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Auf dem Veitsberg von

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14. Fortsetzung

Wird es mir wie denen im Märchen ergehen, die auszogen, um dort das Abenteuer und Wunder zu finden? Das Abenteuer und Wunder, das ich suche, ist die Verwandlung.

Es ist nicht so leicht, in der Natur die Konzentration zu finden, denn die vielen und schönen Dinge, die man da sieht, lenken ab. Drum sind die Religionen auch mit Recht davon abgekommen, unter Bäumen und auf Bergesspitzen ihre Gottesdienste zu halten. Die heiligen Räume, die gegen die Umwelt streng abgegrenzt sind und nur Zweckdienliches enthalten, die Kirchen, sind dafür besser geeignet. Eines aber hat man als Waldläufer, wie ich es war, man ist allein, es stört einem nicht der Atem des andern. Raum und Weite hatte ich um mich, und das brauchte ich jetzt. Der Wald, in den idi getreten, war nicht gleichförmig und eben, sondern vielgestaltet und reich gegliedert. Dutzende von Wasserläufen hatten ebenso viele Täler und Gräben gebildet, die in eigenartigen Windungen dem mütterlichen Strom zustrebten. Ich kam ebenso durch riesige Nadelwälder, wie durch Eichen-und Buchenwälder. Am liebsten hatte ich die freien Plätze, wenn mitten im Wald eine Heidewiese sich ausbreitete mit ihren Erdhügeln, so groß wie Ameisenhaufen, den dunklen, moosbewachsenen Findlingsteinen und Erika, viel blühender Erika.

Ich verschloß mich nicht gegen all die Schönheit rundum, sondern tauchte ein in diese bunte Welt, dankbar verweilte ich, wo es mir gefiel.

Am ersten Tage begegnete ich keinem Menschen. Einmal hörte ich bloß Stimmen; ich wich ihnen aus.

Am Abend blieb ich auf einer Waldwiese, die sich an einem steil fallenden Bache entlang zog. Das braungoldene Wasser gluckste eilends zu Tal.

Eine Felsgruppe mit Eichen erinnerte mich an Zeichnungen von Romantikern, Einige große Heuhaufen waren aufgerichtet; an dem Fuße eines solchen richtete ich mir mein Lager. Mit dem Fasten nahm ih es nicht ganz streng, ich hatte Brot gegessen und von den Beeren genascht, die ich gefunden hatte.

Als es Abend zu werden begann, kam ich erst zum eigentlichen Nachdenken. Die Erlebnisse der letzen Wochen standen in meiner Seele auf: Veit, Rosl, die Pichlerin und ihre Tochter, Liesl, Agnes und Maria. Susi, Laura, Uri, Hugo und die Steiningerin. Ich sah das Gesicht des Propheten und die glänzenden Gestalten des Stephanus und des Laurentius. Ich blätterte im Geiste in den beiden Büchern, die ich gelesen hätte und sah den Strom vor mir. Dazwischen kamen mir ältere Erinnerungen, ich sah midi ins Maisfeld laufen, iA hörte Karl schreien.

„Jetzt mußt du den Faden finden. Es muß einen klaren Weg geben, der dich herausführt aus dem Gewirre. Was war falsch in meinem Leben und was ist richtig? Wie soll ich leben?“ Ein neuer Lebenswille erwachte in mir, da die Verzweiflung über das andere hinter mir lag. Als Jüngling hatte ich oft nach irgendeinem erschütternden Erlebnis geglaubt, daß ich imstande wäre* auf der Stelle ein neues Leben anzufangen, aber nie hatte es lange gedauert, war eine seltsame Vermischung von altem und neuem daraus geworden; den reinen Willen hatte ich nie rein zu verwirklichen vermocht. Ich erinnerte mich an die Nacht beim toten Veit. Ich sah die Augen des Propheten glühend auf mich gerichtet und rang die Hände, da ich an Rosl, den vollkommenen Menschen, dachte, den ich nur so kurze Zeit hatte sehen dürfen. Das war doch alles Gnade gewesen. Und daß ich ohne Groll, ja mit einem stillen und guten Gefühl, an Maria denken konnte, durfte ich mir doch nicht selber zuschreiben. Die Ehe wird die Probe sein, ob ich mit gutem Willen und Pflichtgefühl über Schwierigkeiten Herr werden kann, wo der Naturmensch sich aufbäumt. Oder wird mir auch da etwas geschenkt werden? Groß und sdiwara standen die Bäume am Waldesrtnd, ein Friede, wie wir ihn in der Ewigkeit haben werden, lag über der Erde. Sanfter hörte sich das Murmeln des Baches an. Ich erinnerte mich an die vergangenen Abende und die Stelle im Abendlied: „Kennt auch dich und hat dich lieb.“ Da sah ich dann nicht mehr all die Menschen und Bilder vor mir stehen, sondern ich trat vor ihn selber, der midi kennt und liebt.

Als ich am frühen Morgen erwachte, war der “Himmel bedeckt, und einzelne Tropfen fielen herab. Es fing zu regnen an. Ich war ärgerlich. Was sollte ich nun anfangen? Wenn man im Haus wohlgeborgen ist, macht einem der Regen nichts, aber hier, wo ich dem Wetter ausgeliefert war, war es anders. Vergebens wartete ich, daß es wieder aufhören würde zu regnen. Ich sprang auf und suchte unter den * Bäumen Schutz. Stumpf wartete ich. Am liebsten hätte ich gehadert.

Bis ich mich selber fand. Ich dachte an den reichen Abend des vergangenen Tages und schämte midi. Ich beschloß, nur zwei Stücke Brot an diesem Tag zu essen, eines zu Mittag und eines am Abend. Dann nahm ich den Rucksack und wanderte weiter. Ich ging auf dem Waldweg immer fort und als er zu Ende war, ging ich unter den Bäumen weiter, bis ich auf einen andern kam, dem ich auch wieder bis ans Ende folgte. Längst waren Füße und Rücken naß, aber ich achtete nicht darauf. Es war mir gelungen, mich nach innen zu wenden. Am Abend kroch ich in eine überdachte Heuraufe, wie sie die Jäger für die Hirsche aufgeriditet haben. Vom Abendbrot aß ich nur die Rinde, das andere hob idi auf. Es fror mich, doch ich biß die Zähne zusammen.

„Weichling“, sagte ich zu mir selber, „wenn dich solche Dinge aus dem Gleichgewicht bringen. Wieviel Nächte waren wir im Regen und Schmutz gelegen und hatten es auch überstanden. Damals habe ich müssen, heute will ich.“

Am dritten Tage ging die Sonne strahlend auf. Ich war glücklich. Mein Magen war leer, ich hatte auch keine große Begierde, wenn ich ans Brot dachte. Wenn ich einige Bissen genommen hatte, war der Hunger übertäubt, etwas Leichtes und Schwebendes war in mir. Wenn ich still dasaß und die Augen schloß, fühlte ich die Nähe von Gesichten. Aber es reizte mich nicht danach. Ich wollte nur, daß etwas in mir brach, einmal und für immer. Wie einem das Fasten verändert! Idi sah alles mit andern Augen. Schade, daß man sich dazu zwingen muß. Gehungert hatte ich in der vergangenen Zeit genug, doch das ist etwas anderes als Fasten. Hungern ist Notwendigkeit, Fasten Freiheit. Es kam ein Verlangen in mir auf, mich bis zum letzten zu schwächen. Ich wollte das Brot wo liegen lassen, scheute midi aber davor, aus Ehrfurcht vor dem Brote, und dann wäre es so leichter gewesen, weiter zu fasten, als wenn ich es als Versuchung ständig bei mir trug. An diesem Tage sah ich einen Jäger. Wir grüßten uns bloß, sprachen nichts- weiter miteinander. Die Nacht verbrachte ich im Freien.

Am vierten Tage fühlte ich mich so frei und leicht wie noch nie, aber zum Gehen war ich zu müde. Ich nahm mir am Morgen vor, diesen Tag vollständig zu fasten. Ich hängte meinen Rucksack an einen Baum und legte midi auf das Heidekraut der Hochwiese, den Kopf auf einen Hügel. Ich schlief lange. Als ich die Augen öffnete und die Sonne sah, die mir die ganze Zeit ins Glicht geschienen hatte, meinte ich, die Scheibe sich drehen zu sehen. Wachend träumte ich weiter. Es war zu unklar und zu phantastisch, als daß ich es erzählen könnte. Ich trank auch kein Wasser. Mein Geist war wie entrückt, zeitweise aber quälte mich der Hunger fast unwiderstehlich.

Als die Sonne hinter dem Wald unterging, erinnerte ich mich, daß das Fasten bei Sonnenuntergang beendet wird, und da ich spürte, ich hatte genug gefastet, holte ich das Brot und schnitt mir ein Stück ab. Dabei zitterten meine Hände. Ich wollte schon abbeißen, da besann ich mich, daß ich das nicht so formlos tun sollte, und ich machte feierlich ein Kreuz. Dann aß ich langsam. Beim Kauen wurde das Brot süß wie Honig. Gleich durchströmte meinen ganzen Leib eine neye Kraft und ich war sehr froh. Nachdem ich das erste Stück gegessen hatte, wartete ich eine Weile, dann aß ich ein zweites.

Ich dachte nicht daran, mir ein Nachtlager zu suchen. Ich saß unter einem Baume auf der Waldwiese und sah die Nacht heraufkommen. Ich wunderte midi, wie schnell die Sterne wanderten. Ich dachte zurück an meine Hütte und Maria und Agnes und es erschien mir alles sehr ferne. In diesen vier Tagen hatte ich mich weit von. allem entfernt, ich hatte Abstand gewonnen. Wer weiß, wenn jetzt jemand zu mir gekommen wäre und hätte mir einen neuen, besseren Weg gezeigt, ich wäre vielleicht mit ihm gegangen und hätte alles hinter mir gelassen.

Der Mensch ist kein verlorenes Geschöpf. Es gibt noch neue Wege für ihn. wenn ihm die alten ungangbar geworden sind. Ich weiß, daß es schwer sein wird. Ich stehe vor einem neuen Anfang, Neues wird sich mit Altem mischen, gute Vorsätze werden durch schlechte Gewohnheiten bedroht sein, aber es wird gehen. Ein Anfang besteht aus hundert Anfängen, und ich werde nicht siebenmal des Tages versagen, sondern siebzigmal. Wenn auch stolpernd, werde ich doch vorwärts kommen. Es wird nicht immer ein Idyll sein, was mich erwartet, es mag zeitweise hrt und bitter sein, aber ich bin glücklich, daß ich aus dem Schwanken heraus bin. Man muß an die Verwandlung glauben, dann kommt sie auch wirklich. Ich habe die Einweihung in ihr Mysterium in diesen Tagen erlebt.

Ja, das habe idi auch gelernt, mit einem Schweifen ins Ungewisse ist nichts getan, ich will glauben wie Rosl.

Ich weiß nicht, wann ich einschlief. Am Morgen war es kühl, ich stand auf und ging weiter, um midi zu erwärmen. Ich wandte meine Schritte nach Süden, der Donau zu. Ich wanderte einige Stunden, bis ich auf einen Gipfel kam, von dem idi Aussicht hatte.. Ich sah noch nicht heim, aber idi erriet die Richtung, in der ich weitergehen mußte. Meine Gedanken wandten sich jetzt dorthin, und ich freute midi, unter die Menschen zu gehen. Auf den letzten Regen waren viele Schwämme gewachsen, niemand kam hieher, um sie zu pflücken. Ich nahm mir vor, später einmal Maria herzuführen. Nun füllte ich den Rucksack mit den schönsten an, daß ich nicht mit leeren Händen heimkommen brauchte.

Gegen Abend erreichte idi den Rand des Waldes und sah die Ebene und den Strom vor mir. Welch eine Weite, welch eine Pracht!

Meine Augen suchten den Platz jenseits der Donau, wo das Häuschen lag. Eine Weile sah ich den Strom hinauf und hinunter, dann stieg ich ins Tal. Es war noch heller Tag, als ich das Ufer erreichte. Ich schrie so laut ich konnte: „Hol über.“ Der Fischer rührte sich nicht, aber auf dem Berg hatten sie mich gehört. Agnes antwortete, Maria kam über die Wiese' herabgelaufen, Agnes folgte. Dann verschwanden sie, wahrscheinlich um den Fischer zu suchen. Ich saß am Strand und war auf drei Seiten vom Strom umgeben, der an dieser Stelle den großen Bogen schlug. Groß wie ein Meer war das Wasser und glänzend, da die Sonne durch die letzten Wolken ihrem Untergang zueilte. Wie oft hatte ich von drüben hiehergeschaut, nun sah ich den Berg, die Veitskirdie und das Dorf von der andern Seite.

Da stieß drüben das Boot in den Strom, ?wei Tücher winkten mir entgegen. Der Fischer hatte Maria und Agnes mitgenommen. Die Strömung trieb sie ab, ich ging zur Stelle, wo sie landen konnten.

Beide fielen mir um den Hals und waren sehr glücklich.

„Schlecht siehst du aus“, sagte Maria.

Da mußte ich lächeln.

„Aber die Sonne hat dich dunkel gebrannt“, fügte sie hinzu. b *\n,UuK

„Gebt acht auf die Schwämme.“

„Schwämme suchen waren Sie?“ fragte der Fischer.

(Schluß folgt)

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