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Auf dem Veitsberg

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3. Fortsetzung

Es ist sehr sdlön gewesen, ich habe eine gute Erinnerung an alles. Von mir aus könnte öfters so eine Schar kommen.

Ich habe zwei Briefe bekommen. Der erste von Maria lag in dem Wäschepaket.

„Es ist gut, daß Du geschrieben hast. Ich glaube, Dir geht es besser als mir. Ich warte auf Deine Entscheidungen, laß Dich durch keine Rücksichten zu etwas bestimmen, was Dir nachher eine unerträgliche Last wird. Schreibe wieder einmal einige

Zeilen

Maria.

Und der zweite Brief von Karls Frau.

„Ich bestätige den Empfang Ihres Briefes. Ich habe mich von dem Schlag noch nicht erholt. Auf jeden Fall danke ich Ihnen, daß Sie mir alles gesagt haben. Herzlichen Gruß. „

Aus Maria* Schreiben wurde ich mir so wenig klug, als aus ihr selbst. Da lebt man so lange mit einem Menschen, beisammen, und er wird einem immer rätselhafter. Früher habe ich geglaubt, sie zu verstehen, aber heute weiß ich, daß wir niemand verstehen können, daß alle Brücken von einem zum andern sehr unzureichend und brüchig sind. Ihre Tragfähigkeit ist begrenzt.

Für den Mann wäre es leichter, wenn er allein leben könnte, aber wie lange hält nun das aus?

Die Pfosten für den Saustall sind gekommen, ich habe sie zu rechtgeschnitten und eingesetzt. Der Boden eines Schweinestalle ist wie ein Rost aus nebeneinandergelegten runden Pfosten. Ich habe Susi beobachtet nach Spuren eines Seelenlebens und ich hab sie gefunden, auch bei Schweinen gibt es etwas wie Individualität, ich habe nicht gesagt von Persönlichkeit. Ich habe noch große Pläne für Susi. Ich sehe sie nicht wie die Pichlerin mit den Augen des Metzgers an, der sie schon bei lebendigem Leibe im Geiste zerstückelt. Ich esse kein Fleisch von einem Tiere, das ich gekannt habe. E^ ist traurig, daß der Mensch seine Hausgenossen verzehren muß, zu verwundern ist nur. daß er nicht mehr darunter leidet, daß er sich mit dieser bösen Ordnung der Dinge abgefunden hat.

Ich war gerade am Vormittag im Haus, als jemand hereintrat und meinen Namen nannte. Wie erschrak ich, als Liesl. Kar! Frau, vor mir stand. Es war mir peinlich, daß sie mich so barfuß am Herd antraf. Sit ist jünger als Maria, und ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich sage, hübscher Sie entschuldigte sich, daC sie mich sc unangemeldet überfallen habe, aber sd wollte nochmals aus meinem Munde hören was ich ihr geschrieben hatte. Ich sagte

„So wollen wir gleich damit beginnen daß wir es hinter uns bringen.“

Ich führte sie in die Stube und begann zi erzählen. Am Ende stellte sie noch einigi Fragen. Sie wollte wissen, ob es nicht dod eine Möglichkeit gebe, daß ihr Mann am Leben sei. Ich sagte, es sei keine Möglichkeit vorhanden. Wie durch ein Wunder sei ich entkommen, als Karl schrie, war er schon angeschossen. Gleich drauf knallte es wieder. Ich erzählte ihr noch einiges von ihm, wie ich ihn im Felde kennengelernt hatte und wie wir fast durch ein Jahr treue Kameraden gewesen, wie er von ihr erzählt hatte: Da weinte sie. Ich schrieb ihr noch genau auf, wann und wo es geschehen war. Eine Weile schwiegen wir. dann sagte ich: „Jetzt dürfen sie nicht mehr zu sehr an der Vergangenheit hängen. Sie sind jung, Sie müssen sich ihr Leben neu einrichten. Ich aber will gehen, Ihnen etwas zu essen zu richten.“

Sie ließ es sich nicht nehmen, mit mir in die Küche zu gehen. Es war nicht mehr viel zu tun,' sie wurde durch die Ablenkung ganz munter, wie sie überhaupt ein sehr wechselvolles Temperament hat. Sie kann sich ganz in den Augenblick verlieren. Sie ist noch keine dreißig alt.

Wr aßen mitsammen. Sie lachte sogar dabei. Sie fragte:

„Sie sind doch auch verheiratet? Wo ist Ihre Frau?“

Ich seufzte und antwortete:

„Ja, ich bin verheiratet. Meine Frau ist daheim, aber es geht nicht gut mit uns, wahrscheinlich werden wir auseinandergehen.“

Sie war aufrichtig erschrocken, als sie das hörte. Und ich ließ mich dazu hinreißen, ihr des langen und breiten die Geschichte meiner Ehe mit einer Offenheit zu erzählen, wie ich sie nur Hugo erzählt hatte. Was sich im Laufe der Zeit angesammelt hatte, durchbrach die Dämme. Der ich sonst so verschlossen bin, redete und redete, wie es kein Gläubiger vor seinem Beichtvater tut. Sie gab kein Urteil, keinen billigen Rat, sondern war nur betroffen und voller Teilnahme. Vor jemand andern hätte ich mich nachher geschämt; bei ihr war es gar nicht unangenehm.

Ich führte sie durchs Haus, zeigte ihr meine Tiere, ging mit ihr in die Kirche und sie betrachtete die Heiligen.

Ob ich ein Bild von meiner Frau bei mir hätte? Nein, antwortete ich. Sie sagte nichts darauf.

Als sie fragte, wann der Zug zurückgehe, war es bereits zu spät, denn wir hatten beinahe eine Stunde bis zur Station zu gehen.

„Ich werde im Gasthaus übernachten.“

Ich war in Verlegenheit. Sie könnte ja im Häuschen schlafen, aber wie sieht das aus, wenn ein Mann und eine junge Frau allein unter einem Dache schlafen? Ich könnte außer Haus gehen. Das wollte sie nicht. Sie fürchte sich nicht vor mir. Sie meinte es aufrichtig. Wenn man es im Dorfe nicht merkte, war nichts dabei. Nur die Pichlerin durfte es nicht erfahren, die war wie ein Teufel und hatte es gleich vom Anfang an verboten. Im schlimmsten Falle würde ich sagen, es sei meine Frau gewesen.

„Und was wird Ihre Frau dazu sagen?“

„Sie wird sich nicht darüber aufregen.“

„Glauben Sie das nicht!“

„Ich werde auf dem Heu schlafen.“

„Wo werden Sie mich hinlegen?“

„In die Stube.“

Ich war sehr unruhig, als ich in der Dämmerung alles herrichtete. Wenn jetzt die Alte zur Kontrolle gekommen wäre. Zu dumm, daß man solche Hemmungen hat. Aber die Sitte hat recht. Zwei junge Leute, die nicht zusammengehören, sollen nicht alkin über Nacht beisammen sein. Wir sprachen nicht mehr von Karl. Er war tot; Wir saßen noch lange beisammen, und die Lampe brannte zwischen uns. Ich war ganz weich und sie hatte etwas Mütterliches. Du wirst es nicht ohne Frau aushalten, sagte ich zu mir selber, wenn du von deiner Frau fortgehst. Es war sehr spät, als wir uns Gute Nacht sagten und ich in meine Kammer ging. Ich schlief nicht ein, die Nähe der Frau beunruhigte mich, aber nicht mehr. Ich schlief dafür länger als sonst und wäre beinahe zum Läuten zu spät gekommen.

„Dir hat das Feuer nichts getan,“ sagt tch zum heiligen Veit, „ aber du warst ein ^Knabe, und in dir hat das andere Feuer ni gebrannt.“

„Du Glücklicher,“ wollte ich zuerst hinzufügen, dann unterließ ich es.

Am Morgen schob ich den Abschiec immer wieder hinaus. Mir war zumut wie einem Kind, das den Abschied fürchtet wenn ein Besuch im Hause ist. Weiß Gott wie nahe sie mir gekommen war. Ich bracht! sie mit Karl in gar keinen Zusammenhang ich sah sie nicht als seine Frau oder bessei gesagt, als seine Witwe. Im Grunde fühlt ich mich auch nicht als verheiratet, sondert als freien Menschen. Ich wollte sie festhaltet und wußte nicht wie.

Als es Zeit zum Zug war, zeigte ich ihi den einsamen Weg, wo sie nicht durchs Dor gehen brauchte*. Beim Abschied sagte ich:

„Ich wollte. Sie blieben bei mir. Ich hab midi so wohl gefühlt neben Ihnen. Id glaube, wir könnten wie Brüderchen un Schwesterdien beisammen sein.“

Da sah sie midi überrascht an und sagti nichts. Sie drückte mir fest die Hand un ging. Auf dem Hang drehte sie sich noch mals um und winkte. Mir tat es so leid daß ich sie nicht zur Bahn begleiten konnte Als ich sie nicht mehr sah, wußte ich nicht sollte ich mit meiner Glocke läuten ode sollte ich mich ins Gras werfen und heulen Es war kein Zweifel, ich Esel war in di junge Frau verliebt. (Fortsetzung folgt schau in die Freudenau und vernachlässigte hierauf , dem traditionellen Derbydiner zuliebe die französisdien Gäste. Resultat: ein halbleerer Saal für „Le jeu de l'amour et du hazard“ (Marivaux) und „Le m£decin ' malgre lui“ (Moliere).

Nach seinem Tagebuch zu urteilen, war für Got und das Ensemble der 30. Mai in jeder Beziehung der Kulminationspunkt ihres Wiener Aufenthaltes. „Für den Nachmittag hatte da Theaterkomitee, mit Baronin Therese de Bourgoing-Kinsky als Hausfrau, die Wiener Gesellschaft, offizielle Welt und Diplomatie, Presse und als Aufmerksamkeit für die Wiener Bühnenwelt die ersten Kräfte des Hofburgtheaters, des deutschsprachigen Gegenstücks der Comedie-Francaise, und der Hofoper eingeladen. Abends spielten wir .Denise (Dumas' Sohn). Der Kaiser wohnte zum erstenmal seit dem Tode des Kronprinzen einer Vorstellung bei, und wir waren im siebenten Himmel!“ Vor der Aufführung hatte Kaiser Franz Joseph den Doyen in die Hofloge rufen lassen, um ihm nach schmeichelhaften Worten über die bisherigen Erfolge zu sagen, er erinnere sich mit Freuden daran, ihn während seines Pariser Aufenthalts 1867 gehört zu haben.

Am 31. Mai schloß das Gastspiel mit „Pepa“ (Meilhac und Gauderax) ab, ein Schauspiel, das in Paris nicht gewählt worden wat. „Welch komische Idee!“ meint Got. Nach dieser Vorstellung, während welcher die Wiener ihren Dank mehr für das bisher Gebotene als für das wenig ansprechende Stück mit nicht endenwollendem Applaus quittierten, gab das Ausstellungskomitee dem scheidenden Ensemble ein Abschiedsdiner, zu dem die Spitzen der Gesellschaft, „Hofräte, Minister, die großen

Financiers, Tod und Teufel eingeladen waren. Toaste, specchs usw.“.

Vor der Abreise wurde ein Ruhetag eingeschaltet, an dessen Abend einige der Schauspieler im wahrsten Sinn des Wortes von Theater zu Theater geschleift wurden. Got setzt sich in seinen Aufzeichnungen mit gewissen Kritikern und Enthusiasten auseinander. Auch Mascagni, der im September 1892 in der Ausstellung und, wo immer er sich in Wien zeigte, Triumphe aller Art feierte, kommt bei dem gewiegten Theatermann schlecht weg. „Eine Stunde in der Burg, um einen Akt der deutschen Übersetzung eines der Shakespeareschen Heinriche mit der Mere Volter (sie), Sonnenthal, Lewinsky, Hartmann und der bestakkreditierten Truppe der Stadt zu sehen; einen anderen in der Oper für einen Akt von Freund Fritz, musikalisch durch Herrn Mascagni, den allzu berühmten Komponisten der ,Cavaleria rusticana', in/ Unordnung gebracht, und zum Schluß im Carl-Theater, um eine Vorstellung mit der Ehjse in .Kleopatra' zu hören. Ich sage sehen, denn das ist wohl alles. Wie kann man sich tatsächlich erlauben, irgendeine Kunst Inders zu beurteilen, deren Rhythmus, Tradition, und vor allem, Sprache man nicht kennt, wenn man bedenkt, daß wir untereinander in unseren Urteilen nicht übereinstimmen? Diese Kritiker erheitern mich, die Enthusiasten ebenso!“ .

Seither sind fünfundfünfzig Jahre vergangen. In Wien hat sich in dieser langen Zeit viel geändert, trotzdem , wird das Publikum von 1947 den Leistungen der Comedie-Francaise die gleiche Sympathie und dasselbe Verständnis wie das von 1892 entgegenbringen.

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