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Digital In Arbeit

Auf den Knopf gedrückt

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DAS TELEPHON KLINGELT. „Ist dort Herr Huber? Ja? Kaffeehaus im fünften Bezirk, Mar- garetenstraße 48? Nicht wahr, Sie haben die Nummer geändert? Nein? Bitte, entschuldigen Sie, also ist es die richtige Nummer.“ Ein sympathisches Lachen. Und fort ist das Gespräch. (Alle Namen und Orte sind aus naheliegenden Gründen verändert.) Der Cafetier schüttelt den Kopf und geht wieder in die Küche. Ein Irrtum! Oder ein Spaßvogel, das kommt ja am Wochenende zuweilen vor. Zum Schluß lächelt der Cafetier. So ein Gedanken, zu fragen, ob man der ist, der man ist!

AM GLEICHEN ABEND erscheinen im Lokal zwei soignierte Herren und lassen sich gemütlich nieder. Der Kaffeehausbesitzer eilt herbei. „Guten Abend!" wünscht einer der beiden Herren. „Wir haben ja heute bereits das Vergnügen gehabt, mit Ihnen zu sprechen und sind daraufhin gleich gekommen — gestatten Sie, daß ich Ihnen noch vorstelle — Herr Durbeiß —, ja, wie Sie wissen, handelt es sich um die Aufstellung des Musikautomaten — Sie haben uns ja Ihre Adresse gegeben …“

„Ich — wann?“

„Heute vormittag, erinnern Sie sich doch, wir haben gefragt, ob hier Cafe Huber ist, haben die Adresse und die Telephonnummer verlgichen — hier bitte —, Herr Durbeiß — geben Sie doch die Aufzeichnung her …"

„Sie haben mich gefragt, ob hier das Cafe Huber ist — aber sonst weiter haben wir nichts vereinbart, meine Herren, das muß ein Irrtum sein …"

„War es vielleicht Ihr Bruder?“

„Ich habe keinen."

„Dann sind Sie’s doch.“

„Freilich.“

„Na also!“

„Aber' nicht so, wie Sie meinen, mein Herr!“ -

„Sie waren doch bei unserem Verkaufsstand bei der letzten Messe?“

„Ich war schon ein paar Jahre nicht in der Messe.“

„Dann war es Ihr Bruder!“

„Ich sagte Ihnen schon, ich habe keinen Bruder.“

„Na, lassen wir das, ist ja nebensächlich. Also — Sie brauchen den Apparat…"

Und so geht das „Verkaufsgespräch“ weiter. Der Kaffeehausbesitzer erklärt, er brauche keinen „Stimmungsbarometer“, wie ihn die Herren bezeichneten, er habe auch nicht das Kapital dazu. Dieser Einwand wird wie alle übrigen Einwände, mit einer großzügigen Handbewegung fortgewischt.

„Geld brauchen Sie dazu gar keines. Im Gegenteil, Sie werden Geld bekommen!“

„Und meine Gäste wollen

Ruhe, die laufen davon, wenn sie die Orgel hören!“

„Für hundert, die fortlaufen, bringen wir Ihnen hundertfünfzig! Wir haben den Wagen draußen. Steigen Sie ein, wir fahren ein paar Lokale in der Stadt ab, die Namen werden Sie ja kennen, und morgen haben Sie den Grundstock zu einem phantastischen Aufstieg Ihres Lokales gelegt. Ueberhören Sie nicht die Stimmen von heute! Gehen Sie mit der Zeit, die Zeit geht mit Ihnen!“

IN EINEM EISSALON im Südwesten Wiens. Ein Kino gleich schräg gegenüber, ein Wirtshaus linker Hand. In diesem Lokal, das hat mir ein Lehrer kurz vor Schulschluß gesagt, treffe er mit

Sicherheit am Abend immer jene Schüler (mit Schülerinnen), die für den gleichen Tag krankgemeldet waren. Entweder vor oder nach dem Kino; oder es wird der „Salon" auch als Unterhaltungsstätte für sich betrachtet. Wegen der Wurlitzerorgel. Ein paar Häuserblocks rundum wissen es alle entsprechenden Alters: „Dort gibts a klasse Musi, der hat dort no jedsmal leinwand Platten ghabt.“ Vor ein paar Tagen bin ich selbst hingegangen und habe mir den Betrieb angesehen. Es ging durchaus ruhig, sachlich, ja nüchtern zu. Kaum, daß einmal jemand mitsang (was ja bei vielen Stücken eine Kunst für sich wäre). Gesittet, so möchte man beinahe sagen (von einigen freundschaftlichen Püffen, die ebenso freundschaftlich zurückgegeben oder „ge- ferselt“ werden — mit Ausschlag des Schuhabsatzes und gezieltem Aufschlagspunkt). Einer wartete auf den andern, bis er seine musikalische Speisekarte abgegessen hatte, dann kam er daran. Die „Speisekarte“: das sind (es gibt noch viele andere Namen) die Schilder über den Druckknöpfen, wo man die Titel der vorrätigen Stücke ablesen und wählen kann. Es ist alles da. Freude und Wehmut, Paprika und Kaiserschmarrn.

IN DER FIRMA, die ich mir — wer die Wahl hat, hat die Qual — aus dem Branchenregister des Wiener Telephonbuches (zwei Seiten Anzeigen unter dem Stichwort „Musikautomaten“)

heraussuchte, wurde ich zuerst von einer attraktiven Dame mit platinierter Stirnlocke empfangen. Als sie hörte, daß es nicht eine Angelegenheit des „Service“ wäre, sondern eine allgemeine Auskunft, erschien der Chef persönlich. Offensichtlich sah ich nach einem Interessenten aus. „Wien, nicht wahr?“ fragte der Herr Chef. Na also, nach Provinz sah ich nicht aus, das hat er heraus, dachte ich. Ob ich dächte, einen (folgt Firmenmarke) zu kaufen? In diesem Falle wäre man bereit, „saisonal“ äußerst entgegenkommende Konditionen zu gewähren. Hm, „saisonal“, das habe ich bisher bloß bei den Statistiken der Arbeitsmarktlage gehört („saisonale Entlastung“). Die Preise begannen etwa bei 60.000 Schilling und gingen an die Hunderttausendergrenze. Das hängt von der verfügbaren Plattenzahl ab (bis zu 200 Stück). Teilzahlung? Freilich, ohne weiteres möglich. Nun, jetzt mußte ich aus der Reserve heraus, und sagen, daß mich die ganze Automatengeschichte fachlich interessiere. Ob ich Techniker sei? Ob ich ein Patent, eine neue Idee hätte? Ob ich — bitte, bitte, nur eine Erkundigung — von (folgt wieder ein Firmenname, offensichtlich die Konkurrenz) käme. Nun, da konnte ich den freundlichen

Herrn beruhigen. Er sei, so sagte er, in der Lage, allen speziellen Wünschen nachzukommen. Ob ich etwas von der „Musikbar“ gehört habe, „mit Tisch-Plattenwähler“? Man könnte auch so einen Apparat mieten. Für jede Reparatur wird gehaftet. Jede Woche wird der Plattenwechsel vorgenommen. (Wie bei einem Lesezirkel, dachte ich.) Die neueste Produktion besonders auf dem Schlagersektor, der von den Filmen her und von den vielgenannten Jazzsolisten bestimmt wird, unterliegt einer genauen Kontrolle. Bei dieser Firma, das wird mir versichert, gibt es keine „verstaubten“ Schlager. „Entstörungsdienst", das möchte man besonders hervorheben, ist Tag und Nacht, auch Sonn- und Feiertag. Es gibt ein Monatspauschale für diese Betreuung, gemeinhin „Service“ genannt, und ebenso ein Pauschale für den Plattentausch. Falls ich — oder vielleicht ein

Bekannter, der mich schicke — weder bar noch auf Teilzahlung den Apparat nehme, dann kostet die Aufstellung eines solchen nichts, ja man bekommt noch etwas dafür („bitte, das regelt dann ein Vertrag“), wenn die Maschine aufgestellt werden darf. Bei dem jeweiligen Inkasso ist für den Lokalbesitzer eine pauschale oder prozentuelle Beteiligung an den Einnahmen möglich.

DER PSYCHOLOGE antwortet auf die Frage, warum die Musikbox-Welle so überhandnehme: „Früher konnte ein Mensch an der Musik für sich und seine Welt Gefallen finden. Heute fühlt er sich, sobald er Gefallen an einem Stück findet, als Propagator. Er möchte seinen Geschmack als Visitenkarte vorstellen, ehe noch mit dem Partner lange Gespräche geführt werden. Sage mir, was du wählst — mit einem Druck auf den Knopf — und ich sage mir, ob du zu mir paßt.“

DER MUSIKLEHRER bedauert, daß die mechanische Musik immer mehr Jugendliche der aktiven Musikausübung entzieht. „Sehen Sie, auf der einen Seite werden die schönsten Bemühungen sremacht. die lupend wieder zur euten Musik,

zur Musik, die aus dem eigenen Herzen Nahrung empfängt, hinzuführen. Auf der anderen Seite — trotz der Flut von Musikwettbewerben und Preisen von lokaler bis internationaler Bedeutung — entfernt sich die Masse vom selbsterrungenen, selbsterarbeiteten Gehalt zur selbstgewählten Speisekarte, deren Zusammensetzung sozial differenziert ist.“

IN EINEM RASTHAUS an der Bundesstraße Nummer 1. Der Besitzer sagt mir, daß sein Lokal nicht nur von den Autopassanten aufgesucht wird, sondern auch von Einheimischen. Und die kommen nur wegen der Musikbox. Für die Passanten ist die Musik' nur eine Schallkulisse zum Espresso. Für den aus dem Dorf Kommenden aber ein Hauch ferner Welt, die man trinkt voll uneingestandener Sehnsucht. „Ja“, sagt der Mann, „früher hat es elektrische Klaviere gegeben — denken Sie an den Schlager der zwanziger Jahre ,In einer kleinen Konditorei’, wo es heißt: …. und das elektrische Klavier; das« klimpert leise, eine Weise von Liebeslust und -weh —, aber das elektrische Klavier ist aus der Zeit.“ Aus der Zeit! Ich sehe die magisch grünblau beleuchtete Box an und erinnere mich an den zauberhaften Eindruck der von unsichtbarer Hand bewegten Tasten des elektrischen Klaviers — das hat mir damals, vor vier Jahrzehnten, einen Schauer eingejagt, als zaubere eine Märchenfee vor meinen Augen. Heute … dort strahlt das Weiß und das Blau der Neonröhren des Rasthauses in die Nacht hinaus und Konfektionsmusik schmettert, daß man sie noch hundert Meter weiter hört. . . heute gibt es keine Märchenfee Märchen . . . ja, umgekehrte! Orte in Oesterreich haben als besondere Empfehlung in Zeitungsanzeigen mitgeteilt, daß es im Ortsbereich — keine Musikbox gibt. Und als technische Perfektion hat im Spiel der Speisekartenknöpfe bereits jemand einen Knopf erfunden, der alle anderen Knöpfe blockiert. Ruhe, Stille, Frieden für die Minuten — sobald die Münze ein- gewOrfen wird.

EIN AMERIKANER, der zu Be- such in Wien weilte, lächelte überlegen zu der Geschichte mit dem „Stillhalteknopf“. Er zählte, indem ein Nachgenuß sein Gesicht verklärte: „Wenn ich drüben morgens in meinem Drugstore an der Ecke, wo Tag und Nacht die Box jault, das Frühstück einnehme, ist mein erster Weg zur Box. Sie hat jenen Stoppknopf, von dem Sie reden. Eben noch rasselte der neueste Schlager durchs Geschäft. Alles schaut gespannt, spitzt die Ohren. Was kommt jetzt? denken die Leute und legen noch schnell die Füße, die auf dem Boden standen, auf den Tisch. Ich, genießerisch, klapp, klapp, klapp, werfe drei Münzen ein, wo ,stop‘ steht. Die zehn Minuten Stille genügen nach meiner Erfahrung: dann setze ich mich gemütlich an den Tisch und frühstücke in Ruhe. Nach mir und dem Frühstück kommen die anderen daran, auf ihrer Speisekarte die Musik zu wählen.“

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