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Peter Anich, der STERNSUCHER

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Auch auf den alten Burglechner könne man sich nicht verlassen, er gebrauch in seiner Karte und in seinem Geschichtsbuch Der Tiroler Adler“ Oberperfas, schreibe aber an einer anderen Stelle, nur ein paar Seiten weiter rückwärts, Ober-Perfueß. Er habe sich für die Karte für Oberberfus entschieden und könne auch Gründe dafür angeben, aber sicher sei er noch lange nicht, auch könne er doch nicht in jedem Dorf erst die Pfarrbüdier und Kaufbriefe studieren. In zwei bis drei Jahren getraue er sich auch wohl eine Karte des nördlichen Teiles herzustellen und zu stechen, aber nur sofern er innerhalb der Landesgrenzen verbleiben dürfe. Fordere man in Wien aber die Aufnahme auch eines zwei, drei Meilen breiten Landstreifens über die Grenzen hinaus, so ergebe das bei einem so schmalen langgestreckten Gebiet nicht nur eine außerordentliche zusäzliche Vermessungsarbeit, ein solcher Auftrag treibe ihn auch den bayrischen, salzburgischen und schweizerischen Grenzern in die Arme und beschwöre allerhand höchst unerquickliche Zufälle herauf, ja es sei unter Umständen sogar lebensgefährlich. Schließlich, wenn er schon einmal beim Fordern sei, ließe sich die ganze Arbeit leichter an, wenn der Kartograph für den FaH, so ihm ein Unglück zustoße, ein böser Sturz oder eine schwere Erkältung, seinen Lebensunterhalt gesichert wüßte; auch habe seine Sdiwester, die Leni, seinethalber auf die Ehe verzichtet und verdiene um des großen Werkes willen, daß man nach ihres Bruders und Ernährers Tode für sie sorge.

Er hatte sich schwer geredet, aber da nun alles heraußen war, ward ihm leichter.

„Das wegen der Gnadenpension schreiben wir lieber nicht in die Eingabe“, sagte der Professor, „doch deine Forderung ist billig, und ich werde sie mit dem Gubernator besprechen.“

„Es ist ja bloß wegen der Leni“, sagte Peter, „und auch die tat es aus eigenem nicht fordern. Aber du weißt schon wie das bei den Bauern ist“, er lachte, „und eine Freude hätt ich selber darüber.“

Zwei Tage später fuhr der Gubernator in seinem eigenen Staatswagen gegen Wien, und als er nach vier Wodien wiederkam, legte er den kaiserlichen Auftrag auf den Tisch. Unter allen seinen Eingaben sei die Landkarte als erste und mit besonderer Gunst behandelt worden, berichtete er, und dies auf den persönlidien und ausdrücklichen Wunsch der Kaiserin. Auch die Person des Kartographen sei auf der Stelle akzeptiert worden, ja man habe sich allenthalben der wunderbaren Himmelskugel entsonnen und ihn zu diesem Wunderbauern beglückwünscht. Bloß die einzelnen Forderungen hätten zu lebhaften und langwierigen Aussprachen geführt, Der schriftliche Auftrag, den der Gubernator dem Professor übergab, forderte schließlidi eine“ genaue Aufnahme des mitternächtigen Landesteiles, doch drei Meilen über die Landesgrenzen hinaus. In den Einzelheiten aber sollte die neue Karte noch -genauer sein als die des Freiherrn von Sperges, jegliches Bau-*-werk enthalten, alle einzelstehenden Fabriken, Mühlen, Pulvermühlen, Festungswerke, Ordenshäuser, Wirtshäuser, Jägerhütten, Wegkreuze, Bergwerke und Gruben und was es überhaupt im Lande an bemerkenswerten Dingen gebe. Auch die Gebirgspässe, Wadi-umd Blockhäuser, Feldlager und Wallstätten durften nidit vergessen werden, ein besonderes Augenmerk aber sei dem bisher mehr dem. Gefühle nach eingezeichneten Gebirge zuzuwenden.. Man wünschte eine Bezeichnung der höchsten Gipfel eines Gebirgs-stockes, die genauen senkrechten Maße, der einzelnen Gipfel, alle Femer und Gletscher,

Alpen, Moosgründe, Seen, Flüsse und Bädie, auch die Kohlenmeiler und Schmelzhütten, die Badhäuser und Sauerbrunnen, aber auch auf das genaueste alle vorhandenen Landstraßen, Fahrtfvege und Saumerschläge. schließlich die Marksteine, Gerichts- und Burgfriedensgrenzen und die Landesgrenzen. Genaue Ortsangaben aber könne man weder von Wien noch vom Gubernium aus beistellen, man hoffe vielmehr, durch die Arbeit des fürgewählten, für seinen Fleiß und seine Geschicklichkeit gerühmten Kartographen erst ein genaues Ortsverzeichnis und die richtige Schreibweise der einzelnen örter endlich zu erfahren.

„Und da sag mir einer, der Anich Peter sei heute nicht die wichtigste Person von ganz Tirol“, rief der Professor aus, aus sie den Auftrag zu Ende gelesen hatten „oder die Wiener Herren seien in ihren Forderungen bescheiden. Ich wüßte keine Karte der ganzen Welt, auch keine englische oder niederländische, die derart bis in die Einzelheiten ginge.“ i

„Ich fürchte bloß, daß man die Karte dann doppelt so groß halten muß als die Spergessche“, sagte Peter, „sonst sieht man vor lauter Namen und Signaturen das Land nicht mehr.“

Der Professor las den Auftrag noch einmal langsam durch und nun auch jene Stelle, die er im ersten Überfliegen kaum beachtet hatte. Sie besagte aber, daß die neue Karte im Maßstab genau der Spergesschen Aufnahme entsprechen müsse, so daß man dann beide Aufnahmen in einer einzigen großen Karte verschmelzen könne. Wie sich die Auftraggeber das Verschmelzen zweier so völlig verschiedener Karten vorstellten, stand freilich nicht darin, doch die Stunde, da nun der Auftrag mit dem kaiserlichen Siegel vor ihnen lag, war zu groß und zu feierlich, als daß sie sich irgendwelchen Bedenken hingegeben hätten. Und vor den glückseligen Augen des Bauern bestand weder ein Zweifel noch irgendwelche Schwierigkeit.

Herr von Weinhart drängte nur darauf, daß vom Gubernium aus an alle Ortsvorsteher ein Empfehlungsbrief gesendet werde. Der Gubernator, dem er diese Bitte vortrug, meinte, mit einer bloßen Empfehlung sei dem armen Anichbauern wenig geholfen, er werde hingegen den verantwortlichen Leuten, den Richtern und Räten draußen ganz bestimmte Aufträge erteilen. Und der Brief, den Peter wenige Tage später in Händen hiefe, war nicht bloß auf herrlichem dickem Papier mit mächtigen, schier feierlichen Buchstaben gedruckt, er brachte auch, außer einer ebenso gemessenen wie dem großen Vorhaben würdigen Empfehlung, nützlichere Vorschriften, als Peter selbst vorzuschlagen gewagt hätte. So sollten in allen Orten Register angelegt und vom Kartographen revidiert werden, sowohl was die Vollzähligkeit als auch die Schreibweise der einzelnen verzeichneten Punkte betraf; die Ortsvorsteher und die Vorsteher der Gerichte aber waren auch verhalten, die einzelnen Merkwürdigkeiten ihrer Gegend schon jetzt zu verzeichnen und dann wohlwollend zur Verfügung zu stellen, den Feldmesser Peter Anich aber in allen Fragen und Arbeiten kräftig zu unterstützen. Gezeichnet aber war dieser Brief von 'Enzenberg selbst und seinen ersten Mitarbeitern, dem Grafen von Trapp und dem Grafen von Sarntheim.

Vor dem Professor überflog Peter diesen Brief bloß, dodi bat er sich ein Stück aus. Und auf dem Heimweg fühlte er immer wieder nach dem' köstlichen Papier in seiner Brusttasche. Er nahm es aber auch zuweilen heraus, und wenn er die einzelnen Sätze auch bereits auswendig wußte, die drei Wörtlein: „Feldmesser Peter Anich“, in großen Buchstaben aus dem übrigen Satz herausgehoben, erfreuten seine Augen und sein Herz wie noch kein Ding zuvor, nicht einmal die Sternkugel.

Leni aber . steckte den kostbaren Brief hinter den alten Haussegen, so daß just der Name auf den ersten Blick zu lesen war. Die schöne Jahreszeit über, solange der Bruder auswärts war, steckten auch frische Blumen dabei.

Nach Oberfuß gelangte der feierliche Brief erst, als Peter die Gegend bis zur Martinswand hinüber und das halbe Seilrain bereits auf dem Papier hatte. Das Siegel und die

Unterschrift des Grafen Enzenberg taten jedoch immerhin ihre Schuldigkeit auch in Oberperfuß. Wenn Peter jetzt durch den Ort i kam, grüßten ihn auch jene, die ihn bisher überhaupt nicht beachtet hatten, sie aber waren nicht einmal die schlimmsten. Auch seine beiden Gehilfen, der Kammerlander aus Hall und der Biegler aus Igls, waren es zufrieden, daß er in dieser Gegend mit der Arbeit begann. So konnten sie über die Sonntage nach Hause laufen, und sie taten es auch, obgleich sie einen ausgiebigen Rasttag wahrlich nötiger gehabt hätten. Doch aJs sie dann auch die Gegend um Zirl auf dem .Meßtisch hatten, und das Rangger Köpfel und die Kalkkögeln — auch Peter war das erstemal auf dem seltsamen Berge—, da verstanden sie bereits ihr Geschäft.

Anfang Mai kamen sie nach Gries hinauf. Peter wußte die Gegend um den Eglaueri-schen Hof genau und auswendig, aber es trieb ihn dodi sdion in den ersten Stunden dahin. Zwanzig Schritte vor dem Hof stellte er den Meßtisch bereit. Die Bäuerin stand auch sogleich in der Tür. Das fiel den beiden Gehilfen weiter nicht auf, aber Peter klopfte das Herz gewaltig. Er trat dann, als habe er noch etwas Besonderes zu erfragen, auf das Haus zu. Die Kinder liefen unterdessen zu den Instrumenten. Sie waren nun schon größer als die Mutter gewachsen. Vroni aber hatte sich kaum geändert, wenigstens ihre hellen Augen waren die gleichen. Sie ging dann selbst mit ihm zum Meßtisch und ließ sich die Zeichnung erklären. Als sie aber erfuhr, daß er nicht nur Gries oder das ganze Sellrain, sondern alles Tiroler Land vermessen werde, schlug sie die Hände zusammen. Da brauche er ja doch gut seine zwanzig oder dreißig Jahre; jede Hütte einzeichnen, jeden Berg abkraxeln, jedem Wässerlein nachspüren!

Er hoffe, ihr in drei Jahren eine fertige Karte zu zeigen, und werde ihr dann auch eine schenken, ihr ganz gewiß. „Dir und der Leni“, sagte er, „Ihr beide habt ja auch mitgetan.“

„Drei Jahre“, wiederholte sie nachdenklich, „das ist eine sehr kurze Zeit, wenn man einmal an die Vierzig ist. Bald einer die drei Jahre erwarten kann“, setzte sie hinzu. „Aber verschraufen kann einer dabei nicht.“

„Ja“, sagte Peter, „es ist eine schöne Arbeit“, er fegte ein paar Staubkörner von der Zeichnung, „man kann dabei an nichts anderes denken als an Punkte und Meßruten und Überschneidungen, an gar nichts anderes kann einer dabei denken.“

Drei Tage noch vermaßen sie in Gries, aber Peter kehrte nicht mehr zum Eglaue-rischen Hof zurück. Den jungen Peter sah er noch einmal unter den anderen neugierigen Buben -tehen. Dann zogen sie bis nach Kühtai hinauf.

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