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Auf dem Veitsberg von FRANZ JANTSCH

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12. Fortsetzung

Neulich habe ich aus dem Lesebuch ein Orakel gemacht. Ich stach mit dem Messer zwischen die Blätter und sah dann, wohin die Spitze zeigte. Ich fand den Spruch:

Wechselnde Pfade, Schatten und Licht,

Alles ist Gnade, fürchte dich nicht.

Idi habe ihn mir gut gemerkt. Der Nachdruck scheint mir auf der Stelle zu liegen: Alles ist Gnade. Ich sage den Satz oft, und er beruhigt midi, als kündige er mir etwas Gutes in der Zukunft an. Er hilft mir mehr als der andere Satz von dem Zeichen „schi“, welches Tod bedeutet. Ja, aber der Tod ist trotzdem das Interessanteste und Aufregendste in unserem Leben.

In der letzten Zeit mußten wir Veit immer den Mund abwischen, weil der Speichel herausfloß. Er wurde zusehends sdnvächer. Der Arzt kam noch, ohne etwas machen zu können und als ich einmal am Nachmittag ins Zimmer trat, nachdem Veit längere Zeit still allein gelegen hatte, fand ich ihn tot. Ich rief Maria und Agnes. Wir stellten uns vor das Bett und weinten. Mit Veit geschah ein Wunder, das für mich von größter Bedeutung ist, sein Antlitz hat sich verändert, es ist schön geworden. Die ewige Ruhe leuditete mir von ihm entgegen. So hatte ich ihn nie gesehen, ich hätte es auch nicht geglaubt. Die Seele ist in ihm offenbar geworden, da sein Antlitz wieder menschliche Züge gewann. So hat er unerkannt unter uns gelebt, sein Wesen, seine Persönlichkeit hat sich erst im Tode geoffenbart. Maria und ich haben ihn gewasdien, angezogen und aufgebahrt. Die Pichletin ist gleich gekommen, sie will es der Tochter nicht sagen. Es muß aber sein, ich möchte nur haben, daß die Mutter das wahre und schöne Antlitz ihres Kindes sieht, ehe es begraben wird. Sie soll es so im Gedächtnis bewahren. Als der Sarg kam, legten wir den Leichnam hinein und bahrten ihn in der Kirche auf. Vor dem Hochaltar gerade unter dem heiligen Veit stellten wir den Sarg auf eine Bank, umgaben ihn mit Kerzen und sehr viel Blumen. Das ganze Dorf kam ihn anzusehen, viele konnten es nicht glaubrn, daß es Veit war. Ich selber konnte ihn nicht genug ansehen und ging immer wieder zu ihm. Hier ist es Brauch, daß die Nachbarn, solange ein Toter im Haus ist, zur Nachtwache kommen. Leute aus dem Dorfe kamen in die Kapelle, und bei brennenden Kerzen wurde gebetet. Die dunklen Stimmen der Männer wechselten mit den hellen der Frauen, und der Vorbeter gönnte ihnen selten eine Pause. Still und wie sinnend saßen die Leute da und das Geheimnis des Todes berührte uns alle.

Maria hatte Agnes, welche eingeschlafen war, ins Haus getragen. Nach Mitternacht gingen die Leute heim, ich blieb mit Maria in der Kirche. Sie saß auf der Frauenseite, ich auf der Männerseite. Maria weinte eine Weile, dann schlief sie ein. Ith wachte allein. Viele Dinge gingen mir durch den Kopf, manches sah ich in einem neuen Lichte. Damals wurde mir vor allem klar, daß ich bisher unrichtig gelebt hatte. Es geht nicht, daß man Lasten abwirft und nur das Leichte und Schöne sucht. Was mir das Antlitz de* Propheten gesagt hatte, fiel mir ein, und das verklärte Gesicht des toten Veit erinnerte mich an Rosl. So sein wie diese drei, darum geht es. Von Veit haben am Ende die zerstörenden Dämonen abgelassen, an Rosl kamen sie nie heran, der Prophet zeigt den Weg, wie man sich von ihnen befreien kann. Das wurde mir mit einem Male klar. Ich wußte aber auch, daß alles Gnade ist, und ich faltete die Hände und bat darum.

Die Kerzen flackerten weiter im totenstillen Raum, die Nacht rückte vor, Maria schlief. Es war nicht mehr weit zum neuen Morgen, als ich sie weckte, die Kerzen auslöschte und mit ihr ins Haus ging. Am liebsten hätte ich Veit neben der Kirche eingraben lassen, aber er wurde auf den entfernten Friedhof gebracht, wo auch Rosl liegt. Ich gehe manchmal hinten herum durch den Wald, sie zu besuchen, auf der Straße, vor den Leuten, zeig ich mich nidit gerne. Mit dem Tode des Veit hat sich viel verändert. Wir haben noch Agnes, die das Haus erfüllt.

Als Maria begann, wieder unruhig zu werden, sprach ich mit ihr. Sie wußte nicht, was in mir vorgegangen war. Ich versudite, mich ihr begreiflich zu machen.

,.Ich wollte von dir weg. Ich war müde und begierig nach einem ruhigen Leben. Ich habe mich sogar in eine andere verliebt.“

Sie sah mich betroffen an.

„Du hast doch geschrieben ...“

„Es geschah später.“

„Wer ist sie?“

„Karls Frau. Aber sie wollte nicht.“ „Warum?“

„Ich vermute wegen dir, und der Tod ihres Mannes liegt auch noch zu nahe.“

„Du hättest es mir sagen sollen. Ich wäre nicht gekommen. Ich werde jetzt gleich wegfahren. Das ist gegen unsere Abmachung.“

„Verzeih mir, das ist alles vorbei.“

„Wieso?“

Ich zeigte ihr einen Brief, daß heißt den

Entwurf von einem Brief, den idi wirklich abgeschickt hatte. Sie las:

„Ich danke Ihnen, daß Sie mich damals

abgewehrt haben. Heute sehe ich alles

mit andern Augen. Die Ehe ist kein

Ding, das man so leicht zerbricht, sie ist

auch kein Band, dem man sich einfach

entwinden darf, wenn es einengt. Man

kann dem Leid und der Tragik nicht

entfliehen. Ich will es auch nicht mehr.

Sie sah mich fragend an. „Damit weißt du alles“, jagte ich. Nach einer Weile sagte sie: „Aber die Ehe ist doch nicht bloß eine Form.“

„Du meinst, ihr konkreter Inhalt ist das Verhältnis der beiden Gatten. Die Form mag hundertmal bestehen, auf den Inhalt kommt es an. Aber für mich ist es sehr viel, wenn ich zu dieser Erkenntnis gekommen bin.“

„Erkenntnis, Erkenntnis, das ist mir zu wenig.“

„Ich weiß, du sagst die Ehe ist die Liebe, aber die Liebe hat ein vielfaches Gesicht.“

„Um irgendwelcher Prinzipien wegen willst du auf einmal, was du bisher nicht gewollt hast. Ich komme mir dabei betrogen vor. Ich will nicht mit einem Mann beisammen leben, wenn er nicht ja zu mir sagt und mich nicht ...“

„... liebt, willst du sagen. Darüber will ich nicht reden, wenigstens nicht gleich. Du kannst mir davonlaufen, aber ich werde dich nicht aufgeben. Bitte, halte es aus von Tag zu Tag, lauf mir nicht davon. Habe Geduld mit mir. Hat dir Hugo nidit gesagt, daß ich ein Kranker bin und behandelt gehöre.“

Da lächelte sie und sagte:

„Du bist ein schwer zu behandelnder Patient.“

„Du wirst eine gute Pflegerin sein, siehe, ich habe guten Willen.“

Als ich ihre Hand nahm und küßte, sah sie midi erstaunt an. Trotzdem bat sie mich um Urlaub. Für einige Tage müßte sie in die Stadt fahren, sie habe sich zu wenig Kleider mitgebracht. Agnes tobte- als sie davon hörte. Als Maria im Spaß sagte:

„Fährst halt mit“, griff Agnes das sofort auf und ließ sich nicht mehr abbringen. Einerseits hatte ich nichts dagegen, weil das ein Unterpfand für eine baldige Rückkehr der Maria war, andererseits hätte ich sie doch gerne bei mir behalten. Agnes war glücklich, ihren Willen durdigesetzt zu haben. Beim Abschied war sie im Geiste schon ganz wo anders. Ich wartete auf ihre Rückkehr. Statt dessen kam ein Brief mit der Mahnung zur Geduld, es würden noch einige Tage vergehen. Zuerst saß ich viel unter dem Nußbaum und dachte über alles nach. Der Sommer ging zu Ende, milde Tage kamen. Ich fühlte, wie sich irgendein Ende ankündigte. Über die ärgsten Katarakte war ich hinweg. Befriedigt sah ich auf las unaufhaltsame Strömen der Donau, und eine große Ruhe kam über mich. Das andere konnte ich nicht bezwingen, da hieß es warten, aber muß nidit auf so einen Sommer auch ein reicher Herbst folgen? Die ersten Nüsse fallen bereits vom Baum, heuer kommt alles früher als sonst. Die Felder jenseits der Donau, die ich bei meiner Ankunft mit wogenden Ähren sah. sind längst umgebrochen und gepflügt, bereit für neue Saaten. Die Nüsse will ich den beiden aufbewahren, sie essen sie gerne.

Ich habe im Garten nach dem rechten gesehen und an der Orgel gebastelt. Susi ist ein großes, fettes Schwein geworden. Uri ist mit meiner Gesellschaft nicht zufrieden, die beiden gehen ihm ab. Laura springt herum, als wäre sie nicht älter geworden. Auf Veits Grab habe ich Erika gepflanzt. Die kranke Tochter der Pichlerin kann nicht gesund werden und nicht sterben. Sie weiß, daß Veit tot ist, gesehen hat sie ihn nicht mehr. Interessantes habe ich von unserem Kirchendieb gehört. Er hat die Diebstähle aus einer Manie heraus begangen. Er hatte ein geheimes Museum mit den herrlichsten Kunstschätzen, lauter Heiligenfiguren, wie er sie zusammengestohlen hatte. Als man in sein Heiligtum eindrang, wurde er tobsüchtig, statt ins Kriminal wurde er in die Klinik gebracht. Ich glaube, ihn zu verstehen. Unsere beiden Heiligen können abgeholt werden.

Nun bin ich nicht mehr allein. Die beiden ind gekommen. Das war schön, als sie den Hügel heraufstiegen, als ich eben aus der Kirche trat. Agnes lief mir entgegen und fiel mir um den Hals. Maria reichte mir nur die Hand, aber mit so einem heiteren Gesicht, daß ich froh war.

„Am schönsten ist es doch, wenn wir wieder alle beisammen sind“, meinte Agnes, obwohl sie unaufhörlich von ihren Erlebnissen plapperte.

Am Abend saßen wir unterm Nußbaum, schlugen Nüsse auf und plauderten. Agnes saß zwischen uns, sie ist eifersüchtig. Maria hatte ihr das Kinderlied beigebracht: Weißt du, wieviel Sternlein stehen? Als der erste Stern zu sehen war, verlangte Agnes das Lied zu singen. Maria stimmte ein. Ich kannte nur die ersten Kinderstrophen und war über den Text der folgenden Strophen erstaunt. Einmal heißt es dort vom lieben Gott:

„Kennt auch dich und hat dich lieb.“

Das ging mir tagelang nicht aus dem Sinn. Diese naive, persönliche Auffassung von der Verknüpfung der Ereignisse sagt mir jetzt mehr zu als die kalten Erwägungen über das Schicksal, wie ich sie früher gemacht hatte. Was braucht man sonst noch, wenn man gläubigen Herzens daran festhält?

„Kennt auch dich und hat dich lieb.“

Maria hat viele Sachen für midi und für sich selber mitgebracht, Wäsche, Kleider, Schuhe, auch für Agnes eine Menge schöner Dinge, Spielzeug und Kleidungsstücke. Ich fragte sie:

„Warst du auch bei Hugo?“

Etwas verlegen antwortete sie: „Ja.“

„Hast du ihm von mir erzählt?“

„Ja.“

„Was?“

„Was mir eingefallen ist.“

„Was hat er gesagt?“

„Nichts besonderes. Wenn es ihm ausgeht, wird er uns besudien. Mit Agnes war er bei einem Lungenspezialisten.“

„Hat dieser etwas gefunden?“

„Nein. Er sagte, wir könnten unbesorgt sein. Sie hätte bloß in den Atmungswegen etwas gehabt. Aber man müsse sie beobachten und regelmäßig untersuchen lassen,“

„Agnes scheint ihm zu gefallen?“

„Ja, er meinte, wir sollten sie uns behalten, wenn ...“

„Das Kind gehört zu seinen Leuten. Die Mutter hängt an ihr. Und wir wissen doch nicht, ob wir nicht selber ...“

Da begann Maria von etwas anderem ru reden.

Ich vermute, sie hat noch vieles mit Hugo

besprochen, was sie mir lieber nicht sagt. Hugo liebt das, sich hinter meine Frau zu setzen. Er hält auf sie mehr als auf mich.

(Fortsetzung folgt)

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