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Die Verwandten

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Ein besonderes Hochgefühl bereitete uns stets die Visitation des Großvaters. Er war Ortssdiulratsaufseher. Wenn ein günstiges Spazierwetter ihn leutselig machte und wenn es für den Jausenkaffee noch zu früh war, erinnerte er sich gewöhnlich an sein Amt. Wir hörten jedesmal, wie er im Vorhaus das Erdreich von den Schuhen strampfte. Dann sagte er zum Mohrl draußen: „Setz dich!“

Unser Lehrfräulein errötete sichtbar, zupfte an den Haarnadeln und klopfte den Kreidestaub aus ihrer Schürze. Im Klassenzimmer wurde es musterhaft still, bis die Tür sich öffnete. Dann sprangen wir mit lautem Gepolter nur allzu gern auf die Füße. Nachdem der Großvater das Lehrfräulein begrüßt hatte, stülpte er seinen Hut über den Handtuchhaken und ging, den festen Stockknüppel haltend, mit steifen, gravitätischen Schritten an das letzte Schulfenster. Durch dieses blickte er eine Zeitlang in den blauen Himmel. Das Fräulein Wolfram sagte, sich räuspernd: „Arme sdiränkt!“

Wir warteten ehrfurchtsvoll ■ auf seine Beachtung. Als er sich endlich zu uns wendete, sagte das Fräulein Wolfrum: „Feder in die Hand!“ Denn meistens hatten wir gerade Schönschreibstunde. Da idi am schönsten schreiben konnte, wurde ich zur schwarzen Schultafel hinausgerufen. Ich malte die Buchstaben voll Eifer vor. Was mir nicht gut erschien., verwischte ich mit nassem Zeigefinger. In der Aufregung passierte mir ein Fehler. Fräulein Wolfrum merkte ihn erst, wie die ganze Klasse ihn nachmalte. Sie tippte mit dem Stäbchen darauf und sagte leise: „Schau, du hast zwanzigmal Klocke statt Glocke geschrieben“! Indessen ging Großvater von Bank zu Bank, hob ein Heft und betrachtete es schief mit dem linken Auge. Das rechte zwinkerte klein und hohl, es war in seiner Jugend ausgeronnen.

„Sehr gut. Wie gestochen“, lobte er ein paarmal in feierlichem Ton. Den Fehler bemerkte er nicht.

Die Schulbuben standen immer steif und scheinheilig da. Sie mußten zu seiner hohen . Hagerkeit tüchtig die Hälse recken. Er hielt sich über den Siebziger noch kerzengerade. Sein weißes Haar und noch immer sein Vollbart schimmerten gelblich. Er hatte, was sonst kein Bauer mehr trug, blaue Strümpfe und eine uralte, pechige Hose, die unter den Knien gebunden war. Auch das Lodenröcke! hatte einen seltenen Zuschnitt. Er schaute im ganzen so aus wie die Hirten bei der Krippe. Und gab sich fast so stumm.

Wenn er nach dem Hut langte, rumpelten wir Grogger-Mädchen wichtig von unseren Plätzen her, um als Zeichen naher Verwandtschaft seine Hand zu bussen. Er duldete es kühl wie ein Blinder.

Sein Erbnachfolger, unser Onkel Josef Grogger, brachte es auch zu allerlei Ämtern. Was für einen Rang er im Gemeindeausschuß bekleidete, habe ich vergessen oder vielleicht nie gewußt. Die drei Militärjahre bei der Festungsartillerie hatten ihn zum glühenden Patrioten gemacht. Seinerzeit, als er von Polen heimgekehrt war, hatte er sich, wie Vater witzig beschrieb, eine zwei-spännige Kutsche zum Bahnhof bestellt. Und die Uniform wollte er gar nicht mehr ablegen. Jetzt entschädigte ihn die Würde eines Feuerwehrhauptmannes voll und ganz. Es bereitete ihm die allerhöchste Herzensfreude, bei Festlichkeiten als Befehlshaber auszurücken. Sein schneidiges Kommando ging einem erhebend durch Mark und Bein. Zu Hause führte er ein ebenso barsches Regiment. Die Familienmitglieder mußten wie Rekruten brav und stumm gehorchen und unermüdlich arbeiten. Böse behandelte er sie jedoch nicht; wenn er in Graz zu tun hatte, kaufte er jedesmal sdiöne Gesdienke. Seine Frau, die Tante Marie, nannte er zärtlich: Nannerl. Das war ein merkwürdiger Gegensatz zu unserem Vater, der unsere Mutter kurz und geschämig mit Du ansprach. „Marie“ — sagte er höchst sparsam und nur, wenn er meinte, wir hörten es nicht.

Ich war dem Onkel Josef nicht annähernd so vertraulich zugetan wie dem Onkel Fritz. Es kostete mich stets eine bange Überwindung, in das alte Stammhaus zu gehen, um irgendeine Post auszurichten.

Im Halbstock, aus der Stube des Großvaters, sdimeckte es nach Moder und Schnupftabak. Durch den Türspalt sah man das Bett und auf dem Pfeifenständer sieben lange Pfeifen, für jeden Tag eine. Von der niedrigen Vorhausdecke hing eine Petroleumlaimpe mit einem weiten, breiten Schirm aus Milchglas. Der Boden war von grobgenagelten Tanzfüßen noch unebener wie die Stiege. Die Wände erschienen meinem Augenmaß krumm und nicht im Lot. Zwischen den Türen standen uralte Bauernkästen, bemalte Truhen und rötlichgelbe, kirsdihölzerne Kommoden, überhaupt alles, was für die Zimmer nicht mehr taugte. Die Schlaftrühlein mit abgesprungenen Furnieren und die Schränke, darin Griff und Beschlag schon unvollständig waren, die gestrickten, gestickten und geflickten Decken hatten meine Cousinen in einer sehr dürftigen Sdiattenkammcr. Durch die kleinen, spitzen verhangenen Fenster fand wenig Wärme. Eine schaditartige Mauertür führte ins elterliche Schlafzimmer: es war mit Zirbelhausrat ausgestattet, über den Betten hing der Quere nach ein glänzender Öldruck. Man mußte in der besdieidenen Enge adithaben, daß man nicht an den Gläser-kasten stieß; er war von oben bis unten durchsichtig wie ein stehender Schneewittchensarg und enthielt Familienheiligtümer, so ein biblisches Erbauungsbuch, Rosenkränze, Wachsstöcke, Statuetten, Hochzeitsflitter, Rekrutenbuschen, Silberzeug, Porzellangeschirr und Schmuckstücke.

Der Bücherschrank daneben faßte mächtig viel: Geschriebenes, Gedrucktes, Gebundenes, Geheftetes, Zerfranstes, Papier mit Wein- und Kaffeefkcken, Goldsdhnittbände; wenig Gescheites und viel Niditsnutziges, wie meiner Neugier vorkam. Ich erspähte alles nur hinter dem Rücken meines Onkels, indeß er Nummer für Nummer von der „Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens“ vorlas und ordnete. Mitunter schalt er in seiner polternden Weise ob der schweren Arbeit, die er sich selbst oder seinen Kindern auferlegte, und schließlich fragte er gar noch herrisch, was wir zu Hause taten. Ich suchte, während mir der Schreck in den Gliedern bebte, meine Schreibverdienste bei Onkel Fritz möglichst wirkungsvoll aufzubauschen und zählte umständlich das Strumpfstricken, Wassertragen und Postholen her, um vor seiner Richterstrenge halbwegs gnädig zu bestehen. Von Spielereien schwieg ich gewitzigt. Denn einmal, als ich noch ziemlich klein gewesen war, hatte er mich auf der Fischerbrücke getroffen, wie ich einen langen Zug Franckkaffee-Schachteln an einer Spagatschnur hinter mir nachschleifte. In jedem „Waggon“ saß steifzurückgelehnt eine wundersdiöne Fleckerlpuppe.

„Schämst dich nit!“, hatte der Onkel gerufen. „So ein großes Mädel und tuet noch mit Docken tändeln.“

Meine Cousinen benutzten die freundliche Gelegenheit meines Besuches, um für eine Weile ihren Pflichten zu entwischen. Sie erwarteten mich bereits vor der Schlafkammer und baten ihren Vater, ob sie mif Birnen, Äpfel, Klötzen oder Bauernkrapfen schenken dürften. Mit angeschoppten Sädcen und angepampftem Mund durchstöberten wir alsdann das alte Haus bis in die Dachboden. Unter den Guggubergen begegneten uns die Überbleibsel aus einigen Jahrhunderten. Sie erweckten aber in uns kein Gefühl der Ehrfurcht oder Hochschätzung und nicht den geringsten Sinn für Sippentradition. Die Dinge hatten nur Wert, je nachdem man sich gut oder schlecht hinter ihnen verstecken konnte. Und selbst das Herrlichste, die seidenen Trachten, entzückten uns nicht weiter als eine andere Maskerade. Wir fuhren übermütig in die Spenzer, die merkwürdigerweise so eng und kurz waren, daß sie auf den geschnürten Leib meiner mageren Cousinen paßten; Hildegard zersprengte sogleich ein paar Nähte. Wir stülpten uns die glockigen Röcke über und nahmen uns vor, damit als Faschingsnarren umzulaufen. Dodi es wurde uns nicht erlaubt. Die Tante Marie ließ aus den weiten kupferlila- und grünschillernden Brautgewändern Unterkittel schneidern; die Schürzen und die Schinkenärmel brauchte sie für Jackenfutter. Was übrigblieb, Mannsgurten, Webdecken mit gelb- und scharlachroten Mustern auf schwarzem Grund, Goldhauben und sonst nech allerlei Putz kaufte der Jude Gottlieb. Es schmerzte uns wenig, daß die Truhen einmal leer waren.

Meine Sehnsucht zog mich einen Stock tiefer, wo die schönen Zimmer lagen. Sie hatten eigenartige Möbel aus ganz alter Zeit und solche aus späterer, federnde Plüsch-garnituren, Kachelöfen auf Messingfüßen, goldgerahmte Spiegel, Spitzenvorhänge, Teppiche mit Blumen und Ornamenten und eine schwarze Standuhr mit weißen Alabastersäulen. Mir gefiel alles wahllos, und ich dachte ganz böse und unzufrieden an meine Eltern, weil sie sich nichts dergleichen anschafften. Im Tafelzimmer, wo man die Hochzeitsmähler und Totenzehrungen abhielt, wäreich gern stillgestanden, aber ich wagte es nicht. Ich putzte mir beim Hineingehen und beim Hinausgehen die Sdiuhe ah und war stets gefaßt, der Onkel Josef werde mich fortjagen.

Zu den Namenstagen und zum neuen Jahre tauschten die Eltern mit der Verwandtschaft gedruckte Wunschbillets. Wir Kinder überreichten einen abgeschriebenen Vers. Es brauchte meist viel Arbeit und nicht wenig gold- und girlandengeschmückte Bögen, bis ein solcher Brief ohne Fehler und Batzen und Einriß, schön gerollt und mit einer Seidenmasche gebunden, dalag Wenn im letzten Augenblick ein Schmierfleck draufkam, gab es eine schauerliche Tränenüberschwemmung.

Zum Glück dauerte die höfliche Zeremonie nur kürz. Daß uns alsdann Onkel Josef und Tante Marie mit sparsamer Anerkennung eine blanke Krone in die geschämig geschlossene und abwehrende Hand drückten, entsdiädigte uns einigermaßen für den scheuen Willensaufwand, den jeder Gratulationsbesuch — mich wenigstens — kostete.

Aus der jährlichen Osterwunschreise machten wir uns freilich keine Pflicht, sondern ein Vergnügen. Wir schliefen die Nacht vorher schon unruhig und weckten die Mutter mit der beharrlichen Frage, ob wir doch nicht den Zug versäumten. Einmal in der Eisenbahn, malten wir uns den Empfang in phantastischen Bildern aus. Die Wirklichkeit war dann nicht gar so überwältigend. Unsere Patenleute gehörten zur vornehmsten Verwandtschaft. Sie hießen Schlama-dmger, der Abt von Admont führte auch diesen Namen. Ihr Besitz umfaßte viele Joch Grund' und ein Haus mit mehrfach erträglichen Gewerben. Aber wie alle Reichen wirtschafteten sie sehr sparsam. Wenn der Herr Göd ein bißchen Zeit fand, sich an unsern Tisch zu setzen, beklagte er, vor sich hinseufzend, die teueren Preise. Unsere Mutter runzelte sogleich die Brauen. Doch er merkte es nicht. Als uns ein rotes und ein blaues Osterei zum Suppenteller gelegt wurde, sagte er noch ernster:

„IMe Oar sand hiaz kostspielig.“

Danach ermunterte er uns aber wohlwollend zum Bratenschmaus, und die Frau Godel schenkte uns zur Schaumtorte noch ein zweites Stück. Sie war eine milde, stille Person, etwas mostig um die Leibesmitte. Ihr rechtes Auge quoll zufolge einem Herzleiden dicklidi unter dem Li i hervor. Sie leistete uns nach dem Essen mit ruhigen, atemschleppenden Worten Gesellschaft.

Der Tag verstrich uns Schwertern schnell. Als wir bedauernd unter dankbaren Handküssen Abschied nahmen, lud uns der Herr Göd freundlich zum Wiederkommen ein.Und zuletzt spendierte er uns mit leisen Zeichen der Überwindung ein Fünfkronenstück.

Mutter war auf der Rückreise in ihrem Stolz gekränkt und sagte jedesmal, die nächsten Ostern dürften wir nicht mehr nach Liezen fahren. Daheim sperrte sie, noch in Hut und Mantel, die Schublade auf. Hier lagen neben dem Revolverfutteral und etlidien Schmucketuis unsere Sparkassen, zwei ganz gleich rote Holzspateln mit zierlichem Blechbeschlag und einem Schloß. Jede durfte ihr Geld immer selbst in den Einwurf stecken. Zu welchem Zweck es aufbewahrt wurde, fragten wir niemals. Ebensowenig hätten wir gewagt, auch nur einen Helle'r davon anzutasten. Aber manchmal, auf neugieriges Bitten hin, erlaubte uns die Mutter, in ihrer Gegenwart nachzuzählen, wie reich wir schon waren. Als wir fünfzig Kronen beisammen hatten, wediselte sie Vater in ganz neue Goldmünzen um.

Das Gedächtnis hat die Teilsummen unauslöschlich in langer Ziffernreihe gebucht. Mein heimlich widerstrebendes, empfindsames Auftreten vor der Verwandtschaft, das leiditbeleidigte Ehrgefühl der Mutter, zu dem ich mich mitverpflichtet glaubte, der Fleiß und Schweiß, welchen die Gratulationsbriefe erforderten, der brave Verzicht auf irgendeine heiß erbettelte Freizügigkeit, auf das Almgehen oder Wallfahrten mit anderen Kindern, und — was selten genug vorkam — ein tadellos herabgespieltes Klavier-.. stück, bezahlten sich mit Silberkronen. Das Schwitzen unter der Decke, Tafelölschlucken, heiße Fußdämpfe und ausgerissene Zähne trugen ein Zwanzigerl ein. Und jeder Kupferkreuzer bedeutete eine Stunde Stillhalten unter dem Lauskamm.

Alles zusammengerechnet, war unsere kleine, rote, blechbeschlagene Sparkasse ein ziemlidi sauer verdientes Kapital.

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