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Peter Anich, der STERNSUCHER

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36. Fortsetzung

13. Kapitel

Am zweitnächsten Samstag nach der Unterredung mit dem Kuraten geschah das Unerhörte: Peter verschlief. Er erwachte erst um die Zeit, da er sonst bereits Kematen hinter sich hatte. Auch die Leni und die Mutter waren nicht aufgewacht. Die Nacht über hatte es stark geregnet, schwere Wolken hingen noch tief in die Wälder.

Diesmal lief Peter sogleich in die Universität. Der Pater kam ihm schon in der Tür entgegen. „Hat dich der Regen doch nicht abgehalten“, rief er, „war auch schad gewesen. Heut brauchen wir den Peter.“

Doch den ganzen Vormittag über tat oder spradi der Professor nichts, was nach etwas Besonderem hersah. Vielleicht, dachte Peter, ist der Kurat bei ihm gewesen, oder der Himmelsatlas ist endlich eingetroffen, oder die Kaiserlichen haben wieder die Franzleute verdroschen, was man feiern muß. Es fiel jedoch auch über all diese Dinge keine Andeutung, und die gegen Mittag hin an ihn geriditete Frage, ob er schon bei der Marie in Hötting gewesen sei, schien ihm ja nicht weiter unberechtigt. Er nahm sie bloß als eine Anspielung an sein Zuspätkommen. Auch daß Herr von Weinhart ihn jetzt rasch nach Hötting laufen hieß und den Tag diesmal früher beschloß, weil er noch nach Hall reiten mußte, gab seinen genug verwirrten Gedanken keinerlei Ziel.

Als er jedoch nach Hötting kam, sah er vor dem Haus einen kleinen Handwagen stehn und einen Haufen Binkel und Körbe darauf. Noch seltsamer stand die Schwester in der Tür. Sie war sonntäglich gekleidet und kaum zu erkennen, so stattlich sah sie aus.

„Jetzt hab ich schon glaubt, ihr wollts mich nicht daheim haben“, rief sie, „grad hätt ich wieder ausgepackt.“ Dann hielt sie dem Bruder einen umfänglichen Bogen vor die Nase. Darauf stand vom Gubernium geschrieben und besiegelt: Der Flößer Florian Mooshammer, wohnhaft in Hötting, verehelicht und fünfundvierzig Jahre alt, sei vor zwei Jahren im Struden bei Grein in Niederösterreich von einer übermächtigen Welle und wohl auch durch eigene allzu geringe Sorgfalt in den Strom gespült worden. Fischer hätten ihn verschwinden, aber nicht wieder auftauchen gesehn. Auch die Leiche sei nicht gefunden worden.

Peter griff nach ihrer Hand. Sie tat ein paar Schritt zurück. „Das Papier hast du mir verschafft, du falsche Katz.“

Er gestand ihr in seiner Freude dennoch, wie alles gekommen war. Oder sei es denn so überaus schrecklich, wenn eine Tochter als Witwe zur Mutter heimkehre? Sie knurrte indes ohne Unterlaß. Einen billigen Dienstboten brauchten sie in Perfuß jetzt für den Türken und auch im Winter, daß der Peter jeden Samstag oder noch öfter nach Innsbruck laufen könne und in seinen Extravaganzen nicht behindert sei, daß die Leni, die feine Dame, sich nicht die Hände im Kuhstall beschmutze.

„Ach Gott“, sagte Peter zu all den Ausbrüchen, „es konnte doch alles gar nicht schöner kommen, als es gekommen ist. Du wirst schon sehn, was ein Daheim heißt. Ich weiß es und bin nur einen Tag die Woche fort.“ Immerhin stand sie ja reisefertig vor ihm und hieß ihn jetzt die letzten Körbe auf den Wagen werfen.

Später, als er den Wagen durch die Alleen zog und die Schwester rüstig neben ihm einherschritt, war auch das Gered vergessen, und wenn er auch lange bei sich überlegte, ob sie in Völs zukehren sollten, nicht des Geldes wegen, sondern weil er keine Stunde versäumen wollte, es dünkte ihn dodi richtig, daß er die Wiedergewonnene mit einem festlichen Mahl begrüße. So ließ er denn Braten und Küchel aufmarschieren, auch einen Krug vom besten Wein, und die Schwester griff nicht nur wacker zu, sie fand jetzt auch ab und zu ein fröhliches Wort. Auch mit einem Fuhrmann aus Brixen kamen sie ins Gespräch, der gleich ihnen verschn. ufte und sie befragte, woher sie denn so testlich und mit ihrem Hausrat kämen und wohin sie gingen, denn er hielt sie für ein Ehepaar. Auch hieß er sie dann ihr Wägelchen an seinen Wagen hängen und aufsitzen. So kamen sie rascher, als sie erhofft hatten, zur Straßenabzweigung nach Unterperfuß, und den Waldweg hinan zog Peter den Wagen so leicht und frisch, wie er kaum je eine Last gezogen hatte. An der Urlaubskapelle vorbei spähte Peter nur aus, ob nicht zu allem Glück auch noch der Kurat daherkäme. Sie trafen aber auf all den Wegen keinen Menschen, und die Buben am Petrus-brünndel wußten ja nicht, wer die Marie war und daß sie nun zum Anichhause gehören wollte.

Als aber der Pater ihn am nächsten Samstag fragte, ob daheim alles schön in Ordnung verlaufen sei, sagte Peter bloß: „Ja, es ist schon alles in Ordnung.“ Später fiel ihm ein, daß er seinem Lehrer ja nicht einmal gedankt hatte, doch er brachte auch jetzt kein Wörtlein über die Marie heraus. Was sich indes daheim zugetragen hatte und noch begab, konnte er ja auch schwerlich berichten, selbst wenn es jetzt aus der Ferne mehr töricht als ärgerlich hersah. Da schritt die so heiß herbeigewünschte und von Mutter und Leni wie eine Bötin des Himmels begrüßte Schwester steif und herausfordernd im Hause umher, wandte sich zwischen Tisch und Stuhl hindurch, als fürchte sie irgendwelche Befleckung, griff kein Hefen an und kein Holzscheit, nicht einmal ihr eigenes Bett rührte sie an, wenn sie spät aufstand, und bei schönem Wetter trug sie einen Stuhl in den Schatten der Birnbäume, denn die Luft in der Stube war ihr zu minder. Die Knödel waren ihr zu hart und zu bäurisch, die Krapfen zu schmalzig, die Suppe zu dick, und ihre einzige Rede nodi nach Tagen blieb: Bei uns in Innsbruck tat ich in einem solchen Stall nicht einen Tag hausen, bei uns in Innsbruck tat ich eifien solchen Fraß' nicht' einmal den Katzen vorsetzen, bei uns in Innsbruck...

Erst hatten Leni und Peter noch darüber gelacht, dk Mutter hatte freilich bloß gesdiwiegcn und las seither zumeist in ihrem alten Betbuch, als sei darin eine Beschwörungsformel für einen solch bösen Geist aufgeschrieben. Auch der Leni verging das Lachen sehr bald, und Peter wollte lieber keine Stunde weg von daheim, und heimzu rannte er jedesmal, als sei durch seine rasche Dazwischenkunft noch das Ärgste zu ver hüten.

Als er aber an jenem Samstag spät heimkam, trat ihm die Leni mit verweinten Augen entgegen. Nein, gestritten hätten sie nicht, er möge nur in seine Kammer gehn.

Dort saß die Marie in ihrem feinen Staat und las in einem Kalender. Die ihr zugewiesenen Kasten und Truhen und ihr Bett standen in der Kammer, keine Drehbank mehr, kein Tisch, kein Buch. Sie aber lachte ihm ins Gesicht: „Dein Kramzeug ist in der Knechtkammer, wohin es gehört, in einem ordentlichen Haus, mein ich.“

„Freilich“, sagte Peter, „ich kann auch in der Knechtkammer arbeiten. Hab es bis jetzt nur nicht getan, weil dort kein Fenster ist.“

Er ging. Er trat fest auf, denn der Boden wankte unter ihm. Die Marie aber schoß ihm nach. Was er denn von ihr überhaupt glaube, schrie sie. Ob sie noch ein Wort wert sei, eine Antwort. Sie sei kein Dienstbot, das habe sie schon in Innsbruck klar genug gesagt. „Aber mein Herr Bruder vergißt leicht alles“, schrie sie jetzt wohl aus Wut, daß er noch immer sich beherrschte, „er ist auch dem Herrgott sein Bauer. Er weiß nicht einmal, daß die Mutter keine drei Wochen mehr tut, das sieht er nicht, und wie die Leni mit dem Franz geht, das sieht er auch nicht, der gescheite Herr Bruder. In den Büchein steht es ja nicht zu lesen. Aber wenn du meinst, ich geb euch nun die Dirn ab, weil die Leni bald heiraten will, dann hättest erst nicht den Professor anbetteln brauchen,“

Jetzt war es auch mit Peter vorbei. „Geh“, sagte er scharf, „und schrei nicht, solang die Mutter wach liegt. Später rede ich mit dir, wenn ich noch ein Wort mit dir red.“

Die Leni traf er im Stall. „Komm herein“, sagte er

„Hast deine Kammer gesehn?“ sie hatte noch immer nasse Augen.

„Ehi bist mit dem Franz versprochen?“

Sie blickte ihm voll in die Augen. „Er ist kein unebener Mensch.“

„Er ist ein ganz herrlicher Mensch“, sagte Peter. „Und wann werdet ihr heiraten?“

„Ach Gott!“ Leni wandte sich ab.

„Meinetwegen dürft ihr keinen Tag zuwarten“, er griff nach ihren Händen. „Die Marie hat recht, wenn sie auf mich bös ist und mich einen heillosen Dummkopf nennt. Ich hab es wirklich nicht gesehn, daß ihr euch liebhabt.“

„Das soll bei gelehrten Leuten vorkommen.“ Die Schwester ward sogleich wieder ernst. „Hör mich an, Peter“, sagte sie, „ich hab auch für dich alles bedacht, eben weil du keine Zeit für diese Nebensachen hast. Du hast auch keine, und ich weiß jetzt und der Franz weiß es auch, daß es jetzt noch nicht sein darf.“

Sie traten aber in den Garten hinein. Bis zum Walde hin schritten sie durch das noch feuchte Gras. Zwisdien den Wolkenfetzen standen überhell die Sterne.

„Wenn man nur erst einmal redet, dann wird alles rasch leichter“, sagte Peter. „Du bist dann die Nachbarbäurin. Was ändert sich schon an unserem jetzigen Leben? Du kannst jeden Tag nach der Mutter schaun und uns aushelfen. Ihr habt auch mehr Dienstboten, und mit dem Franz versteh ich mich.“

Die Schwester schüttelte heftig den Kopf. „Wenn du ein Landmesser bist, bist du ein Landmesser und kein Bauer mehr. Und sobald ich die Erhardtbäurin bin, kann ich nicht zugleich die Anichbäurin sein. Das mußt du einsehn.“

„Ich willl aber kein Feldmesser sein, und ich will auch niemals fort von daheim.“

„Dann darf ich dich noch weniger mit der Marie allein lassen. Nein, Peter, sie tat dich zu Tod peinigen. Sie weiß auch nicht, daß du alles so tun .mußt, wie du es tust. Nur die Mutter und ich wissen es. Meinst du, wir hätten niemals mehr über dich geredet und wie das alles mit dir gekommen ist?“

„Ich werde mit dem Franz reden“, sagte Peter nach einer Weile Schweigen, und da sie dagegen war, „aber mit dem Professor, der ist ein kluger Mann, dem vertraust du doch.“

„Ich tat auch dem Franz vertraun“, sie lachte ein wenig, „aber auch der Professor kann uns da nicht raten. Ob du deinen Weg gradaus weitergehst, das mußt du schon allein wissen, du bist ja auch allein zu ihm gelaufen. Oder hat er dich geholt? Und ob man einen lieben Menschen helfen soll, das sagt einem allein das eigene Herz.“

„War ich dein Bruder nicht, ich tat dem Franz neidig sein, daß er dich einmal heimführt.“

Er spürte sich wieder so sicher wie all di Jahre her nicht mehr. Und er redete noch viel über das Künftige. Sie wollten noch ein paar Wochen zuwarten, ja. Die Leni sagte es noch deutlicher: „Wenn du schon bestehst, daß ich den Franz deinetwegen nicht abweisen soll, aber das Warten kannst du mir nicht verbieten.“ In diesen Wochen müsse sich auch entscheiden, ob die Marie sich einfügen wolle oder nicht. Sie sei ja kein schlechter Mensch, und wenn sie so stracks nicht wollte, hätte sie auch in Hötting verbleiben können. Nur stolz und dumm sei sie wie so viele Stadtleut und auf ihre künftige Stellung im Haus bedacht, als ob das Leben ein Rechenexempel war. Nein, sie wollten sie schön langsam an die Arbeit gewöhnen. Und wenn nicht ihnen, dann werde es noch der Mutter gelingen. Kränker sei ja die Mutter jetzt auch nicht als die Jahre vorher, und auch für die Drechselbank und Bücher werde sich ein besserer Platz finden.

Sie machten dann miteinander den Stall fertig, und als Peter ins Haus zurückkehrte, schlief die Marie bereits. Er war es froh, daß er sie an diesem nun so weiten und heimlichen Abend nicht mehr sehen und sprechen brauchte.

Am folgenden Tag machte die Marie den Türkensterz. Es war dies in jungen Jahren ihr Lieblingsessen gewesen. Sie redete auch nicht mehr sooft von Innnsbruck, auch gab sie der Mutter ab und zu ein freundliches Wort.

Peter wagte sich jetzt an die Kirchenuhr. Er wollte die schönen Tage nutzen. Er selber mußte ja auch die Bretter und Leitern für das Gerüst herbeischaffen und selber aufr stellen. Der Hörtnagl half ihm dabei. Sie arbeiteten sich gut zusammen. Auch der Hörtnagl verstand sich auf feinere Arbeiten als Räder und Rösser beschlagen. Wenn der Peter einmal Instrumente aus Eisen brauche, die hölzernen seien doch gar zu plump und unbeständig, dann wolle er ihm schon die Kerne zurechtschneiden, sagte er, darauf verstehe er sich, trotz jedem Kunstschlosser, den Uberzug aus Messing müsse er sich dann freilich in Innsbruck anfertigen lassen.

„Ach Gott“, sagte Peter, „wer weiß, ob ich das Zeug noch brauch.“ Mehr sagte er nicht, und der Schmied fragte auch weiter nicht, er wußte, woher diese auf einmal so verzagte Rede kam.

Der Kurat kam jeden Vormittag einmal auf den Friedhof. Doch erst als sie das Gerüst abgeräumt hatten und Peter allein mit ihm war, fragte er ihn, ob er bereits mit dem Professor gesprodien habe. Er werde sicherlich genau soviel Freude an der Sonnenuhr haben als er, der Kurat.

„Ich seh es jetzt schon ein, daß ich mit ihm reden muß'', sagte Peter, „es geht nicht mehr länger so ins Blaue hinein. Und vielleicht bin ich auch ehender fertig mit der Studiererei, als ich selber glaub.“

„Hast es auch jetzt leichter, wo die Marie wieder daheim ist.“ Der alte Herr blickte ihn über die Brille hinweg an.

Peter blickte noch einmal prüfend auf das Werk. Dann sagte er, so als suche er erst seine Gedanken zusammen: „Eines erleichtert einem die Marie. Ebenher hab ich mich oft gefragt, ob ein Kegelschnitt oder ein sphärisches Dreieck für mich überhaupt taugt, jetzt weiß ich, daß man sich hinter diesen schönen Dingen verkriechen kann wie ein angeschossenes Reh. Und noch etwas erleichtert mir die Marie. Ich brauch nicht mehr mit mir raufen, ob ich fort soll oder daheimbleiben. Wenn ich die Marie vor mir seh, dann weiß ich, daß ich daheimbleiben muß. Man weiß doch nicht, was aus einem wird, bald man das heimatliche Leben aufgibt. Bei andern Leuten mag das zum Guten ausschlagen, ein Bauer muß eher die fremde Lust aufgeben und alles andere.“

Der Kurat nickte. Mehr als die Leute ihm längst über die Heimkehrerin zugetragen hatten, hätte er ja auch von Peter nicht erfragt.

In den Abendstunden aber verbiß sich Peter mit einer Wut in die unheimlichen Fragen der astronomischen Geometrie, daß selber Herrn von Weinhart ein Staunen ankam, und er war doch einige Schnelligkeit an seinem Schützling gewohntj

Peter schrieb diese Lust auch dem freien und in jenen Tagen nach Regenwochen wolkenlosen Sommerhimmel zu, unter dem er jetzt rechnete und werkte. Auch die Drechselbank stand unter dem Vordach der Scheune, und die nördlichen Kalkberge waren seine heimlichen Behüter und Helfer,

Der Franz saß jetzt wieder oft neben ihm. Peter tat aber nichts dergleichen, mit keinem Wörtlein verriet er, wie sehr und wie hart er an die Zukunft dachte.

rie Frage an den Pater wagte er dennoch nicht.

(Fortsetzung folgt.)

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