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Peter Anich, der STERNSUCHER

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45. Fortsetzung

Vergnüglich freilich nur im Gegensatz zur vorangegangenen. Denn ein Vergnügen sei die ganze Landmesserei nicht zu nennen, eher ein Kriegsdienst, ein tag- ' liches Gefecht mit Wetter, Wind und Dummheit, mit Quadranten und Stellschrauben und schlechten Meßbändern, mit kleinen Meßfehlern, die einen Ort gleich um ein paar Meilen verrückten, mit den plötzlichen Schneestürmen des Hochgebirges und den Fieberdünsten in den Niederungen und mit all den Zufällen und Bosheiten, die eben jedem menschlichen Werke auflauerten. Aber auch all diese Schwierigkeiten brachte der Freiherr so vor, daß jedermann, sobald er ihm zuhörte, Lust zu solcher Arbeit bekam. Er verstehe nicht, sagte der Medikus, weshalb der Freiherr sich nach Wien wünsche. S%in Wunsch sei das auch bei Gott nicht, entgegnete dieser, auch wenn die Leute bereits Ähnliches herumschwatzten. Doch habe man, das wisse er sehr zu seinem Mißvergnügen, in Wien ein Auge auf ihn, wahrscheinlich weil man in ihm, was ja zum Teil auch stimme, einen genauen Kenner der venetianischen Verhältnisse und der immer wieder strittigen Südgrenze vermute. Sein Mißvergnügen aber entspringe dem inneren Zwiespalt, in den ein solcher Ruf nach Wien ihn bringen würde. Einmal sei es in seinem Alter eine große Ehre, auch biete die kaiserliche Stadt eine bessere Karriere, zum andern aber hinterlasse er nur sehr ungern ein halbfertiges Werk, noch weniger aber die Berge und Schrofen und Eisfelder. Er hoffe indes, daß man ihn die Landaufnahme noch vollenden lassen werde, den ganzen südlichen und auch den nördlichen Teil von Tirol, ehe man ihn berufe. Dann werde er, wenn auch schweren Herzens, dem Rufe Folge leisten, denn ein ganzes Leben lang könne einer doch nicht nur Land vermessen, auch ein Mann mit einer Bärengesundheit nicht.

Peter merkte nicht, wie jetzt der erste Kammerrat sich zu Herrn von Weinhart neigte und wie die beiden leise miteinander sprachen und dann auf ihn blickten. Er merkte überhaupt, seit er bei Tische saß, nichts von alledem, was um ihn vorging, so ganz ruhelos saß er unter den Redenden, so von seinem eigenen Herzen verlassen, wie nie zuvor, höchstens in jenen bitteren Tagen nach des Vaters jähem Tod.

Erst als die Bauern die Stadt hinter sich hatten und in der kühlen Dämmerung da-hinschritten, die dunklen in den Abendhimmel gezackten Berge vor Augen und den gewohnten Weg unter den Beinen, atmete Peter wieder freier. „Sie haben es ja wohl gut mit mir gemeint, die hohen Herren“, sagte er, „aber am schönsten ist es, daß ich wieder heimgehn kann. Was der Sperges erzählt hat! Mein Lebtag wollt ich kein Landmesser werden.“

Der Erhardt tat einen tiefen Schnaufer, dann bat er den jungen Blasius, er möge vorauseilen und beim Wirt in Völs eine Maß Wein bestellen, aber vom besten. Nach dem offiziellen Gesumms gelüste ihn nach einer kleinen eigenen Feier, auch spüre er die viele Herumsteherei gehörig in den Beinen.

„Du warst mir nicht dankbar, daß ich vor den Herren das alles so herausgesagt habe“, sagte er, als sie dann allein waren. „Ich hab doch für dich so reden müssen!“

Peter entgegnete nichts. Leichtfüßig schritt er neben ihm einher, ein anderer Mensch. Auch seine Augen ruhten hell auf den Äckern. Der Erhardtbauer jedoch wollte die Stunde nutzen. Er tat es nicht mit gutem Gewissen, denn Peter tat ihm leid, wenn er ihn jetzt wieder an all das Ungenehme stoßen würde. Doch der Erhirdt-bauer hatte zu viel und zu klar überlegt, und er wußte, daß nur mehr eine ganz offene Sprache aus der Wirrnis führen konnte. Deshalb schwieg er wohl eine Weile dahin, dann aber sagte er: „Mehr kann einer doch nicht tun, wenn er die Leni zur Braut hat.“

„Ach Gott“, sagte Peter jetzt und blickte starr vor sich hin in den kühlen gläsernen Himmel, „das hab ich niemals von dir verlangt und werde ;s auch nie zulassen. Nur hätt ich es vor den Heroen auch sagen müssen. Was hätt ich nicht noch alle sagen müssen.“

„Ist auch besser so“, sagte der Erhardt rasch, „dann hätt ich das Letzte gesagt, und das geht keinen fremden Menschen etwas an.“

„Das Letzte?“ Peter wandte sich scharf lim, denn er war ein paar Schritt vorausgeeilt. Der Nachbar aber zog ihn näher. „Der Erhardthof braucht eine Bäuerin. Aber es muß ja nicht die Leni sein. Wenn es nicht sein darf, meine ich.“ Er hielt ihn fest am Arm, denn er fürditete, daß er ihm entliefe oder vor Schrecken hinfiele oder einen Sprung täte, was er nicht alles befürchtete. Es geschah aber nichts von alledem. Peter fuhr sich bloß über die Augen und lachte, allzu laut lachte er, wie es dem Erhardt schien, und in einer an ihm völlig ungewohnten Art. „Ob das am Wetter liegt, daß alle heut so verrückt daherreden?“ Mehr sagte er nicht. Bis zu den ersten Häusern von Völs gingen sie schweigend nebeneinander her. Hier hielt Peter plötzlich inne, blickte auf die Scheuer zur Linken und auf den alten Wagenschuppen zur Rechten, nickte und ließ sich auf einem Stapel Birkenhölzer, wie sie die Wagner gebrauchen, nieder. „Hier ist mir schon einmal ein guter Gedanke gekommen“, sagte er, „auch den Lehrsatz des Herrn Pythagoras hab ich in dieser Gegend erfahren. Vielleicht fällt mir auch dafür die richtige Rechnungsart ein. Du könntest auch keinen Sinus berechnen und keinen Cosinus, und doch gibt es dafür die Logarithmen. Man muß sie nur kennen und richtig gebrauchen.“

„Wenn du damit sagen willst, daß es keine unlösbare Aufgabe für uns beide gibt, dann stimme ich dir bei“, sagte der Erhardt erleiditert.

„Man muß auch die schwierigsten Rechnungsarten nur herzhaft gebrauchen.“

„Und soviel ich vom Rechnen verstehe, sich einmal erst die Fragen richtig und klar vorlegen. Erstens, zweitens, drittens. Entweder der Peter braucht die Leni, dann muß ich mir eine andere Bäuerin suchen, oder der Peter nimmt selber ein Weib, dann kann ich die Leni heimführen.“

„Und drittens?“

„Ein Drittes gibt es nicht.“

Peter zeidinete mit seinem Stecken eine Kurve in den Sand. Er nahm die Mütze vom Kopf und strich das Haar zurück. „Wir haben die von dir genannten Möglichkeiten schon einmal untereinander beraten, die Leni und ich, gleich nach dem Tode des Vaters.“

Der Erhardt wußte davon. Ja, die Leni habe es ihm einmal erzählt.

„Und was ist dabei herauskommen? Nichts oder sehr viel, wie du es nimmst.“

„Das mein ich ja: die Leni bleibt einfach bei dir und du machst deine Sachen weiter wie bisher. Damals hat es nur keinen Erhardt gegeben und die Vroni war noch nicht Witwe, deutlicher gesagt, sie war noch nicht gescheit genug, daß sie einen Anich Peter , begriffen hätte.“

„Und jetzt ist sie so gescheit) meinst du?“

Der Erhardt sprang unwillig auf und tat ein paar Schritte gegen das Dorf zu. Er kam jedoch wieder zurück, nur stehen blieb er jetzt. „Es wäre auch für dich keine Lösung“, sagte er rasch, „schon allein, weil es nicht zwei oder mehr Lösungen gibt, sondern nur eine, die ich vorschlage.“

Aber jetzt klang die Stimme des Anich-bauern ganz hart und hell: „Eher reiß ich das Brett vom Birnbaum und trag die Drehbank in den Stall, und dem Pater Ignaz schreib ich einen schönen Brief und mein Lebtag geh ich nicht mehr nach Innsbruck, auch wenn ich die Himmelskugel nie mehr sehen soll. Als der Vater gestorben ist, hab ich es acht Jahre lang ausgehalten.“

„Damals ist es deine Sache allein gewesen“, sagte der Erhardt nach einigem Bedenken, „jetzt hat der Pater Ignaz ein Recht auf dich, und der Gubernator hat eins, und die Kaiserin hat eins, und das ganze Land braucht den Peter. Du bit kein freier Mensch mehr, der allein seinen Türken baut und daneben die Stern anhimmelt oder es bleiben läßt. Wenn du so redest, hättest du überhaupt niemals anfangen dürfen.“

„Heut ist mir das auch klar geworden.“

Jetzt warf der Erhardt den Tragkorb über und schritt ihm rasch voran. Er sei ja nicht so dumm, daß er ihn, den Peter, deshalb schelte oder gar einen Vorwurf gegen ihn erhebe, weil er mehr an die Erdkugeln und Himmelskugeln und an die Sterne und Kurven und Minuszahlen denke als an all die Dinge des rechten Lebens, des täglichen, dafür aber habe er einen Menschen neben sich nötig, der eben die Stelle des gesunden Menschenverstandes übernehme und allezeit in den schwierigen Lagen rate und helle.

„Ach ja“, sagte Peter, „ihr alle meint es ja so gut mit mir. Und wenn ich darüber schlafe, will ich schon den rechten Weg finden. Der heutige Tag war doch schon ein bisserl viel. Eigentlich hat es ja schon gestern zu Mittag angefangen, mit dem Mauerniederreißen, oder nicht? Ich glaub, wenn einer im Notfall sein halbes Häusel niederreißt, dann ist er doch nicht bloß ein Guckindieluft oder ein Sternanhimmler, der den Kopf vor der Gefahr in den Sand steckt, wie der Straußenvogel tun soll.“

„Wo du recht hast, hast du recht“, sagte der Erhardt und hielt nun geradewegs auf das Wirtshaus zu.

Der Blasius hatte schon die halbe Maß leergetrunken und eine mächtige Schnitte Speck verspeist. Sie tranken den Rest und nahmen bloß ein Stück Brot dazu. Dann gingen sie alsogleich weiter. Als sie das Dorf hinter sich hatten, trat eben der Abendstern über der Hohen Munde aus dem Himmel.

Auch dem Blasius verging die Redseligkeit neben dem Schweigen der beiden anderen. Erst gegen Kematen zu raffte er allen Mut und Verstand zusammen und fragte endlich, ob sie denn alles besprochen hätten. Wozu wäre er denn solange allein im Wirtshaus gesessen, ganz allein nach diesem Tag und nur unter Dummköpfen, denen er doch nicht von Himmelskugeln und Kammerräten und verbogenen Krebsen erzählen konnte. Aber sie hätten doch sicherlich alles ausgeredet und noch ein gutes Teil darüber, sonst schwiegen sie doch jetzt nicht wie die Nachtfalter.

„Ja“, sagte der Erhardt endlich, „wir haben beredet, was zu bereden war. Daß du deine Ruh hast, neugieriger Bub.“

(Fortsetzung folgt)

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