nähe gefunden hatte. So waren sie wenigstens sicher vor dem nahenden Feuer und mit den Decken etwas geschützt gegen die Kühle der Nacht, denn sie schüttelten sich in Fieberschauern. Morgen wollten wir sie in unser Haus bringen. Sie weinten vor Erregung und Dank!

Zu Hause trafen wir auf großen Betrieb. Wir waren froh, daß unser Pater Rektor Arrupe als ehemaliger Arzt mit Schwestern aus Misasa die Sorge für die angenommenen Patienten übernahm. Wir sollten uns etwas ausruhen für den Rest der Nacht. Meine Nerven waren überreizt. Ich konnte nicht schlafen. Sinnend stand ich am Fenster und blickte über die Totenstadt in Flammen, aus der ich gekommen war. Schaurig rot glühte der Nachthimmel. Nicht nur die Stadt brannte, auch die bewaldeten Hügel jenseits des Ostagawaflusses standen in Brand, überall halte die Bombe gezündet.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung