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Erinnerungen an Hofmanns tlial

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Ich bin in diesen wetterschweren Frühlingstagen, vom Meere durch die Mulde von Camaiore hinauffahrend, wieder bei dem Hause vorbeigekommen, das links der Straße zwischen seiner Handvoll Park auf seiner mäßigen Höhe für einen Augenblick sichtbar wird, und habe, um ihn mir zu verlängern, aber doch nicht allzusehr, die Fahrt verlangsamen lassen, aber nicht geradezu halten. Von der Landstraße zweigt ein kurzes Stück halbgrasiger Fahrspur in die Wiese ab, um dann sofort, zuerst steil, dann in Kehren, zu steigen und sich im buschigen Hang zu verlieren —, und im zerstreuten Rechnen wurde mir bewußt, daß es zwanzig Jahre sind, daß ich an einem gleichen wolkezerrissenen, bald kühlen, bald grellen Apriltage den Wendelsteig von dort zur Straße hinuntergesprungen bin, um Hofmannsthal, dessen Wagen ich von oben — jenem Eck der vorspringenden Parkmauer unter der großen Roßkastanie — hatte fern anfahren sehen, schon an der Straße zu empfangen. Auch damals trug das hohe Hügelland, sonst all durch das Jahr grün und finster, das Brautkleid der Blüte. Wie in goldene und silberne Stufen abgeteilt standen nun wieder die Büsche des Ginsters und die schimmernden Massen der Baumheide, von der es staubte und Mandelduft im Windstoße herabkam; wirklich fast abgeteilt; denn der Ginster setzt sich gern im losen Geröll, wo der schiefrige Hang auswittert und ins Schieben kommt, die Heide wird nur in festem Grund mannshoch. Zwischen den dünnen Beständen der Kiefer hatte es auch damals überall gelbgrün ausgetrieben, ein zarter Spitzenschaum aufbrechender Knospen und noch unberührtes Junglaub durchstickte das unabsehbare ernste Immergrün. Wie jetzt ein Festtag war es damals Sonntag, die Straße im spärlich bewohnten Lande weithin einsam, die wenigen großen, aber öden Häuser der Bauern versperrt und gleichsam ohne Fenster.

Auf dem Anstiege nach oben hatte er mich spaßend damit gestraft, daß ich nur darum in Italien wohne, um das Italienische recht aus ihm herauszutreiben, und mich drum auf eine Landschaft habe fixieren müssen, die, wenn nach irgend etwas, nach den Vogesen aussehe. Das fiel mir jetzt wieder ein, als ich, den Blick kreisen lassend, die alte Ansicht aus den Fenstern meines Arbeitszimmers von einst wieder in den Blick aufnahm, den Hügelrand, dessen struppige Kante nur der Stumpf der Kirche von Vecoli unterbricht, den wilden Hügel zur Rechten, in dessen Nadel walde San Romano steht, nur eine Kapelle und ein zinnentragender starker Wehrturm. Ich wußte nicht mehr, was ich auf die Neckerei geantwortet haben mochte; sehr möglidier-weise gar nidits; denn immer, wenn ich ihn lange nicht gesehen hatte, machte mich seine wiedergeschenkte Nähe und der Klang seiner nur ihm eigenen Worte in einer törichten Weise vergnügt und in dieser vergnügten ausgeglichen und wortlos. Für die Antworten war immer noch Zeit, aber wenn sie allmählich kamen, kamen sie nicht mehr als Stücke einer Wechselrede. Oben in dem kleinen gelben Herrenhause an der teilen Halde, cks nach vorn sich mit zwei Säulen zwischen zwei massigen Eckpfosten auf den geebneten Hang abstützt nach hinten mit dem oberen Geschoß so in die Steigerung gepaßt ist, daß man aus seinem Saale ohne weiteres in .den Blumengarten, auf den barocken Brunnen hinaustritt, begann ich stückweise zu erzählen; wie ich vor vier Jahren in einem weit entfernten Hause, an den Pisaner Bergen, auf den Karten nach einer Villa gesucht hätte, die den Apugni-schen Alpen möglichst nahe gelegen sei, und diese gefunden und, an einem regnerisdien Novembernachmittag in einem Wägelchen spät hier hinaufgeschleppt, mir das seit Generationen unbewohnte Haus habe öffnen und mir von dem alten, inzwischen verstorbenen Gutsvogte erzählen lassen, daß hier sich nichts geändert habe, seit der alte Mar-chese und Kammerherr der verschollenen Luccheser Herzöge hier hochbejahrt seiner greisen Frau nachgestorben sei, und alles noch so stehe wie am Beisetzungstage; wie ich durch die verjährten kleinen Kammern und Gemächer gegangen sei, während der Alte leuditete; denn hier war keine Lichtleitung — Räume, aus denen der alte Goethe eben gerade herausgesdiritten zu sein schien, möbliert fast wie in Tiefurt und D|)rnburg, wunderliche Lehnsessel, nicht unbequem, nur unerhört, wunderliches Schreibgerät auf den Tisdien, unzählige Bildchen in schwarzen Rahmen, Leiste an Leiste die niedern Wände verdeckend, die grüngewordenen Spiegel, der französische Teppich vor dem herrlichen Kamin aus gelbädrigem Marmor; wie ich mir den Saal, in dem wir standen, den einzigen des Hauses, nach hinten hinaus, doppelt hätte erleuchten lassen, um zu lesen, was am Plafond rings um den Lüster oder um das Wappen am Lüster, gemalt war oder geschrieben, und daß der Alte mir gesagt hatte, das habe der Marchese schreiben lassen, als er sich hieher aus einer veränderten Welt zurückzog, der letzte Mansi, der letzte seines Hauses. Hofmannsthal blickte dort hinauf und las das stolze trauernde Latein: Ego Solus Mansi, ich allein bin Mansi, ich allein bin geblieben, ich bin allein geblieben. Ich erzählte ihm, wie das Wort und der Wunsch, es täglich zu lesen, mich seitdem nicht mehr verlassen hätte; wie ich ihm in dem Hause bei Siena nachts, in Alfieris goldenem, wurmstichigem Bette, und schon den Wunsch nach den Luccheser Alpen unwiderstehlich fühlend, nachgehangen habe, und endlich, da ich das Haus gemietet und genommen, fast aufgeatmet. Hofmanns-thals schönes lebendiges Auge, das ruhelos forschend und Zugang suchend geblickt hatte, war über dem Hören klar und spiegelnd geworden, er faßte auf und füllte sich mit einer reinen Ansicht. Er kam wie immer mitten aus Unternehmungen, hatte Richard Strauß in Florenz verlassen und mußte ihn nach den mir vorbehaltenen Tagen in Rom wieder finden, dazwischen lag alles bei ihm geordnet und eingeteilt, Briefe, Antworten, Daten, Begegnungen, ein Plan. Er war nicht nur dazu geboren, er hatte sich bewußt darauf gestellt, Menschen zu verknüpfen, und war immer der Herr eines weltlichen Gewebes. Er liebte Italien, aber er hätte, wenn überhaupt, hier auf seine eigene Weise gelebt, nach Bedingendem gesucht und es in seiner eigentümlichen, aufmerksamen und planvollen Weise wiederbedungen. Er war nicht nur ein Mann von Welt, sondern in hohem Maße ein Mensch der Welt. Alles Ausschließende lag ihm fern. Er sah in jeder Möglidikeit des Lebens einen Stoff, der zur Plastik erst doppelt aufforderte, wenn er sich der Plastik zu entziehen schien. Aber alles, was seiner Art entgegengesetzt war und sich dennoch Aufgaben stellte, die auch er sich hätte stellen können, nur auf seine eigene Weise, zog ihn leidenschaftlich an. Ich glaube, er hat keine andere wirkliche Leidenschaft gekannt als die nach fremdem Schicksal. „Wie ist das bei dir?“ ist die häufige Frage, die in Stunden der Aufschließung von ihm vernommen zu haben, seine Freunde sich erinnern. Er war nicht neugierig, wer konnte das denken. Er bediente sich ausgesprochener Individuen als eines zu erlernenden Alphabets und einer Grammatik, um die ausweichenden Inschriften seines eigenen geheimeren Zusammenhanges mit dem Welträtsel zu deuten. Was r die „Bezogenheiten“ nannte, läßt sich dahin aussprechen, daß er sich nur als die Anwendung des Alls der Menschenseele auf den einen, seinen besonderen Fall empfunden hat, zufällig oder sdiicksalvoll gerade so angewandt, aber eben darum fragmentarisch bleibend, wenn nicht alle anderen denkbaren Anwendungen des gleichen als unendliche Funktion dazu beisteuerten, sie zu kompletderen. Er empfand das so, ab ob immer erst sein Gegensatz, mit seiner Art summiert, das Ganze ausmachte, das er im Grunde sei — wirklich sei; denn allen diesen Gegensatz zu sich trug er potentiell in sich, während sein Lebensvorgang es nicht auf die Stufe treten ließ, die man „in actu“ nennt. Sein wunderbares, die andern entzückendes und begeisterndes Interesse an menschlichen Fällen, an denen vielleicht niemand außer ihm etwas Interessantes gefunden hätte, war von dieser magischen oder mystischen Natur, denn er hatte die Kraft, diesen andern zu einem Teile, einem Anschlußteile seiner großen, lauschend über ihn gebückten Natur zu machen, und zwar in einem solchen Maße, daß der andere dies Bezogen-, “ in ihn Hin übergezogen werden zauberhaft sich ereignen fühlte. Es mochte ein dummer, öder Gelehrter sein oder ein rasch zugreifender Verführer von Frauen, ein durch die Zonen gejagter Reisender oder ein Spieler, ein zäher selbstsüchtiger Unternehmer oder ein kindlicher Asket, ein armes Ding, das seinen Willen selber nicht weiß, oder eine aus siebenerlei Willen wie aus sieben Drähten zusammengestrickte Entschlossene — er mußte wissen, warum er, alles ihres Wesens fähig, auf sein eigenes beschränkt zu sein als Gesetz seines neidischen Sterns, des Himmelsrätsels der Indivi-duation, empfangen hatte. Daß sein Wesen und Treiben, sein Verhalten und 6eine gesamte Anstalt mir fremd waren, war eine Voraussetzung dafür, daß das meine es ihm eben nicht war. Ihn verlangte nach meiner Einsamkeit — nicht weil es die meine war, die ich glücklich war, völlig verwirklicht zu haben, sondern weil es die sein war, die er sich versagt hatte zu leben.

Hier, wo mein Wagen nun schon weiterglitt, war er damals nicht nur auf die Straße gesprungen, er hatte hier auch wieder Abschied genommen, den wunderlichen, der ihm eigen war, den raschen schwachen Händedruck der stummen Flucht, das Nichtmehrsein, das Wegsein, das Wegseinwollen, das die Toren des Gemüts nie begriffen und ihm gar verargten. Ich sah wieder den kranken Blick, die erblichenen, etwas hängenden Lippen, das Vorstoßende der Bewegung vor dem unvermeidbaren Risse der Trennung — jener Trennung. Das Große in ihm ist immer gewesen, das Wirklichkeit Gewordene nicht zu beschönigen, und die Vergänglichkeit des der Wirklichkeit Abgewonnenen ist ihm immer die seines alten Verses geblieben, „viel zu grauenvoll, als daß man klage“: Die Wirklichkeit unerbittlich zu nehmen, nicht weil sie wirklich, sondern weil sie symbolisch ist, in diesem Falle der Goethesche „Vortod“, hieß auch ihm „den Tod zu meiden, den das Scheiden bringt“, “und sich bereits einen Augenblick vor der Schwelle mit gegenwirkender Fühllosigkeit aus dem Abstürzen ins Gefühl zu reißen, in den neuen, den fremden Tag. Vorbei. Der Wagen lief längst wieder durch Vallebuia, das „Finstere Tal“, und nahm von der verhaltenden Minute den kalten Stoß jenes Vorwärts mit, das Er war, das nicht ein bloßes Vorwärts ist — leer wie des Hundes und des Vogels —, sondern das des nur Halbsterblichen mitten in allem Hinfall, das Menschliche, das Vorwärts trotz allem.

(Aus -Hugo von Hofmannsthal“. Dip Gestalt des Dichters im Spiegel der Freunde. Herausgegeben von H. A. Fiechtner. Humboldt-Verlag, Wien.)

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