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Peter Anich, der STERNSUCHER

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M. Port

„Die Vroni ist eine kluge Person“, sagte dann der Erhardt daheim, „sie denkt an all-s, und wenn sie den eigenen Hof nur verpachtet, hat sie ganz recht. Der Peter braucht auch eine solche Frau.“

Aber erst als er alles berichtet hatte, sagten sie ihm, daß ein Bote aus Innsbruck da gewesen war. Der Freiherr sei nun eingetroffen und erwarte ihn für den nächsten Tag, aber schon so zeitig, daß sie sogleich nach Klausen reisen könnten.

Sie verwunderten sich dann bloß, wie wenig ihn diese so heiß erwartete Nachricht erregte und daß er an jenem Abend viel mehr und immer wieder nur von Gries erzählte, so als wäre es nicht seine erste und eine gar große Fahrt, die er nun antrat. Als der Nachbar aus seinem Soldatenleben dann Ratschläge gab, hörte Peter kaum auf ihn. Auch am nächsten Morgen war es nicht viel anders, und noch zum Abschied bat er Leni, daß sie ' mit der Vroni lieb umgingen, wenn sie käme, und daß sie freundsdiaftl'ch alles beredeten, so wie es die Doppelhodizeit erfordere.

Noch am nämlichen Nadimittag ging es von Innsbruck ab gegen Süden, in einer Extrapost mit schnellen Pferden. Herr von Sperges beglich sie aus der eigenen Tasche. Die Auslage machte sich bezahlt, sagte -er, wenn sie nur mit der Karte fertig würden.

So eilig fuhren sie mit immer frischen Pferden, daß Peter in Brixen nicht einmal die Marie aufsuchen konnte. Als der Freiherr wenig später von dieser Schwester erfuhr, verwunderte er sich auch nicht weiter über die Schweigsamkeit seines Gef“hrten, so wenig hatte der Bauer bisher gesprodien. Er antwortete wohl, sobald man ihn um etwas fragte, aber man wußte nicht, ob ihm eine Frage Freude machte oder Kummer, er hörte auf tue vielfältigen Erklärungen, die der Freiherr ihm gab, wenigstens das erste Stück des Weges über den Brenner, doch es blieb unsicher, ob er auch alles begriffen hat:e. Sobald sie dann aber den Wagen verließen, starrte er die fremde Landsdiaft an, die Burgen und Berge, die noch im Herbstlaub leuchtenden Wälder, die Sdineeg'.pfel über den Almen, die Leute in ihrer besonderen Kleidung. Er aß dann, was man ihm vorsetzte, und trank den Becher leer. Den Freiherrn bedrückte dieser Bauer nachgerade, denn er selbst war ein umgänglidier Mensch, der sich gerne und mit jedermann unterh'elt und die von Professor Weinhart vorge-sdilagene Mithilfe des Anichbauern mit großer Freude angenommen hatte.

Er konnte den beiden Gehilfen, die sie in Klausen sogleich herbeiriefen, nidi: gram sein, wenn sie sich um seinen seltsamen Praktikanten nicht sonderlich bekümmerten. Der eine, ein gewisser Oberthoner, war ein studierter junger Mann, Sohn armer Eltern, der in Villanders wohnte und sich gerne ein paar Gulden mit einer auch an sich erfreulichen Arbeit verdiente. Er hatte wohl die Schönen Künste studiert, wenn auch nicht bis zu irgendwelchem akademisdten Grade, war aber leidlich auch in der Mathematik und in der Meßkunst daheim und ein kühner unschätzbarer Gefährte auf schwierigen Ge-birgspfaden. Den anderen hatte das Kloster Säben für die Aufnahmen der nächsten Umgegend beigestellt, einen jungen Laienbruder, der erst vor einem Jahr eingetreten war, ein T'laisener Kind, jung, frisch und umgänglich, dabei lenksamer als der Student. Diese bei 'en hatten bereits den So“~“ier über mit dem Freiherrn gearbeitet, nun sahen sie den Bauern, der da schweigend umherging und nur die Felsen anstarrte, die Weingärten unter dem Kloster und den Fluß, als einen Eindringling an. Und als der Freiherr ihnen den Bauern als den in Innsbruck gar berühmten Anich Peter vorstellte und als seinen Nachfolger, lachten sie laut heraus. Herr von Sperges aber tat, als habe er ihr Lachen nicht gehört.

Als sie aber dann am nächsten Morgen gegen Waidbruck auszogen und die Gegend zwischen Sauders am rechten und Marzon am linken Ufer der Eisack zu messen sich anschickten, und Peter, da er sich erst die ihm fremden und sehr umständlidien Instrumente des Freiherrn besehen hatte, dann, von ihm gebeten, die ersten .Visuren abnahm und mit den- Gehilfen umging, als hätt er den Blasius vor sich und den Hörtnagl, und als dann die zehnte Visur bis auf etliche Zoll stimmte wie die erste und die Zeidi-nung eher einem fertigen Blatte glich denn einer Skizze, da verging den Burschen das Kichern, und der Freiherr meinte, er könne nun wohl die Extrapost sdion für den nächsten Tag bestellen, denn hier sei er wohl bereits sehr '“berflüssig.

Peter sagte nichts darauf. Am Nachmittag aber nahm er seine eigenen Instrumente mit hinaus, und am Abend hatten sie das für drei Tage anberaumte Stück Land auf dem Brett. Der Freiherr erprobte die Instruj mente auch selber. „Wenn ich wieder einmal Landmesser werde“, sagte er auf dem Heimweg, „will ich auch mit Anichinstrumenten arbeiten. Soferne der Anidi Peter dann noch d:e Zeit zu neuen Instrumenten erübrigt. Aber es wird wohl auch nie dazu kommen. Ich hab das edle Geschäft nur nebenbei betrieben. Er aber ist wohl bald der Meister.“

Am nächsten Morgen reiste der Freiherr ab. Peter aber Fiel in seine Arbeit wie in einen Rausch. Das prächtige Novemberwetter beflügelte ihn, der täglich neue Blick in das wilde Eggental. De Weingärten an den Hängen, die Trauben an den Fenstern. Er war allen Menschen gut.Wenn die beiden Burschen nicht mehr konnten, dann maß er selbst die Proben nach, oder er saß wo in der warmen Sonne und zeichnete. Dann sprang wohl auch eine Burg auf den Rand des Blattes oder eine seltsame Föhre oder ein Felsgebild, wie sie in diesem verzauberten Lande zauberisch wuchsen. In den Nächten aber zeidmete er, sobald die beiden Gefährten schliefen. Er selbst bedurfte nur eines kurzen Schlafes, und auch dann lag er oft dazwischen wach, und er wußte da plötzlich, weshalb diese Visur nicht stimmen konnte und jene Überschneidung schlecht gelungen war, und machte Licht und zeichnete die mangelhafte Partie aus dem Gedächtnis. Und am nächsten Morgen befand er die nächtliche Arbeit bis auf den Meter genau. Oder er ging mit den beiden Bursdien durdi eine neue Gegend und brachte 'ese dann zu Papier ohne eine Notiz, ohne d'n er sich auch sonderlich umgesehen hätte, und es war dann kein merkwürdiges Haus vergessen, keine Felskanzel, keine Krümmung des Flusses, kein Kreuz am Wege. Auch der Student verwunderte sich bald nicht mehr darüber. In der Gegend von Lengstein aber vermaßen sie ein Stück Land, von dem der Laienbruder behauptete, er habe es schon einmal vermessen und es müsse audr das fertige Blättchen bereits unter den Papieren sein. Es fand sich nachher auch. Aber als Peter es mit der eigenen Arbeit verglich, fand er, daß es nicht die Hälfte von alledem enthielt, was er selbst aufgezeichnet hatte, und daß wohl die Hauptpunkte in ihren Maßen übereinstimmten, was aber dazwischen lag, das eigentliche, das lebendige Land, wie er es nannte, war auf beiden Blättern kaum einander ähnlich. Die Burschen erzählten ihm auch, daß der Fre'herr nie mehr als das Gerippe gemessen, alles andere aber allein nach dem Augenmaß und gleichsam im Vorübergehen gezeichnet habe, und sie verwunderten sich, wie Peter jeden einzelnen Baum anvisierte, jedes Haus überschnitt und die Gärten abschnitt, die Zeilen des W.ines und den Saum der Wälder. Wenn er so weiter verfahre, werde ja seine Aufnahme nicht zu den bereits fertiggestellten Blättern passen, sagten sie.

„Dann werden wir eben die anderen Blätter neu vermessen.“

Er erschrak aber mächtig, ak es heraußen war, und er redete auch nicht mehr davon.

Am Ausgang des Tirsertales, dort, wo der Eisack sich scharf gegen Abend wendet, erlebten sie den ersten Frost. Ein ungeheuerlicher Landregen ließ sie die Kälte schier vergessen, und sobald sie das Eggental verließen, standen drüben der Schiern, der Rosengarten, der Latemar in ihrer grellen Kalkpracht über den frischbeschneiten Almen. Sie trafen aber auch Fuhrleute, die erzählten, in Bozen sei es noch so warm wie sonst nur im Oktober. Alle Stunden suchten sie jetzt ein Wirtshaus auf oder ein Gehöft. Sie trafen auch freundliche Leute, die sie an den Herd heran ließen, aber auch zur Heimkehr rieten, denn nach diesem ungewöhnlichen Herbst gebe es sicherl'ch einen raschen harten Winter. Gegen Abend jedoch fiel ein wärmet

Wind ein, und noch vor Mitternacht peitschte Regen gegen die Läden.

Drei Tage hockten sie in einem kleinen Wirtshaus in Karneid. Die Burschen reinigten die Instrumente und zogen die Schrauben nach oder schnarchten auf den Bänken. Peter zeidmete das erste Kartenblatt. Die Bleistiftskizze gelang audi gegen alle Befürchtungen, selbst die Ansdilüsse an die Blätter des Freiherrn ergaben sich leicht und ohne größere Verzerrungen. Doch da er dann die Berge mit Sepia malen wollte, zerfloß die Farbe. Nur daß er Bozen nahe wußte und in dieser Stadt sicher besseres Papier erwarten konnte, half ihm über jenen bitteren Tag leichter hinweg.

Als der Regen nachließ, blieb dennoch der warme Wind, und sie hatten nun bald bei ihrer Arbeit die Türme der Stadt Bozen vor sich. Sie kamen aber nur langsam vorwärts. Das breitere Tal, die reicheren Siedlungen erforderten für das gleiche Flächenmaß mehr als doppelt so viele Messungen, und viele Punkte maßen sie öfter, sei es, daß die Helfer unaufmerksamer waren oder, wie Peter meinte, bereits störrisch; aber auch er selbst war fahrig und leicht erregbar, und als er selber eine Basis nachprüfte, zerbrachen ihm zwei Meßruten unter den Händen. Er schrieb dies alles dem Föhn zu. Doch als er am nächsten Morgen in Kardaun erwachte, iag er schweißgebadet und wie gelähmt. Der Student wollte einen Medikus aus Bozen herbeirufen, aber Peter hieß ihn einen Fuhrmann auftreiben. Zwei Tage später fuhren sie auf einem Weinwagen gegen Norden. Peter hockte, in Decken gehüllt, neben dem Fuhrmann. Die Burschen saßen auf den Fässern oder liefen, da es wieder kalt geworden war, neben dem Wagen her. Die Instrumente hatten sie in Kardaun zurückgelassen.

In Klausen entlohnte Peter die Helfer. Er legte auch jedem einen Gulden aus seinem eigenen Geld dazu. Sie sollten die Woche über rasten und warme Kleider und Fäustlinge, aber auch wasserdichte Stiefel bereitsteilen, sagte er, und in etwa acht Tagen ihn wieder erwarten. Die beiden lachten nur. Im März wäre es für eine solche Arbeit immer noch zeitig genug, einen milden und raschen Winter vorausgesetzt. Wenn es ihn aber nach einem Herumstapfen in Schnee und Eis. gelüste, möge er sich dümmere Helfer suchen. Sie seien kaine Selbstmörder, noch gelüste es

Welt gewesen. Immerhin sei sie eine Witwe

und schon deshalb, wie sie aus ihrem eigenen Leben wisse, eine gute Partie. Aber den Peter als Ehemann könne sie sich so wenig vorstellen wie die Leni als Erhardtbäuerin, einen Ehemann, der knappe zwei Monate vor der Hochzeit in der Welt herumflaniere und beim ersten kalten Wind mit einem Fieber darniederliege. Nein, aus dieser Doppelhochzeit werde nichts, so wahr sie das Leben kenne und die Tücken des Schicksals und die starke Entschlossenheit, die sich eben nun einmal für das eine oder für das andere entscheide. Eine schlechte Ehe aber sei, das wisse sie besser als die anderen Anichleute, die Hölle.

Peter hörte das alles mit geschlossenen Augen an. Er stimmte ihr nicht bei, er widersprach ihr aber auch nicht. Denn daß er ihr entgegengehalten hätte: ich, der Peter, bin ein glücklicher Mensch, dafür war er zu ehrlich.

Als die Schwester dann um Holz gegangen war, kleidete er sich an und trat vor das Haus. Es war sonnig und windstill, und da er sich nicht sonderlich müde fühlte, ging er sogleich in die nahe Stadt. Unter den fremden Leuten und dann im weiträumigen Dom ward ihm wieder leichter ums Herz. Er konnte jetzt auch an“ die Seinen denken, an den Hof und an Vroni. Zum erstenmal, seit er von daheim fort war, dachte er an sie ohne die Scheu vor etwas Dunklem, das da zwischen ihnen stand. Auch der Brixnerische Schreibkalender fiel ihm ein. Die Leute verwies:1 ihn 'n die Adlergasse; dort, unter den mächtigen Lauben, zeige ihm das Schild mit den eisernen Tierkreiszeichen die jedem Brixner wohlbekannte Stätte. Von einem besonders gefälligen Manne ließ er sich auch weit und breit erklären, was es mit den Tierkreiszeichen für eine Bewandtnis habe und wie sie aussähen, ja es belustigte ihn, wie wenig man ihm, dem bäuerlich Gekleideten, zutraute.

Ein altes Weib empfing ihn danin und

fragte schon unter der Tür, ob er e'nen Kalender kaufen wolle. Peter bejahte, aber auch den Herrn Azurin wolle er sprechen, den hochgerühmten Astronomen. Die Alte führte ihn in ein finsteres Gewölb, schlug die Läden halb zurück und hieß ihn warten. An der einen Wand standen die Schreibkalender in langen Reihen, an der gegenüberliegenden andere Bücher und dazwischen auf einem Arbeitstisch, der jedoch kaum benutzt wurde, zwei kleine Globen. Peter nahm die Himmelskugel und trat mit ihr ans Fenster. Es war, wie das halb zerbrochene Schilddien zeigte, eine augsburgische Arbeit aus den neunziger Jahren, klein und uneben, wie ein verschrumpfter Apfel; mehr als ein paar Dutzend Sterne waren nicht darauf, die meisten halb verwischt. Er merkte aber die Alte erst, als sie ihm die Kugel aus der Hand riß. Ihre Stimme überschlug .sich vor Entsetzen. Was ihm denn einfalle? Diese kostbare Kugel! Ein Wunderwerk, des Herrn Azurin größter Schatz, sein unersetzliches Werkzeug! Überdies habe der Astronomus keine Zeit, er könne nicht jedem Bauern aufwarten. „Freilich kann er das nicht“, sagte Peter und: „er soll mir nur nicht bös sein, daß ich seine kostbare Kugel gefährdet habe.“ Er ging aber höchst vergnügt von dannen, ja er pfiff vor sich hin, was er doch seit seiner Knabenzeit nidit mehr getan hatte. Im „Schwarzen Adler“ fand er dann einen Weinfuhrmann, der gegen Bozen fuhr, und sie vereinbarten für den nächsten Morgen die sechste Stunde. Im Laden neben dem Wirtshaus erstand er zehn Blätter vom besten Papier.

Die Marie hatte ihn längst in der ganzen Umgegend gesucht, und als sie jetzt von seiner Absicht erfuhr, geriet sie völlig außer sich. Ob er denn am Ende böse sei, rief sie immer wieder, das mit der Doppelhochzeit und den Anichleuten sei doch nicht so gemeint gewesen. Ach Gott, sie sei selber eine Anichin und sie freue sich, wenn sie endlich auch daheim zur Ruhe kämen, und sie werde samt ihrem Mann und den Buben zur Hochzeit kommen, wenn Peter ihr vorher eine Botschaft sagen lasse, o sie freue sich schon auf die glückliche Mutter. (Fortsetz, folgt)sie nach ' tdeiner kaiserlichen Belobigung. Daß sie so ungut voneinander gingen, schmerzte Peter mehr als das Fieber. Er fuhr aber noch bis Brixen mit dem Weinfuhrmann.

Die Schwester erfragte er in Unterebben. Er erkannte sie kaum wieder, so beleibt war sie geworden. Auch die beiden Buben erwiesen sich als gesunde und grobe Burschen. Es sei ein Glück im Unglück, daß ihr Mann mit einer Fuhre in Nordtirol unterwegs sei, sagte sie, sonst hätte sie nicht einmal ein Bett für ihn.

Sie fragte auch bald sorglicher um daheim. Wie es der Muter gehe und was die Lern treibe. Ob der Erhardt noch da sei oder wieder in den neuen Krieg entlaufen, oder ob die Leni am Ende gar schon eine Erhardtin sei. Sie fragte dies, aber wie eine, die nicht daran glaubt, und als ihr Peter jetzt von der neuerlichen Verschiebung berichtete und wie sie dann im Fasching eine rechte Doppelhochzeit hätten, der Erhardt, die Leni, die Vroni, die Eglauerbäuerin, und er selbst, da schlug sie nicht vor Freude die Hände zusammen, wie er erwartet hatte, sie lachte bloß und nannte ihn einen rechten Narren und di“ ganze Doppelhochzeit eine echte Anich-Narretei. Von der Vroni kenne sie ja bloß den Namen, das junge Ding sei wahrscheinlich zu ihrer Zeit noch nicht auf der

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