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DcrT räum des Heiligen

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Der Verlag Jakob Hegner (Köln und Ölten) bringt soeben in vier Bänden eine Sammlung der Werke Reinhold Schneiders heraus. Die Titel der eimeinen Werke sind: „Dichter und Dichtung“, „Der iünite Kelch“, „Das getilgte Antlitz“, „Herrscher und Heilige“. Zu dieser Sammlung gesellt sich als tüntter Band eine Abhandlung über Reinhold Schneider aus der Feder von Hans Urs von Balthasar. Der Ausgabe — die wir nocii besonders würdigen werden — entnehmen wir die folgende Erzählung.

Der Gefangene hörte den Gesang nun wieder, mit dem der Tag begonnen hatte; halbgeschlossenen Auges an dem schmalen offenen Fenster sitzend, sah er auch die Gestalten der Singenden wieder, wie er sie am Morgen gesehen hatte: die abgezehrten Mönche der Kartause, die in der Gefangenschaft unbeschreibliche Erniedrigung erlitten hatten, wurden zum Tode geführt, weil sie den Eid auf des Königs Oberhoheit über die Kirche Englands nicht leisten wollten.

Thomas Morus seufzte unter einer schweren Bedrückung auf; seine Gedanken entfernten sich von den verklärten Zeugen und sanken tief in das Irdische zurück. Da, in dem grundlosen Dämmer des schmalen Raumes, war ein schwerer Atem zu spüren, und eine mächtige Gestalt erschien hinter den Schleiern, umschimmert von einer goldenen Kette. „Ich wußte, daß du kommen würdest, mein gnädiger Herr“, flüsterte der Gefangene, „all die lange Zeit, da ich hier gefangen bin und vorher schon, seit ich dir das Siegel zurückgab und deinen Dienst verließ, habe ich mit dir gesprochen; mein Leben, sofern es sich nicht an Gott, unseren Herrn wendet, ist eigentlich nur noch ein Gespräch mit dir. Ich habe dir so viel gesagt, daß ich dir fast nichts mehr zu sagen weiß.“ — „Und doch hast du geschwiegen, und die Menschen haben sich an dein Schweigen geklammert, und es ist die Mitte eines freventlichen “Widerstandes geworden.“ — „Vor dir hätte ich nicht geschwiegen, wenn du zu mir gekommen wärst oder mich gerufen hättest. Dir hätte ich es nicht verschwiegen, warum ich den Eid nicht leisten kann.“ — „Heute hast du es öffentlich vor dem Gericht gesagt“, stieß der König zornig hervor. „Ja, ich habe es gesagt“, erwiderte Thomas Morus, „es war der Augenblick, den ich am meisten gefürchtet habe. Nie habe ich so vor einem Augenblicke gebangt, wie vor diesem; ich hoffte auch immer, daß du mich verstehen würdest, ohne daß ich sprechen würde. Aber dann, als ich mit Bestimmtheit wußte, daß die Richter mich zum Tode verurteilen würden, da mußte ich sagen, daß ich deine Hoheit über die Kirche nicht beschwören konnte, weil Gott selbst, da Er auf Erden war, diese Hoheit dem Apostel und seinem Nachfolger übergeben hat, und daß die Einheit der Welt nicht zerbrochen werden darf von einem Mächtigen der Erde. Siehst du, mein König: diese Dinge sind so. Menschen haben sie nicht gemacht, und ich würde nicht wagen, deinem Gesetz zu widerstehen um meiner eigenen Gedanken willen. Nicht, was ich denke, will ich vertreten, nur, was so. ist: Gottes Gesetz im irdischen Leben, unseres Heilands Ordnung, die die Welt zusammenhält. Und als ich das nun sagte und bekannte, daß kein einzelner verfügen kann wider die Ordnung, die alle binden soll, da fürchtete ich, daß etwas Entsetzliches sich ereignen und der Staat, dem ich so lange gedient habe, selber auseinanderbrechen werde; es war jV nun ausgesprochen, daß geschehen war, was nie hätte geschehen dürfen, und das Gesetz des Königs sich losgerissen hatte von Gottes Gesetz. Aber die Richter blieben ruhig und kalt, oder sie empörten sich über meine Aussage. Keiner schien zu bemerken, daß sein Amt und sein Recht ihm unter den Händen entschwunden waren. Sie meinten alle, Thomas Morus hätte gesprochen. Ach nein, ich bin es nicht gewesen. Ich hätte mich einer solchen Sprache vor deinen Richtern nicht erkühnt. Die Wahrheit, die Wirklichkeit haben gesprochen durch mich. Aber das haben deine Richter flicht gesehen. Und so ist alles geblieben wie zuvor, und es wird vielleicht sehr, sehr lange dauern, bis die Menschen erkennen, was in Wahrheit geschehen ist, und daß die Gewalten und R.echte der Aemter losgerissen sind von der eigentlichen Macht und dem eigentlichen Recht, von dem von Gott gepflanzten Stamm, der sie trug!“

„Es ist sehr seltsam“, antwortete der König höhnisch, „daß du von der Macht sprichst, du, der sie doch niemals in Wahrheit erfahren und die Güter der Welt nie mit Liebe ergriffen hat. Du hast so lange die verschiedensten Geschäfte meines Landes versehen und nicht gespürt, daß jetzt seine Stunde ist. Fühlst du nicht, daß England frei werden will? Das Schiff will sich vom Anker reißen. In solchen Augenblicken darf niemand befehlen außer dem Kapitän. Ich dulde eine zweite Stimme nicht. Und jetzt ist das Schiff in meiner Hand, und ich werde es steuern. Es ist die große Stunde, die ein König nicht versäumen darf.“ ' — „Es ist die Stunde der Versuchung“, erwiderte der Gefangene, „da das recht zu sein scheint, was wider Gottes Ordnung ist und wider das Heil der Seelen und der Welt.“ — „Und du allein“, fragte der König bitter, „hast das erkannt, du und der alte eigensinnige Bischof von Rochester und die paar von ihrem Prior aufgehetzten Mönche der Kartause?“ — „Es scheint, daß wir heute die einzigen sind, wenigstens die einzigen, die es zu sagen wagten, was sie erkannten. Das heißt“, fügte der Gefangene lächelnd hinzu, „gesagt haben wir es nicht. Wir haben nur geschwiegen und den falschen Eid nicht geschworen, und dieses Schweigen hat deinen Unwillen erregt. Aber siehst du, mein König, das geht über Königsrecht, einen Menschen zu einer Aussage zu zwingen, die er nicht machen will und nicht machen darf. Wir wollten nicht beleidigen; wir wollten schweigen. Und weil wir schwiegen, wurden wir vor Gericht gerufen.“ — „Durch euer Schweigen habt ihr euch losgesagt von eurem König und eurem Lande. Es war ein Verrat.“ — „Wer sich lossagt“, erwiderte der Gefangene auf seine heitere, freie Weise, „der sucht wohl seinen eigenen Weg. Aber wir bewegten uns nicht; wir wollten vielmehr genau dort bleiben, wo wir waren. Da aber die andern alle sich bewegten, ohne daß sie es wahrhaben wollten, so gerieten wir in den Verdacht, auf der Reise zu sein. Aber wir sind nicht allein; denn die Christenheit besteht über allen Reichen, und sie hat ein Gewissen, und dieses Gewissen ist für uns. Und“, fuhr er in sehr ernstem Ton fort, „mit uns sind die Toten. Denn ich weiß mit Bestimmtheit, sie hätten sich entschieden wie wir. Die Stunde hat eine große und trügerische Macht. Ueber die Toten gebot diese Stunde nicht; sie sahen die Wahrheit. Und das einzige wirklich Schreckliche, das heute geschieht, ist, daß du dich und dein Volk scheidest von der Gemeinschaft mit den Toten. Möge Gott in seiner Gnade alle wieder zusammenschließen, so wie in einem Gotteshaus die auseinanderstrebenden Pfeiler an der Spitze des Gewölbes vereinigt werden!“ — „Unser Gotteshaus wankte, die Pfeiler waren morsch geworden. Es bedurfte einer starken bauenden Hand.“ — „Aber du bist ein König“, antwortete Thomas Morus, „und du weißt, daß kein Uebelstand in der Zeit berechtigt zur Auflehnung gegen die Ordnung, die von oben und von Anfang ist. Wer bauen will, muß unter der Gnade bleiben; tritt er aus ihrem Kreis, so kehrt sich die mächtigste Kraft gegen das Heil. Die Gnade ruht auf der Kirche; sie ist offenbar für die, deren Augen zu sehen vermögen. Heute hat die Kirche Heilige gewonnen.“ — „Du meinst die widerspenstigen Mönche?“ — „Ja, sie haben dich heute überwunden. Und wider deinen Willen hast du das Licht entzündet in der Kirche. Das ist ja dein Unglück, daß du gar nicht siegen kannst. Deiner Macht sind ganz feste Grenzen gezogen, die du nicht siehst. Innerhalb dieser Grenzen bist du sehr stark. Gehst du nur einen Schritt über sie hinaus, so vermgast du nichts mehr. So ist es auch mit mir. Du hast nur noch eine ganz geringe Macht über mich. Aber wenn ich nur wenige Schritte tue bis zum Towerhügel, ist deine Macht über mich geschwunden. Da sie nun so gering ist und mit wenigen Schritten eines alten, kranken Mannes, wie ich bin, überwunden werden kann, so kommt es mir sonderbar vor, daß deine Großmut sich ihrer nicht begibt. Willst du wirklich das letzte Endchen der Macht noch? Denke doch daran, daß sie in wenigen Stunden viel weniger wert ist als mein Kleid in den Händen des Henkers!“

„Ich lebe in großer Sorge um deine Seele“, fuhr Thomas Morus fort, „aber du kannst diese Sorge noch nicht verstehen. Die Macht funkelt vor deinen Augen. Es ist mir zum immer tieferen Rätsel geworden, daß die Menschen zu gewissen Stunden das Wirkliche nicht zu sehen vermögen. Darum kann ich dir auch das Schreckliche, in dessen Umkreis du geraten bist, nicht einsichtig machen. Ein Tor ist aufgesprengt worden, das verschlossen hätte bleiben müssen. Niemand stellt sich vor dieses Tor; niemand versucht, es zu schließen. Und wenn es lange offen bleibt, so werden immer mehr Gewalten in die Welt strömen, die bisher nicht in ihr gewesen sind, und die Welt wird sich auf eine gräßliche Weise verändern. Wer aber dem Tode sehr nahe ist oder in dieser schlimmen Welt mit ihm Bruderschaft geschlossen hat, der kann manchesmal den Tod der anderen fühlen. Dein eigener Tod —“; hier zögerte der Gefangene, der sich selbst und seine Sprache wie eine fremde Person, eine dritte Stimme empfand. Er sah deutlich, wie ein Schauer über die Gestalt des Königs lief, während dieser seinen kurzen Mantel um die Schultern zog. „Dein eigener Tod ist noch sehr fern. Mein inniges Gebet ist, daß die ewige Liebe dich noch erreichen möge auf Erden. Welche Wege sie wählt, wissen wir nicht. Oft scheint es einer gewissen Last der Schuld und Sünde zu bedürfen, daß ein Herz wieder frei werde. Wir haben den Plan unseres Lebens ja nicht gemacht. Auch du, mein gnädiger König, stehst in einem wunderbaren Plan, und, das ist eigentlich der Grund, warum ich dich in dieser letzten Nacht so dringend gebeten habe zu kommen. Ich wollte dir danken. Du warst berufen zu meinem Heil. Du und ich, wir sind für die Ewigkeit verbunden. In frühen Jahren habe ich mir ein geistliches Leben ersehnt. Dann bin ich doch in die Welt gegangen. Frau und Kinder blühten an meiner Seite: ich lebte mit meinen Freunden und habe das unerschöpfliche Glück guter Gespräche und die Heiterkeit des Erkennens und Denkens und Erfindens erfahren; alle Soiele des Geistes haben sich um mein glückliches Leben gerankt, und ich habe köstliche Nächte über meinen Büchern verbracht. Dann war ich allein, wie ich es immer habe sein wollen. Nun seit ich hier eingeschlossen bin, habe ich Frieden. Das Gefängnis ist meine Zelle. Tag für Tag suche ich einen Schritt zu gehen auf dem Leidenswege unseres Herrn. Wenn ich Ihm aber nicht folgen kann, so geht Er mir entgegen. Es war mir oft, als hörte ich von draußen Seine Schritte, als streifte Er die Tür — oder als trete Er ein. Er würdigte diese armen Mauern Seiner Nähe. Und nun kann ich nicht mehr zurück in mein Haus. Nur der Herr kann diese Zelle noch öffnen, in die du mich hast einschließen lassen. Ich bin ein Gefangener des Herrn. Hier bist du nicht mehr König. Hier ist es ein anderer, und in Sein Reich, dessen Gesetz die Gnade ist, fallen alle Reiche der Welt.“

Der König wollte sich wenden, aber die Worte des Gefangenen hielten ihn fest. „Und doch hast du deine Krone von Ihm, als König wirst du vor dem König erscheinen müssen, so wie Er mich als deinen Kanzler ruft. Wir beide werden Ihm Rede stehen müssen über das, was in unserer armen Zeit geschah. Und wenn du vor Ihn treten wirst, mein König, so müßtest du vor deinem Volk einhergehen und sagen dürfen: Hier ist das Volk, über das Du mich gesetzt hast; es ist Dein gewesen; ich wußte es in einem jeden Augenblick. Nun bringe ich es Dir zurück. Und dann müßte sich auch das Volk verantworten über seinen Anteil an deiner Last und deinem Tun; du wirst die erkennen, die für dich gebetet haben und die sich reinen Herzens in deine Dienste stellten. Dieser Tag kommt, so gewiß ich in wehigen Stunden Gott sehen werde auf Seinem Thron.“

Thomas Morus war niedergekniet vor seinem Herrn: „Erbarme dich deiner Seele, mein König. Und wie sollst du dich ihrer erbarmen, wenn nicht durch den Gehorsam gegen die Liebe, die dich sucht und dich verfolgt und nicht von dir abläßt, bis sie dich gestellt und ergriffen hat im tiefsten Abgrund der Sünde! Es müssen furchtbare Tage für dein Land kommen nach dem, was geschehen is&, und vielleicht wird die Wunde, die ihm geschlagen wurde, nie mehr heilen. Mein Blut ist nur der erste Tropfen eines entsetzlichen Stromes. Wir haben zu fröhliche Tage gehabt und haben den Bösen nicht verstanden, der lauschend hinter der Türe stand, letzt ist es da, und nur die Liebe wird ihn wieder binden; nur die Liebe schließt die Todeswunde der Welt. Mit deiner Seele werden viele Seelen gerettet werden, oder viele werden verlorengehen. Erbarme d“-h aller. Es darf nicht Nacht sein an der Spelle, wo du stehst.“ Aber das Bild erblaßte über diesem Ansturm inbrünstigen Flehens; es war nicht zu erkennen, wie der König die Worte des einstigen Kanzlers aufnahm. In Heinrichs Augen war der Zorn einer starren Kälte gewichen. Er hob die Hand, als wolle er mit einer Gebärde antworten; doch blieb sie unentschieden. Machtlos sank die schwere, mit Steinen beladene Hand herab; dann fielen dichte Schleier über die Gestalt und hüllten sie in Finsternis.

Zu sehr früher Morgenstunde klirrten draußen die Schlüssel, und Thomas Pope, ein Freund des Verurteilten, trat ein. Mit bangem Schrecken sah er in das eingefallene, verzehrte Antlitz des Gefangenen; ihre Blicke träfen sich; es hätte der Worte nicht bedurft. Aber der Freund mußte nun doch erklären, daß er im Auftrage des Königs komme; es sei dessen Wille, daß der Gefangene noch diesen Morgen den Tod erleide. „Der König war immer sehr gnädig zu mir“, erwiderte Thomas Morus auf die gewohnte, ruhig-heitere Weise; „ich danke dir von Herzen für die gute Nachricht, die du mir bringst. Ich bin bereit. Die Zelle ist ein Gnadenort für mich gewesen; ich glaube, es ist hier nun alles getan, was meine armen Kräfte tun konnten; Gott wird die Dinge weiterführen, die hier begonnen wurden. Ich bitte euch inständig, hört niemals auf, für den König zu beten.“ Der Freund konnte die Tränen nicht zurückhalten. „Siehst du nicht“, fragte ihn Thomas Morus, „daß das Heil sich vorbereitet hinter unseren Schmerzen? Wir werden alle miteinander fröhlich sein im Himmel, die Richter und die Gerichteten, die Verfolger und die Bekenner. Nur gelangen die einen früher als die anderen ans Ziel. Aber am Ziel steht die Liebe, die uns angerufen hat. Und wahrhaftig, da die Welt so schlimm ist und unsere Herzen so arg sind, so kann die Liebe unser auf keine ändere Weise mächtig werden, als indem der eine zu des anderen Schuld, zu des anderen Gnade wirkt. Und wie Paulus und Stephantis sich wiederfanden im Licht und nebeneinander thronen, Paulus, der am Stephanus schuldig und in dieser Schuld begnadet würde, so werden wir, die wir diese schreckliche Stunde miteinander teilen, uns alle vereinigen zu den Füßen der Heiligen.“ Damit steckte er mit einem Scherz eine Goldmünze ein für den Henker; dann folgte er dem Hauptmann des Tower die Treppe hinab. Ein rotes Kreuz in den Händen haltend, umweht von dem langen grauen Bart, der ihm in der Haft gewachsen war, ging er in seinem rauhen Gewand über den Hof des Tower dem Tore zu, das wie das Grenztor zwischen den Reichen des irdischen und des himmlischen Königs vor ihm aufragte.

Oberstein Hfchnequin zugeteilt, kam er meist spät abends, nachdem das frugale Mahl verzehrt und das Lagerfeuer verlöscht, zum Regimentskommändo. Der arme Victor, der im Stäb kein besonderes Ansehen genoß, blieb, wie sein Offizier, häufig ohne Nachtmahl, Eines Abends wurde er durch zwei Handvoll getrockneter Erbsen, die der kleine Marodeur in einem Bauernhaus entdeckt hatte, der Retter in der Not für seinen Leutnant, der erst um 11 Uhr von den Vorposten zurückgekehrt war. „Wir teilten diese Erbseh, und da wir weder Wässer, noch Feuer und schon gar nicht die Geduld hatten, sie ZU kochen, verzehrten wir sie in rohem Zustand.“

Wie so häufig in seinem langen Leben, kam jetzt Paul de Bourgaing sein Sprachentalent zu gute. Diesmal sollte es ihn aus der Masse herausheben und die Gefahren des katastrophalen Feldzuges leichter ertragen lassen. In trüben Gedanken versunken, lauschte er wieder den Pfeifern und Tambours, die den Zapfenstreich ertönen ließen, als eine Estafette ihm einen schriftlichen Befehl des Divisionskommandanten übergab. die sich am Ende aller Mühen glaubten, ein Wahn, aus dem sie der schon am nächsten Tag ausgebrochene Brand der Stadt riß. Schlecht und recht quartierten sich Franzosen und Alliierte in den oft noch rauchenden Ruinen ein. Verflogen war der Traum, den Winter vor den Unbilden der rauhen Jahreszeit geschützt verbringen zu köflnen. Die Wenigsten ahnten die ihnen während des Rückzuges durch das verwüstete Land bevorstehenden Entbehrungen. Die Vorsichtigen, soweit sie über Bargeld verfügten, könnten aus den großen Vorräten der Händ-lungshäuser Pelze und Mäntel erwerben, die plündernde Soldaten zu hohen Preisen verkauften. Während mein Großvater in jugendlichem Leichtsinn einen nur mit Astrachan gefütterten, dafür reich verschnürten Mantel erstand, traf er für Victor Lanternier eine weit vernünftigere Wahl. „In einem Verantwortungsgefühl, das ich als meine Pflicht betrachtete, gab ich ihm einen Mantel aus dicken Wolfsfellen. Auf diese Weise schützte ich meinen treuen Diener vor der Winterkälte. Ueberdies hatte ich die Genugtuung, ihm ein Beutepferd geben zu können.“ —

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