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Digital In Arbeit

Als Bub in Arbeit

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Dreizehn und ein halbes Jahr zählte ich, als man midi aus der Schule entließ. Es war Krieg und das Schulgebäude war längst Kaserne geworden, in der ruppige und struppige galizisdie Soldaten hausten. Unser neues Schulzimmer — ein aufgelassener Greißlerladen — war für die große Schülermenge zu klein: so entließ man eben die besseren Schüler vorzeitig. Meine Eltern waren heilfroh, mich endlich aus der Schule zu haben. Es war, wie gesagt, Krieg, das Leben schwer, Männer fehlten. Und Arbeit war in Hülle und Fülle vorhanden. So wurde ich gleich vom Platzmeister des

großen Stahlwerkes aufgenommen. Vorläufig, bis ich 14 Jahre alt wäre, solle idi taglöhnen, dann könnte ich ins Hüttenwerk kommen. Dies deshalb, sagte der Meister zur Mutter, die mich zu ihm führte, weil man mich wegen meines kindlidien Alters noch nicht bei der Unfallversicherung anmelden könne.

Erfüllt von frohen Hoffnungen, gingen wir beide, Mutter und ich, den schlackigen Werkweg nach Hause. Morgen, hatte der Meister gesagt, morgen könnte ich anfangen. Morgen ...

Um ja gut ausgeruht zu sein, legte ich mich zeitlich nieder, konnte aber nicht einschlafen. Wirre Bilder und Vorstellungen umgaukelten mich. Alles schien anders als sonst. Es sdiien mir, als ob ich selbst eine andere Bedeutun? erlangt hätte. Stolz und Bangen erfüllte meine Brust, die sich unregelmäßig hob und senkte. Meine Schulfreunde — oje! —, die müssen morgen wieder die Schulbank drücken, während ich schon in die Schicht muß. In die Schicht!

Wie merkwürdig das klingt! Wie wichtig! Ich bekomme Angst. Werde ich meine Arbeit wohl machen können? Ich sei ja so schwach, sagen die Leute, obschon ich mich oft stark dünke . . . Und wie wird diese Arbe.it sein? Worin wird sie bestehen? Werden mich die Meister nicht bald wieder zur Mutter heimjagen? Vater sagt ja immer, ich hätte kein Geschick zur Arbeit und mir mir wäre es ein großes Kreuz . . .

Die Geräusche des Werkes, das Hämmern, Poltern und Tosen dringen durch das halboffene Fenster zu mir und erzeugen unsichere, schattenhafte Vorstellungen von Riesenmaschinen mit weit offenen Mäulern. tickisch blinkenden Radaugen und ehernen Polypenarmen. Ein wuchtiger Hammer schwebt über mir und droht jeden Augenblick auf mich zu fallen

Ich wache wieder auf, sehe zum Vater hinüber. Der schläft noch. Folglich ist es noch Zeit. Es ist ja audi nodi stockfinster Ein Mann schlurft vor dem Fen.-ter vorbei, ein Hund bellt. Der Schritt einer Militärpatrouille hallt durch die Nacht. Ich blicke zum Schlot hinüber, aus dessen Krone soeben eine rote Flamme hervorschießt, der dichter, rötlich-sdiwarzer Rauch folgt. Sdiarf hebt sich die Rauchsäule von dem Stückchen Sternenhimmel ab, das ich vom Bett aus sehen kann. Der Strohsack rasdielt. Die Rauchsäule verbreitet sich, wird zur Wolke, die den Himmel verdunkelt. Sie kommt über mich wie eine Tuchent. Ich wehre mich erfolglos gegen ihre drückende Schwere . . .

Meine Mutter kommt mir zu Hilfe und reißt die schwere Decke weg. „Bub, auf-stehn! Zeit is!“ Und war schon weg. Erstaunt sdiau ich um mich. Aulstchn? Jetzt schon? Ja. wieso denn? Die Schule beginnt doch erst um acht, und jetzt ist es erst fünf Uhr! .. . Auf einmal fahre ich aus dem Bett und in die Hose. Richtig, richtig! Ich muß doch heute schon arbeiten gehen! Eiligst ziehe ich mich an. Vater ist schon fort. Er muß weiter in die Arbeit gehen als ich und mußte deshalb früher fort. Mutter stellt den Kaffee auf den Tisch, schneidet ein etwas größeres Stück Brot als sonst und ermuntert mich zum Essen. Mir mundet es n:cht. Ich kann es schon nicht mehr erwarten, meine Arbeit kennenzulernen. Die Mütze wird über den Kopf gestülpt, ich packe den vorbereiteten Jutc-schurz, schiebe ein Stück Polentabrot in die Rocktasche und laufe.

Mutter schreit mir noch nach, ich solle ja schön brav sein, dem Meister schön folgen und so weiter. Ich höre nichts mehr. Die Augen auf das Werk gerichtet, weiche ich den Blicken der dort und da sich von den Häusern lösenden Gestalten aus, um dann heimlich hinzuschielen, ob es denn nicht auffalle, daß auch ich nun arbeiten gehe. Doch niemand beachtet mich. Das schmächtige Bürschchen fällt nicht auf ...

Aus den Schloten des Werkes qualmt dichter Rauch. Im Osten wird es goldhell

und die Ränder der Berge werden feurig. Immer mehr Arbeiter kommen von allen Seiten und bald ist es ein dichter Strom, der durch das Werkstor wallt. Und eines der vielen Tröpfchen des Stromes bin nun ich. Ich, der noch vorgestern die Schulbank drückte . .. Und es wird mir ganz und gar nicht bewußt, daß dies Tröpfchensein im Strom mein Schicksal sein werde.

Hier ist der Taglöhnerraum. Ich trete ein. Ein paar Männer, einige alte Weiber, zwei junge Mädchen und drei Buben sitzen auf den Bänken unter den nahe an der

Decke hängenden Werkzeugen. Scheu und verlegen grüße ich. Neugierig gucken die Mädchen, ein wenig spöttisch die Buben, kräftige Bengels, wie ich bemerke. Dann senke ich den Blick und halte ihn gesenkt, bis das Purrhorn den Beginn der Arbeitszeit verkündet. Ich bekam eine Schiebkarre und mußte mit noch zwei Buben auf einen Bau, um Ziegel auf schwankenden Brettern zuzuführen. Ach Gott, ich hätte nie geglaubt, daß Schiebtruhenfahren so schwer sein könne! Bald neigte sich das Teufelsding auf die eine, bald auf die andere Seite. Die dünnen, muskellosen Arme schienen mir immer länger und dünner zu werden. Auch wenn idi die Karre weniger belud als meine Kollegen — was wieder mein Ehrgeiz nicht zulassen wollte —. zitterten meine Arme, und meine Knie wollten versagen. Das Kreuz schmerzte. Dazu hutsch-ten und schwankten die schmalen Bretter, über die wir zu fahren hatten, furchterregend. . Heimlich verwünschte ich den, der zuerst auf den Gedanken gekommen war, den Menschen hinter eine solche Karre zu spannen.

„Armes Bubi, so schwach und schon schinden!“ meinte ein deutschsprechender Russe, und strich mir übers Haar, was meinen schon halb gebrochenen Mut wieder auffrischte. Und er zeigte mir, wie man die Karre beladen müsse, damit sie im Gleichgewicht bleibe.

Mählich wuchs mein Mut. Ich versudite schon, es den andern gleichzutun, lud ebensoviel auf und schob den Karren rasch über das schwankende Brett aufs Gerüst. Dreimal, viermal klappte es und ich kam wohlbehalten bei den Maurern an. Beim fünftenmal fiel ich samt dem Karren von dem schmalen Brett. Zum Glück war unten kein fester Boden, sondern nur eine Böschung, auf der die gelöschte Asche abgeladen wurde. Einzelne Kohlen- und Koks-

reste brannten noch und rauchten. Ich fiel mit der Brust auf einen solchen Herd, sprang ersdireckt wieder auf, kollerte hinunter, ohne atmen zu können. Es hatte mir, wie man sagt, die „Luft“ verschlagen. Ein Russe ließ sich hinunterkollern, um mir zu helfen. Er hob midi väterlich auf, preßte mich an seine Brust, drückte mir das Kreuz hohl, so daß ich langsam Luft bekam. Am liebsten hätte ich losgeheult. Doch ich schämte mich vor all den Leuten, die vom Gerüst aus zusahen. Zitternd und keuchend kroch ich die Böschung hinauf,

indes der Russe die Karre Stück für Stück hochhob, bis er sie mit mächtigem Schwung wieder auf festen Boden brachte.

Mein Selbstvertrauen hatte einen mächtigen Stoß erhalten. Nur mit größter Willensanstrengung konnte ich mich zwingen, die Karre wieder zu beladen und über das Brett zu fahren. Aber es ging, mußte ja gehen! Alles geht, wenn man ernsthaft will. Und ich wollte. Ich war ordentlich überrascht, als das Purrhorn die Mittagspause verkündete. Daheim erzählte ich kein

Wort davon, wie es mir ergangen war. *

Viele Jahre sind seither vergangen. Längst ist das Werk, das ich bauen half, im Betrieb und vielerlei Schicksale sind drüber hinweggebraust. Ansonsten hat sich wenig geändert. Ich schlpppe noch immer meine schwerbeladene Karre durchs Leben, wische mir zeitweise den Schweiß von der Stirn und sdiau staunend und oft auch ein wenig neiderfüllt auf jene Lebenskünstler, die flink und geschickt mit ihrer Karre auf den sdiwankendsten Brettern fahren, und auf jene, die mit nachtwandlerischer Sicherheit geradeaus fahren können. Meine Karre — sie ist nicht mehr mit Ziegel beladen, aber randvoll mit den Notwendigkeiten des Lebens, den Steinen, die mir andere und die mein faustisches Wollen auflud. Und zeitweise ist darunter doch wieder ein glatter, guter Ziegelstein, ein Ziegel zu einem Zukunftsbau, an dem ich mit meinen schwachen Kräften mithelfen darf. Oft fiel ich seither vom sdiwankenden Brett, nicht immer fand sich eine gute Seele, die sich meiner annahm, und mit unsäglichen Mühen arbeitete ich mich wieder herauf. Doch so manchem, der auch hinter seinem Karren verzagte und der auch hinunterfiel, konnte ich die helfende Hand reichen und ihn trösten, und ein Stück mit ihm fahren, bis er zurückblieb oder mir vorauseilte ...

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