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Digital In Arbeit

Peter Anich, der STERNSUCHER

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5. Fortsetzung

„Was wollt ihr?“ sagte er, „wir werden unsere jCarte vollenden, wenn nicht kn diesem Jahr, so kn nächsten, sonst hätte uns alle miteinander der Blitz erschlagen.“ Sie mochten dagegen einiges vorbringen, doch er blieb dabei, und war zuversichtlicher denn zuvor. Freilich mußten sie bis Wörgl einen Wagen aufnehmen, so schwach war er nooh auf den Beinen;

Herr von Weinhart erschrak, als er ihn wiedersjah, und schickte ihn mit dem alten Obermbser sogleich zum Medikus. Herr von Bruneck empfing ihn auch sehr freundlich, prüfte seinen Atem und ließ ihn zur Ader. Im übrigen sei er weiter nicht krank, sagte er dann, höchstens übermüdet und einer strengen Ruhe bedürftig. Wenn Mensdien seines Schlages auch noch über eine allzu robuste Konstitution verfügten, könnte man sich doch in der Welt bald vor lauter schönen und schönsten Sachen nicht mehr retten. Er lachte viel und laut, der von Bruneck. Aber der Herrgott lege eben die höchste Kunstfertigkeit oft in einen anfälligen Körper, und das sei genau besehen gar keine so schiechte oder gar ungerechte Verteilung. Im übrigen aber sei es mit solchen Leuten wie mit einem alten Soldaten. Auch so ein Haudegen verschwöre sich, bald er einem Feldzug entronnen, blessiert daheim liege, jeden weiteren Kriegsdienst, kaum aber rühre sich neuerlich die Trommel, eile er auch schon wieder zu den Fahnen. „Ich kann doch auch einem Füsilier nicht anraten: geh nicht hl die Sdiladit, dort wird scharf geschossen! und ebensowenig dem Peter Anich: laß die Landkarte bleiben, du kannst dir dabei ein noch gefährlicheres Fieber holen. 43as Leben war auch gar nicht schön, wenn es nicht manchmal gefährlich herginge.“

• Das ;Gehör werde er wohl mit der Zeit einbüßen, meinte der Medikus dann, aber für einen Feldmesser und Mechaniker und Sterndeuter seien die Augen wahrlich wichtiger als noch so feine Ohren. Auch sei es oft nur nützlich, wenn man nicht alles höre, was die Leute sdiwatzten, viel Gescheites versäume man dabei ja nicht, nur das inwendige Gehör dürfe man dabei nicht verlieren, das allein entscheide über Glück und Unglück eines Menschen.

• Schon beim Abschied aber fragte ihn der Medikus unvermittelt, und er hatte dabei wieder seine durchdringenden Augen: ..Weshalb hat Er sich denn damals gegen weitere Arbeit so sehr gesträubt? Er weiß schon, vor Seiner Himmelskugel? Seine Schwester, sollte heiraten, erinnere ich mich, ich aber hatte Ihn im Verdacht, es ging ihm nicht so sehr um Seine Schwester als um ein anderes Frauenzimmer. Hab ich recht? Nun, dazu hat es Zeit, wenn Er die Karte erst fertig hat. Auch das schlechte Gehör soll ihn dann nicht behindern. Nicht in der Brautzeit, wohl aber' später, wenn einer gründlich verheiratet ist, tut sich ein Schwerhöriger oft sehr viel leichter.“

Erst ward sich Peter nicht recht klar, ob das alles nicht doch allzu albern geschwatzt sei, aber mit den Tagen, und als er von selber wieder zu Kräften kam, erschienen ihm jene Reden doch gar tröstlich. Der Medikus aber hatte in jenen Tagen eine lange Unterredung mit Herrn von Weinhart, und als Peter das nächste Mal nach Innsbruck kam, befahl ihm der Professor, daß er nun im Winter oder wenigstens bis zur Weihnachtszeit täglich höchstens vier Stunden sich mit der Karte beschäftige und um so mehr der Ruhe pflege, das sei er nicht nur sich, sondern auch dem Lande und der Kaiserin schuldig. Im übrigen habe er mit dem hochberühmten Maler Philipp Hal'ler gesprochen, und dieser werde ihn demnächst, wenn er wieder aufgefüttert sei, auf die Leinwand bringen, in seiner Bauerntracht mit den beiden Kugeln und einer kleinen Landkarte. Aber das Wie wisse Herr Haller sicherlich am allerbesten.

,;Dü meinst, für alle Fälle soll er mich gleich malen?“

Was er damit sagen wolle? Herr von Weinhart besann sich und ließ ihm zu einer neuerlichen Antwort nicht mehr Zeit. Ja, es sei für den einen Fall, daß ein Fremder auch den Schöpfer all der schönen Dinge zu sehen wünsche. Jedermann wolle nicht nur die Kugel, sondern auch den seltsamen Bauern besichtigen, ja die meisten,

auch wenn sie es eilig hätten, wollten sogleich nach Oberperfuß hinaus. Verständlich sei solch ein Verlangen immerhin. Er selbst aber müsse dann immer wieder seine Bücher zuklappen und stundenlang den Kerl, den Peter, beschreiben. Wie er gekleidet sei, welche Nase er mitten im Gesicht trage, ob er braune oder gar blaue Augen habe, dunkles oder blondes Haar, ob ihm die Klugheit aus den Augen blicke oder ob er nur wie ein gewöhnlicher Bauer herschaue. Da sei es doch einfacher, er zeige dann auf das Bild und sage: da hängt er, leibhaftig hängt er da, seht ihn euch an! Die scharfe Nase, die kleinen Locken an den Schläfen, seine hellen Augen. Die Falten um den Mund hat ihm erst die Landkarte eingetragen. Aber die rote Weste mit den grünen Trägern und die blaue Joppe, die trägt er auch daheim, auch den breiten grünen Hut, leibhaftig geht er soherum, wenn er just nicht Mist ausführt oder seine Schweindel füttert.

Gegen diese Gründe kam auch Peter nicht auf. Doch als er dann zum erstenmal vor seinem Bildnis stand, wie es in einem zierlichen Goldrahmen über den beiden Kugel hing und so, daß es den Eintretenden sogleich anblickte, sagte er lächelnd: „Jetzt könnt mir schon was zustoßen. Aber wenn die Karten da hängen tat, war mir lieber.“

Diesmal konnten sie bereits am Verkündigungstag mit dem Vermessen beginnen. In Innsbruck erwartete sie der junge Mann aus Salzburg. Er blieb aber nur acht Tage bei ihnen. Das Essen in den Bauern-wirtshäusern schmeckte ihm nicht, auch war er bessere Betten gewohnt. Er wisse nunmehr genug, erklärte er bereits in Kitzbühel, und er werde für das Land Salzburg eine noch viel genauere Karte zeichnen, jeden Bühel darin und die einzelnen örter nach ihrer Gestalt. Peter war froh, als er seinen Abschied nahm. Sie arbeiteten dann bis nach Filzmoos hinaus und hinauf nach St. Johann und gegen die Tauernkette. Auch hatte er die fertigen Teile der Karte mitgenommen, für die regnerischen Tage, wie er sagte, aber es regnete selten. In den höheren Lagen fühlte er sich diesmal recht wohl. Nur das Steigen besdiwerte ihn mehr und mehr, und die Atemnot ward auch an trockenen Tagen nicht besser.

Im August kamen sie dann durch Innsbruck, denn sie hatten im Lechtal und in der Zugspitzgegend noch einige Aufnahmen nachzutragen. Es war aber drei Tage vor ihrem Eintreffen eine Kurierpost aus Wien gekommen, eine neue, sehr dringende Nachfrage, wie es um die Karte stehe. Man benötige sie dringend zu GrertzverhandJungen mit Bayern und Salzburg, habe aber auch noch größere Dinge mit ihr vor. Nähere Angaben enthielt der Brief aus der kaiserlichen Kanzlei nicht. Herr von Weinharf riet jedoch, Peter möge nun die Aufnahmen unterbrechen und einmal den größten Teil der fertigen Blätter ins reine zeichnen, so daß man den Hauptteil der Karte dann sogleich dem Gubernator vorlegen und nachher nach Wien senden könne. Fand die Karte dann auch den Beifall der Wiener Regierung, und daran war nicht zu zweifeln, konnte man sogleich mit dem Stechen beginnen, in der Zwischenzeit aber leicht die noch fehlenden Punkte vermessen.

Peter entlohnte daher die beiden Helfer und ging daheim an die Arbeit. Er hatte sich einen eigenen Zeichentisch zurechtgezimmert, daran saß er nun Tag um Tag bis in die Dämmerung hinein, und er ging nur auf den Acker mit, wenn ihm das Sitzen widerstand und die Augen flimmerten. Oder er eilte auf eine Stunde zu den Bauleuten am Turm, denn sie waren nun bereits bis zu den Firsten gelangt. Aber mitten im schönsten Sommer und in der Heiterkeit solch stillen Lebens, erkrankte er neuerlich an einem schweren Fieber, und diesmal war keine Erkältung vorangegangen, noch konnte er eine andere Ursache finden. Er lag den ganzen August hindurch im Bette, und als er wieder auf den Beinen war, konnte er nur stundenweis zeichnen. Einmal schlief er am hellen Tag über den Blättern ein.

Es ging die Zeit bis Weihnachten herum, ehe Peter so weit war, daß acht Tage vor dem Heiligen Abend ihn der Kramerschwager im Schlitten nach Innsbruck fuhr.

Auch die Leni war diesmal dabei. Sie durfte während der Fahrt die Mappe mit den Kartenblättern halten. Diese Mappe war nicht weniger als sechs Schuh lang und vier Schuh breit.

Der Professor legte die Blätter sauber neben- und übereinander auf den Tisch, betrachtete sie lange, dann sagte er: „Jetzt fahr wieder heim und ruh dich aus. Nach einer solchen Arbeit stellt sich eine gar gewaltige Müdigkeit ein. Sie ist das aller-schönste daran. Doch was schwatze ich, ein so herrliches Werk hat ja noch keiner von uns hinter sich gebracht.“ Mehr sagte Herr von Weinhart diesmal nicht.

Peter atmete tief, als er wieder auf der Straße stand, dann ging er langsam zu den Seinen.

Am nächsten Morgen, er versprach einen klaren frostigen Tag, wollten die Aniehleute aus dem Walde oberhalb Kematen das im Spätherbst geschlagene Holz ordnen und heimschaffen. Es war abgemacht, daß diesmal der Kramerschwager mit Hand anlegen und Peter ruhen sollte. Als sie aber die Kühe vorgespannt hatten, sprang er frisch aus dem Hause, mit einem alten Pelzrock angetan, den Stiefeln und dem Fürtuch. „Ich will wieder einmal richtig eine Hacke in der

Hand spüren“, rief er. Sie hatten ihn seit Jahren nicht mehr so fröhlich gesehn. Als sie von der Straße ab in den Hohlweg einbogen, hörte die Schwester einen Schlitten vom Tal her klingeln, und da sie ihr Gefährt anhielten, erkannte Peter die Fuchsstute und den Fuhrknecht des Collegiums. Er ließ den Schlitten erst vorbei, sosehr hämmerte sein Herz, dann erst rief er den Namen des Knechtes.

„Pater Ignaz will mich wohl sprechen“, sagte er, als jener den Schlitten verhielt und heranstapfte.

Es war auch so. Der Professor brauche ihn noch am nämlichen Vormittag, sagte der Knecht, mehr wisse er nicht.

Auch Leni war nun auf die Straße geeilt. „Der Graf wird sich bei dir bedanken wollen“, sagte sie, ,;oder er will dir gar eine Medaille überreichen.“

„Ach Gott“, sagte Peter, er stand noch immer ganz blaß zwischen ihnen, „da tat er nicht eigens den Schlitten schicken. Und von einer Medaille war dodi niemals die Rede.“

Als sie aber noch vor acht Uhr in das Armarium kamen, sah Peter den Professor über den Karten sitzen, auch las er in seinem ernsten Gesicht, daß ihm sein jähes Erschrecken nicht getäuscht hatte. „Ich habe dich, wie ich sehe, von der Holzarbeit fortgerufen“, sagte der Professor, „doch ich war nodi gestern abend beim Grafen, und der hat einige Bedenken.“

„Wegen des Maßstabes?“

„Ja“, sagte Herr von Weinhart, „wir hätten ihn vorher unterridnen sollen. Es war meine Schuld allein.“ Das Wort Schuld sei nicht gefallen, setzte er rasch hinzu, doch der kaiserliche Auftrag fordere den Spergesschen Maßstab, und der Graf meine nun, daß die Räte in Wien, wie er sie kenne, wohl die neue Karte loben würden, denn sie hätten ja alle miteinander keinen üblen Geschmack, daß sie ihr auch privatim vor der Spergesschen den Vorzug gäben, aber dann amtlich doch auf dem Wortlaut des kaiserlichen Erlasses bestellen könnten. Man müsse ihnen daher eine solche immerhin mögliche Entscheidung durch eine genaue schlagkräftige Begründung unmöglich machen.

Er habe deshalb bereits alle Gründe zusammengeschrieben und bitte ihn, daß er als Verfasser und wichtigste Person ihn in seiner Argumentatio unterstütze. Zum ersten, und

dies sei der wichtigste Grund, könnten beide Karten gut nebeneinander bestehen, die des Sperges mit ihren vier Blättern und die Anichsche mit ihren zwölfen. Nie und nimmer könne man ja beide Aufnahmen zu einer einzigen Karte verschmelzen, auch bei gleichen Maßstäben nicht. Herr von Sperges habe bloß die wichtigen Distanzen gemessen und alles übrige nach dem Augenmaß und seinem beiläufigen Ermessen in den Riß gebracht, wogegen die neue Karte, genau nach der neuen Vorschrift, alle Orte ausnahmslos nur nach genauen Messungen und in ihrer wahren Gestalt enthalte.

Zum anderen: wollte man sich auch durch diese wesentliche Versdiiedenheit nicht behindern lassen, so müßte man entweder die Spergessche Karte vergrößern oder die Anichsche verjüngen. Jenes könne ohne Einwilligung des Verfassers nicht geschehn, aber auch nicht ohne Verunstaltung, da sie ja schon jetzt bei dem kleineren Maßstab dünn genug beschrieben sei, noch viel weniger könne er jedoch zu einer Verjüngung der neuen Karte raten. Diese würde durch ein Zusammenschieben der Namen und Signaturen völlig verunstaltet, wie das beigelegte Kärtchen beweise. Oder man müßte einen Haufen Signaturen opfern, was aber angesichts der aufgewendeten Kosten sinnlos sei. Auf jeden Fall richte man die Anichsche Karte durch eine Verjüngung zugrunde.

Ad tertium: wünsche man daher das ganze Tirol auf einer Karte, dann rate er füglich, daß man auch das Land südlich des Brenner durch den bewährten Feldmesser Peter Anich neu vermessen lasse. Auf diese Art erhalte man dann eine ganz ausgezeichnete, ja in der Welt einzig dastehende Karte. Bedauerlich sei in diesem Fall bloß, daß der genannte Feldmesser dann die Karte des nördlichen Tirols nicht selbst in Kupfer stechen könnte, wenigstens nicht zu einer Zeit, da er noch alle Orte und Umstände im Gedächtnis habe. Man begebe sich also der höchsten Vollkommenheit, die man von einer Karte überhaupt erwarten könne. Immerhin werde man wohl einen geeigneten Stecher finden, schwer? lieh aber einen Mann wie Anich, der mit so viel Zuverlässigkeit, sosehr zur allgemeinen Zufriedenheit und mit so wenig Kosten das Land aufnehmen könnte. Bleibe man jedoch bei der gegenwärtigen Lösung, so erhalte man nicht nur eine ganz vorzügliche Karte des nördlichen Landesteiles, sondern dem Bauern Peter Anich auch den unvergänglichen Ruhm, diese Karte selbst vermessen, ge-zeidinet und mit eigener Hand in Kupfer gestochen zu haben.

„Und was hat mein Peter dieser Argumentatio noch hinzuzufügen?“

Der starrte noch immer auf die Blätter, dann sagte er: „Nur dies eine: wenn die Herren midi zwingen wollen, daß ich meine eigene Karte verunstalte, dann wirft der Peter seinen Meßtisch und alle Instrumente ins Feuer. Doch das kann man nicht schriftlich geben.“

„Er wird es auch nicht tun“, sagte Herr von Weinhart, „schon mir zuliebe nicht.“

„Was weißt denn du, wie ich das Ende dieser Arbeit herbeigewünscht habe?“ Der Pater erschrak, wie diese Stimme plötzlich klang. Peter aber redete nun, was er seit vielen Jahren auf dem Herzen hatte. Von seiner Schwester redete er, wie sie von Jahr zu Jahr, von Auftrag zu Auftrag die Heirat verschoben und am Ende verzichtet habe, von der Vroni erzählte er und wieder von der Leni. Jetzt sei die Erhardtin auch schon wieder übers Jahr unter der Erde, und der Nachbar müsse doch schon des Kindes wegen wiederum ein Weib nehmen. Er selbst habe ja mit keinem Menschen noch darüber gesprochen, auch mit der Schwester nicht, aber gedacht habe er daran jede freie Stunde, gedacht und'gehofft.

„Ich wollte den Rat sehen, der sidi über unsere Argumentatio hinwegsetzt“, sagte“ der Professor, „jetzt, wo sie immer nur die Vernunft predigen und sie schier als eine Göttin anbeten; doch wenn du mir heute dein Herz bis in den letzten Winkel aufgedeckt hast, so will ich meinem Freunde auch ein offenes Wort mitgeben. Glaubst du, daß dich deine Schwester überhaupt noch verlassen will, glaubst du das?“ (Fortsetzung folgt)

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