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STIMMEN DER STILLE

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Die Tür meiner Einsiedelei ist gegen Morgen gerichtet, wie sich's gehört. Von Mittag schaut der Mönchsberg her, ein Hügel mehr als ein Berg, behäbig, fast weibisch im Umriß, vielleicht so genannt, weil sein kahler Gipfel von dunklen Fichten umstanden ist, gleich dem Haarkranz einer Tonsur. Gegen Abend und Mitternacht ist Wald und nichts als Wald. Die Hütte ist vielleicht 100 Jahre alt und außen von satter samtener Bräune, sonnverbrannt. Das Innere besteht aus einer mit blondem Holz verschalten Wohnküche und dem Stall. Die Hütte wird sommers von einer resoluten Hirtin bewirtschaftet, die einst dem steinernen, vorsintflutlichen Herd in hellem Zorn mit dem Hackbeil derbe Hiebe versetzt hat, weil er rauchte, dem heiligen Herd von mennigroter Farbe, der, gut gespeist, eine ganze Nacht die Wärme hält. An den Kamin ist von frommer, ungeschickter Hand das Gesicht jenes Engels gemalt, mit großen schmachtenden Augen und einem unnahbaren Mund. Die Stubendecke ist der Wärme wegen kaum zwei Meter hoch. Gefährlich niedrig sind auch die Türen. Ich muß mich jedesmal ein wenig bücken, und aus den kleinen Butzenscheibenfenstern kann man nur im Sitzen schauen. So tief sind sie angebracht Unter den Fenstern laufen Bänke, und über dem gescheuerten Tisch hängt eine Petroleumlampe.

Im Herrgotts Winkel aber, kaum sichtbar unter einem Bukett aus weißen und roten Rosen von Seidenpapier, hängt ein kleiner gipsener Kruzifixus mit abgebrochenem Arm, lieblose Dutzendware. Aber die gläubige Hirtin hält dennoch dort ein Döschen mit Opodeldok verwahrt, damit die Einreibung, von der Nähe des Gottes geweiht, besser anpacke.

Man ist dort wirklich sehr allein. Es ist klar, daß die Leute von Ungrund mich für einen ausgemachten Narren halten, weil ich hier im Walde hause und nicht in der „Goldenen Sonne“ im Dorf. Sie sagen, der Winter sei eine schlechte Jahreszeit für den Besuch dieser Gegend.

Als ich ankam, war noch Sonne. Bald aber blies es vom Mönchsberg her, der plötzlich seine heitere Rundlichkeit verlor und fast blechern aussah. Nasse Wolkenhadern fetzten über den Wald, und nachmittags begann es lustig zu schneien. Nun liegt die Hütte inmitten einer so spurlosen Weiße und Einsamkeit, die zauberhaft ist und unheimlich zugleich oder doch ungewohnt für mich, den geselligen Städter. Ich mußte mir anfangs ernstlich Mühe geben, nicht daran zu denken, wie allein ich jetzt auf einmal mit mir war, gleichsam auf einer beschneiten Hand gegen den Himmel gehalten.

„Kehre dich nicht daran“, sagte ich zu mir und war versucht, es laut zu tun, wie es jetzt schon ganz natürlich geschieht, daß ich laut mit mir selber rede wie mit einem anderen.

Obgleich ich auf einmal unendlich viel freie Zeit hatte, vermochte ich nichts zu tun. Ich saß schräg auf der Fensterbank, den warmen Herd im Rücken, und schaute stundenlang zu, wie es schneite und wie die Eiszapfenorgel vom Vordach herabwuchs in gläserner Zerbrechlichkeit. Ich saß und schaute. Die jungen Fichten drüben am Hang hatten alle etwas flottes Aufgebürstetes, so, als hätten sie Lust, plötzlich zu marschieren. Da war auch ein schwarzer Baumstumpf mit'einer Schneehaube wie ein Kopj> verbänd. Er sah'aus wie eme-'kniende Negermajestät mit Turban und weitem, gebreitetem Mantel. Menschliche Gestalt also sah ich noch überall, menschliches Maß.

Ich wollte mich an meinen Bericht machen, aber es wollte mir noch nicht glücken, mich zu sammeln. Das kam wohl daher, weil ich immerzu horchen mußte, ob ich wollte oder nicht, zwangsläufig und ganz Ohr.

Denn es war keineswegs still ringsum in dieser Welt aus Watte. Es war die eben noch wahrnehmbare, ganz herrlich musizierende, vollkommene Stille, die Harmonie aus aller Unruhe der Welt, die mich immerzu hinzuhören verlockte, daß ich alles andere darüber vergaß.

Mit der Dämmerung hatte das Schneien aufgehört, es wurde merklich kälter, Hügel und Wald verloren für eine Weile ihre Schwere und waren nicht mehr aus Erde, Stein und Holz auf einmal, sondern leichte, luftige Gebilde aus Voile. Aber alsbald erstarrten sie wieder, sahen uralt und böse aus, hart, ohne Regung, grausam, menschenfeindlich. Ich trat vor die Hütte. Als ich so stand, in die Nacht schauend und bedenkend, was ich von Idoli-nos Herkunft gehört, erschrak ich plötzlich sehr. Es war kein Zweifel: in dieser Spurlosigkeit und Menschenferne hatte sich eben jemand ganz laut und unmanierlich geschneuzt wie irgendein Herr in einem Wartezimmer oder in einer Kirche. Es mußte aber dann ein Gespenst gewesen sein, denn ich konnte ringsum niemanden entdecken. Vielleicht war es ein Tier oder der tausendstimmige Schnee. Das sonst so befreiende Geräusch hatte einen schauerlichen Beiklang. Ich ging gerne aus der Nacht in die heiße Hütte zurück.

Es gibt da immer gleich ziemlich viele Fliegen, die, von der künstlichen Wärme betrogen, aus den Ritzen krauchen, zu sinnlos torkelndem Flug. Manche krabbein unbeholfen und ziellos draußen über den Schnee, und eine ist in einen Eiszapfen eingefroren wie ein silbernes Lamm in einem gläsernen Schusser. Eine andere fiel auf die glühende Herdplatte und ging nach kurzem, rasendem Angstgesumme und Spuren auf in ein wenig milchigen Rauch und brenzlichen Geruch.

Du weißt, daß ich sonst leidenschaftlich gern koche. Nun aber hatte ich keine Lust, meinetwegen so viel Umstände zu machen. Ich war gleich fertig. Es mundete mir anfangs gar nicht so allein. Ich mußte eben sehen, ob sich der Mensch selbst genügen würde als einziger Umgang. Also nahm ich mir allerlei vor, Brennholz zu holen zum Beispiel, das im Stall geschichtet lag, hartes und weiches.

Über den leeren Ständen der Rinder sind die Namen mit Kreide auf den Querbalken geschrieben in der braven Kinderschrift der Hirtin. Ich lese Hulde, Hex, Karmin. Die Tiere sind fast leibhaft gegenwärtig in dem warmen, beißenden Kuhgeruch.

Ich holte also Holz, räumte beharrlich die Stube auf und richtete endlich mein Nachtlager, nicht ohne immer wieder innezuhalten und zu lauschen. Denn ich kannte noch nicht die Hüttengeräusche und wußte nicht, ob dies eine Maus war, das alte Holz, der Wind im Kamin oder der heilige Herd. Das Wasser im Schiff klang oft wie eine ferne, fröhliche Schlittenfahrt mit feinen silbernen Schellen, Hundegebell und Peitschenknall. Ich erschrak bald nicht mehr, wenn dazu die Scheiter im Schürloch inmitten sanfter Flammen urplötzlich knatterten und schössen wie Gewehre.

Als ich mich dann schließlich zum Schlafen niederlegte, dauerte es eine geraume Zeit, bis meine überwachen Sinne sich beruhigten. Mein Gehör konnte es nicht lassen, die zahllosen verdächtigen Geräusche, die mich äfften, anzumelden und zu prüfen, jenes unheimliche Um-die-Hütte-Schlurfen vor allem, die knirschenden Schritte im Schnee, als gehe da jemand, obwohl es kaum anzunehmen war, jetzt, in der gefährlichen Finsternis im tiefen Winter. Manchmal hörte ich ganz deutlich Stimmen und ferne Hilferufe, die aber aus dem Herde kamen, einmal sogar Glockenläuten und das Hallen der Nacht in den Bergen.

Wenn die kleinen Mäuse mir zu Häupten auf dem Heuboden sich rührten dann klang es wie Pferdegetrabe auf dem Pflaster einer kleinen Stadt.

Ich fürchtete mich, ich gestehe es, wie ich mich so nur als Kind gefürchtet habe. Ich habe einmal gelesen, daß Furcht ein Genuß sei, Furcht und Schönheit seien überhaupt das gleiche Gefühl; aber jetzt vermochte es mich nicht sehr zu trösten.

Ich erwachte mitten in der Nacht. Das Feuer im Herd lebte noch, und die Hütte war erfüllt von einem nie gekannten, unendlich beglückenden Wohlgeruch irgendeines balsamischen Harzes. Beruhigt schlief ich wieder ein

Die liebste Mahlzeit am Tag ist mir das Frühstück. Auch in meiner Einsiedelei genoß ich es ausführlich. Ich ließ mir Zeit, denn draußen lag dichter Nebel: zartrosa gegen Sonnenaufgang, bleigrau gegen Westen Aber gegen zehn Uhr kam die Sonne. Der Himmelsschirm über mir wurde kornblumenblau, und unwiderstehlich strahlte wieder die Sonne. Natura immaculataf Ich denke an den Winter in der Stadt, an die verstaubten Vierecke auf dem Anger, wo wackere Hausfrauen ihre Teppiche geklopft haben, denn nichts reinigt so gut und billig. Ich denke an die Schneeinseln in unserem Garten, „körnig und verrußt“. Und denke daran, wie ich als Kind voll Zorn mit Schneebällen nach der Sonne warf, weil sie meinen süßen Schneemann halb aufgeschleckt hatte.

Ich fuhr mit Skiern in die fröhliche Kälte. Der Schnee blendete so sehr, daß ich der grauen Brille bedurfte. Er schillerte wie weißer Atlas oder Kampferkristalle.

Vor etwa zehn Jahren geschah am Mönchsberg der große Windbruch, da der Wirbelsturm in breiter Front die Wälder zerbrach und niedertrat, daß sie denen glichen, über die im Krieg die Feuerwalze eines Großkampftages hinweggegangen war. Noch immer ragen dort die Wurzeln der umgestürzten Fichten gespenstisch in die Luft, wie in wildem Umsichgreifen erstarrt, auf dem Rücken liegenden Riesentaschenkrebsen ähnlich, kraken-haft. Andere Stämme, in halber Höhe geköpft, spießen gleich den Masten eines Wracks schmerzhaft in die dichte Bläue, gesplitterte Pfähle mit Pfeilen gespickt, sebastianisch fast oder wie in Wasser gegossenes Blei, silbergrau, stachelig, kraus, unentwirrbar, aber höchst unterhaltlich durch alraunische Gestalten und Gesichter, im, schöpferischer UnordnuHgU! stfe mslUs ibv

Der Weg dorthin führt durch tief verschneiten'Wald, darin die Vögel singen. Ganz nahe sah ich und zum erstenmal Kreuzschnäbel, von denen die Legende erzählt, sie hätten sich beim Bemühen, die Nägel herauszuziehen, mit denen Christus ans Kreuz geschlagen war, die Schnäbel verbogen und dies Stigma fortgeerbt zum ewigen Gedächtnis.

Trotz deT Sonne, die hier so heiß brennt, daß ich nackt mitten im Schnee auf einem Baumstamm sitzen kann, trotz des ahnungslosen Schmetterlings, der über den Schnee taumelt und atmend auf einer Wurzel ausruht, trotz des zarten Arielgesanges in der Luft, der, wenn ich die Augen schließe, die Einbildung sommerlich summender Wiesen erweckt: hier ist Melancholie und Todesnähe. Immer wieder fällt mir der Krieg ein. Plötzlich dröhnt es in den Bergen, ganz wie von einem fernen Abschuß, und die Luft rings erschrickt.

Als ich schon längst wieder in der Hütte war, bei jenen nun schon gewohnten Hantierungen, wie Schneekochen vor allem, da ein mannsgroßes Stück, geschmolzen, noch kaum einen Schoppen Wasser ergibt, beim Essen dann und vollends gegen Abend bewegten mich immer wieder von neuem die drüben im Windbruch beschworenen Gespenster. Ich glaube, wenn ich einmal alt bin, werde ich Landschaften malen ...

Aus ..Prosa eines Liebenden“. Mit Genehmigung des Suhrkamp-Verlates.

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