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Ärgernisse eines schönen Sommers

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Die Sonne leuchtet. Der Himmel blaut. Die Barometernadel ruht wie festgenagelt. Das europäische Hoch bedeckt den ganzen Fernsehschirm und die nächtlichen Gewitterreste sind nur die Irrlichter eines verspäteten Elfenreigens auf einer Almwiese irgendwo in den Bergen. Aus den Autokolonnen verschwinden die letzten österreichischen Kennzeichen.

Das Leben wird geheimnisvoll und schwierig. Denn eines Tages geschieht das Unvermeidliche. Besuch kündigt sich an. Das Schicksal ist zu preisen, daß er sich überhaupt ankündigt und die Familie nicht unvermutet überfällt. In die Freude darüber, nach Wochen, nackter Oberkörper und gebräunter Schenkel endlich einen Anlaß zu finden, ein Hemd anzuziehen und eine lange Hose zu fühlen, mischen sich bange Zweifel. Womit vor den Blicken der Weltgewandten und Weitgereisten bestehen? Wie dem prüfenden Auge begegnen, welches komfortgewohnt das Inventar des Gartens mustert, die Hausmarke des selbstgebastelten Grills erkennt, unter den aufgenagelten Ansichtskarten nur eine bestimmte sucht (woher kam sie doch?) und schließlich sich auf jenen Korbstuhl heftet, dessen bunter ideologischer Überbau nicht seinem materiellen Unterbau entspricht, weshalb er nur zu Dekorations- und nicht zu Entspannungszwecken dienen kann. Dieser Korbstuhl mit der wackeligen Basis hat schon so manchen günstigen Ersteindruck zerstört. Er sieht natürlich viel zu einladend aus und die Leute besitzen heutzutage einfach nicht den Anstand sich nicht auf den schönsten Stuhl setzen zu wollen.

Es bedarf jedesmal eines ungeheuren Aufwandes an Worten und Gesten, um Besucher von diesem verhängnisvollen Stuhl ab- und zu den einfacheren, hölzernen Sitzgelegenheiten hinzulenken, auf die sich niederzulassen mit keiner Gefahr für Gleichgewicht und Leben verbunden ist. Aber selbst wenn sich der Gast auf einen gefahrlosen Sessel niedergelassen hat, ist ständig größte Aufmerksamkeit vonnöten. Es geschah leider schon einmal, daß ein unkundiger Freund des Hauses in einem Moment, den die Massenmedien einen „unbewachten Augenblick“ nennen würden, die Sitzgelegenheit zu wechseln versuchte und in den Sog des instabilen Korbstuhls geriet. 'Der Vorfall war peinlich. Alle Überredungskunst half nicht mehr. Während ich mein Heil in der Wahrheit, in der nacktesten Wahrheit, die es je gab, die aber historisch begründet werden mußte, suchte, versank der Freund in den knackenden Tiefen berstenden Rohres. Er trug Kratzwunden davon Er klagte aber nicht, weil er sich moralisch schuldig fühlte, sondern er reparierte den Korbstuhl. Das Problem war zwar damit insofern verkleinert, als sich wenigstens niner unserer Besucher sicher nicht mehr auf diesen reinen Schausitz setzt, doch aus der Welt geschafft ist es nicht.

Wir könnten den Stuhl natürlich wegwerfen, zerhacken, verbrennen oder sonst irgendwie vernichten, wir könnten ihn unauffällig an einen Straßenrand stellen, als Falle für müde Wanderer, oder wir könnten ihn bei einem Sommerfest versteigern. Einmal, als ich eben im Landfunk den Vortrag eines Agraringenieurs über „Gefahren in Haus und Garten“ gehört hatte, war ich nahe daran. Aber dann tat mir die sommerliche Zierde doch wieder leid. Wenn der Korbstuhl so dasteht, auf der Wiese, unbesetzt, kein Besucher weit und breit, ist er nämlich wirklich hübsch. Es muß der Reiz der Gefahr sein, der Nervenkitzel, der mich mit ihm verbindet. Warum soll ich dieses Gefühl nicht auch haben? Andere klettern auf Dreitausender, fahren Autorennen oder besuchen Spielkasinos. Jedem das Seine! Dieser Korbstuhl ist das Symbol der schönen Hinfälligkeit alles Irdischen, eine Blume des Bösen, Traklscher Hauch von Untergang. Der Tanz auf dem Vulkan — oder der Sitz auf meinem Korbstuhl, das ist dasselbe. Ein apokalyptisches Zeichen.

Ein Fremder kann solche subtilen eschatologischen Zusammenhänge nicht ahnen. Sobald Besuch kommt, reduziert sich die Tiefendimension wieder auf bare Praxis. Man bedenke freilich, was es bedeutet, neben der nervlichen Anspannung durch den Korbstuhl jene wichtigen Imponiergesten zu setzen, die notwendig sind, um einen Besuch fruchtbar zu machen. Die Ankündigung erlaubt wenigstens Vorbereitungen. Ich lege einige neue Rücher auf den Korbstuhl. Es ist ein Teil des großen Stapels, der kleinere Teil, den ich schon gelesen habe. Der Stuhl bricht davon nicht zusammen. Meine Bekannten kennen diese Bücher sicher noch nicht. Das verschafft mir einen Vorsprung.

Dann kommt die Vorbesprechung unserer fingierten Reise. Es“ ist schwer, heutzutage keine Reise zu tun und nichts zu erzählen. Also tut man — und erzählt. Denn den Geheimtip, daß man daheimgeblieben ist und daß das ein wunderbares Erlebnis war, kann man doch -iur seinen intimsten Freunden anvertrauen, und die nehmen einem das nicht immer ab. Glücklicherweise sind die Reisen heute so genormt, daß es gar nicht schwierig ist, sie zu schildern, ohne sie getan zu haben. Das Photographieren gilt neuerdings nicht mehr als unbedingt erforderlich. Man kauft ein paar Postkarten oder Sightseeing-Leporellos und hat im übrigen die Bilder innerlich aufgenommen. Das imponiert. Oder man führt ein Reisetagebuch. Alljährlich legen ein paar hundert Schriftsteller Musterexemplare davon vor. Man braucht sie nur zu exzerpieren.

Das ist aber nur bei besonders hohen Ansprüchen notwendig. Ferner lassen sich die Eindrücke, die man erzählt bekommt, leicht zu eigenen Eindrücken umgestalten. Bei Vergeßlichkeit oder einem größeren Bekanntenkreis ist Vorsicht am Platz.

Manche Leute nehmen es übel, wenn man ihnen drei Wochen später ihre eigene Geschichte erzählt. Kurze Notizen helfen einem, solche Unge-legenheiten zu vermeiden. B.'s Reise dem G. erzählt. Diese Eintragung schützt vor Kreislauf. Einmal ist es mir aber auch mit Erfolg gelungen, den Reisebericht zurückzuerzählen, ohne daß die Gäste das bemerkten. Ein gefährliches Unternehmen — fast so aufreibend wie das Korbstuhlmanöver!

Ein gewisses Münchhausen-Talent zeigte sich bei mir schon in der Schule. Dem unvermeidlichen, nach meiner Meinung sozial unfairen ersten Aufsatzthema im September „Mein schönstes Ferienerlebnis“ konnte man doch nur mit Lügen begegnen. Also begann ich zu dichten. Nach einigen Ungeschicklichkeiten des Anfangs konnte ich es und bekam dafür die besten Noten. Wie plump war doch der Realismus der referierten Wirklichkeit dagegen!

Ein Architekt, von Berufs wegen geübt im Erraten unausgesprochener Wünsche, hatte mir kürzlich den Namen eines Ortes zugeraunt, den ich für unwiderstehlich nalte: Cinqueterra. Wie wär's diesmal damit? Felsennester, in denen angeblich nur sehr reiche Italiener und ein paar Individualisten einkehren. Stefan Andres könnte ich mir dort vorstellen. Wer weiß, ob der überall war, wo er gewesen ist! Wir wollen uns auf eine genauere Schilderung erst gar nicht einlassen. Der Trick, auf den ich es anlege, besteht darin, Cinqueterra nur so ganz nebenbei zu erwähnen, gar nicht der Rede wert, läppische 50 Kilometer von Neapel, kleiner Abstecher, muß man einmal gemacht haben, entzückende Gesellschaft, dabei alles so natürlich, an der Bar im Vorübergehen einem Filmproduzenten einen Martini spendiert, stundenlang in der Brandung geschaukelt, und dieser Sternenhimmel! (Sterne sind überall gleich, der Ordnung nach zumindest.)

Der Besuch erscheint. Die Bräune seiner Haut übertrifft meine nicht. Der Tanz um den wackeligen Korbstuhr gelingt. Er bleibt unbesetzt. Die Bücher werden registriert. Alles läuft bestens. Meine Frau ist stolz auf mich und wirft mir aufmunternde Blicke zu. Ich bin ein Snob von Welt. Mit einer Handbewegung, die den Horizont, den ich besitze, in groben Umrissen andeutet, beschreibe ich Reiserouten. Ich senke die Stimme ein wenig, unterspiele, zwischen zwei gedankentiefen Zügen aus der Pfeife streue ich das Wort ein: Cinqueterra. Listig beobachte ich dabei mein Gegenüber.

Die Wirkung ist völlig unerwartet. Mein Bekannter springt auf, ich sperre ihm sofort den Weg zu dem defekten Korbstuhl ab (eine überflüssige Maßnahme, wie sich zeigen wird), er fällt mir um den Hals und ruft: „Du auch! Du auch!“

„Diese Sterne!“ hauche ich. „Dieses Firmament!“

„Diese Brandung!“' ruft er entzückt.

Ich ringe nach Atem.

Er ringt nach Worten.

Verrat liegt in der Luft.

„Waren Sie denn überhaupt in Cinqueterra?“ fragt da mit dem unschuldigsten Augenaufschlag einer raffinierten Prestigejägerin meine Frau dazwischen.

Diese Direktheit war nicht geplant.

Aber der Angriff ist die beste Verteidigung. Das Opfer gesteht. Mein Gesicht ist gewahrt.

Ob das gelungen wäre, wenn mein Bekannter seine Gattin mitgebracht hätte, bezweifle ich. Wie dem auch sei, ich kann des Sieges nicht recht froh werden. Wir trinken nicht auf Cinqueterra. Nächsten Sommer kaufen wir uns einen Sportwagen, knallrot, blitzschnell und sperrangelweit offen. Zwei Playboys träumen. Der Abend bricht herein.

Meine Frau rückt die Stühle an den selbstgebauten Grill. Der Korbstuhl kommt dadurch außer Reichweite, und ich entspanne mich. Für die nächste halbe Stunde entrücke ich in prähistorische Zeiträume. Ein Neandertaler beim Feuermachen. Mein Besucher hilft mir schließlich und bringt mir den Fortschritt in Form eines Bechers voll Benzin, das er aus dem Tank seines Autos gesogen hat. Wir entgehen knapp einer Explosionskatastrophe. Die Brandwunden am rechten Arm sind erheblich. Die geschwärzten Gesichter verschwinden im Dunkel. Wir sind Piraten am Lagerfeuer. Ich denke an die Schilderung einer Grillparty im Garten, die ich in einer Illustrierten gelesen habe. Auf dem Bild daneben lächelte ein smarter Schönling im weißen Golfhemd in die Flammen, indes eine schmollmündige Minimaid sich an seine Wange schmiegte. Die Wirklichkeit ist rauher. Gegen Mitternacht sind die Fische, die meine Söhne gefangen haben, endlich gegrillt, und wir werfen ihre Gräten den Geistern zum Fräße vor. Sie sind davon sicher fetter geworden, als wir von den Fischlein. Es geht nichts über ein rustikales Abendessen.

Als die Slibowitzflasche leer war, war glücklicherweise der Startschlüssel des Autos meines Besuchers verschwunden. Er bedauerte das sehr, denn er sah schon ein halbes Dutzend Autos vor dem Gartenzaun stehen und wußte nicht, wie er mit allen gleichzeitig nach Hause fahren sollte.

Singend betraten wir schließlich das mittlere der drei Häuser, die mittlerweile auf meinem Grundstück entstanden waren, stiegen über schwankende Treppen in unsere Kajüten und fuhren alsbald bei wilder See zu einem verwegenen Fischfang aus.

Am nächsten Morgen beschließe ich, mir endlich eines dieser phantastischen Mittel zu kaufen, welches die Chemiker zum Schutz gegen Mückenstiche erfunden haben. Die Gelsen hatten ein Bacchanal mit meinem Blut gefeiert.

Die Apotheke mit Sonntagsdienst ist in der nächsten Bezirksstadt. Ich gelange in den Genuß des gesamten Bade- und Ausflugsverkehrs. Mein Kopf brummt. Cinqueterra! Diese Brandung! Diese Sterne! Ach, wäre ich nur dort!

Der Magister, dem ich kratzend mein Leid klage, belehrt mich, daß das Mittel gegen die Insekten vorzüglich sei. Man müsse sich allerdings vorher damit einreiben. Auch gut. Die Brandsalbe hilft dafür we-nistens nachher.

Die Welt ist voller Tücken. Endlich komme ich wieder nach Hause. Mein Bekannter hat seinen Startschlüssel gefunden und verabschiedet sich. Die Gattin bereitet Kaffee.

Unsicher und müde wandere ich durch den Garten. Gleichgültig lasse ich mich in einen Stuhl fallen. Es ist der Korbstuhl. Eine Welt bricht zusammen. Ein schöner Sommer.

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